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Deutschland/Türkei
Neue Belastungsprobe

Die Bundesregierung sieht die Beziehungen zur Türkei auf eine neue Probe gestellt. Hintergrund ist die Festnahme der deutschen Journalistin Tolu. In der Türkei selbst gibt es Dutzende weiterer Festnahmen und Razzien.

12.05.2017
    Mehrere Männer stehen in einer Menge, einige halten Plakate mit der Aufschrift "Journalismus ist kein Verbrechen".
    Demonstrationen für Pressefreiheit in Istanbul (AFP/OZAN KOSE)
    Die Bundesregierung hat mit Sorge auf die Festnahme der deutschen Journalistin Mesale Tolu in der Türkei reagiert.
    Regierungssprecher Seibert forderte die türkische Regierung nachdrücklich auf, eine konsularische Betreuung zu ermöglichen. Die Journalistin war Ende April festgenommen worden und ist seit dem vergangenen Samstag in Untersuchungshaft. Über beides sei die Bundesregierung nicht informiert worden, teilte das Auswärtige Amt mit. Die Türkei verstoße damit gegen das Völkerrecht, sagte der Sprecher der Behörde, Schäfer. Die türkischen Behörden werfen Tolu Terrorpropaganda vor.
    AA: konsularische Betreuung im Fall Tolu völkerrechtlich zwingend
    Nach Schäfers Worten haben die türkischen Behörden bislang nicht auf die Bitte reagiert, eine konsularische Betreuung durch deutsche Diplomaten zuzulassen. Dies sei von Bedeutung, da eine solche Betreuung nach Völkerrecht zwingend gewährt werden muss, wenn der Betroffene nicht die Staatsangehörigkeit des Gastlandes hat. Dies ist bei Tolu - anders als im Fall Yücel - gegeben.
    Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist bereits durch den Fall Yücel belastet. Der Korrespondent der Zeitung "Die Welt" sitzt seit Februar wegen angeblicher Terror-Unterstützung in Untersuchungshaft. Die Bundesregierung verlangt seine sofortige Freilassung.
    In der Türkei ist jetzt auch der Online-Chef der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet, Güven, festgenommen worden. Nach Angaben der Redaktion wurde er von der Polizei abgeführt. Im vergangenen Jahr war der frühere Cumhuriyet-Chefredakteur Dündar wegen eines Berichts über geheime Waffenlieferungen der Geheimdienste an islamistische Rebellen in Syrien zu fast sechs Jahren Haft verurteilt worden. Er lebt derzeit in Deutschland.
    Razzien gegen Börsen-Mitarbeiter
    Medienberichten zufolge nahm die Polizei zudem mehr als 50 frühere Mitarbeiter der Istanbuler Börse fest. Mindestens 100 weitere Personen würden per Haftbefehl gesucht. Am frühen Morgen habe es in sechs verschiedenen Provinzen der Türkei Razzien gegeben. Den Börsenangestellten wird vorgeworfen, in den Putschversuch vom vergangenen Sommer verwickelt zu sein.
    Opposition fordert Bundesregierung zu schnellen Handeln auf
    Der Deutsche Journalisten-Verband verurteilte die Festnahme Tolus als einen besonders dreisten Willkürakt gegen die freie Presse. Grüne und Linkspartei forderten die Bundesregierung auf, in dem Fall energisch durchzugreifen. Bundeskanzlerin Merkel müsse damit aufhören, Rücksicht auf die Regierung in Ankara zu nehmen, sagte Grünen-Chef Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Linken-Abgeordnete Dagdelen äußerte sich ähnlich. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erklärte, die Vorwürfe der türkischen Behörden gegen Tolu seien konstruiert. Der Fall zeige, dass die Türkei die Pressefreiheit ausgesetzt habe.
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