Archiv


Deutschland vor der Wahl

André Marx ist der Vorsitzende der "Spaßpartei". 23 Jahre alt, ledig, lebt in Kassel, von Beruf Krankenpfleger. Die Spaßpartei gehört zu den 23 Gruppierungen, über deren Ansinnen morgen beschieden wird, sich an der Bundestagswahl im September beteiligen zu dürfen. Das Gremium, das entscheidet, ist der Bundeswahlausschuss. Er setzt sich aus neun Vertretern der Bundestagsparteien zusammen. Die Grundlage seiner Entscheidungen liefern die Landeswahlausschüsse. Fast die Hälfte der ursprünglich 47 Antragstellern sind schon in der ersten Runde rausgeflogen. Da wurden die formalen Voraussetzungen geprüft, die erfüllt sein müssen, um als wählbare Partei oder Gruppierung anerkannt zu werden.

Susanne Arlt, Annette Riedel |
    Man muss eine Satzung einreichen, man muss den Parteiennamen reinreichen, man muss ein Wahlprogramm reinreichen und die Beteiligungsanzeige,

    erklärt Jürgen Rohmann, dessen Neugründung "Partei für das Volk" nicht vollständig die Voraussetzungen erfüllt hat, um tatsächlich auf den Wahlzetteln zu erscheinen. Bundeswahlleiter Johann Hahlen erläutert die wichtigsten Bedingungen für die Zulassung einer Partei:

    Sie muss die Vorraussetzung des Paragraphen zwei unseres Parteiengesetzes erfüllen, das heißt sie muss um die Vertretung im deutschen Bundestag den Wähler nachsuchen und sie muss diesen Willen ernsthaft dartun, indem sie durch Organisationen, Mitgliederzahlen und vor allem Betätigung in der Öffentlichkeit politisches Werben, diese Ernsthaftigkeit dartut, das geht einfach so, indem man durch Versammlungen Stände usw. für seine Ideen wirbt.

    Die zur Zeit im Bundestag oder in einem Landtag vertretenen Parteien müssen diesen Nachweis der Ernsthaftigkeit nicht erbringen: SPD, CDU, CSU, Bündnis 90/ Die Grünen, FDP, PDS, Schill-Partei und DVU. Die Ernsthaftigkeit, die es nachzuweisen gilt, bezieht sich nicht auf die Inhalte des jeweiligen Parteiprogramms.

    Wir haben nicht über die Sinnhaftigkeit der Ideen zu entscheiden,

    erklärt Hahlen. Der stellvertretende Bundeswahlleiter Hermann Glaab ergänzt:

    Natürlich schauen wir uns die Programme der Parteien an, aber das ist kein Entscheidungskriterium über die Verfassungsmäßigkeit der Parteien und über die Ablehnung über diesen Weg kann nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden, dass steht nicht im Ermessen des Bundeswahlleiters oder des Bundeswahlausschusses.

    Nehmen wir die erst vor fünf Monaten gegründete Spaßpartei. Von der Ernsthaftigkeit deren Werbens um die Gunst der Wähler waren zwar fünf der neun Mitglieder des Bundeswahlausschusses nicht überzeugt. Ein Mitglied enthielt sich. Da aber einem Antragssteller, der die formalen Kriterien erfüllt, nur mit einer 2/3-Mehrheit im Ausschuss die Zulassung zu den Wahlen verweigert werden kann, wurde die Spaßpartei in die zweite Runde geschickt. Das heißt, sie musste bis zum 18. Juli nun noch die notwendige Anzahl von Unterstützer-Unterschriften gesammelt haben. Glaab:

    Es sieht so aus, dass für Kandidaten auf der Wahlkreisebene 200 Unterstützungsunterschriften notwendig sind, für die Zulassung der Landesliste ist eins von Tausend der Wahlberechtigten-Unterstützungsunterschriften erforderlich, höchstens aber 2000. Das sind also die Zahlen, natürlich wenn Bremen weniger Wahlberechtigte hat und es sind die Wahlberechtigten der letzten Wahl, die kennt man ja, dann ist die Zahl niedriger. Also so kommen unterschiedliche Zahlen für die Länder zustande.

    Der Vorsitzende der Spaßpartei, André Marx, ist davon ausgegangen, dass er die notwendigen Unterstützer-Unterschriften bis zum Stichtag längst gesammelt hat. Auch die Skepsis gegenüber der Ernsthaftigkeit seiner Partei kann er nicht nachvollziehen.

    Die Spaß-Partei nannte sich einfach Spaß-Partei, weil es bisher viele andere Parteien gab, wie die Biertrinker-Partei und Partei der Autofahrer und wie sie alle hießen, die sich als Zweitbezeichnung halt Spaß-Partei nannten aber in Wirklichkeit keine waren. Und wir machen das richtig, wir nennen uns Spaß-Partei, damit die Leute gleich wissen, mit wem sie es zu tun haben. Anfang des Jahres im Januar kam einer Gruppe von mehreren Personen in Magdeburg die Idee, man könnte ja mal eine kleine Partei aufmachen, zumal man sich mit dem Programm der Großen halt nicht anfreunden konnte, weil dort überall das selbe drin steht. Und letztendlich hat sich dann halt am 2. Februar diese Clique zusammengetan und in Magdeburg den Gründungsparteitag abgehalten, dementsprechend sind wir eine Partei, die ist existent, und wir dürfen halt auch arbeiten. Ich weiß nicht, wer sich da in Berlin oder in Wiesbaden, wo der Bundeswahlleiter sitzt, auf die Füße getreten fühlt, aber es ist alles rechtens.

    CATS, das steht für "Creative Alternative Tierhaltung Stuttgart", die "Party-Partei", die "Partei der Neuen Ernsthaftigkeit" kurz: Teletrabis genannt, aber auch die "Partei der Nichtwähler" oder die "Partei aktiv protestierender Allianz", kurz "PAPA" genannt, sie alle sind bei der Zulassung zur Bundestagswahl gescheitert. Glaab:

    Nach dem Protokoll sind die meisten Parteien deswegen nicht zum Zuge gekommen, weil das Erscheinungsbild dieser Parteien einfach zu schwach war als dass auf Bundesebene nachhaltig der politische Wille des Volkes hätte beeinflusst werden können, also sie hatten in der Regel viel zu wenige Mitglieder, eine nicht ausgebaute Organisation, sie hatten keine Landesbezirke und Ähnliches hat gefehlt.

    Die Spaß-Partei hat nur 25 Mitglieder in mittlerweile vier Landesverbänden. Aber sie erreichte bei den Landtagswahlen im Frühjahr in Sachsen-Anhalt immerhin auf Anhieb 0,7% der Stimmen - oder in Zahlen: rund 7000. So war es letztlich Auslegungssache, ob man ihr auf Bundesebene politischen Engagement zutrauen wollte und dieses Votum geriet denn auch zum einzigen umstrittenen im Bundeswahlausschuss.

    Der Bundeswahlleiter beobachtet natürlich das Auftreten der Parteien in der Öffentlichkeit und dazu gehört auch das Antreten bei Landtagswahlen. Wenn also eine Partei auf Bundesebene sich Erfolge erhofft, dann ist es für die einzelne Stadt in der Beurteilung im Bundeswahlausschuss sicherlich hilfreich, wenn eine Partei sich vorher Erfahrungen auf Landesebene gesammelt hat, dann fällt es ihr leichter auf Bundesebene zu reüssieren.

    Trotzdem: André Marx kämpft weiter für die Zulassung seiner Spaß-Partei:

    Also eine Zielvorstellung für die Bundestagswahl - wenn wir denn zugelassen werden, sofern halt die Unterschriften dann vorliegen - ist sicherlich 0,5 Prozent,um halt die Parteienfinanzierung wiederzubekommen. In Sachsen-Anhalt haben wir mit 1 Prozent gerechnet, haben dann 0,7 erreicht, wobei man aber berücksichtigen muss, dass ja seit der Gründung und Zulassung erst zwei Monate vergangen sind und unseres Wissens nach hat es keine andere Partei bisher geschafft, in diesem kurzen Zeitraum von nur zwei Monaten so viele Wählerstimmen auf sich zu ziehen. Also ist es so, dass ich auf jeden Fall denke, dass wir Bestand haben, wir haben uns etabliert und werden auf jeden Fall versuchen, bei der nächsten Kommunalwahl sowohl in den bisher bestehenden Landesverbänden als auch in den anderen dann anzutreten und auf kommunaler Ebene dann Politik zu leisten.

    Die Spaßpartei will also ernst machen mit ihrer Einflussnahme auf die politische Meinungsbildung. Das Programm umfasst zwölf Punkte. Einige Kernforderungen sind zum Beispiel: Diäten für übergewichtige Abgeordnete, oder jeden Bürger pro Tag mit einem Witz versorgen, oder der European Song Contest muss wieder Spaß machen, oder Rabatte und Bonuskarten für Falschparker.

    Also inhaltlich ein Gag ist vielleicht übertrieben ausgedrückt, ich kann nur da sagen, wir haben uns also ein Kopf gemacht um das Programm, um halt auch einige ernste Sache reinzunehmen. Und ein ernstes Thema, was alle ostdeutschen Jugendliche betrifft, ist auch die Lohnangleichung Ost West, die also fest im Programm verankert ist und so auch auf jeden Fall drin stehen bleibt.

    Nicht alle der rund 100 Parteien, die mittlerweile beim Bundeswahlleiter registriert sind, wollen tatsächlich bei den Bundestagswahlen mitmachen. Neugründungen sind vor Wahlen immer wieder zu beobachten – mal mehr, mal weniger. Unter den sogenannten Sonstigen gibt es aber auch alte Bekannte: die Seniorenpartei "Die Grauen" beispielsweise, oder die Republikaner, die Kommunistische Partei Deutschlands, KPD, die Ökologisch-Demokratische Partei, ÖFP, und die Partei Bibeltreuer Christen, PBC. Deren stellvertretender Berliner Landesvorsitzender ist Matthias Gadein:

    Unsere Motivation ist vor allen Dingen, als bibelorientierte Partei Politik auch für Christen zu machen. Gerade weil auch christliche Interessen gerade von den beiden großen Parteien immer weniger wahrgenommen werden und ich denke, dass da ein erhöhtes Potential besteht. Ich denke mal, dass ist auch eine beste Gelegenheit, wieder einen Anstoß zu geben, dass wir zu den biblischen Wurzeln, auch gerade mal was Deutschland angeht, wieder zurückkehren.

    Die Motivationen, sich in kleineren Parteien zu engagieren, sind vielschichtig, weiß der Parteienforscher Richard Stöss von der Freien Universität Berlin:

    Viele Christen beobachten ja, dass sich sozusagen das Selbstverständnis der Kirchen verändert und dann gibt es welche, die wollen eigentlich zurück zu den traditionellen christlichen Werten. Auf der anderen Seite sind die Gründer oft Menschen, die Erfahrungen gemacht haben in entsprechenden Verbänden, beispielsweise in der Kirche, aber auch in anderen religiösen Gruppierungen, die gesagt haben, das lassen wir uns nicht bieten, jetzt gründen wir eine Partei, jetzt zeigen wir es denen mal. Also die sozusagen einen ganz starken oppositionellen Impetus haben. Unser System erwartet das ja eigentlich auch, dass sich die Leute in politischen Parteien zusammenfinden. Die Chancen müssen ihnen ja auch gegeben werden und deswegen sind ja auch die Möglichkeiten, Parteien zu gründen, sehr großzügig in der Bundesrepublik vorhanden im Gegensatz zu anderen Ländern, wo schon das Wahlrecht verhindert, dass es kleinen Parteien gibt.

    Richard Stöss hat nicht nur seit Jahren einen Blick auf die kleinen Parteien, sondern auch auf die kleinsten, die "Zwergparteien":

    Es gibt notorische Kleinparteiengründer. Sie werden feststellen, dass oft diese Parteien von immer wieder denselben Leuten oder jedenfalls Gruppierungen gegründet werden, die sich halt am politischen Geschäft beteiligen wollen. Die das ganz toll finden, am Wahlkampf teilzunehmen. Die sich da auch Chancen ausrechnen, in die Medien zu kommen, was ja auch in Wahlkampfzeiten durchaus der Fall ist. Im Übrigen ist auch immer die Hoffnung da, ein bisschen Wahlkampfkostenerstattung abzubekommen, so dass dann sozusagen auch die Kasse der kleinen Gruppe, die man da hat, aufgefüllt wird.

    Und dann gibt es auch immer noch eine Handvoll Einzelkandidaten, die sich auf den Landeslisten für die Erststimme bewerben. Sie hoffen darauf, ein Direktmandat für den Bundestag zu bekommen. Glaab:

    Einzelbewerber können kandidieren, wenn sie 200 Unterschriften haben in ihrem Wahlkreis, in dem sie antreten wollen, und das müssen natürlich Wahlberechtigte aus dem Wahlkreis sein, die diese Unterstützungsunterschriften leisten. Diese Unterstützungsunterschriften müssen dann aber auch von den Kommunen im Wahlkreis geprüft und bestätigt werden. Also es geht nicht an, dass jemand in der Fußgängerzone einer Stadt einfach Unterschriften sammelt, sondern es müssen schon Wahlberechtigte aus dem betreffenden Wahlkreis sein, die ihre Unterstützungsunterschriften geben.

    Der stellvertretende Bundeswahlleiter, Hermann Glaab, kann sich allerdings nicht daran erinnern, dass je ein Einzelbewerber den Einzug in der Bundestag tatsächlich geschafft hat. Was motiviert jemanden zu einem so aussichtslosem Unterfangen? Der Parteienforscher Stöss kennt die Gründe:

    Also es gibt da tatsächlich zwei Typen: der eine Typ ist jemand, der glaubt in seinem Wahlkreis sind irgendwelche Probleme, die die etablierten Parteien nicht regulieren, und deswegen sozusagen als Direktkandidat diese Probleme aufgreifen will. Der zweite Typ sind Leute, die mit der Gründung einer Partei gescheitert sind. Die haben dann oft eine ganz gestörte Wahrnehmung der Realität. Umfragen, die beispielsweise besagen, dass 20, 25 Prozent politikverdrossen sind, mobilisieren sie so, dass Unzufriedenheitspotential ist doch riesengroß: "Wenn wir uns nur Mühe geben, dann schaffen wir das, dann kommen wir rein in die Parlamente und dann können wir es den Etablierten zeigen." Wenn jemand glaubt, er könne ein Wahlkreis direkt erobern, sozusagen gegen das Parteienangebot was wir haben, der muss schon ein bisschen naiv sein, was politische Fragen angeht.

    Einer der zwölf Berliner Einzelkandidaten ist Gerrit Höhle und der findet keineswegs, dass er naiv ist. Der 28-jährige Politikstudent sieht sich als eine Art moderner Robin Hood, der das Portemonnaie seiner Mitmenschen wieder auffüllen möchte.

    Ich bin Anwalt der Bürger, das ist mein Ziel, das ist mein Anliegen.

    Darum lautet sein Wahlslogan auch: Mehr Netto für alle. Den Wahlkampf für seinen Bezirk Berlin-Mitte muss er allerdings aus eigener Tasche bezahlen. Aber gerade auch darin sieht er seine Überlegenheit gegenüber vielen anderen Politikern.

    Ich bin vollkommen frei von Lobbyismus, das heißt, ich habe halt keine Pharmaindustrie, die mich drückt, ich habe keine Ärzteschaft und kein Apothekerverband, die jetzt ihren Besitzstand wahren und die auch halt die Mitglieder in den Parteien sind. Aber ich glaube, das ist das Votum der Bürger. Wenn die Bürger mich wählen, dann bin ich gestärkt durch die Bürger und habe dann dementsprechend auch viel mehr Verhandlungsmacht als ein normaler Bürger oder als Bürgerinitiative.

    Vor allem glaubwürdig müsse ein Politiker doch sein, findet Gerrit Höhle. Als die SPD sich im vergangenen Jahr für einen militärischen Einsatz in Afghanistan ausgesprochen hatte, ist er ausgetreten.

    Franz Müntefering hat eben die Parlamentarier unter Druck gesetzt. Es gibt zwar einen Kaiser Franz, aber der heißt nicht Müntefering mit Nachnamen und ich finde es eine Unverschämtheit. Und das war ein Beweggrund, aus der SPD auszutreten. Fraktionszwang, das gefällt mir nicht, und deswegen kandidiere ich als unabhängiger Kandidat.

    Ebenso ernsthaft verfolgt die junge Alexandra Arnsburg ihre politischen Ziele. Sie kandidiert für die Sozialistische Alternative als Direktkandidatin für den Wahlkreis 77 Berlin-Pankow. Da die SAV in Deutschland noch keinen Parteienstatus erlangen konnte, haben ihre Kollegen sie als Einzelbewerberin ins Rennen geschickt. Deren Meinung nach repräsentiere sei den "normalen Bürger auf der Straße": eine junge alleinerziehende Mutter, Angestellte bei der Telekom.

    Wir kandidieren zur Wahl, weil wir denken, dass die etablierten Parteien keine Politik in unserem Interesse machen. Und wir wollen eine neue Partei aufbauen, weil wir denken, dass eine neue Partei nötig ist. Die Politik der etablierten Parteien hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Gewinne der Unternehmen steigen konnten, wohingegen die Reallöhne der Arbeitnehmer stagniert sind. Dass der Reichtum sich angehäuft hat bei einigen wenigen und bei den Armen immer mehr Geld aus der Tasche gezogen wird.

    Damit fällt sie beim Parteienforscher Richard Stöss wohl unter den Typ Zwei der Direktbewerber. Bei der Gründung als Partei gescheitert, erhofft sich die Sozialistische Alternative auf dem Weg über die Erststimme den Einzug in den deutschen Bundestag. Aber das als Mittel zum Zweck:

    Die meisten haben die Schnauze voll von der Politik. Wir sagen ganz klar, dass wir keine Illusionen haben, was die Parlamente angeht, dass die grundsätzlich was ändern können. Letztendlich gehören die Parlamente als Institutionen zu dem Staat und zu dieser Gesellschaft, eben auch noch zu dieser kapitalistischen Gesellschaft. So wie wir die Kandidatur nutzen, würden wir eben auch ein Mandat nutzen, indem wir Öffentlichkeit bekommen, um für unsere Ideen und für unser Programm, für unsere Partei einfach neue Leute zu erreichen, und auch direkt für unseren Protest, für unseren Kampf für eine andere Gesellschaft zu gewinnen.

    Die "Sonstigen", die Einzelbewerber und Kleinstparteien, tauchen bei den Wahlen immer nur einmal auf, nämlich am Wahltag in den Hochrechnungen und in den amtlichen Endergebnissen. Sie sind kein neues Phänomen in der Bundesrepublik; es hat sie immer gegeben. Allerdings hatten sie unterschiedlich Konjunktur:

    Es begann eigentlich nach der Aufhebung der Lizenzierungspflicht für politische Parteien, dass gerade die kleinen Parteien wie Pilze aus den Boden schossen. Das war so 1949, 1950, da hatten wir eine Hochkonjunktur, und dann setzte ein Konzentrationsprozess innerhalb des Parteiensystems ein, der eigentlich bis Ende der 70er Jahre dauerte und Ende der 70er Jahre begannen sozusagen wieder neue Kleinparteien zu entstehen, aber mit völlig anderen Themen als das in den 50er und 60er Jahren der Fall war. Da ging es um mehr Partizipation, um mehr Bürgerrechte, es hing auch zusammen mit der Entstehung der Bürgerinitiativen, der Umweltschutzbewegung und überhaupt der neuen sozialen Bewegungen. Da sind sehr viele Kleinparteien entstanden, so dass wir jetzt wieder einen konjunkturellen Aufschwung haben, was die kleinen Parteien angeht.

    Der von Parteienforscher Stöss beschriebene Aufschwung der "Sonstigen" setzte sich bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen im Dezember 1990 fort. Er hatte seinen vorläufigen Höhepunkt bei der letzten Bundestagswahl vor vier Jahren, zu der 31 Kleinstparteien und Gruppierungen antraten. Mit Ausnahme der Republikaner, die 1,8 Prozent der Stimmen gewannen, hatten sie jedoch allesamt im Ergebnis nur eine Null vor dem Komma. Lediglich die "BFB – Die Offensive" kam wie die ÖDP auf 0,2 Prozent der Stimmen. Das sind zusammen um die 370tausend Stimmen. Der Traum vom Einzug in den Bundestag wird für sie alle mit größter Wahrscheinlichkeit genau das bleiben - ein Traum, der sich bei den Bundestagswahlen im Herbst genauso wenig erfüllen wird wie bei kommenden.

    Eine neue Partei hat eigentlich erst dann Sinn, das hat sich am Beispiel der Grünen gezeigt, wenn wirklich fundamentale politische Probleme da sind, die die etablierten Parteien insgesamt nicht lösen. Das war damals das Thema Ökologie, Umweltschutz. Da haben alle etablierten Parteien die veränderte Stimmungslage in der Bevölkerung nicht erkannt. Und das hat dazu geführt, dass sich aus diesen neuen sozialen Bewegungen eine Partei gegründet hat. Dann sind die Grünen ins Parlament gekommen, es ist nach der deutschen Einheit die PDS gekommen. Das heißt, die Chancen von Oppositionsparteien, von rechts oder von links, die nehmen ja dadurch ab. Man muss auch sehen, dass die Republikaner gelegentlich ja auf Landesebene Wahlerfolge hatten, die DVU ist in dem Zusammenhang zu nennen. Dass also die größeren Kleinparteien, dass die natürlich einen Großteil dieses Protestpotentials absorbieren. Das heißt, wer jetzt anfängt, neben all dem, was es schon gibt, noch neue Parteien zu gründen, hat natürlich im Parteienwettbewerb ganz schlechte Karten.

    Von den knapp 50 Millionen bei der letzten Bundestagswahl abgegebenen Erststimmen entfielen auf die Sonstigen etwas über 1,8 Millionen, das sind 3,7 Prozent. Bei den Zweitstimmen waren es 2,9 Millionen und das sind 5,9 Prozent. Die Partei "Die Frauen" bekam das Kreuzchen für die Zweitstimme von genau 30 000 Wählern. Das sind im Vergleich mit den etablierten Parteien nicht besonders viele Stimmen, trotzdem gibt Parteienforscher Richard Stöss gerade dieser Bewegung gute Chancen für die kommenden Wahlen.

    Frauenparteien ist ein ganz interessantes Kapitel, weil in der Bundesrepublik immer wieder der Versuch unternommen worden ist, Frauenparteien zu gründen, mit dem eigentlich gar nicht so falschen Argument, dass ja in vielen Situationen - beispielsweise in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation - Frauen besonders benachteiligt sind. Insbesondere in Ostdeutschland. Man kann demnach sagen, Frauen sind die Verliererinnen der Einheit, weil viele berufstätige Frauen in den neuen Bundesländern keinen Job mehr finden, arbeitslos sind. Die aber nach einem Job suchen. Von daher ist die Überlegung nicht ganz falsch, dass man deren Interessen eigentlich vertreten müsste.

    Den "Frauen" wird André Marx, Vorsitzender der neugegründeten Spaßpartei, sein Kreuz im September wohl nicht geben. Aber wem hatte er denn 1998 seine Stimme gegeben?

    Bei der letzten Bundestagswahl, ich persönlich hatte damals die Pro DM angekreuzt, weil ich den Euro nicht haben wollte.