Dank moderner Umfragemethoden ist es Politikern heutzutage möglich, jede politische Handlung darauf hin zu testen, ob sie von der Wählerschaft negativ oder positiv aufgenommen wird. Ehe eine Partei sich so oder so verhält, schickt sie die Demoskopen ins Rennen und lässt prüfen, welche Konsequenzen eine bestimmte Handlung oder eine bestimmte Formulierung nach sich zieht. Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Augsburg:
Die SPD hat 1998 etwa 90 Wahlkampfslogans durchprobiert in Umfragen, das sind sowohl repräsentative Umfragen wie wir sie auch aus dem Fernsehen kennen – und das sind Interviews in einer Gruppe von dreißig bis vierzig Personen, bei denen die Menschen dann frei und ungeführt äußern können, was ihnen in den Sinn kommt bei einzelnen Begriffen. Was assoziiert man mit dem Begriff "soziale Gerechtigkeit", was assoziiert man mit dem Begriff "Innovation" oder "Fortschritt". Und dementsprechend werden Wahlkampfslogans ausgewählt.
Das Umfrage-Instrument selbst ist natürlich ein fantastisches Hilfsmittel für die Parteien und sie brauchen diese Informationen um in ihren Aussagen und in ihren politischen Programmen nicht an den Bürgern oder ihrer Klientel vorbei zu gehen. Aber dass die Parteien oder Politiker sich stärker an diesen Umfragen orientieren, das ist bei näherer Betrachtung eigentlich nicht nachzuweisen.
Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen. Parteien, so der Wahlforscher, hätten sich schon immer dafür interessiert, ob das, was sie tun, auf Zustimmung stößt oder nicht. Neu sei das Phänomen nicht.
Die Parteien haben Umfragen schon in Auftrag gegeben ganz am Anfang dieser Bundesrepublik, entweder sie selber oder ihnen nahe stehende Institutionen haben das getan, und dieses war in der Regel ein Geheimwissen der Parteien, das dann irgendwo verschlossen wurde; oder Teile daraus wurden ganz gezielt veröffentlicht.
Parteien beauftragen Meinungsforschungsinstitute wie Allensbach, EMNID oder Forsa, um die politische Stimmung im Land zu erfassen oder um die Wirkung bestimmter Werbestrategien zu überprüfen. Doch so sehr sie auf die Ergebnisse der Meinungsforscher angewiesen sind und auch ihr Handeln danach ausrichten, so sehr kritisieren sie öffentlich die Macht der Demoskopen.
Das ist in gewisser Weise pharisäerhaft. Auf der einen Seite Geld auszugeben für die Durchführung von Meinungsumfragen, um die eigene Wahlkampfstrategie verbessern zu können, und auf der anderen Seite aber zu sagen, die Wähler sollen von diesen Umfragen verschont bleiben in den letzten Wochen der Bundestagswahl, weil die ja dadurch manipuliert werden könnten. Also man möchte da einerseits von Seiten der Parteien die Informationen, die Demoskopie liefert, gerne verarbeiten, und auf der anderen Seite aber Wählern diese Information vorenthalten. Das finde ich undemokratisch.
Die Zahl der in den Medien berichteten Wahlumfragen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verfünffacht. Die Meinungsforschung boomt. Immer mehr Medien geben selbst Wahlumfragen in Auftrag, lassen also ermitteln, welche Partei im Augenblick vorne liegt – und damit die besten Chancen hat, die nächste Wahl zu gewinnen. Wahlumfragen sind bei den Medien beliebt, weisen sie doch einen hohen Neuigkeitswert auf. Für Parteien jedoch sind nicht so sehr die klassischen Wahlumfragen von Bedeutung, wie Dieter Roth erklärt:
Sie konzentrieren sich auf andere Umfragen, das sind in der Regel qualitative Umfragen, nicht so sehr repräsentative-quantitative Umfragen und sie machen dann ganz gezielte Gruppen aus, die sie gewinnen wollen und es ist natürlich fast so eine Art Arbeitsteilung, die Medien machen die repräsentativen Umfragen mit den Eckdaten und die tiefer gehenden Analyse machen die Parteien.
Die Macht der Demoskopen ist groß; das, was sie zu Tage fördern, bestimmt häufig das Handeln von Politikern und Parteien. Die angebliche Blockadepolitik der SPD gegenüber der 1998 von der CDU/CSU-Regierung in den Bundesrat eingebrachten Steuerreform ist hierfür ein gutes Beispiel, wie Frank Brettschneider meint:
Die SPD hat, bevor sie sich zu dieser Verhaltensweise im Bundesrat entschieden hat, sehr genau geprüft, über Meinungsumfragen, wie das ankommen wird. Wer wird verantwortlich gemacht für den politischen Stillstand in Deutschland, die Kohl-Regierung oder die SPD aufgrund ihres Verhaltens im Bundesrat. Die Mehrheit der Befragten war damals der Meinung: Das kann man nicht der SPD anlasten, sondern es ist die Schuld von Kohl. Entsprechend hat die SPD diese Blockade-Politik durchgezogen. Sie hätten das nicht getan, nach eigenem Bekunden, wenn sie heraus gefunden hätten in den Umfragen, dass ihnen das angekreidet würde vom Wähler.
Es scheint als seien Parteien weit stärker beeinflußbar durch die Ergebnisse der Meinungsforscher als die Wähler. Und so entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Politiker zu bedenken geben, dass veröffentlichte Wahlumfragen die Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger auf illegitime Weise beeinflussen könnten.
Der durchschnittliche Wähler, die große Zahl der Wähler lassen sich durch Umfrageergebnisse nicht beeinflussen. Die nehmen das als einen unterhaltenden und informierenden Faktor, aber als keinen, der in der Wahlkabine ausschlaggebend ist. Es gibt eine Ausnahme, das sind die so genannten taktischen Wähler, viele Wechselwähler gehören dazu: Das sind Menschen, die versuchen, ihre Stimme zu maximieren, der besonders viel Gewicht zu verleihen.
Ohne die so genannten taktischen Wähler wäre die FDP seit der Bundestagswahl 1983 nur ein einziges Mal in den Bundestag eingezogen – und zwar 1990. Taktische Wähler, das weiß die Forschung heute, sind überdurchschnittlich gut gebildet. Der Vorwurf, sie seien leicht manipulierbar, trifft auf die taktischen Wähler mit Sicherheit nicht zu.
Wahlumfragen liefern eine Information unter vielen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sie den Bürgern vorzuenthalten. Doch es bleibt die Frage: Wie redlich sind die Umfrage-Institute selbst? Schließlich haben sie eine politische Partei als Auftraggeber, von dem man genau weiß, welche Ergebnisse er sich wünschen würde.
Die Meinungsforschungsinstitute haben etwa zehn Prozent ihres gesamten Umsatzes über die politische Meinungsforschung, der Rest ist Marktforschung für Produkte. Warum machen die also politische Meinungsforschung? Die machen das als Marketinginstrument, sie wollen bei politischen Meinungsumfragen belegen, dass sie gut sind. Das können sie, wenn ihre Vorhersagen mit dem tatsächlichen Stimmenergebnis bei der Wahl sehr gut übereinstimmen. Würden die manipulieren und daher dann stark vom tatsächlichen Ergebnis abweichen, hätten sie auch kein Argument mehr gegenüber ihren eigentlichen Auftraggebern aus der Wirtschaft, zu sagen, wir sind gut.
Dass die Umfragewerte der Institute voneinander abweichen, liegt an der von ihnen eingesetzten Methode. Insbesondere beim Umgang mit der Gruppe der unentschiedenen Wähler unterscheiden sich die einzelnen Institute zum Teil deutlich voneinander. Je näher aber die Wahl rückt – und je kleiner dadurch naturgemäß die Gruppe der Unentschlossenen wird – desto mehr gleichen sich ihre Ergebnisse aneinander an. Ein Hinweis darauf, dass Meinungsforscher darum bemüht sind, "objektive" Zahlen zu liefern.
Und doch gilt: Es ist alles andere als leicht, genau heraus zu bekommen, was Menschen über Parteien denken. Und noch viel schwerer ist, vorherzusagen, wie sich Menschen am Wahltag verhalten werden. Oskar Niedermeyer, Politologe an der Freien Universität Berlin:
Die Frage des Wahlverhaltens gehört zu den so genannten Hot-Potato-Fragen, wie sie in der Wissenschaft etwas flapsig genannt werden, zu den Fragen, wo man sich öffentlich nicht so sehr gern bekennt.
Insbesondere ältere Wähler sagen häufig nicht offen, was sie über Parteien denken. Sie neigen stärker als junge Wähler dazu, sozial erwünscht zu antworten. Und während junge Wähler offen zugeben, gar nicht zur Wahl gehen zu wollen, tun sich ältere mit dieser Aussage schwer. Ganz gleich, wie viel Anonymität man einem Befragten also zusichert, eine letzte Sicherheit, ob seine Aussage der Wahrheit entspricht, gibt es nicht. Es gilt, so Oskar Niedermeyer, ...
... dass bei bestimmten Parteien ein Teil der Leute sich eben nicht dazu bekennt. Das betrifft vor allem die rechtsextremen Parteien. Deswegen werden in den Umfragen meistens die Wähler der rechtsextremen Parteien unterschätzt.
Der Grund: Die niedrige Fallzahl. Denn von 1000 Befragten tendieren nur ein paar wenige zu den Splitterparteien – zu wenige, um statistisch brauchbare Aussagen machen zu können.
Umfragen basieren auf einem dreistufigen Zufallsprozess: Zunächst werden zufällig Wahlkreise ausgelost, aus diesen Wahlkreisen werden dann wiederum zufällig Haushalte "ausgewählt" – und in einem Haushalt wird dann jene Person befragt, die zuletzt Geburtstag hatte. Würde man nämlich den- oder diejenige befragen, die gerade anwesend ist, so wären Frauen in den Umfragen überrepräsentiert. Wahlforscher müssen also viele Klippen umschiffen.
Die meisten Umfragen werden heutzutage telefonisch durchgeführt. Interviewer-Effekte sind somit selten geworden, auch wenn die Stimme des Interviewers noch eine kleine, schwer zu kontrollierende "Störgröße" darstellt. Doch so methodisch sauber die Telefonbefragungen heutzutage sind, kurz nach der Wiedervereinigung hat diese Methode zu "verzerrten" Ergebnissen geführt. Denn unter den Telefonbesitzern waren mehr ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit als im Durchschnitt der DDR-Bevölkerung.
Was Meinungsforschungsinstitute genau machen, welchen Irrtümern sie aufsitzen, mit welcher Fehlerwahrscheinlichkeit ihre Ergebnisse belastet sind, darüber erfährt die Öffentlichkeit praktisch nichts. Allerdings gibt es auch Institute, so Frank Brettschneider, die ihre Daten offen legen:
Die Forschungsgruppe Wahlen, die für das ZDF die Politbarometer erstellen, machen ja genau dies: Zum einen die Rohdaten zu präsentieren und das dann als politische Stimmung zu bezeichnen und zum andern die Projektion zu präsentieren. Projektion ist dann die Berücksichtigung von langfristigen Trends, quasi eine Gewichtung. Und so hat man als Zuschauer die Möglichkeit, beides miteinander zu vergleichen: Die Rohdaten und die gewichteten Daten. Das ist eigentlich der sauberste Weg.
Mit "Projektion" ist die Sonntagsfrage gemeint. Sie ist keine Prognose, also keine Vorhersage des Wahlergebnisses. Vielmehr ist sie eine Methode, mit der Stimmungen eingefangen und zugleich langfristige Parteipräferenzen erfasst werden.
Ein Prognose-Modell, das den Namen verdient, hat der Politikwissenschaftler und Mathematiker Thomas Gschwend vom Mannheimer Institut für Sozialforschung entwickelt. In das Modell gehen lediglich drei Faktoren ein, die miteinander multipliziert werden: Die Popularität des Kanzlers, die Partei-Bindung - und die Abnutzung einer Regierung. Thomas Gschwend:
Diese Abnutzung der Regierung operationalisieren wir einfach, indem wir zählen wie viele Legislaturperioden die im Amt waren, für jede Legislaturperiode mehr wird natürlich der Faktor entsprechend stärker und diese Kanzlerpopularität entnehmen wir einfach aus den veröffentlichten Ergebnissen der Forschungsgruppe Wahlen, die sind ja in allen Zeitungen zu lesen.
Die Abnutzung einer Regierung ist empirisch belegt für mehrere westliche Demokratien: "Cost of ruling" heißt das Phänomen in der Fachsprache. Damit ist gemeint: Regierende Parteien werden im Durchschnitt mit immer weniger Stimmen wieder gewählt – so sie denn überhaupt wieder gewählt werden. Die "Abnutzung" ist der mittelfristige Faktor in dem Modell. Das Problem an der "Abnutzung":
Die ist ja bisher schlichtweg linear modelliert, da gibt es vielleicht elegantere Methoden das zu machen, das ist ein bisschen grob, dass der Unterschied von der dritten Legislaturperiode zur vierten Legislaturperiode soll genauso "teuer" sein für die Regierung wie der erste zur zweiten Legislaturperiode. Also da gibt es sicher Verfeinerungsmöglichkeiten.
Die Parteienbindung ist der langfristige Faktor in dem Modell: Er wird errechnet, indem man die Ergebnisse der letzten drei Bundestagswahlen zusammen zählt und den Mittelwert bildet. Ein einfaches, sehr ökonomisches Verfahren.
Wir haben einfach beobachtet, dass Parteien bei der Bundestagswahl von einer Wahl zu anderen nie sehr viel Stimmen verlieren oder gewinnen, das ist alles sehr moderat, da kommen mal zwei Prozent dazu, mal zwei Prozent weg.
Die Grundannahme hinter dem Modell: Bundestagswahlen weisen Gemeinsamkeiten auf, die beinahe Gesetzescharakter haben. Nicht der einzelne Wähler und sein Entscheidungsverhalten werden folglich in dem Modell "simuliert", sondern das Wahlverhalten als "soziologisches" Phänomen:
Wir machen ja ein Makromodell, wir sagen nicht voraus, was sie jetzt wählen oder was ich jetzt wähle, was wir voraussagen ist wirklich nur der Stimmenanteil der Regierungskoalition. Wir machen also keine – wie die Meinungsforschungsinstitute – Wählerforschung, sondern Wahlforschung. Also es kommt darauf an, wie die Wahl ausgeht. Das ist unser Ziel, das wollen wir erklären.
Das Modell wurde bisher rückwirkend auf die vergangenen 13 Bundestagswahlen angewendet – und da hat es sich bewährt, also stets die richtige Regierungskoalition vorhergesagt. Der Schönheitsfehler des Modells: Es macht nur eine Aussage darüber, wie viel Prozent die amtierende Koalition bekommt. Alles andere bleibt ausgeblendet:
Wir können nicht vorhersagen, wie viel Schwarz-Gelb bekommt, wir können nicht vorhersagen, ob die PDS herein kommt, wir können nicht vorhersagen, wie viel die anderen Parteien bekommen, wir können vorhersagen, wie es bisher nach dem Juli-Polit-Barometer aussieht, jetzt kommt ja noch der August hinzu, wenn es nur nach dem Juli gehen würde, dann würde die rot-grüne Regierungskoalition nach unserer Prognose 45,9 Prozent bekommen.
Und das wäre dann gemäß des Modells ein hauchdünner Vorsprung vor CDU-FDP. So hauchdünn, dass er statistisch nicht signifikant ist. Frank Brettschneider:
Diese Prognosemodelle sind wichtig für Forscher, für die allgemeine Öffentlichkeit sind sie relativ unerheblich. Sie sind relevant für die Überprüfung von Hypothesen und das ist es dann aber auch schon.
Einen ganz anderen Weg als das Forscherteam um Thomas Gschwend beschreiten die Sozialpsychologen der Universität Heidelberg. Sie wollen Erkenntnisse darüber gewinnen, wie individuelle Entscheidungsprozesse ablaufen. Dafür machen sie sich Methoden zunutze, die sich in der Marktforschung bereits bewährt haben – so genannte implizite Verfahren. Professor Klaus Fiedler.
Implizite Einstellungsmessung bezieht sich auf die Erkenntnis, dass so etwas wie Zuwendung oder Abneigung ganz oft unbewusst, auf einer ganz primitiven Ebene von anderen Dingen getrieben wird: Wir fragen die Leute nach einer Einstellung, die Leute geben uns explizit, also in der offenen Antwort irgendeine Begründung für eine Einstellung, die sie für angemessen halten, eine Einstellung, wie man sie plausibel begründen kann, tatsächlich machen sie aber was anderes.
Mit dem so genannten "Impliziten Assoziationstest" wollen die Forscher heraus bekommen, was Menschen von bestimmten Parteien wirklich halten, wie sie zu ihnen stehen – und zwar unabhängig von ihren verstandesmäßig begründeten Aussagen.
Viele Einstellungen gehen zurück auf emotionale, auf gefühlsmäßige Erlebnisse, die oft sehr weit zurück liegen. Man weiß gar nicht, woher das kommt. Im Grunde genommen haben viele Kinder vielleicht Einstellungen zu politischen Parteien schon gefühlsmäßig übernommen zu einer Zeit als sie überhaupt noch kein politisches Urteil sich gebildet haben, haben sie schon gespürt, welche politische Partei eher mit angenehmen und welche eher mit unangenehmen Konnotationen verknüpft ist.
Müll, Gift, Krankheit: Unter Zeitdruck müssen solche "negativen" Begriffe im Impliziten Assoziationstest dem semantischen Feld "SPD" zugeordnet werden: Also zum Beispiel Müll und Schröder, Gift und Müntefering müssen schnellstmöglich miteinander kombiniert werden. Im nächsten Durchgang wird der Spieß umgedreht – und negative Begriffe müssen etwa schnellstmöglich der CDU zugeordnet werden.
Es kommen also in abwechselnder Folge Begriffe, die etwas mit den Parteien zu tun haben und Begriffe, die positiv oder negativ sind. Und sie müssen entweder SPD mit positiv und CDU mit negativ zusammen sortieren. Oder dann in einer anderen Stufe des Versuchs müssen sie zusammen sortieren SPD mit negativ und CDU mit positiv. Und es zeigen sich ganz massive Zeitunterschiede: Wenn jemand zum Beispiel CDU-Anhänger ist, dann ist er viel schneller bei der Hand, CDU mit positiv zusammen zu sortieren und SPD mit negativ als umgekehrt.
Die Einstellung zu einer Partei drückt sich in der Reaktionszeit aus. Wer lange braucht, um einer Partei negative Begriffe zuzuordnen, der tendiert zu dieser Partei – zumindest auf einer affektiven, also gefühlsmäßigen Ebene.
Dieser Test ist deswegen so verlockend, weil er in aller Regel so starke Ergebnisse bringt, das heißt die Effektstärke ist so riesig, wenn man da, dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig Durchgänge hat und die Reaktionszeiten summiert, dann sind das massive Unterschiede, die man da findet. Und das ist der Vorteil von dem Verfahren.
Doch so raffiniert der Implizite Assoziationstest auch sein mag, seine Feuertaufe hat er noch nicht bestanden. Denn hierzu wäre es nötig, die in dem Test erzielten Ergebnisse mit dem realen Wahlverhalten zu vergleichen, gesondert für jede Versuchsperson. Und das ist eben erst nach der Bundestagswahl möglich. Dass sich der Test nicht als Wunderwaffe entpuppen wird, davon ist der Psychologe Klaus Fiedler überzeugt:
Der Nachteil ist, dass die Gründe für dieses Verfahren, die Gründe dafür, warum jemand zum Beispiel SPD mit positiv und CDU mit negativ schneller zusammen sortiert, das muss nicht an einer Einstellung gelegen haben, das kann auch andere Gründe haben. Das heißt, es kann einem leicht passieren – wenn man diesen Test einfach unkritisch für bare Münze nimmt – dass man falsche Folgerungen zieht. Der Test ist leider von seiner Logik und von dem zugrunde liegenden Entscheidungsmodell nicht sorgfältig entwickelt worden. Es hat sich nur so pragmatisch gezeigt, dass man damit ganz gut arbeiten kann.
Psychologische Parteimitgliedschaft: So nennen Forscher die gefühlsmäßige Bindung an eine Partei. Für Psychologen ist dieses Konzept von zentralen Bedeutung. Sie gehen davon aus, dass Menschen in frühen Jahren eine affektive Einstellung zu einer Partei entwickeln, von der sie sich in der Folgezeit nur schwer lösen können. Was aber in einem Wechselwähler vor sich geht, das kann auch dieses "Konzept" nicht erklären. Dabei wäre es gerade für die Politik besonders reizvoll, wenn sie wüsste, warum sich jemand plötzlich von einer Partei ab- und einer anderen zuwendet. Und so bleibt einstweilen die Erkenntnis: Der Wähler ist ein rätselhaftes Wesen, er lässt sich nicht so ohne weiteres fassen – allem wissenschaftlichen Aufwand zum Trotz.
Die SPD hat 1998 etwa 90 Wahlkampfslogans durchprobiert in Umfragen, das sind sowohl repräsentative Umfragen wie wir sie auch aus dem Fernsehen kennen – und das sind Interviews in einer Gruppe von dreißig bis vierzig Personen, bei denen die Menschen dann frei und ungeführt äußern können, was ihnen in den Sinn kommt bei einzelnen Begriffen. Was assoziiert man mit dem Begriff "soziale Gerechtigkeit", was assoziiert man mit dem Begriff "Innovation" oder "Fortschritt". Und dementsprechend werden Wahlkampfslogans ausgewählt.
Das Umfrage-Instrument selbst ist natürlich ein fantastisches Hilfsmittel für die Parteien und sie brauchen diese Informationen um in ihren Aussagen und in ihren politischen Programmen nicht an den Bürgern oder ihrer Klientel vorbei zu gehen. Aber dass die Parteien oder Politiker sich stärker an diesen Umfragen orientieren, das ist bei näherer Betrachtung eigentlich nicht nachzuweisen.
Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen. Parteien, so der Wahlforscher, hätten sich schon immer dafür interessiert, ob das, was sie tun, auf Zustimmung stößt oder nicht. Neu sei das Phänomen nicht.
Die Parteien haben Umfragen schon in Auftrag gegeben ganz am Anfang dieser Bundesrepublik, entweder sie selber oder ihnen nahe stehende Institutionen haben das getan, und dieses war in der Regel ein Geheimwissen der Parteien, das dann irgendwo verschlossen wurde; oder Teile daraus wurden ganz gezielt veröffentlicht.
Parteien beauftragen Meinungsforschungsinstitute wie Allensbach, EMNID oder Forsa, um die politische Stimmung im Land zu erfassen oder um die Wirkung bestimmter Werbestrategien zu überprüfen. Doch so sehr sie auf die Ergebnisse der Meinungsforscher angewiesen sind und auch ihr Handeln danach ausrichten, so sehr kritisieren sie öffentlich die Macht der Demoskopen.
Das ist in gewisser Weise pharisäerhaft. Auf der einen Seite Geld auszugeben für die Durchführung von Meinungsumfragen, um die eigene Wahlkampfstrategie verbessern zu können, und auf der anderen Seite aber zu sagen, die Wähler sollen von diesen Umfragen verschont bleiben in den letzten Wochen der Bundestagswahl, weil die ja dadurch manipuliert werden könnten. Also man möchte da einerseits von Seiten der Parteien die Informationen, die Demoskopie liefert, gerne verarbeiten, und auf der anderen Seite aber Wählern diese Information vorenthalten. Das finde ich undemokratisch.
Die Zahl der in den Medien berichteten Wahlumfragen hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verfünffacht. Die Meinungsforschung boomt. Immer mehr Medien geben selbst Wahlumfragen in Auftrag, lassen also ermitteln, welche Partei im Augenblick vorne liegt – und damit die besten Chancen hat, die nächste Wahl zu gewinnen. Wahlumfragen sind bei den Medien beliebt, weisen sie doch einen hohen Neuigkeitswert auf. Für Parteien jedoch sind nicht so sehr die klassischen Wahlumfragen von Bedeutung, wie Dieter Roth erklärt:
Sie konzentrieren sich auf andere Umfragen, das sind in der Regel qualitative Umfragen, nicht so sehr repräsentative-quantitative Umfragen und sie machen dann ganz gezielte Gruppen aus, die sie gewinnen wollen und es ist natürlich fast so eine Art Arbeitsteilung, die Medien machen die repräsentativen Umfragen mit den Eckdaten und die tiefer gehenden Analyse machen die Parteien.
Die Macht der Demoskopen ist groß; das, was sie zu Tage fördern, bestimmt häufig das Handeln von Politikern und Parteien. Die angebliche Blockadepolitik der SPD gegenüber der 1998 von der CDU/CSU-Regierung in den Bundesrat eingebrachten Steuerreform ist hierfür ein gutes Beispiel, wie Frank Brettschneider meint:
Die SPD hat, bevor sie sich zu dieser Verhaltensweise im Bundesrat entschieden hat, sehr genau geprüft, über Meinungsumfragen, wie das ankommen wird. Wer wird verantwortlich gemacht für den politischen Stillstand in Deutschland, die Kohl-Regierung oder die SPD aufgrund ihres Verhaltens im Bundesrat. Die Mehrheit der Befragten war damals der Meinung: Das kann man nicht der SPD anlasten, sondern es ist die Schuld von Kohl. Entsprechend hat die SPD diese Blockade-Politik durchgezogen. Sie hätten das nicht getan, nach eigenem Bekunden, wenn sie heraus gefunden hätten in den Umfragen, dass ihnen das angekreidet würde vom Wähler.
Es scheint als seien Parteien weit stärker beeinflußbar durch die Ergebnisse der Meinungsforscher als die Wähler. Und so entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn Politiker zu bedenken geben, dass veröffentlichte Wahlumfragen die Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger auf illegitime Weise beeinflussen könnten.
Der durchschnittliche Wähler, die große Zahl der Wähler lassen sich durch Umfrageergebnisse nicht beeinflussen. Die nehmen das als einen unterhaltenden und informierenden Faktor, aber als keinen, der in der Wahlkabine ausschlaggebend ist. Es gibt eine Ausnahme, das sind die so genannten taktischen Wähler, viele Wechselwähler gehören dazu: Das sind Menschen, die versuchen, ihre Stimme zu maximieren, der besonders viel Gewicht zu verleihen.
Ohne die so genannten taktischen Wähler wäre die FDP seit der Bundestagswahl 1983 nur ein einziges Mal in den Bundestag eingezogen – und zwar 1990. Taktische Wähler, das weiß die Forschung heute, sind überdurchschnittlich gut gebildet. Der Vorwurf, sie seien leicht manipulierbar, trifft auf die taktischen Wähler mit Sicherheit nicht zu.
Wahlumfragen liefern eine Information unter vielen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sie den Bürgern vorzuenthalten. Doch es bleibt die Frage: Wie redlich sind die Umfrage-Institute selbst? Schließlich haben sie eine politische Partei als Auftraggeber, von dem man genau weiß, welche Ergebnisse er sich wünschen würde.
Die Meinungsforschungsinstitute haben etwa zehn Prozent ihres gesamten Umsatzes über die politische Meinungsforschung, der Rest ist Marktforschung für Produkte. Warum machen die also politische Meinungsforschung? Die machen das als Marketinginstrument, sie wollen bei politischen Meinungsumfragen belegen, dass sie gut sind. Das können sie, wenn ihre Vorhersagen mit dem tatsächlichen Stimmenergebnis bei der Wahl sehr gut übereinstimmen. Würden die manipulieren und daher dann stark vom tatsächlichen Ergebnis abweichen, hätten sie auch kein Argument mehr gegenüber ihren eigentlichen Auftraggebern aus der Wirtschaft, zu sagen, wir sind gut.
Dass die Umfragewerte der Institute voneinander abweichen, liegt an der von ihnen eingesetzten Methode. Insbesondere beim Umgang mit der Gruppe der unentschiedenen Wähler unterscheiden sich die einzelnen Institute zum Teil deutlich voneinander. Je näher aber die Wahl rückt – und je kleiner dadurch naturgemäß die Gruppe der Unentschlossenen wird – desto mehr gleichen sich ihre Ergebnisse aneinander an. Ein Hinweis darauf, dass Meinungsforscher darum bemüht sind, "objektive" Zahlen zu liefern.
Und doch gilt: Es ist alles andere als leicht, genau heraus zu bekommen, was Menschen über Parteien denken. Und noch viel schwerer ist, vorherzusagen, wie sich Menschen am Wahltag verhalten werden. Oskar Niedermeyer, Politologe an der Freien Universität Berlin:
Die Frage des Wahlverhaltens gehört zu den so genannten Hot-Potato-Fragen, wie sie in der Wissenschaft etwas flapsig genannt werden, zu den Fragen, wo man sich öffentlich nicht so sehr gern bekennt.
Insbesondere ältere Wähler sagen häufig nicht offen, was sie über Parteien denken. Sie neigen stärker als junge Wähler dazu, sozial erwünscht zu antworten. Und während junge Wähler offen zugeben, gar nicht zur Wahl gehen zu wollen, tun sich ältere mit dieser Aussage schwer. Ganz gleich, wie viel Anonymität man einem Befragten also zusichert, eine letzte Sicherheit, ob seine Aussage der Wahrheit entspricht, gibt es nicht. Es gilt, so Oskar Niedermeyer, ...
... dass bei bestimmten Parteien ein Teil der Leute sich eben nicht dazu bekennt. Das betrifft vor allem die rechtsextremen Parteien. Deswegen werden in den Umfragen meistens die Wähler der rechtsextremen Parteien unterschätzt.
Der Grund: Die niedrige Fallzahl. Denn von 1000 Befragten tendieren nur ein paar wenige zu den Splitterparteien – zu wenige, um statistisch brauchbare Aussagen machen zu können.
Umfragen basieren auf einem dreistufigen Zufallsprozess: Zunächst werden zufällig Wahlkreise ausgelost, aus diesen Wahlkreisen werden dann wiederum zufällig Haushalte "ausgewählt" – und in einem Haushalt wird dann jene Person befragt, die zuletzt Geburtstag hatte. Würde man nämlich den- oder diejenige befragen, die gerade anwesend ist, so wären Frauen in den Umfragen überrepräsentiert. Wahlforscher müssen also viele Klippen umschiffen.
Die meisten Umfragen werden heutzutage telefonisch durchgeführt. Interviewer-Effekte sind somit selten geworden, auch wenn die Stimme des Interviewers noch eine kleine, schwer zu kontrollierende "Störgröße" darstellt. Doch so methodisch sauber die Telefonbefragungen heutzutage sind, kurz nach der Wiedervereinigung hat diese Methode zu "verzerrten" Ergebnissen geführt. Denn unter den Telefonbesitzern waren mehr ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit als im Durchschnitt der DDR-Bevölkerung.
Was Meinungsforschungsinstitute genau machen, welchen Irrtümern sie aufsitzen, mit welcher Fehlerwahrscheinlichkeit ihre Ergebnisse belastet sind, darüber erfährt die Öffentlichkeit praktisch nichts. Allerdings gibt es auch Institute, so Frank Brettschneider, die ihre Daten offen legen:
Die Forschungsgruppe Wahlen, die für das ZDF die Politbarometer erstellen, machen ja genau dies: Zum einen die Rohdaten zu präsentieren und das dann als politische Stimmung zu bezeichnen und zum andern die Projektion zu präsentieren. Projektion ist dann die Berücksichtigung von langfristigen Trends, quasi eine Gewichtung. Und so hat man als Zuschauer die Möglichkeit, beides miteinander zu vergleichen: Die Rohdaten und die gewichteten Daten. Das ist eigentlich der sauberste Weg.
Mit "Projektion" ist die Sonntagsfrage gemeint. Sie ist keine Prognose, also keine Vorhersage des Wahlergebnisses. Vielmehr ist sie eine Methode, mit der Stimmungen eingefangen und zugleich langfristige Parteipräferenzen erfasst werden.
Ein Prognose-Modell, das den Namen verdient, hat der Politikwissenschaftler und Mathematiker Thomas Gschwend vom Mannheimer Institut für Sozialforschung entwickelt. In das Modell gehen lediglich drei Faktoren ein, die miteinander multipliziert werden: Die Popularität des Kanzlers, die Partei-Bindung - und die Abnutzung einer Regierung. Thomas Gschwend:
Diese Abnutzung der Regierung operationalisieren wir einfach, indem wir zählen wie viele Legislaturperioden die im Amt waren, für jede Legislaturperiode mehr wird natürlich der Faktor entsprechend stärker und diese Kanzlerpopularität entnehmen wir einfach aus den veröffentlichten Ergebnissen der Forschungsgruppe Wahlen, die sind ja in allen Zeitungen zu lesen.
Die Abnutzung einer Regierung ist empirisch belegt für mehrere westliche Demokratien: "Cost of ruling" heißt das Phänomen in der Fachsprache. Damit ist gemeint: Regierende Parteien werden im Durchschnitt mit immer weniger Stimmen wieder gewählt – so sie denn überhaupt wieder gewählt werden. Die "Abnutzung" ist der mittelfristige Faktor in dem Modell. Das Problem an der "Abnutzung":
Die ist ja bisher schlichtweg linear modelliert, da gibt es vielleicht elegantere Methoden das zu machen, das ist ein bisschen grob, dass der Unterschied von der dritten Legislaturperiode zur vierten Legislaturperiode soll genauso "teuer" sein für die Regierung wie der erste zur zweiten Legislaturperiode. Also da gibt es sicher Verfeinerungsmöglichkeiten.
Die Parteienbindung ist der langfristige Faktor in dem Modell: Er wird errechnet, indem man die Ergebnisse der letzten drei Bundestagswahlen zusammen zählt und den Mittelwert bildet. Ein einfaches, sehr ökonomisches Verfahren.
Wir haben einfach beobachtet, dass Parteien bei der Bundestagswahl von einer Wahl zu anderen nie sehr viel Stimmen verlieren oder gewinnen, das ist alles sehr moderat, da kommen mal zwei Prozent dazu, mal zwei Prozent weg.
Die Grundannahme hinter dem Modell: Bundestagswahlen weisen Gemeinsamkeiten auf, die beinahe Gesetzescharakter haben. Nicht der einzelne Wähler und sein Entscheidungsverhalten werden folglich in dem Modell "simuliert", sondern das Wahlverhalten als "soziologisches" Phänomen:
Wir machen ja ein Makromodell, wir sagen nicht voraus, was sie jetzt wählen oder was ich jetzt wähle, was wir voraussagen ist wirklich nur der Stimmenanteil der Regierungskoalition. Wir machen also keine – wie die Meinungsforschungsinstitute – Wählerforschung, sondern Wahlforschung. Also es kommt darauf an, wie die Wahl ausgeht. Das ist unser Ziel, das wollen wir erklären.
Das Modell wurde bisher rückwirkend auf die vergangenen 13 Bundestagswahlen angewendet – und da hat es sich bewährt, also stets die richtige Regierungskoalition vorhergesagt. Der Schönheitsfehler des Modells: Es macht nur eine Aussage darüber, wie viel Prozent die amtierende Koalition bekommt. Alles andere bleibt ausgeblendet:
Wir können nicht vorhersagen, wie viel Schwarz-Gelb bekommt, wir können nicht vorhersagen, ob die PDS herein kommt, wir können nicht vorhersagen, wie viel die anderen Parteien bekommen, wir können vorhersagen, wie es bisher nach dem Juli-Polit-Barometer aussieht, jetzt kommt ja noch der August hinzu, wenn es nur nach dem Juli gehen würde, dann würde die rot-grüne Regierungskoalition nach unserer Prognose 45,9 Prozent bekommen.
Und das wäre dann gemäß des Modells ein hauchdünner Vorsprung vor CDU-FDP. So hauchdünn, dass er statistisch nicht signifikant ist. Frank Brettschneider:
Diese Prognosemodelle sind wichtig für Forscher, für die allgemeine Öffentlichkeit sind sie relativ unerheblich. Sie sind relevant für die Überprüfung von Hypothesen und das ist es dann aber auch schon.
Einen ganz anderen Weg als das Forscherteam um Thomas Gschwend beschreiten die Sozialpsychologen der Universität Heidelberg. Sie wollen Erkenntnisse darüber gewinnen, wie individuelle Entscheidungsprozesse ablaufen. Dafür machen sie sich Methoden zunutze, die sich in der Marktforschung bereits bewährt haben – so genannte implizite Verfahren. Professor Klaus Fiedler.
Implizite Einstellungsmessung bezieht sich auf die Erkenntnis, dass so etwas wie Zuwendung oder Abneigung ganz oft unbewusst, auf einer ganz primitiven Ebene von anderen Dingen getrieben wird: Wir fragen die Leute nach einer Einstellung, die Leute geben uns explizit, also in der offenen Antwort irgendeine Begründung für eine Einstellung, die sie für angemessen halten, eine Einstellung, wie man sie plausibel begründen kann, tatsächlich machen sie aber was anderes.
Mit dem so genannten "Impliziten Assoziationstest" wollen die Forscher heraus bekommen, was Menschen von bestimmten Parteien wirklich halten, wie sie zu ihnen stehen – und zwar unabhängig von ihren verstandesmäßig begründeten Aussagen.
Viele Einstellungen gehen zurück auf emotionale, auf gefühlsmäßige Erlebnisse, die oft sehr weit zurück liegen. Man weiß gar nicht, woher das kommt. Im Grunde genommen haben viele Kinder vielleicht Einstellungen zu politischen Parteien schon gefühlsmäßig übernommen zu einer Zeit als sie überhaupt noch kein politisches Urteil sich gebildet haben, haben sie schon gespürt, welche politische Partei eher mit angenehmen und welche eher mit unangenehmen Konnotationen verknüpft ist.
Müll, Gift, Krankheit: Unter Zeitdruck müssen solche "negativen" Begriffe im Impliziten Assoziationstest dem semantischen Feld "SPD" zugeordnet werden: Also zum Beispiel Müll und Schröder, Gift und Müntefering müssen schnellstmöglich miteinander kombiniert werden. Im nächsten Durchgang wird der Spieß umgedreht – und negative Begriffe müssen etwa schnellstmöglich der CDU zugeordnet werden.
Es kommen also in abwechselnder Folge Begriffe, die etwas mit den Parteien zu tun haben und Begriffe, die positiv oder negativ sind. Und sie müssen entweder SPD mit positiv und CDU mit negativ zusammen sortieren. Oder dann in einer anderen Stufe des Versuchs müssen sie zusammen sortieren SPD mit negativ und CDU mit positiv. Und es zeigen sich ganz massive Zeitunterschiede: Wenn jemand zum Beispiel CDU-Anhänger ist, dann ist er viel schneller bei der Hand, CDU mit positiv zusammen zu sortieren und SPD mit negativ als umgekehrt.
Die Einstellung zu einer Partei drückt sich in der Reaktionszeit aus. Wer lange braucht, um einer Partei negative Begriffe zuzuordnen, der tendiert zu dieser Partei – zumindest auf einer affektiven, also gefühlsmäßigen Ebene.
Dieser Test ist deswegen so verlockend, weil er in aller Regel so starke Ergebnisse bringt, das heißt die Effektstärke ist so riesig, wenn man da, dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig Durchgänge hat und die Reaktionszeiten summiert, dann sind das massive Unterschiede, die man da findet. Und das ist der Vorteil von dem Verfahren.
Doch so raffiniert der Implizite Assoziationstest auch sein mag, seine Feuertaufe hat er noch nicht bestanden. Denn hierzu wäre es nötig, die in dem Test erzielten Ergebnisse mit dem realen Wahlverhalten zu vergleichen, gesondert für jede Versuchsperson. Und das ist eben erst nach der Bundestagswahl möglich. Dass sich der Test nicht als Wunderwaffe entpuppen wird, davon ist der Psychologe Klaus Fiedler überzeugt:
Der Nachteil ist, dass die Gründe für dieses Verfahren, die Gründe dafür, warum jemand zum Beispiel SPD mit positiv und CDU mit negativ schneller zusammen sortiert, das muss nicht an einer Einstellung gelegen haben, das kann auch andere Gründe haben. Das heißt, es kann einem leicht passieren – wenn man diesen Test einfach unkritisch für bare Münze nimmt – dass man falsche Folgerungen zieht. Der Test ist leider von seiner Logik und von dem zugrunde liegenden Entscheidungsmodell nicht sorgfältig entwickelt worden. Es hat sich nur so pragmatisch gezeigt, dass man damit ganz gut arbeiten kann.
Psychologische Parteimitgliedschaft: So nennen Forscher die gefühlsmäßige Bindung an eine Partei. Für Psychologen ist dieses Konzept von zentralen Bedeutung. Sie gehen davon aus, dass Menschen in frühen Jahren eine affektive Einstellung zu einer Partei entwickeln, von der sie sich in der Folgezeit nur schwer lösen können. Was aber in einem Wechselwähler vor sich geht, das kann auch dieses "Konzept" nicht erklären. Dabei wäre es gerade für die Politik besonders reizvoll, wenn sie wüsste, warum sich jemand plötzlich von einer Partei ab- und einer anderen zuwendet. Und so bleibt einstweilen die Erkenntnis: Der Wähler ist ein rätselhaftes Wesen, er lässt sich nicht so ohne weiteres fassen – allem wissenschaftlichen Aufwand zum Trotz.