Zwei Sicherheitsleute bewachen den Eingangsbereich. Kurz vor neun Uhr herrscht bereits Hochbetrieb im Jobcenter Berlin-Mitte. Menschen strömen herein, stehen Schlange vor den Schaltern. Von dort aus werden sie zu ihren Ansprechpartnern geschickt - das soll den Arbeitslosen Zeit sparen. Kunden heißen sie inzwischen in den Jobcentern und Arbeitsagenturen. In der dritten Etage sitzt einer der Kunden im Zimmer von Abeitsvermittler Dirk Nährig.
"Ich hab jetzt seit acht, neun Jahren einen Bandscheibenvorfall. Das ist immer mit Höhen und Tiefen." - "Das müssten wir mal ärztlich untersuchen lassen - und dem Amtsarzt vorlegen. Wir werden den Amtsarzt auch fragen, inwieweit Sie noch belastbar sind - ob Vollzeit oder Teilzeit. Falls wir keinen Weg finden - da wäre dann die ungünstigste Variante, Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen. Da würden wir Sie dann auch beraten und betreuen." - "Das ist ja auch immer schwieriger heutzutage. So schlimm ist es nicht ganz bei mir. Nur sobald ich mich überlaste, liege ich wieder flach - drei bis sechs Monate meistens."
Der ehemalige Lüftungsmonteur ist - mit kurzer Unterbrechung - seit 1990 arbeitslos. Langzeitarbeitslos, 54 Jahre alt, krank - Vermittlungshemmnisse nennen das Arbeitsagenturen und Jobcenter intern. Dirk Nährig hat in den vergangenen 16 Jahren erlebt, wie sich sein Klientel verändert hat. Immer mehr Langzeitarbeitlose - das heißt zunächst einmal beraten, betreuen - und dann erst vermitteln. Dirk Nährig sagt: Er geht grundsätzlich optimistisch an die Sache heran, sonst könne er den Job nicht machen. Aber:
"Die Chance relativiert sich dann im Einzelfall. Man muss dann wirklich gucken, ist einer denn schon schon fünf oder sechs oder zehn Jahre arbeitslos. Wir haben Fälle, die sind arbeitslos seit den 80er Jahren. Diese Leute haben wir ja aus der Versenkung geholt im Rahmen des Hartz IV."
Immerhin. Heute ist er für 700 Arbeitslose zuständig, vor drei Jahren hatte er noch mehr als 2000 Menschen zu betreuen. Auch wenn Nährig die ständigen Computerpannen und Macken der Software für lästig hält, im Grunde kann er mit Hartz IV gut leben. Zumindest besser als vor den Reformen:
"Das hat sich eine ganze Menge verändert. Wir haben jetzt mehr Möglichkeiten zu vermitteln. Vor allem in Richtung zweiten Arbeitsmarkt. Am Anfang war doch ein gewisser Frust: Die Leute wollten nicht in den 1,50-Euro Job hinein. Aber mittlerweile ist es so, dass sie doch 'ne Chance erkannt haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen."
Die so genannten Ein-Euro-Jobs werden in Berlin mit 1,50 Euro vergütet - die genaue Entlohnung differiert je nach Region. Den zweiten Arbeitsmarkt hält Nährig für wichtig - denn viele dieser Arbeitslosen würden das Tempo in einem regulären Job zunächst einmal gar nicht mehr durchhalten. Zumal viele Langzeitarbeitslose seelisch nach und nach abbauen - ins soziale Abseits rutschen. Das könne er täglich beobachten, sagt Nährig. Es sind solche Erfahrungen bei Bewerbungen, die Arbeitslose nach und nach zermürben.
"Wenn ich dann komme und lege die ärztlichen Atteste dann vor - man wird ausgelacht. Und ich habe schon so viele Bewerbungen losgeschickt, da kam nichts. Obwohl ich ein Briefkuvert gemacht habe mit einem Brief, mit Briefmarke - dass sie meine Unterlagen zurücksenden. Da kam nie etwas - die lachen."
Auch der 54-Jährige will einen Job - am liebsten in einer Fahrradwerkstatt oder eine ähnliche Aufgabe. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stehen bei Nährigs Kundschaft höher im Kurs als zum Beispiel die Ein-Euro-Jobs - denn sie sind finanziell lukrativer und voll versicherungspflichtig. Nährig hat die Diskussion verfolgt über die Hartz IV-Instrumente wie Ich AG und Ein-Euro-Job - er weiß, dass sie unter Beschuss stehen.
Aber den Missbrauch hält er für nicht so groß, wie das in der Presse dargestellt werde. Er wünscht sich, die Politik möge den Reformen zwei, drei Jahre Zeit geben. Und dann erst bilanzieren zu können: Wie viele Menschen haben den Sprung geschafft in den regulären Arbeitsmarkt?
"Wir haben derzeit 4,7 Millionen Arbeitslose, wir haben - das ist meine Prognose - acht Millionen Arbeitssuchende. Und da sind ja doch etliche Millionen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, in Fortbildungsmaßnahmen, um sich wieder fit zu machen für den ersten Arbeitsmarkt.
Ich bin der Meinung, um den sozialen Frieden zu halten, ist der zweite Arbeitsmarkt aber absolut wichtig. Es ist ja inzwischen so, dass der Kunde in der Regel kommt und sagt: Ich möchte für 1,50 Euro arbeiten. Wenn wir schon nichts haben, dann wenigstens in die Richtung."
Zumal sich, so Nährig, auch der so genannte erste, reguläre Arbeitsmarkt stark verändert habe: Immer weniger Vollzeitjobs, dafür mehr Teilzeitangebote, Minijobs. In der politischen Diskussion gehören die Ein-Euro-Jobs zu den Streitpunkten. Geht es nach der Union, dann werden sie drastisch eingeschränkt.
Der so genannte "zweite Arbeitsmarkt" wird ihrer Meinung nach ohnehin künstlich aufgebläht. In der Kritik stehen dabei auch die so genannten Personal-Serviceagenturen. Sie "verleihen" Arbeitslose befristet an Unternehmen. Der CDU-Arbeitsmarktexperte Ronald Pofalla kündigt für den Fall eines Wahlsiegs der Konservativen Korrekturen an:
"Die Instrumente der Hartz IV-Reformen, also die Ich-AGs, die Personalservice-Agenturen, Ein-Euro-Jobs, haben sich übrigens auch nach Auffassung der Gewerkschaften als Fehlsteuerung erwiesen. Wir sind der Auffassung, dass man diese Instrumente überprüfen muss. Die Personalserviceagenturen haben pro Vermittlung 19.000 Euro gekostet und sind deshalb eine gewaltige Verschleuderung von Geld.
Und die Ein-Euro-Jobs sind in einem begrenztem Umfang von vielleicht 100- oder 150.000 sinnvoll. Aber die beabsichtigten 600.000 von Herrn Clement halten wir für falsch. Weil dann im ersten Arbeitsmarkt legale Arbeit verdrängt wird."
Im Kern aber will die Union an Hartz IV nicht rütteln. Das Zusammenlegen von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sei ein richtiger Schritt, den die Union mitgetragen habe. Wer ein neues Produkt auf den Markt bringe, der müsse eben mit Anfangsschwierigkeiten rechnen - so Klaus Brandner, Arbeitsmarktexperte der SPD. Unter dem Strich aber seien Ich-AG und Ein-Euro-Job Erfolgsmodelle.
"Wo Missbrauch auftritt, muss er bekämpft werden. Aber richtig ist, dass wir mit der Ich-AG ein Instrument geschaffen haben, die Kultur der Existenzgründung zu fördern. Und das mit einem einfachen Instrumentarium. Das ist bis jetzt erfolgreich, wie alle Untersuchungen zeigen: Der größere Teil der Existenzgründer bleibt in Funktion, baut eine neue Existenz auf. Bei den Arbeitsgelegenheiten - 200.000 gibt es gerade - haben wir eine ebenfalls positive Entwicklung.
Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass solche Instrumente bei der Sozialhilfe angewandt worden sind. Da waren es erfolgreiche Schritte für den Personenkreis, der über viele Jahre nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis gelebt hat, wieder an das normale Arbeitsverhältnis herangeführt zu werden."
Aber auch die Sozialdemokraten reagieren auf die Debatte um Missbrauch bei den Ein-Euro-Jobs. Handwerk, Industrie und Gewerkschaften sollen in so genannten Beiräten kontrollieren, ob die Hartz IV- Jobs reguläre Stellen verdrängen. Der Umbau des Arbeitsmarktes könne erst nach Jahren rund laufen, sagt Brandner, das zeigten die Erfahrungen der europäischen Nachbarländer.
Die SPD will im Wesentlichen an den Reformen festhalten - das Arbeitslosengeld 2 für die Ostdeutschen aber soll angehoben werden: von 331 auf 345 Euro - wie im Westen. Hartz IV wirkt - sagt Rot-Grün. Seit Monaten entstünden neue sozialversicherungspflichtige Jobs. Jetzt stehen nach Ansicht der SPD die Unternehmen in der Pflicht, ihren Beitrag zu leisten.
Die Union setzt mit ihren Konzepten vor allem auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt an. "Vorfahrt für Arbeit": Das Motto steht für einen Kurs, der die Gewerkschaften mit Streiks drohen ließ - noch vor einem möglichen Regierungswechsel: Den Kündigungsschutz in Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern will die Union aussetzen. In größeren Firmen soll er erst ab zwei Jahren greifen.
Ebenfalls auf der Liste der Konservativen: Steuern auf Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen. Und: Langzeitarbeitslose sollen sich zunächst mit 90 Prozent des Tariflohns begnügen. Vor allem aber das Stichwort "Betriebliche Bündnisse" sorgt für Gegenwind bei Gewerkschaften und SPD. Arbeitgeber und Betriebsräte sollen nach diesen Plänen Lohn und Arbeitszeit selbst aushandeln können - sofern der Betriebsrat und zwei Drittel der Belegschaft zustimmen. Dafür müsste die Union das Betriebsverfassungsgesetz ändern. Die Flächentarifverträge könnten so ausgehebelt werden.
In der Berliner Apparatebau-Firma Rossmann wird bereits länger gearbeitet. 39 statt 35 Stunden ohne Lohnausgleich für die rund 80 Beschäftigten. Allerdings: mit dem Segen der Gewerkschaft. Die Firma Rossmann baut Wärmetauscher und Druckbehälter. Das zweite Standbein: Containerbau für die Bahn.
Hugo Rossmann leitet das Unternehmen in dritter Generation. 2003 hat er bereits Leute entlassen müssen. Das, so Firmenchef Hugo Rossmann, sei ihm Anfang des Jahres erspart geblieben. Dank der Vereinbarung mit der IG Metall.
"Diese 39-Stunden-Vereinbarung bedeutet für uns, dass wir auf dem Markt kostengünstiger anbieten können als bei der 35-Stunden-Woche. Und durch diese günstigeren Angebote haben wir im Bereich Apparatebau voll und ganz zu tun - mit einem guten Auftragseingang. In der Bahntechnik ist es leider nicht so, weil einfach die Aufträge fehlen."
Vier Stunden Mehrarbeit ohne Lohnausgleich. Da, sagt Rossmann, kann er mithalten mit der Konkurrenz aus Osteuropa und der Türkei. Der Gewerkschaft die Mehrarbeit abzuringen, das sei schon ein hartes Stück Arbeit gewesen.
Er hofft auf das Konzept der Union - auf Einschnitte beim Kündigungsschutz, auf betriebliche Bündnisse. Dass sich Gewerkschaften und SPD gegen solche Abschlüsse in den Firmen stellen, kann Rossmann nicht nachvollziehen. Er sieht die Gefahr nicht, dass es zu Lohndumping und Erpressbarkeit der Belegschaften kommt, falls das Betriebsverfassungsgesetz geändert wird:
"Wir haben doch ein ganz anderes Problem hier in Deutschland. Wir haben das Problem, dass unsere Arbeitsstunde einfach zu teuer ist. Und zwar durch unsere Lohnnebenkosten, das hat also nichts mit den bösen Unternehmern zu tun. Absolut nix, es hat damit zu tun, dass unsere gesamte Sozialgesetzgebung mit den Kosten die damit verbunden so hoch sind, dass auch unsere Lohnnebenkosten einen Stand haben, der eben nicht mehr zu finanzieren ist."
Insofern hofft Rossman auch, dass die Union im Falle eines Wahlsiegs ein anderes Versprechen hält: Nämlich die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent zu senken. Allerdings: Das Vertrauen von Firmenchef Rossmann in die Politik hat seine Grenzen. 40 Jahre war er CDU-Mitglied, einen Tag vor unserem Interview ist er ausgetreten. Der Grund: die Union sei nicht in der Lage, mit einer abgestimmten Meinung an die Öffentlichkeit zu gehen.
"Und deshalb bin ich skeptisch, ob später die guten Gedanken, die vorhanden sind - ob die Frau Merkel wirklich die Kraft haben wird, die Parteien hinter sich zu vereinen und diese Gedanken durchzusetzen."
Die Belegschaft der Firma Rossmann hatte abgestimmt über die Mehrarbeit bei gleichem Lohn. Das Ergebnis war eindeutig, wenn auch einige erstmal schlucken mussten angesichts einer Stunde mehr pro Tag.
"Ich denke mal, in so ner kleinen Firma ist das doch angebracht." - "Eine Stunde, sagt man, ist ja nicht so viel. Aber für ältere Leute ist das schon was. Das merkt man schon, wenn man nach Hause kommt." - "Nach der Erfahrung der Arbeitslosigkeit kann ich damit leben. Der Druck ist nun mal groß, und dem kann man sich nicht entziehen." - "Wenn es für die Firma gut ist, warum nicht. Die eine Stunde macht es ja auch nicht fett. Hauptsache, wir müssen nicht weiter entlassen." - "Die Polen, die Tschechen - rundherum Ungarn - die arbeiten von Hause alle länger. Und da muss die Gewerkschaft gewaltig umdenken, das sage ich, wenn ich auch Mitglied bin, aber das muss halt so sein."
Dietmar Tessmann ist nicht nur Mitglied der IG-Metall, sondern auch Betriebsratsvorsitzender bei Rossmann. Er glaubt: Die Gewerkschaften müssten die Belegschaftsvertreter der Firmen an der längeren Leine lassen: Überhaupt in den Klein- und Mittelbetrieben. Denn die Sicht der Gewerkschaften, sagt Tessmann, die sei zu stark geprägt von den Möglichkeiten der Branchenriesen:
"Die gehen nur in die großen Betriebe wie Siemens, AEG und wie die alle heißen - oder Autobetriebe. Und da können sie es sich halt leisten, die machen den Umsatz, die machen das Geld. Und das können wir als kleine, mittelständische Unternehmen halt nicht durchstehen.
Und da muss die Gewerkschaft ganz gewaltig ran, die sollten in die kleinen Betriebe gehen. Und nicht bloß heiße Luft reden. Die sollten wirklich kommen und sich das hier angucken, wie die kleinen Betriebe kneten müssen. Wir haben ja auch Materialkosten und die Löhne sollen steigen, und wir können das halt nicht mitmachen - weil wir die Umsätze gar nicht bringen."
Denn betriebliche Bündnisse ohne den Segen der Gewerkschaften wollen weder der Betriebsrat noch die Mitarbeiter:
"Für den Flächentarifvertrag spricht, dass ich eben Löhne durchsetzen kann. Ein gewisser Schutz sollte bleiben: Hat man mal keine Gewerkschaft, dann kann es natürlich dazu neigen, dass man irgendwann vielleicht nicht nur 39 oder 40 Stunden Woche arbeitet, sondern 45 Stunden. Weil die Arbeitgeber, die größeren, das einfach ausnutzen."
"Ich denke schon, dass die Flächentarifverträge ein gewisser Schutz sind. Man hat seine gewissen Rechte, und die können nicht einfach ausgehebelt werden. Ich glaube, wenn die Tarifverträge mal nicht mehr existieren, dann können die Arbeitgeber verrückt spielen wie sie wollen." - "Ich denke auch, dass viele Arbeitgeber eher am Flächentarif interessiert sind, weil es denen auch eine gewisse Planungssicherheit gibt."
Auf diese Seite stellt sich auch die SPD. Betriebliche Bündnisse ohne den Segen der Gewerkschaften - für den SPD-Arbeitsmarktexperten Brandner steht dabei viel auf dem Spiel: Damit werde die soziale Marktwirtschaft ihrer Grundlage beraubt.
"Weil ja betriebliche Bündnisse im Sinne der CDU nichts anderes sind, als die Menschen im Betrieb darüber abstimmen zu lassen, ob sie den Tarifvertrag wollen oder nicht. Und so was passiert ja in der Praxis nur, wenn eine Drucksituation organisiert wird. Nämlich: Entweder ihr seid bereit, auf tarifvertragliche Ansprüche zu verzichten, oder wir verlagern das Unternehmen.
Dass eine solche Situation einfach unsäglich ist und dem sozialen Frieden überhaupt nicht angemessen ist - aber auch nicht zu einer wirtschaftlichen Verbesserung führt. Denn mit Lohnsenken hat man in diesem Land wirtschaftlich gesehen ja keine Besserung erfahren."
Der Dreh- und Angelpunkt für den CDU-Arbeitsmarktexperten Pofalla: Der Arbeitsmarkt muss flexibler werden - nach dem bereits vielzitierten Motto der Union: Sozial ist, was Arbeit schafft. Freie Vereinbarungen zwischen Firmen und Betriebsräten - die Hürden für Neueinstellungen sollen niedriger gelegt werden. Die Gewerkschaften fassen vor allem die Pläne für betriebliche Bündnisse als Kampfansage auf. Dass Belegschaften künftig erpressbar werden könnten - für Pofalla kein ernst zu nehmendes Argument:
"Das sind Parolen, die sind aus dem vorvergangenen Jahrhundert. Die Wirklichkeit ist doch, dass die Gewerkschaften es bisher massiv versäumt haben, auch Gedanken mitzuentwicklen, wie wir die Arbeitslosigkeit verringern können. Oder anders ausgedrückt, wie wir mehr für Arbeitlose tun können.
Mir ist doch jemand lieber, der im Arbeitsmarkt ist, und beispielsweise zehn Prozent unter Tarif bezahlt wird, als dass er arbeitslos ist und die Aussicht auf eine 100prozentige Entlohnung hat. Und da entscheide ich mich glasklar für die Alternative, ihm die Möglichkeit zu geben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren und dafür durchaus auch für eine begrenzte Zeit auch Abschläge hinzunehmen."
Mehr Jobs verspricht sich die Union auch vom Kombilohn. Dabei stockt der Staat den Lohn des Arbeitgebers auf. Mit diesen staatlichen Subventionen will die Union den Niedriglohnsektor ankurbeln. Für den Kombilohn machen sich derzeit auch viele Ökonomen stark. Denn 40 Prozent der Arbeitslosen haben keinen Berufsabschluss, gelten als gering qualifiziert.
Etliche solcher Modelle sind bereits in den Bundesländern aus der Taufe gehoben worden - in verschiedenen Varianten. Einige davon sind bereits wieder in der Versenkung verschwunden - weil sie nicht gewirkt haben. Nach einem Wahlsieg wollen die Konservativen einen neuen Anlauf nehmen und ein bundesweites Modell entwickeln. Jobs mit niedrigem Lohn sollen so attraktiver werden - für die Unternehmen und die Arbeitnehmer. Die Kritik der SPD:
"Eine flächendeckende Zulage an Unternehmen, diejenigen, die niedrige Löhne zahlen, mit Subventionen aufzubessern, das ist eine Subventionsruine. Sie führt dazu, dass die Unternehmen einfach nur absenken werden, um diese Zulagen mitzunehmen. Das führt nicht zu mehr Arbeit, sondern rein zur Verschwendung von Steuergeldern. Das ist eine Subventionsruine. Das ist kein zielführender Weg."
Einem solchen Modell, so Brandner, müsste dann zumindest ein staatlicher Mindestlohn entgegengesetzt werden. Den hat die SPD ohnehin auf der Agenda - notfalls per Gesetz, falls sich die Branchen nicht einigen können. Was schafft Arbeit? Modelle und Theorien sind derzeit viele auf dem politischen Markt. Doch das Vertrauen in die Konzepte scheint stetig zu schwinden - bei denen, die abseits stehen und auch bei denen, die Arbeit haben:
"Ich wähle schon seit zwei Generationen nicht mehr. Ich weiß nicht, ob ich dieses Jahr wählen gehe - kann ich Ihnen nicht sagen. Ob das CDU ist oder SPD - am Ende trifft es sowieso wieder die Kleinen, die Arbeiter." - "Ich hab´ vorher SPD gewählt. Das werde ich auf jeden Fall nicht wieder tun. Weil da ganz einfach zu viele Versprechen gebrochen worden sind. Jetzt im Wahlkampf wird sich wieder dran erinnert ans soziale Gewissen, wo vorher überhaupt nicht dran gedacht wurde." - "Ich wähl´ auf alle Fälle CDU - die großen Firmen, das hängt ja alles an der CDU dran, dass die nicht ins Ausland gehen. Die können auf alle Fälle mehr ausrichten." - "Eigentlich gehöre ich zu den Unentschlossenen im Moment. In der Regel habe ich schon immer SPD gewählt. Aber ich bin ein bisschen enttäuscht von den letzten vier Jahren. Ich habe so den Eindruck, dass sich die SPD von ihren Idealen entfernt hat." - "Eigentlich nichts dabei, wo ich sage, das würde ne Änderung bedeuten."
Die Themen Arbeit und Wirtschaft stehen für die Wähler im Vordergrund - das besagen die Umfragen. Die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung haben viele zu Protesten auf die Straße getrieben. - Sollte es am 18. September doch noch für Schwarz-Gelb reichen, dann stehen dem Arbeitsmarkt noch größere Einschnitte bevor.
"Ich hab jetzt seit acht, neun Jahren einen Bandscheibenvorfall. Das ist immer mit Höhen und Tiefen." - "Das müssten wir mal ärztlich untersuchen lassen - und dem Amtsarzt vorlegen. Wir werden den Amtsarzt auch fragen, inwieweit Sie noch belastbar sind - ob Vollzeit oder Teilzeit. Falls wir keinen Weg finden - da wäre dann die ungünstigste Variante, Erwerbsunfähigkeitsrente zu beantragen. Da würden wir Sie dann auch beraten und betreuen." - "Das ist ja auch immer schwieriger heutzutage. So schlimm ist es nicht ganz bei mir. Nur sobald ich mich überlaste, liege ich wieder flach - drei bis sechs Monate meistens."
Der ehemalige Lüftungsmonteur ist - mit kurzer Unterbrechung - seit 1990 arbeitslos. Langzeitarbeitslos, 54 Jahre alt, krank - Vermittlungshemmnisse nennen das Arbeitsagenturen und Jobcenter intern. Dirk Nährig hat in den vergangenen 16 Jahren erlebt, wie sich sein Klientel verändert hat. Immer mehr Langzeitarbeitlose - das heißt zunächst einmal beraten, betreuen - und dann erst vermitteln. Dirk Nährig sagt: Er geht grundsätzlich optimistisch an die Sache heran, sonst könne er den Job nicht machen. Aber:
"Die Chance relativiert sich dann im Einzelfall. Man muss dann wirklich gucken, ist einer denn schon schon fünf oder sechs oder zehn Jahre arbeitslos. Wir haben Fälle, die sind arbeitslos seit den 80er Jahren. Diese Leute haben wir ja aus der Versenkung geholt im Rahmen des Hartz IV."
Immerhin. Heute ist er für 700 Arbeitslose zuständig, vor drei Jahren hatte er noch mehr als 2000 Menschen zu betreuen. Auch wenn Nährig die ständigen Computerpannen und Macken der Software für lästig hält, im Grunde kann er mit Hartz IV gut leben. Zumindest besser als vor den Reformen:
"Das hat sich eine ganze Menge verändert. Wir haben jetzt mehr Möglichkeiten zu vermitteln. Vor allem in Richtung zweiten Arbeitsmarkt. Am Anfang war doch ein gewisser Frust: Die Leute wollten nicht in den 1,50-Euro Job hinein. Aber mittlerweile ist es so, dass sie doch 'ne Chance erkannt haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt unterzukommen."
Die so genannten Ein-Euro-Jobs werden in Berlin mit 1,50 Euro vergütet - die genaue Entlohnung differiert je nach Region. Den zweiten Arbeitsmarkt hält Nährig für wichtig - denn viele dieser Arbeitslosen würden das Tempo in einem regulären Job zunächst einmal gar nicht mehr durchhalten. Zumal viele Langzeitarbeitslose seelisch nach und nach abbauen - ins soziale Abseits rutschen. Das könne er täglich beobachten, sagt Nährig. Es sind solche Erfahrungen bei Bewerbungen, die Arbeitslose nach und nach zermürben.
"Wenn ich dann komme und lege die ärztlichen Atteste dann vor - man wird ausgelacht. Und ich habe schon so viele Bewerbungen losgeschickt, da kam nichts. Obwohl ich ein Briefkuvert gemacht habe mit einem Brief, mit Briefmarke - dass sie meine Unterlagen zurücksenden. Da kam nie etwas - die lachen."
Auch der 54-Jährige will einen Job - am liebsten in einer Fahrradwerkstatt oder eine ähnliche Aufgabe. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stehen bei Nährigs Kundschaft höher im Kurs als zum Beispiel die Ein-Euro-Jobs - denn sie sind finanziell lukrativer und voll versicherungspflichtig. Nährig hat die Diskussion verfolgt über die Hartz IV-Instrumente wie Ich AG und Ein-Euro-Job - er weiß, dass sie unter Beschuss stehen.
Aber den Missbrauch hält er für nicht so groß, wie das in der Presse dargestellt werde. Er wünscht sich, die Politik möge den Reformen zwei, drei Jahre Zeit geben. Und dann erst bilanzieren zu können: Wie viele Menschen haben den Sprung geschafft in den regulären Arbeitsmarkt?
"Wir haben derzeit 4,7 Millionen Arbeitslose, wir haben - das ist meine Prognose - acht Millionen Arbeitssuchende. Und da sind ja doch etliche Millionen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, in Fortbildungsmaßnahmen, um sich wieder fit zu machen für den ersten Arbeitsmarkt.
Ich bin der Meinung, um den sozialen Frieden zu halten, ist der zweite Arbeitsmarkt aber absolut wichtig. Es ist ja inzwischen so, dass der Kunde in der Regel kommt und sagt: Ich möchte für 1,50 Euro arbeiten. Wenn wir schon nichts haben, dann wenigstens in die Richtung."
Zumal sich, so Nährig, auch der so genannte erste, reguläre Arbeitsmarkt stark verändert habe: Immer weniger Vollzeitjobs, dafür mehr Teilzeitangebote, Minijobs. In der politischen Diskussion gehören die Ein-Euro-Jobs zu den Streitpunkten. Geht es nach der Union, dann werden sie drastisch eingeschränkt.
Der so genannte "zweite Arbeitsmarkt" wird ihrer Meinung nach ohnehin künstlich aufgebläht. In der Kritik stehen dabei auch die so genannten Personal-Serviceagenturen. Sie "verleihen" Arbeitslose befristet an Unternehmen. Der CDU-Arbeitsmarktexperte Ronald Pofalla kündigt für den Fall eines Wahlsiegs der Konservativen Korrekturen an:
"Die Instrumente der Hartz IV-Reformen, also die Ich-AGs, die Personalservice-Agenturen, Ein-Euro-Jobs, haben sich übrigens auch nach Auffassung der Gewerkschaften als Fehlsteuerung erwiesen. Wir sind der Auffassung, dass man diese Instrumente überprüfen muss. Die Personalserviceagenturen haben pro Vermittlung 19.000 Euro gekostet und sind deshalb eine gewaltige Verschleuderung von Geld.
Und die Ein-Euro-Jobs sind in einem begrenztem Umfang von vielleicht 100- oder 150.000 sinnvoll. Aber die beabsichtigten 600.000 von Herrn Clement halten wir für falsch. Weil dann im ersten Arbeitsmarkt legale Arbeit verdrängt wird."
Im Kern aber will die Union an Hartz IV nicht rütteln. Das Zusammenlegen von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe sei ein richtiger Schritt, den die Union mitgetragen habe. Wer ein neues Produkt auf den Markt bringe, der müsse eben mit Anfangsschwierigkeiten rechnen - so Klaus Brandner, Arbeitsmarktexperte der SPD. Unter dem Strich aber seien Ich-AG und Ein-Euro-Job Erfolgsmodelle.
"Wo Missbrauch auftritt, muss er bekämpft werden. Aber richtig ist, dass wir mit der Ich-AG ein Instrument geschaffen haben, die Kultur der Existenzgründung zu fördern. Und das mit einem einfachen Instrumentarium. Das ist bis jetzt erfolgreich, wie alle Untersuchungen zeigen: Der größere Teil der Existenzgründer bleibt in Funktion, baut eine neue Existenz auf. Bei den Arbeitsgelegenheiten - 200.000 gibt es gerade - haben wir eine ebenfalls positive Entwicklung.
Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass solche Instrumente bei der Sozialhilfe angewandt worden sind. Da waren es erfolgreiche Schritte für den Personenkreis, der über viele Jahre nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis gelebt hat, wieder an das normale Arbeitsverhältnis herangeführt zu werden."
Aber auch die Sozialdemokraten reagieren auf die Debatte um Missbrauch bei den Ein-Euro-Jobs. Handwerk, Industrie und Gewerkschaften sollen in so genannten Beiräten kontrollieren, ob die Hartz IV- Jobs reguläre Stellen verdrängen. Der Umbau des Arbeitsmarktes könne erst nach Jahren rund laufen, sagt Brandner, das zeigten die Erfahrungen der europäischen Nachbarländer.
Die SPD will im Wesentlichen an den Reformen festhalten - das Arbeitslosengeld 2 für die Ostdeutschen aber soll angehoben werden: von 331 auf 345 Euro - wie im Westen. Hartz IV wirkt - sagt Rot-Grün. Seit Monaten entstünden neue sozialversicherungspflichtige Jobs. Jetzt stehen nach Ansicht der SPD die Unternehmen in der Pflicht, ihren Beitrag zu leisten.
Die Union setzt mit ihren Konzepten vor allem auf dem so genannten ersten Arbeitsmarkt an. "Vorfahrt für Arbeit": Das Motto steht für einen Kurs, der die Gewerkschaften mit Streiks drohen ließ - noch vor einem möglichen Regierungswechsel: Den Kündigungsschutz in Betrieben mit weniger als 20 Mitarbeitern will die Union aussetzen. In größeren Firmen soll er erst ab zwei Jahren greifen.
Ebenfalls auf der Liste der Konservativen: Steuern auf Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen. Und: Langzeitarbeitslose sollen sich zunächst mit 90 Prozent des Tariflohns begnügen. Vor allem aber das Stichwort "Betriebliche Bündnisse" sorgt für Gegenwind bei Gewerkschaften und SPD. Arbeitgeber und Betriebsräte sollen nach diesen Plänen Lohn und Arbeitszeit selbst aushandeln können - sofern der Betriebsrat und zwei Drittel der Belegschaft zustimmen. Dafür müsste die Union das Betriebsverfassungsgesetz ändern. Die Flächentarifverträge könnten so ausgehebelt werden.
In der Berliner Apparatebau-Firma Rossmann wird bereits länger gearbeitet. 39 statt 35 Stunden ohne Lohnausgleich für die rund 80 Beschäftigten. Allerdings: mit dem Segen der Gewerkschaft. Die Firma Rossmann baut Wärmetauscher und Druckbehälter. Das zweite Standbein: Containerbau für die Bahn.
Hugo Rossmann leitet das Unternehmen in dritter Generation. 2003 hat er bereits Leute entlassen müssen. Das, so Firmenchef Hugo Rossmann, sei ihm Anfang des Jahres erspart geblieben. Dank der Vereinbarung mit der IG Metall.
"Diese 39-Stunden-Vereinbarung bedeutet für uns, dass wir auf dem Markt kostengünstiger anbieten können als bei der 35-Stunden-Woche. Und durch diese günstigeren Angebote haben wir im Bereich Apparatebau voll und ganz zu tun - mit einem guten Auftragseingang. In der Bahntechnik ist es leider nicht so, weil einfach die Aufträge fehlen."
Vier Stunden Mehrarbeit ohne Lohnausgleich. Da, sagt Rossmann, kann er mithalten mit der Konkurrenz aus Osteuropa und der Türkei. Der Gewerkschaft die Mehrarbeit abzuringen, das sei schon ein hartes Stück Arbeit gewesen.
Er hofft auf das Konzept der Union - auf Einschnitte beim Kündigungsschutz, auf betriebliche Bündnisse. Dass sich Gewerkschaften und SPD gegen solche Abschlüsse in den Firmen stellen, kann Rossmann nicht nachvollziehen. Er sieht die Gefahr nicht, dass es zu Lohndumping und Erpressbarkeit der Belegschaften kommt, falls das Betriebsverfassungsgesetz geändert wird:
"Wir haben doch ein ganz anderes Problem hier in Deutschland. Wir haben das Problem, dass unsere Arbeitsstunde einfach zu teuer ist. Und zwar durch unsere Lohnnebenkosten, das hat also nichts mit den bösen Unternehmern zu tun. Absolut nix, es hat damit zu tun, dass unsere gesamte Sozialgesetzgebung mit den Kosten die damit verbunden so hoch sind, dass auch unsere Lohnnebenkosten einen Stand haben, der eben nicht mehr zu finanzieren ist."
Insofern hofft Rossman auch, dass die Union im Falle eines Wahlsiegs ein anderes Versprechen hält: Nämlich die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent zu senken. Allerdings: Das Vertrauen von Firmenchef Rossmann in die Politik hat seine Grenzen. 40 Jahre war er CDU-Mitglied, einen Tag vor unserem Interview ist er ausgetreten. Der Grund: die Union sei nicht in der Lage, mit einer abgestimmten Meinung an die Öffentlichkeit zu gehen.
"Und deshalb bin ich skeptisch, ob später die guten Gedanken, die vorhanden sind - ob die Frau Merkel wirklich die Kraft haben wird, die Parteien hinter sich zu vereinen und diese Gedanken durchzusetzen."
Die Belegschaft der Firma Rossmann hatte abgestimmt über die Mehrarbeit bei gleichem Lohn. Das Ergebnis war eindeutig, wenn auch einige erstmal schlucken mussten angesichts einer Stunde mehr pro Tag.
"Ich denke mal, in so ner kleinen Firma ist das doch angebracht." - "Eine Stunde, sagt man, ist ja nicht so viel. Aber für ältere Leute ist das schon was. Das merkt man schon, wenn man nach Hause kommt." - "Nach der Erfahrung der Arbeitslosigkeit kann ich damit leben. Der Druck ist nun mal groß, und dem kann man sich nicht entziehen." - "Wenn es für die Firma gut ist, warum nicht. Die eine Stunde macht es ja auch nicht fett. Hauptsache, wir müssen nicht weiter entlassen." - "Die Polen, die Tschechen - rundherum Ungarn - die arbeiten von Hause alle länger. Und da muss die Gewerkschaft gewaltig umdenken, das sage ich, wenn ich auch Mitglied bin, aber das muss halt so sein."
Dietmar Tessmann ist nicht nur Mitglied der IG-Metall, sondern auch Betriebsratsvorsitzender bei Rossmann. Er glaubt: Die Gewerkschaften müssten die Belegschaftsvertreter der Firmen an der längeren Leine lassen: Überhaupt in den Klein- und Mittelbetrieben. Denn die Sicht der Gewerkschaften, sagt Tessmann, die sei zu stark geprägt von den Möglichkeiten der Branchenriesen:
"Die gehen nur in die großen Betriebe wie Siemens, AEG und wie die alle heißen - oder Autobetriebe. Und da können sie es sich halt leisten, die machen den Umsatz, die machen das Geld. Und das können wir als kleine, mittelständische Unternehmen halt nicht durchstehen.
Und da muss die Gewerkschaft ganz gewaltig ran, die sollten in die kleinen Betriebe gehen. Und nicht bloß heiße Luft reden. Die sollten wirklich kommen und sich das hier angucken, wie die kleinen Betriebe kneten müssen. Wir haben ja auch Materialkosten und die Löhne sollen steigen, und wir können das halt nicht mitmachen - weil wir die Umsätze gar nicht bringen."
Denn betriebliche Bündnisse ohne den Segen der Gewerkschaften wollen weder der Betriebsrat noch die Mitarbeiter:
"Für den Flächentarifvertrag spricht, dass ich eben Löhne durchsetzen kann. Ein gewisser Schutz sollte bleiben: Hat man mal keine Gewerkschaft, dann kann es natürlich dazu neigen, dass man irgendwann vielleicht nicht nur 39 oder 40 Stunden Woche arbeitet, sondern 45 Stunden. Weil die Arbeitgeber, die größeren, das einfach ausnutzen."
"Ich denke schon, dass die Flächentarifverträge ein gewisser Schutz sind. Man hat seine gewissen Rechte, und die können nicht einfach ausgehebelt werden. Ich glaube, wenn die Tarifverträge mal nicht mehr existieren, dann können die Arbeitgeber verrückt spielen wie sie wollen." - "Ich denke auch, dass viele Arbeitgeber eher am Flächentarif interessiert sind, weil es denen auch eine gewisse Planungssicherheit gibt."
Auf diese Seite stellt sich auch die SPD. Betriebliche Bündnisse ohne den Segen der Gewerkschaften - für den SPD-Arbeitsmarktexperten Brandner steht dabei viel auf dem Spiel: Damit werde die soziale Marktwirtschaft ihrer Grundlage beraubt.
"Weil ja betriebliche Bündnisse im Sinne der CDU nichts anderes sind, als die Menschen im Betrieb darüber abstimmen zu lassen, ob sie den Tarifvertrag wollen oder nicht. Und so was passiert ja in der Praxis nur, wenn eine Drucksituation organisiert wird. Nämlich: Entweder ihr seid bereit, auf tarifvertragliche Ansprüche zu verzichten, oder wir verlagern das Unternehmen.
Dass eine solche Situation einfach unsäglich ist und dem sozialen Frieden überhaupt nicht angemessen ist - aber auch nicht zu einer wirtschaftlichen Verbesserung führt. Denn mit Lohnsenken hat man in diesem Land wirtschaftlich gesehen ja keine Besserung erfahren."
Der Dreh- und Angelpunkt für den CDU-Arbeitsmarktexperten Pofalla: Der Arbeitsmarkt muss flexibler werden - nach dem bereits vielzitierten Motto der Union: Sozial ist, was Arbeit schafft. Freie Vereinbarungen zwischen Firmen und Betriebsräten - die Hürden für Neueinstellungen sollen niedriger gelegt werden. Die Gewerkschaften fassen vor allem die Pläne für betriebliche Bündnisse als Kampfansage auf. Dass Belegschaften künftig erpressbar werden könnten - für Pofalla kein ernst zu nehmendes Argument:
"Das sind Parolen, die sind aus dem vorvergangenen Jahrhundert. Die Wirklichkeit ist doch, dass die Gewerkschaften es bisher massiv versäumt haben, auch Gedanken mitzuentwicklen, wie wir die Arbeitslosigkeit verringern können. Oder anders ausgedrückt, wie wir mehr für Arbeitlose tun können.
Mir ist doch jemand lieber, der im Arbeitsmarkt ist, und beispielsweise zehn Prozent unter Tarif bezahlt wird, als dass er arbeitslos ist und die Aussicht auf eine 100prozentige Entlohnung hat. Und da entscheide ich mich glasklar für die Alternative, ihm die Möglichkeit zu geben, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren und dafür durchaus auch für eine begrenzte Zeit auch Abschläge hinzunehmen."
Mehr Jobs verspricht sich die Union auch vom Kombilohn. Dabei stockt der Staat den Lohn des Arbeitgebers auf. Mit diesen staatlichen Subventionen will die Union den Niedriglohnsektor ankurbeln. Für den Kombilohn machen sich derzeit auch viele Ökonomen stark. Denn 40 Prozent der Arbeitslosen haben keinen Berufsabschluss, gelten als gering qualifiziert.
Etliche solcher Modelle sind bereits in den Bundesländern aus der Taufe gehoben worden - in verschiedenen Varianten. Einige davon sind bereits wieder in der Versenkung verschwunden - weil sie nicht gewirkt haben. Nach einem Wahlsieg wollen die Konservativen einen neuen Anlauf nehmen und ein bundesweites Modell entwickeln. Jobs mit niedrigem Lohn sollen so attraktiver werden - für die Unternehmen und die Arbeitnehmer. Die Kritik der SPD:
"Eine flächendeckende Zulage an Unternehmen, diejenigen, die niedrige Löhne zahlen, mit Subventionen aufzubessern, das ist eine Subventionsruine. Sie führt dazu, dass die Unternehmen einfach nur absenken werden, um diese Zulagen mitzunehmen. Das führt nicht zu mehr Arbeit, sondern rein zur Verschwendung von Steuergeldern. Das ist eine Subventionsruine. Das ist kein zielführender Weg."
Einem solchen Modell, so Brandner, müsste dann zumindest ein staatlicher Mindestlohn entgegengesetzt werden. Den hat die SPD ohnehin auf der Agenda - notfalls per Gesetz, falls sich die Branchen nicht einigen können. Was schafft Arbeit? Modelle und Theorien sind derzeit viele auf dem politischen Markt. Doch das Vertrauen in die Konzepte scheint stetig zu schwinden - bei denen, die abseits stehen und auch bei denen, die Arbeit haben:
"Ich wähle schon seit zwei Generationen nicht mehr. Ich weiß nicht, ob ich dieses Jahr wählen gehe - kann ich Ihnen nicht sagen. Ob das CDU ist oder SPD - am Ende trifft es sowieso wieder die Kleinen, die Arbeiter." - "Ich hab´ vorher SPD gewählt. Das werde ich auf jeden Fall nicht wieder tun. Weil da ganz einfach zu viele Versprechen gebrochen worden sind. Jetzt im Wahlkampf wird sich wieder dran erinnert ans soziale Gewissen, wo vorher überhaupt nicht dran gedacht wurde." - "Ich wähl´ auf alle Fälle CDU - die großen Firmen, das hängt ja alles an der CDU dran, dass die nicht ins Ausland gehen. Die können auf alle Fälle mehr ausrichten." - "Eigentlich gehöre ich zu den Unentschlossenen im Moment. In der Regel habe ich schon immer SPD gewählt. Aber ich bin ein bisschen enttäuscht von den letzten vier Jahren. Ich habe so den Eindruck, dass sich die SPD von ihren Idealen entfernt hat." - "Eigentlich nichts dabei, wo ich sage, das würde ne Änderung bedeuten."
Die Themen Arbeit und Wirtschaft stehen für die Wähler im Vordergrund - das besagen die Umfragen. Die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung haben viele zu Protesten auf die Straße getrieben. - Sollte es am 18. September doch noch für Schwarz-Gelb reichen, dann stehen dem Arbeitsmarkt noch größere Einschnitte bevor.