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Deutschland zögert beim Schutz vor Lärm am Arbeitsplatz

Schwerhörigkeit ist weit verbreitet: Jeder zweite über 45 Jahren gibt an, im Alltag Schwierigkeiten mit dem Hören und Verstehen zu haben. Ab heute verpflichtet die Europäische Union dazu, den Lärmschutz am Arbeitsplatz erheblich zu intensivieren, in Deutschland warten Arbeitnehmer allerdings bisher vergeblich auf eine Umsetzung dieser Vorschrift.

Von Ursula Mense |
    Zugegeben - kein angenehmes Geräusch so eine Presse. Über mehrere Stunden eigentlich kaum zu ertragen. - Schon besser, oder? Eingekapselt kommt nicht mehr so viel durch vom Lärm.

    Eine von verschiedenen Möglichkeiten, Maschinen leiser zu machen und die Lärmbelastung in einer Fabrikhalle beispielsweise niedrig zu halten. Lärmschutzwände sind eine andere. Oder auch die Verlagerung von sehr lärmintensiven Arbeiten in abgeschirmte Räume. Wenn es trotz solch baulicher oder organisatorischer Veränderungen immer noch zu laut ist, müssen die Beschäftigten einen Gehörschutz tragen.

    Das ist in Deutschland zwar schon lange so. Es wird aber offenbar nicht überall so konsequent angewandt, wie es wünschenswert wäre. Denn anders ist nicht zu erklären, wieso Lärmschwerhörigkeit mit immer noch 7000 anerkannten Fällen pro Jahr die Berufskrankheit Nummer Eins ist. Das soll sich jetzt mit einer neuen EU-Richtlinie ändern. Bis heute musste sie eigentlich in Kraft treten. Weil aber die Personaldecke im Ministerium für Arbeit und Soziales zu dünn ist, hat das nicht geklappt. Außerdem wollte man gleich vier EU-Richtlinien auf einmal umsetzen und sie in eine nationale Verordnung packen.

    " Von diesem Konzept müssen wir abweichen, weil wir im Nachhinein festgestellt haben, dass die Richtlinien zu unterschiedlich sind. Wir können immer nur zwei Richtlinien zusammenfassen. Der Zeitplan sieht vor, dass im Herbst 2006 ein kabinettsreifer Entwurf vorliegt und beschlossen wird. "

    …verspricht der zuständige Referatsleiter im Arbeitsministerium Dr. Helmut Klein.
    Ab dann darf Dauerlärm am Arbeitsplatz den Pegel von 85 Dezibel unter keinen Umständen mehr überschreiten. Bei den kurzzeitigen Schallspitzen liegt die Grenze bei 135 Dezibel. Für beide Bereiche sind das fünf Dezibel weniger als bisher. Zwar schreibt auch die derzeit noch gültige Arbeitsstättenverordnung bereits eine Höchstbelastung von 85 Dezibel vor, lässt aber für nicht näher definierte Ausnahmen Dauerlärm bis zu 90 Dezibel zu. Offenbar ein Passus im Gesetz, der Unternehmen dazu verführte, die Werte großzügig zu überschreiten. Auch war bisher Gehörschutz erst ab 90 Dezibel bindend vorgeschrieben. Zum Vergleich: ein schwerer LKW schafft 90 Dezibel. Ab 85 Dezibel aber wird ein Gehör nachweislich geschädigt. Nach der neuen Richtlinie müssen die Arbeitnehmer deshalb ab einer Lärmbelastung von 85 Dezibel vorsorglich untersucht werden und Gehörschutz tragen. Dr. Martin Lüdtke vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften freut sich für die Arbeitnehmer. Denn immerhin müssen die Berufsgenossenschaften für die anerkannten Berufskrankheiten zahlen.
    " Von Seiten der Berufsgenossenschaft ist es sehr zu begrüßen, dass die Verpflichtung Gehörschutz zu tragen nun ab 85 db A gegeben ist. Das waren bisher 90 und deshalb auch schwer verständlich, dass jemand, der mit 87 db A exponiert war nicht verpflichtet war, Gehörschutz zu tragen, aber dann doch nach Jahrzehnten eine Berufskrankheit anerkannt bekam. "

    Der Gehörschutz ist aber der ultimativ letzte Schritt, um Hörschäden zu vermeiden. Vorher gilt es, auf der technischen Seite alle Möglichkeiten auszuloten, um den Lärmpegel zu senken. Wenn es dann immer noch zu laut ist, müssen die Beschäftigen den Gehörschutz tragen. Selbst damit aber dürfen demnächst - und das ist ganz neu - im Ohr nur maximal 87 Dezibel ankommen. Eine Art Belastungs-Höchstwert, den einzuhalten, viele Unternehmen offenbar teuer zu stehen kommen wird. Zumindest befürchten das die Berufsgenossenschaften. Dr. Liedtke

    " Betroffen sind besonders Betriebe, die schon in der Vergangenheit Lärmschutz betrieben und viel Geld ausgegeben haben und die konnten sich Maßnahmen sparen, die nicht mehr notwendig sind. Durch die Absenkung der Pegel sind die Betriebe erneut in der Situation, wieder etwas tun zu müssen. "

    Dr. Liedtke versteht nicht, warum am Arbeitsplatz für den Schutz des Gehörs so viel getan werden soll, wenn auf der anderen Seite Auszubildende ihrem Gehör in der Freizeit mit lauter Musik aus Disko-Boxen oder MP3 Playern zusetzen. Ein Argument, das in der Vergangenheit gern dann benutzt wurde, wenn man sich dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz entziehen wollte. Stichwort: Asbestbelastung und Zigarettenkonsum. Arbeitgeber aber sind verpflichtet dafür zu sorgen, dass Arbeit nicht krank, in diesem Fall, Lärm nicht taub macht. Und genau das will die neue EU-Richtlinie garantieren.