"Wenn es Nacht wird im Allgäu, dann braut sich was zusammen."
Aus einem Lautsprecher kommen mystische Klänge. Der Raum ist abgedunkelt. Eine sonore Stimme fordert den Besucher auf, sich ganz der Magie des Vollmondes hinzugeben. An der blau getünchten Decke funkeln Hunderte kleine Lämpchen auf – einem Sternenhimmel gleich, an dem sich ein Mond entlang schiebt. Modernste Technik macht es möglich.
"In der Vollmondnacht teilt sich die Kraft des Mondes dem Urelement Wasser mit besonderen bio-energetischen Informationen mit. Die Brauer der Privatbrauerei Zötler nutzen diesen günstigen Zeitpunkt, um in jeder Vollmondnacht die ganze Kraft und Magie des Vollmondes im Brauprozess für das Vollmondbier zu konzentrieren."
Der Gag mit dem Vollmond-Bier ist der jüngste Marketing-Clou, den sich Brauereichef Herbert Zötler ausgedacht hat. Dabei hat der studierte Volkswirt mit Mystik wenig am Hut. Der 52-Jährige sucht vielmehr nach immer neuen Ideen, seine Ware an den Mann zu bringen. Das in Vollmondnächten gebraute Bier ist in der Region um Memmingen, Kempten und Oberstdorf längst ein Renner.
"Was an diesem Vollmond-Bier anders ist, kann ich ihnen auch nicht sagen. Aber im Allgäu gibt es sehr, sehr viele, die bei bestimmten Mond-Sterne-Konstellationen Quellen fassen, Haare schneiden lassen, auch bestimmte Operationen vornehmen oder nicht vornehmen lassen. Nee, ich glaube nicht, dass es Aberglaube ist. Ich glaube, dass da vieles Richtiges dran ist, sonst hätten es unsere Vorfahren nicht so gemacht."
Die Vollmond-Animation rundet jede Führung durch die Brauerei ab, die im eigens errichteten Besucherzentrum mit Bier-Verköstigung und Vesper endet. So lockt der geschäftstüchtige Mittelständler auch im Winter, wenn nur selten gebraut wird, Biertrinker an. Zötler nennt es "Erlebnisbrauerei". Im Souvenir-Shop nebenan bietet er Vollmond-T-Shirts für 9,80 Euro das Stück an. Ein "Bräu" – wie man im Allgäu noch heute ehrfurchtsvoll einen Brauerei-Besitzer nennt – muss einfallsreich sein.
"Mir hat mein Vater mal zu mir gesagt, Tradition ist was Wunderbares, weil man darauf aufbauen kann, aber man kann sich keinen Euro davon abschneiden. Das heißt: Wir müssen uns auch jetzt jeden Tag anstrengen. Egal, ob wir 550 Jahre oder fünf Jahre alt sind, um uns in dem Wettbewerb heute zu bewähren."
Herbert Zötler führt den Familienbetrieb in der 20. Generation. Er muss gegen die Konkurrenz der Groß-Brauereien, fallende Bierpreise und den nachlassenden Bierdurst der Deutschen ankämpfen. Seine Vorfahren haben Bauernaufstände überstanden, Pestwellen und Kriege überlebt. Drei Mal war die kleine Brauerei im Laufe der Jahrhunderte bis auf die Grundmauern abgebrannt.
"Das letzte Mal, wo es gebrannt hat, war 1916. Während diesen Brands sind auch alle Aufzeichnungen, die wir hatten über unsere Geschichte und unsere Familie restlos mit verbrannt. Und das war mit ein Grund dafür, dass meine Eltern 1970 das 200-Jährige gefeiert haben, weil das letzte was wir noch wussten war 1770. Und daher waren wir der Meinung, seit 200 Jahren gibt es unsere Brauerei."
Dass die Brauerei viel, viel älter ist, fand erst der Dorfpfarrer von Rettenberg heraus.
"Der hat sich so als Hobby zur Aufgabe gemacht, die Dorfgeschichte anhand von alten Pfarrbüchern nachzurecherchieren. Mit der Dorfgeschichte hat er auch uns sozusagen immer älter gemacht, er kam also alle paar Jahre und hat gesagt, jetzt habe ich wieder was gefunden. Und vor neun Jahre glaube ich war es, da kam er und hat gesagt: 1447. Da gibt es auch ein Dokument – das haben wir leider nicht, da haben wir nur eine Fotografie davon, es hängt im kirchlichen Archiv in Augsburg, eine Kaufurkunde, wo die Brauerei gegründet und das Gelände gekauft wurde."
Das Datum auf der Urkunde: 25. Januar 1447. Die Familie feierte eilig das 550., dann das 555. Firmenjubiläum – danach kehrte erst mal wieder Ruhe ein. Bis vor gut einem Jahr das Wirtschaftsmagazin "Euro" mit der Nachricht überraschte, dass die Brauerei das älteste Familienunternehmen in Deutschland sei.
"In einer Ranking-Liste stehen wir weltweit an zehntältester Stelle. Also nach dieser Ranking-Liste wären wir in Deutschland das älteste Familienunternehmen. Wobei man dazu sagen muss – man muss ja immer auch auf dem Boden bleiben – die Brauerei war sicherlich 450 Jahre eine kleine Hausbrauerei. Wir hatten eine Wirtschaft. Das ist unsere Brauereigaststätte drinnen im Dorf, da war die Brauerei integriert. Es war eine Landwirtschaft dabei und noch eine Brennerei, die Brauerei war also nur ein Teil dieser Wirtschaft."
Nichts in Zötlers Brauerei ist 559 Jahre alt. Nicht das Gebäude, nicht das Sudhaus, nicht mal die Bierfässer. Nichts deutet hier auf urbayerische Brau-Romantik hin. Der Betrieb residiert etwas außerhalb des Dorfes in einem schlichten, gelb getünchten 60er-Jahre-Bau. An längst vergangene Zeiten erinnert einzig ein gewölbter Keller aus dem vorletzten Jahrhundert.
"Da oben sind so Schächte, die hat man im Laufe der Jahrhunderte zugemauert. Das waren früher so genannte Eisschächte. Oben war früher ein Eisweiher. Das heißt, man hat geeist und im Winter, wenn der Eisweiher zugefroren war, hat man das Eis geschnitten und die Blöcke durch die Schächte in den Keller runter rutschen lassen, um so lange bis ins Frühjahr hinein Bier zu brauen."
Der Eiskeller begeistert nur noch die Besucher. Längst sorgen hochmoderne Klimaanlagen für die nötige Kühle. Elf verschiedene Bierspezialitäten werden gebraut, rund 90.000 Hektoliter Bier pro Jahr ausgestoßen. Für eine kleine Brauerei eine beachtliche Menge. Hopfen und Malz kommen wie seit Jahrhunderten schon aus der Region. Und auch am Brauverfahren – so behauptet es Zötler – habe sich wenig geändert.
"Wir züchten auch unsere Hefe selber. Wenn wir sie selber züchten wissen wir, dass sie nicht genmanipuliert ist. Und wir können uns den Luxus leisten, dass wir unsere Hefe nur ein Mal verwenden. Die meisten Brauereien verwenden ihre Hefe zehn bis zwanzig Mal und dadurch kann auch so ein leichter Hefegeruch kommen. Die zweite Besonderheit, die unsere Biere auszeichnen ist, dass wir all unsere Biere vier bis fünf Wochen lagern. Auch das machen nur noch wenige Brauereien, einfach weil es viel Bier und Anlagetechnik kostet. Aber die Biere werden insgesamt bekömmlicher, vor allem weil Nebenalkohole durch diese lange, kalte Lagerzeit abgebaut werden."
Ein Aufwand, der sich im Geschmack, allerdings auch im Preis niederschlägt. Eine Kiste Zötler-Bier kostet einige Euros mehr als die der Konkurrenz. Und trotzdem laufen die Geschäfte gut. Der Bräu beschäftigt an die 60 Mitarbeiter, seine Brauerei macht im Jahr rund zehn Millionen Euro Umsatz.
Im Bier-Business herrscht ein knallharter Verdrängungswettbewerb. Immer mehr kleine Brauereien müssen schließen oder werden von den Giganten der Branche einfach geschluckt. Allein in Bayern machten jüngst wieder zwölf Brauereien dicht; gut 600 sind übrig geblieben. Zötler punktet durch Kundennähe: Am Schreibtisch sitzt er in Jeans, am Wochenende aber zieht er im Trachtenanzug übers Land, besucht Bierfeste, Sportveranstaltungen und Gasthöfe – im ständigen Kontakt mit Konsumenten.
"Wir verkaufen auch unser Bier nur 50 Kilometer rund um unseren Schornstein. Also wir kennen unsere Kunden, wir kennen die Probleme, die die draußen haben. Zum Teil haben auch schon die Eltern mit uns zusammengearbeitet. Wir können von daher auch ganz andere Lösungen anbieten wie es eine Großbrauerei, die in Hamburg sitzt oder in Bremen oder schon in München, weil die nicht so nah ihr Ohr am Markt haben. Und wir können viel schneller reagieren. Also da kommt ein Problem zu mir vom Fahrer oder vom Außendienstler, das wird entschieden und dann laufen am nächsten Tag die Uhrwerke an. Und es geht nicht an irgendeinen Aufsichtsrat und muss genehmigt werden oder sonst was."
Dabei zögerte Zötler lange, ins Geschäft des dominanten Vaters einzusteigen. Er studierte lieber Volkswirtschaft in Freiburg und fing in Stuttgart als Steuerberater an. Erst 1992 übernahm er die Geschäftsleitung. Der Senior, 81 Jahre alt, arbeitet noch halbtags in der Brauerei mit - so wie es die Schwester, der Schwager und die Kinder tun. Sohn Niklas wird den Familienbetrieb vielleicht mal übernehmen. Dem Vater kann Zötler noch heute dankbar sein. Denn der Senior führte Erfrischungsgetränke ein; Mineralwasser und Säfte, die an die 40 Prozent zum Betriebsumsatz beisteuern. Und er baute schon früh eine neue Abfüllanlage ein – eine Millionen-Investition, die schon viele kleine Brauereien finanziell in den Ruin trieb. An Expansion aber denkt der Allgäuer Brauer nicht – noch nicht.
"Wenn man heute wächst, dann wenn irgendein Kollege aufgibt, und sagt, mach du für mich weiter, nimm meine Kunden. Das ist eine Möglichkeit, aber mit so etwas rechne ich jetzt nicht. Wenn es kommt, dann kommst. Ich denke mal, wir sind im Allgäu ganz gut aufgestellt und haben auch einen guten Namen und das wirkt sich eigentlich immer mehr aus. Also in schwierigen Zeiten wie jetzt gerade, auch in für die Gastronomie schwierigen Zeiten greifen Hotelier vor allem auch auf Lieferantenpartner wie ins zurück."
Der agile Brauereichef versteht sich als Manager. Sein Vater war noch Braumeister; dem Junior sind Finanzen und Marketing wichtiger. Nicht Bier zu brauen, sondern zu verkaufen, sagt er, heißt heute die Kunst. Auch deshalb sorgt er immer wieder PR in eigener Sache. Als "Dosenjäger vom Allgäu" betitelte ihn 1995 das "Manager-Magazin". Damals rief er die "Dosenfreie Zone Allgäu" aus und versammelte sich mit neun anderen Brauern vor dem Bonner Ministerium der damaligen Umweltministerin Angela Merkel zum Anti-Dosen-Schwur. Seit einem Jahr, seit bekannt ist, dass er das wohl älteste deutsche Familienunternehmen leitet, geben sich Reporter nationaler Zeitungen bei ihm wieder die Klinke in die Hand. Und ein erster Werbespot, der die 559 Jahre währende Brautradition zum Thema macht, läuft seit Weihnachten im lokalen Fernsehprogramm.
"Wir fangen jetzt an, das auch werblich nach außen zu tragen. Und ich denke, das spielt eine große Rolle, dass eben schon 20 Generationen in uns Vertrauen gesetzt haben. Und das offensichtlich nicht enttäuscht worden ist, sonst gebe es die Brauerei nicht mehr. Das sind Werte die heute nicht mehr selbstverständlich sind: Ehrlichkeit, Fairness, die Leute wissen, dass wir nur gute Rohstoffe verwenden, dass man mit uns reden kann, dass wir Leute zum Anfassen sind – eben wie eine Familie. Und das sind, glaube ich, Mosaiksteine für die Zukunft, damit unsere Geschäfte noch besser laufen."
"Tradition kann etwas Schönes sein", sagt Zötler, "wenn aber die Zahlen nicht mehr stimmen, wird Tradition zum Klotz am Bein". Denn geht es der Brauerei gut, profitiert ganz Rettenberg davon. Wenn er Fehler macht, trifft es alle in der 4000-Seelen-Gemeinde; einem Dorf, in dem jeder jeden kennt.
"Ich denke, es wird zur Last oder zur Bürde, wenn es nicht so gut läuft. Aber vor der Situation war ich – toi, toi, toi – war ich noch nicht. Wenn man als Bräu wie ich in diesem Dorf aufgewachsen ist, und es läuft einfach nicht mehr so mit der Brauerei, und man muss sich überlegen, ob man sie verkauft oder zumacht, dann wird es schwierig hier zu leben. Mit der Last eben derjenige zu sein, der es nicht mehr geschafft hat."
Aus einem Lautsprecher kommen mystische Klänge. Der Raum ist abgedunkelt. Eine sonore Stimme fordert den Besucher auf, sich ganz der Magie des Vollmondes hinzugeben. An der blau getünchten Decke funkeln Hunderte kleine Lämpchen auf – einem Sternenhimmel gleich, an dem sich ein Mond entlang schiebt. Modernste Technik macht es möglich.
"In der Vollmondnacht teilt sich die Kraft des Mondes dem Urelement Wasser mit besonderen bio-energetischen Informationen mit. Die Brauer der Privatbrauerei Zötler nutzen diesen günstigen Zeitpunkt, um in jeder Vollmondnacht die ganze Kraft und Magie des Vollmondes im Brauprozess für das Vollmondbier zu konzentrieren."
Der Gag mit dem Vollmond-Bier ist der jüngste Marketing-Clou, den sich Brauereichef Herbert Zötler ausgedacht hat. Dabei hat der studierte Volkswirt mit Mystik wenig am Hut. Der 52-Jährige sucht vielmehr nach immer neuen Ideen, seine Ware an den Mann zu bringen. Das in Vollmondnächten gebraute Bier ist in der Region um Memmingen, Kempten und Oberstdorf längst ein Renner.
"Was an diesem Vollmond-Bier anders ist, kann ich ihnen auch nicht sagen. Aber im Allgäu gibt es sehr, sehr viele, die bei bestimmten Mond-Sterne-Konstellationen Quellen fassen, Haare schneiden lassen, auch bestimmte Operationen vornehmen oder nicht vornehmen lassen. Nee, ich glaube nicht, dass es Aberglaube ist. Ich glaube, dass da vieles Richtiges dran ist, sonst hätten es unsere Vorfahren nicht so gemacht."
Die Vollmond-Animation rundet jede Führung durch die Brauerei ab, die im eigens errichteten Besucherzentrum mit Bier-Verköstigung und Vesper endet. So lockt der geschäftstüchtige Mittelständler auch im Winter, wenn nur selten gebraut wird, Biertrinker an. Zötler nennt es "Erlebnisbrauerei". Im Souvenir-Shop nebenan bietet er Vollmond-T-Shirts für 9,80 Euro das Stück an. Ein "Bräu" – wie man im Allgäu noch heute ehrfurchtsvoll einen Brauerei-Besitzer nennt – muss einfallsreich sein.
"Mir hat mein Vater mal zu mir gesagt, Tradition ist was Wunderbares, weil man darauf aufbauen kann, aber man kann sich keinen Euro davon abschneiden. Das heißt: Wir müssen uns auch jetzt jeden Tag anstrengen. Egal, ob wir 550 Jahre oder fünf Jahre alt sind, um uns in dem Wettbewerb heute zu bewähren."
Herbert Zötler führt den Familienbetrieb in der 20. Generation. Er muss gegen die Konkurrenz der Groß-Brauereien, fallende Bierpreise und den nachlassenden Bierdurst der Deutschen ankämpfen. Seine Vorfahren haben Bauernaufstände überstanden, Pestwellen und Kriege überlebt. Drei Mal war die kleine Brauerei im Laufe der Jahrhunderte bis auf die Grundmauern abgebrannt.
"Das letzte Mal, wo es gebrannt hat, war 1916. Während diesen Brands sind auch alle Aufzeichnungen, die wir hatten über unsere Geschichte und unsere Familie restlos mit verbrannt. Und das war mit ein Grund dafür, dass meine Eltern 1970 das 200-Jährige gefeiert haben, weil das letzte was wir noch wussten war 1770. Und daher waren wir der Meinung, seit 200 Jahren gibt es unsere Brauerei."
Dass die Brauerei viel, viel älter ist, fand erst der Dorfpfarrer von Rettenberg heraus.
"Der hat sich so als Hobby zur Aufgabe gemacht, die Dorfgeschichte anhand von alten Pfarrbüchern nachzurecherchieren. Mit der Dorfgeschichte hat er auch uns sozusagen immer älter gemacht, er kam also alle paar Jahre und hat gesagt, jetzt habe ich wieder was gefunden. Und vor neun Jahre glaube ich war es, da kam er und hat gesagt: 1447. Da gibt es auch ein Dokument – das haben wir leider nicht, da haben wir nur eine Fotografie davon, es hängt im kirchlichen Archiv in Augsburg, eine Kaufurkunde, wo die Brauerei gegründet und das Gelände gekauft wurde."
Das Datum auf der Urkunde: 25. Januar 1447. Die Familie feierte eilig das 550., dann das 555. Firmenjubiläum – danach kehrte erst mal wieder Ruhe ein. Bis vor gut einem Jahr das Wirtschaftsmagazin "Euro" mit der Nachricht überraschte, dass die Brauerei das älteste Familienunternehmen in Deutschland sei.
"In einer Ranking-Liste stehen wir weltweit an zehntältester Stelle. Also nach dieser Ranking-Liste wären wir in Deutschland das älteste Familienunternehmen. Wobei man dazu sagen muss – man muss ja immer auch auf dem Boden bleiben – die Brauerei war sicherlich 450 Jahre eine kleine Hausbrauerei. Wir hatten eine Wirtschaft. Das ist unsere Brauereigaststätte drinnen im Dorf, da war die Brauerei integriert. Es war eine Landwirtschaft dabei und noch eine Brennerei, die Brauerei war also nur ein Teil dieser Wirtschaft."
Nichts in Zötlers Brauerei ist 559 Jahre alt. Nicht das Gebäude, nicht das Sudhaus, nicht mal die Bierfässer. Nichts deutet hier auf urbayerische Brau-Romantik hin. Der Betrieb residiert etwas außerhalb des Dorfes in einem schlichten, gelb getünchten 60er-Jahre-Bau. An längst vergangene Zeiten erinnert einzig ein gewölbter Keller aus dem vorletzten Jahrhundert.
"Da oben sind so Schächte, die hat man im Laufe der Jahrhunderte zugemauert. Das waren früher so genannte Eisschächte. Oben war früher ein Eisweiher. Das heißt, man hat geeist und im Winter, wenn der Eisweiher zugefroren war, hat man das Eis geschnitten und die Blöcke durch die Schächte in den Keller runter rutschen lassen, um so lange bis ins Frühjahr hinein Bier zu brauen."
Der Eiskeller begeistert nur noch die Besucher. Längst sorgen hochmoderne Klimaanlagen für die nötige Kühle. Elf verschiedene Bierspezialitäten werden gebraut, rund 90.000 Hektoliter Bier pro Jahr ausgestoßen. Für eine kleine Brauerei eine beachtliche Menge. Hopfen und Malz kommen wie seit Jahrhunderten schon aus der Region. Und auch am Brauverfahren – so behauptet es Zötler – habe sich wenig geändert.
"Wir züchten auch unsere Hefe selber. Wenn wir sie selber züchten wissen wir, dass sie nicht genmanipuliert ist. Und wir können uns den Luxus leisten, dass wir unsere Hefe nur ein Mal verwenden. Die meisten Brauereien verwenden ihre Hefe zehn bis zwanzig Mal und dadurch kann auch so ein leichter Hefegeruch kommen. Die zweite Besonderheit, die unsere Biere auszeichnen ist, dass wir all unsere Biere vier bis fünf Wochen lagern. Auch das machen nur noch wenige Brauereien, einfach weil es viel Bier und Anlagetechnik kostet. Aber die Biere werden insgesamt bekömmlicher, vor allem weil Nebenalkohole durch diese lange, kalte Lagerzeit abgebaut werden."
Ein Aufwand, der sich im Geschmack, allerdings auch im Preis niederschlägt. Eine Kiste Zötler-Bier kostet einige Euros mehr als die der Konkurrenz. Und trotzdem laufen die Geschäfte gut. Der Bräu beschäftigt an die 60 Mitarbeiter, seine Brauerei macht im Jahr rund zehn Millionen Euro Umsatz.
Im Bier-Business herrscht ein knallharter Verdrängungswettbewerb. Immer mehr kleine Brauereien müssen schließen oder werden von den Giganten der Branche einfach geschluckt. Allein in Bayern machten jüngst wieder zwölf Brauereien dicht; gut 600 sind übrig geblieben. Zötler punktet durch Kundennähe: Am Schreibtisch sitzt er in Jeans, am Wochenende aber zieht er im Trachtenanzug übers Land, besucht Bierfeste, Sportveranstaltungen und Gasthöfe – im ständigen Kontakt mit Konsumenten.
"Wir verkaufen auch unser Bier nur 50 Kilometer rund um unseren Schornstein. Also wir kennen unsere Kunden, wir kennen die Probleme, die die draußen haben. Zum Teil haben auch schon die Eltern mit uns zusammengearbeitet. Wir können von daher auch ganz andere Lösungen anbieten wie es eine Großbrauerei, die in Hamburg sitzt oder in Bremen oder schon in München, weil die nicht so nah ihr Ohr am Markt haben. Und wir können viel schneller reagieren. Also da kommt ein Problem zu mir vom Fahrer oder vom Außendienstler, das wird entschieden und dann laufen am nächsten Tag die Uhrwerke an. Und es geht nicht an irgendeinen Aufsichtsrat und muss genehmigt werden oder sonst was."
Dabei zögerte Zötler lange, ins Geschäft des dominanten Vaters einzusteigen. Er studierte lieber Volkswirtschaft in Freiburg und fing in Stuttgart als Steuerberater an. Erst 1992 übernahm er die Geschäftsleitung. Der Senior, 81 Jahre alt, arbeitet noch halbtags in der Brauerei mit - so wie es die Schwester, der Schwager und die Kinder tun. Sohn Niklas wird den Familienbetrieb vielleicht mal übernehmen. Dem Vater kann Zötler noch heute dankbar sein. Denn der Senior führte Erfrischungsgetränke ein; Mineralwasser und Säfte, die an die 40 Prozent zum Betriebsumsatz beisteuern. Und er baute schon früh eine neue Abfüllanlage ein – eine Millionen-Investition, die schon viele kleine Brauereien finanziell in den Ruin trieb. An Expansion aber denkt der Allgäuer Brauer nicht – noch nicht.
"Wenn man heute wächst, dann wenn irgendein Kollege aufgibt, und sagt, mach du für mich weiter, nimm meine Kunden. Das ist eine Möglichkeit, aber mit so etwas rechne ich jetzt nicht. Wenn es kommt, dann kommst. Ich denke mal, wir sind im Allgäu ganz gut aufgestellt und haben auch einen guten Namen und das wirkt sich eigentlich immer mehr aus. Also in schwierigen Zeiten wie jetzt gerade, auch in für die Gastronomie schwierigen Zeiten greifen Hotelier vor allem auch auf Lieferantenpartner wie ins zurück."
Der agile Brauereichef versteht sich als Manager. Sein Vater war noch Braumeister; dem Junior sind Finanzen und Marketing wichtiger. Nicht Bier zu brauen, sondern zu verkaufen, sagt er, heißt heute die Kunst. Auch deshalb sorgt er immer wieder PR in eigener Sache. Als "Dosenjäger vom Allgäu" betitelte ihn 1995 das "Manager-Magazin". Damals rief er die "Dosenfreie Zone Allgäu" aus und versammelte sich mit neun anderen Brauern vor dem Bonner Ministerium der damaligen Umweltministerin Angela Merkel zum Anti-Dosen-Schwur. Seit einem Jahr, seit bekannt ist, dass er das wohl älteste deutsche Familienunternehmen leitet, geben sich Reporter nationaler Zeitungen bei ihm wieder die Klinke in die Hand. Und ein erster Werbespot, der die 559 Jahre währende Brautradition zum Thema macht, läuft seit Weihnachten im lokalen Fernsehprogramm.
"Wir fangen jetzt an, das auch werblich nach außen zu tragen. Und ich denke, das spielt eine große Rolle, dass eben schon 20 Generationen in uns Vertrauen gesetzt haben. Und das offensichtlich nicht enttäuscht worden ist, sonst gebe es die Brauerei nicht mehr. Das sind Werte die heute nicht mehr selbstverständlich sind: Ehrlichkeit, Fairness, die Leute wissen, dass wir nur gute Rohstoffe verwenden, dass man mit uns reden kann, dass wir Leute zum Anfassen sind – eben wie eine Familie. Und das sind, glaube ich, Mosaiksteine für die Zukunft, damit unsere Geschäfte noch besser laufen."
"Tradition kann etwas Schönes sein", sagt Zötler, "wenn aber die Zahlen nicht mehr stimmen, wird Tradition zum Klotz am Bein". Denn geht es der Brauerei gut, profitiert ganz Rettenberg davon. Wenn er Fehler macht, trifft es alle in der 4000-Seelen-Gemeinde; einem Dorf, in dem jeder jeden kennt.
"Ich denke, es wird zur Last oder zur Bürde, wenn es nicht so gut läuft. Aber vor der Situation war ich – toi, toi, toi – war ich noch nicht. Wenn man als Bräu wie ich in diesem Dorf aufgewachsen ist, und es läuft einfach nicht mehr so mit der Brauerei, und man muss sich überlegen, ob man sie verkauft oder zumacht, dann wird es schwierig hier zu leben. Mit der Last eben derjenige zu sein, der es nicht mehr geschafft hat."