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Deutschlands Atomausstieg ist Vorbild für viele Schweden

Während Schwedens Umweltminister die deutsche Energiewende als kurzsichtigen Populismus geißelt - Schweden ist vom Ausstieg ausgestiegen - sieht das die Anti-AKW-Bewegung vor Ort ganz anders.

Von Alexander Budde |
    Nachhaltige Politik sieht anders aus, meint Schwedens Umweltminister Andreas Carlgren. Die jüngste Kehrtwende der deutschen Energiepolitik könne er nicht mehr nachvollziehen. Dem globalen Klima sei damit nicht geholfen, schimpft der sonst so bedächtige Zentrumspolitiker.

    "Auch wir Schweden ziehen unsere Lehren aus Fukushima. Aber wir verfolgen eine langfristige Strategie, mit der wir uns aus der Abhängigkeit von der Kernkraft lösen wollen. Wir müssen die Energiewende meistern und zugleich unseren Ausstoß an Klimagasen reduzieren. Deutschland gibt mit seinem überstürzten Beschluss keine Antwort auf diese doppelte Herausforderung.
    Das Land wird nun mehr Kohlekraftwerke bauen. Und seinen Atomstrom aus Frankreich beziehen."

    Als Betreiber deutscher Atomkraftwerke muss der schwedische Staatskonzern Vattenfall mit erheblichen Verlusten rechnen. Die Zeche werden am Ende aber Industrie und Verbraucher in ganz Europa zahlen, prophezeit Björn Karlsson, Professor für Energietechnik an der Uni Linköping. An ihrer Energiebörse Nord Pool handeln Norwegen, Dänemark, Schweden und Finnland untereinander. Über Kabel sind aber auch die Niederlande und Deutschland verbunden. Energieintensive Unternehmen ordern langfristige Lieferungen zum Festpreis. Und wenn die Nachfrage nach Öko-Strom steigt, wird der Markt reagieren.

    "Ich glaube, es wird noch ein böses Erwachen geben, wenn die Strompreise anziehen. Erinnern wir uns nur an den letzten Winter, als die Preise hoch waren. Damals mussten viele Firmen ihre Produktion drosseln. Und wenn wir das nun dauerhaft so haben, dann ist das ein Nachteil im Wettbewerb. Dann werden Firmen ihren Standort ins Ausland verlegen."

    Vor mehr als drei Jahrzehnten malten Tarja Hartikainen und Lasse Karlsson Protestplakate gegen die Atomanlagen, sammelten Unterschriften für den Volksentscheid zum Atom-Ausstieg, regten sich über immer neue Zwischenfälle in den Meilern von Vattenfall auf. Und als die Volkskampagne gegen Kernkraft unlängst zu einer überschaubaren Protestkundgebung in Stockholm mobilisierte, da waren die Veteranen, beide hoch in den Siebzigern, natürlich auch dabei.

    "Atomenergie bedeutet tödliche Strahlung, das ist nichts, was wir uns wünschen. In Schweden haben wir vielleicht keine Erdbeben. Aber menschliches Versagen können auch wir nicht ausschließen."

    "Hier in Schweden war die Zentrumspartei lange Jahre eine treibende Kraft im Kampf gegen das Atom. Doch dann hat sie die Seiten gewechselt – und fortan war die Debatte klinisch tot. Nach Fukushima verstehen auch die jungen Leute, wovon wir reden. Und die Mahnwachen in Deutschland haben uns neuen Schwung gegeben."

    Die Bürgerlichen wollen ausbauen, die rot-grüne Opposition hält am Atomausstieg fest. Zu neuem Tatendrang fühlt sich insbesondere Åsa Romson ermutigt.
    Die Juristin, Jahrgang 1972, wurde auf einem Parteitag vor zwei Wochen zur neuen Vorsitzenden der Grünen gewählt. Die Schweden litten unter steigenden Strompreisen, weil ihre Alt-Meiler mehr Pannen als Strom produzieren, lästert sie. Die technische Innovation finde woanders statt.

    "Wenn die Kernkraft keine Energiequelle mit Zukunft ist, dann muss man sie abwickeln. Die Deutschen haben das sehr gut durchdacht. Sie setzen auch auf das Einsparpotenzial. Wir Schweden aber hinken beim Ausbau erneuerbarer Energiequellen wie Sonne, Wind und Biogas meilenweit hinterher.

    "Die Deutschen weisen uns den Weg. Wir haben der Regierung vorgeschlagen, die beiden ältesten Reaktoren sobald wie möglich vom Netz zu nehmen."