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Deutschlands Osten

Bisky, Thierse, Birthler - für die Hamburger Vortragsreihe wurden viele Prominente eingeladen. Sie sollen über Erfahrungen, Erwartungen und Befindlichkeiten der Menschen in den alten und neuen Bundesländern referieren und diskutieren.

Von Ursula Storost |
    "Für mich war es deshalb besonders interessant, weil ich selber die letzten Jahre in den neunen Bundesländern gelebt habe, davor aber in Bayern geboren bin und auch dort länger gelebt habe. Und diese Skepsis, die immer noch sowohl in den neuen wie in den alten Bundesländern gegenüber der Wiedervereinigung da ist, einfach von beiden Seiten miterlebt habe."

    Mit konzipiert wurde die Reihe Deutschlands Osten von der Kulturmanagerin und Juristin Ulrike Pluschke von der Bucerius Law School. Sie ist für das dort obligatorische Studium generale zuständig und hat die Veranstaltungen bewusst im Hinblick auf diese allgemein bildenden Studieninhalte gestaltet.

    "Viele unserer Studierenden sind Anfang oder Mitte der 80er Jahre geboren, haben die deutsche Teilung gar nicht mehr aktiv erlebt, das war ein Aspekt, den wir aufarbeiten wollten, die deutsch-deutsche Geschichte. Aber wir wollten auch einen Beitrag leisten sich einmal über die deutsche Identität Gedanken zu machen, sich zu überlegen, was macht uns eigentlich aus als Deutsche. Gibt es Unterschiede zwischen einer spezifisch Ostdeutschen oder einer westdeutschen Identität."

    Der Historiker Philipp Christian Wachs von der Hamburger Zeit-Stiftung legte bei der Entwicklung der Reihe besonderen Wert darauf, die falschen Vorstellungen und die wirklichen Alltagserfahrungen der Menschen transparent zu machen. Es sind zum Beispiel nicht immer schematische Lebenswege. Nicht alle gutausgebildeten jungen Leute ziehen in den Westen. Es gibt auch solche, die vom Westen in den Osten gehen und sich dort wohl fühlen, sagt er.

    "Ich glaube, es ist schon viel geholfen, wenn man sich davon verabschiedet, dass es einfach Lösungen für diesen vielschichtigen Prozess deutsch-deutschen Zusammenwachsens gibt. Es ist öfters zu hören, dass es nur an der wirtschaftlichen Entwicklung hängt, an der demografischen Entwicklung hängt. Ich glaube das greift zu kurz und wenn unsere Reihe einen Zweck haben kann, dann dafür zu werben, dass die Sicht der Dinge nicht so einfach ist, sondern dass es eben sehr differenziert und vielschichtig ist wie eigentlich alles im menschlichen Leben."

    Einer der sich mit dem schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Wiedervereinigung beschäftigt, ist Rüdiger Pohl. Er ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Halle. Der gebürtige Westdeutsche lebt und lehrt seit mehr als zehn Jahren in Deutschlands Osten:

    "Als das 1989/1990 alles passierte hat es natürlich in Ostdeutschland eine schockartige Entwertung aller in der DDR erworbenen Qualifikationen, Traditionen und Institutionen gegeben. Das heißt die Leute haben plötzlich das, was sie über die Jahrzehnte gelernt haben, gewöhnt waren, nicht mehr vorgefunden. Wir Westdeutschen haben unsere Institutionen völlig unbeschadet in die Wiedervereinigung gebracht. Und die Anpassungslast lag im Osten. Das ist natürlich für viele Leute auch eine Überforderung gewesen, der sie sich nicht gewachsen zeigten und die bis heute nachwirkt."

    Der ostdeutsche Lebensstandard liegt heute bei achtzig Prozent des westdeutschen Niveaus. Die Menschen sind nicht arm, sie haben mehr als vor der Wende, konstatiert Rüdiger Pohl. Aber es ist eben nicht genauso wie im Westen . Und das, sagt er, erzeugt Spannungen.

    "Da gibt es immer noch Mehrheiten, die den Sozialismus gut finden, wir haben eine Mehrheit in Ostdeutschland von Menschen, die sich schlecht behandelt fühlen, ungerecht behandelt fühlen, die glauben, ihr Anteil am Gesamteinkommen in Deutschland ist zu gering. Das ist eine Haltung des Selbstmitleids, der Resignation, der Frustration, die sie auch über die Medien vermittelt bekommen."

    Nach dem Motto "bad news are good news" berichten die Medien über den Osten meistens in Moll: Firmenpleiten, höhere Abgaben und weniger Sozialleistungen. Dazu kommt, dass viele Menschen dort das Gefühl haben nicht wirklich an den politischen Entscheidungen beteiligt zu sein. Zwar ist unsere Bundeskanzlerin eine Ostdeutsche - aber in Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und großen Unternehmen sitzen mehrheitlich Westdeutsche in den Führungsetagen. Das, so Rüdiger Pohl, erzeugt eine antiwestliche Haltung.

    "Dann kommt hinzu, dass der Osten eine Art Minderwertigkeitskomplex mit sich rumschleppt. Es ist so, dass die großen Milliardenbeträge auch heute noch vom Westen in den Osten fließen, ohne die die Sozialversicherungsträger überhaupt nicht überleben könnten. Und dieses Gefühl praktisch von Transfers abhängig zu sein, was ja in großem Maße der Fall ist, erzeugt natürlich nicht gerade ein Selbstbewusstsein."

    Eine zentrale Aufgabe sieht Rüdiger Pohl darin, diese Transferabhängigkeit zumindest zu reduzieren. Und er hält es für äußerst wichtig in der ostdeutschen Gesellschaft ein gutes Klima zu fördern.

    "Die Ostdeutschen machen einen großen Fehler, wenn sie dieses Gefühl des Zukurzgekommensein, dieses Gefühl der Unterlegenheit weiter pflegen, sag ich mal. Weil das bedeutet natürlich sie haben überhaupt keine Anreize im gesellschaftlichen Umfeld für junge Leute zu sagen: Nein, wir bleiben hier. Und auf die Dauer wirkt das natürlich auch für Investoren abschreckend. Also schlechte Stimmung in einer Region ist etwas, was sich verstärkt. Aber da muss man natürlich auch politisch führen und man kann da nicht nur wenn man über die Sozialhaushalte reden, sondern man muss auch reden darüber wie man Haushalte hinkriegt, die die Gegend attraktiv halten, so dass also die Leute bleiben können."

    Statt nur in den Kategorien möglichst umfassender Sozialleistungen zu denken, müssten die Länder und gemeinden auch in Infrastruktur, in Kultur und Tourismus investieren, fordert Rüdiger Pohl. Nur so haben viele Regionen in Ost und West eine Zukunft.

    "Natürlich muss man in Ostdeutschland zusehen, dass man die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen verbessert, aber dies muss in einem gesamtdeutschen Kontext stehen. Wenn nach Deutschland insgesamt keine Investoren kommen, kommen auch keine nach Ostdeutschland. Und insofern ist diese Haltung, dass der Osten gegen den Westen antritt und der Westen gegen Osten völlig kontraproduktiv. Entweder werden wir gemeinsam in eine bessere Zukunft kommen oder wir schaffen es gemeinsam nicht. Jedenfalls nicht als Einzelkämpfer in einer Region."

    Vor diesem Hintergrund ist es besonders fatal, dass auch im Jahr 16 nach der Wiedervereinigung die alten und die neuen Bundesländer immer noch auseinanderdividiert werden. In Statistiken, politischen Darstellungen und allen Umfragen werden Ost und West fein säuberlich getrennt. So als ob es nur ein Ost- und West- aber kein Nord- und Süddeutschland gäbe, konstatiert Rüdiger Pohl.

    "Es ist weder so, dass in Ostdeutschland es an allen Ecken und Enden gleich ist, also zwischen Leipzig und der Uckermark liegen eben wirtschaftliche gesellschaftliche Unterschiede allergrößten Ausmaßes. Dasselbe ist aber zwischen München und dem Emsland auch der Fall. Und insofern bin ich auch nicht glücklich darüber, wenn wir immer wieder dieses Ost-West-Thema so spielen, dass es ein Deutschland gibt und da gibt es ein Regionalproblem und das muss man in dieser Region regeln. Aber selbst die Bundesregierung macht ja immer noch Jahresberichte über den Aufbau Ost. Also selbst dort ist diese gesamtdeutsche Sicht nicht so verbreitet wie man sich das eigentlich wünschen würde."