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Deutungskampf im Islam
"Der Täter rief Allahu Akbar"

In Glücksmomenten rufen Menschen im arabischen Sprachraum "Allahu Akbar". In der westlichen Welt erlangte die Formel traurige Bekanntheit, weil sie immer wieder von Terroristen verwendet wurde. Der islamische Theologe Mouhanad Khorchie fordert deshalb: Muslime sollten das "Allahu Akbar" den Extremisten entreißen.

Von Christian Röther | 15.03.2017
    Irakische Soldaten und Mitgliedern privater Milizen, die auf Regierungsseite kämpfen, tragen am 31. März 2015 in Tikrit die Flagge des Irak während eines Kampfes gegen den sogenannten "Islamischen Staat" . Auf der Flagge ist der arabischen Ausdruck "Allahu Akbar" zu lesen.
    Irakische Soldaten und Mitglieder privater Milizen im Kampf gegen den "Islamischen Staat" - auf der Flagge zu lesen auf Arabisch: "Allahu Akbar" (picture alliance / dpa / Str)
    Ausschnitte aus der Tagesschau aus dem vergangenen Jahr:
    "Der Angreifer habe 'Allahu Akbar' gerufen..."
    "Er soll Rufe abgesetzt haben: 'Allah ist groß, ihr Ungläubigen'."
    "Der Täter habe dabei auf Arabisch 'Gott ist groß' gerufen."
    "Augenzeugen berichten, der Täter habe 'Allahu Akbar' gerufen, 'Allah ist groß'."
    "Er soll, wie wir mittlerweile hören, auch noch 'Allahu Akbar' gerufen haben."
    "Dabei habe er mehrfach 'Allahu Akbar' gerufen..."
    Allahu Akbar – darüber schrieb kürzlich die Süddeutsche Zeitung:
    "Der Begriff klingt mittlerweile wie eine Art Chiffre, um eine Gewalttat religiös zu legitimieren."
    Die arabische Formel werde aber auch anders verwendet, so die Süddeutsche:
    "Wenn Kinder in Syrien verschüttet geborgen werden, rufen die Leute 'Allahu Akbar'. Sie preisen Gott für das Wunder, danken seiner Gnade."
    "Gott ist größer als"
    "Allahu Akbar" ist ein zentraler Ausspruch im Islam. Verschiedene Übersetzungen sind möglich: "Gott ist groß", "Gott ist größer" oder "Gott ist am größten". Oder auch, wenn man "Allah" nicht übersetzen möchte: "Allah ist groß", "Allah ist größer", "Allah ist am größten".
    Alle drei Übersetzungen sind sprachlich korrekt, sagen Arabisten, denn "Allahu Akbar" ist grammatikalisch nicht eindeutig. Deshalb ist jede Übersetzung immer auch eine Interpretation. Mouhanad Khorchide leitet in Münster das Zentrum für Islamische Theologie. Er interpretiert die zwei Wörter so:
    "Allahu Akbar wird sehr oft übersetzt in 'Gott ist der Größte', aber 'Akbar' heißt nicht 'der Größte', sondern 'größer als'. Also, Allahu Akbar heißt: 'Gott ist größer als' – und es geht nicht weiter, um genau das zu sagen, was zum Beispiel ein christlicher Theologe vor vielen Jahren gesagt hat: 'Gott ist immer größer als gedacht werden kann.' Anselm von Canterbury, das ist ja seine Formel in seinem ontologischen Gottesbeweis. Und so verstehe ich Allahu Akbar: Gott ist größer, als dass wir Menschen ihn wirklich erfassen können. Er bleibt immer größer als unser Denkvermögen. Wir sind bedingt und Gott ist das Unbedingte. Wir können Gott nicht erfassen, wir können uns ihm nur annähern."
    "Gott ist immer größer als unser Denkvermögen"
    Mouhanad Khorchide ist ein liberaler, reformorientierter islamischer Theologe – und als solcher unter Muslimen umstritten. Seine Übersetzung von "Allahu Akbar" mit "Gott ist größer als" ist ein Kompromiss aus den beiden gängigen Übersetzungen: 'Gott ist größer' und 'Gott ist am größten'.
    Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster.
    Prof. Dr. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster. (Deutschlandradio)
    Die Formel "Allahu Akbar" ist wichtig im Islam. Der Gebetsruf beginnt mit ihr, auch jede Einheit im rituellen Gebet. Allahu Akbar ist zu lesen auf Nationalflaggen – etwa auf den Flaggen von Iran, Irak und Afghanistan. Mouhanad Khorchide hingegen betont eine andere Bedeutung von "Allahu Akbar".
    "Das hat eine starke spirituelle Bedeutung, um den Gläubigen daran zu erinnern, demütig zu bleiben, nie zu glauben: 'Ich bin im Besitz der absoluten Wahrheit.' Denn die absolute Wahrheit ist Gott; und Gott ist immer größer als unser Vermögen und unser Denkvermögen. Deshalb müsste man immer demütig bleiben im Auftreten nicht nur gegenüber Gott, sondern auch gegenüber seinen Mitmenschen. Gerade Extremisten höhlen das aus, den Begriff von seiner spirituellen Bedeutung."
    "'Allahu Akbar' wird von Extremisten missbraucht"
    Rufe 'Allahu-Akbar', Schüsse
    Bärtige Männer brüllen "Allahu Akbar" und feuern mit Maschinengewehren. Das Internet ist voll von Videos wie diesem. Unter anderem die Terrormiliz "Islamischer Staat" veröffentlicht diese Propaganda. Mouhanad Khorchide erklärt, wie – aus seiner Sicht – der IS und andere Dschihadisten "Allahu Akbar" verwenden:
    "Es ist so eine Formel geworden um zu sagen: 'Das tun wir im Namen dieses großen Gottes.' Also: 'Der befiehlt uns das und das, was wir jetzt machen, ist nicht einfach unser Menschenwerk, sondern das entspricht dem Willen Gottes; und deshalb ist es gesegnet und es ist auch richtig so.' Diese religiöse Formel, gerade 'Allahu Akbar', wird so missbraucht, um dem Ganzen eine göttliche, eine absolute Legitimation zu geben und zu suggerieren: 'Das tun wir im Auftrag Gottes. Und deshalb darf man dem nicht widersprechen, sonst würde man Gott widersprechen. Man legt sich mit Gott an, wenn man sich mit uns anlegt.'"
    "Das ist nicht Gott, der hier seine Größe zeigt, sondern das ist der Teufel"
    Der Deutungskampf um den Ausspruch "Allahu Akbar" spiegelt den Deutungskampf im Islam selbst wider. Reformorientierte Muslime wie Mouhanad Khorchide betonen das Spirituelle, legen die Religion so aus, dass sie im Einklang mit den Menschenrechten steht. Dschihadisten wollen das Gegenteil: Eine kriegerische Ideologie, um die Welt ihrem archaischen Islam zu unterwerfen. Mouhanad Khorchide appelliert deshalb an Muslime, sich den Extremisten entgegenzustellen – nicht nur bei der Auslegung von 'Allahu Akbar':
    "Wenn jemand kommt und sagt: 'Im Namen Gottes bringe ich jemanden um', das sieht man ja öfters bei IS und anderen, bevor sie jemandem den Kopf abhacken oder so, dass sie 'Allahu Akbar' sagen. Würden die Muslime alle laut schreien und sagen: 'Nein, das ist nicht Gott, der hier seine Größe zeigt, sondern das ist der Teufel, der gerade seinen Hass zeigt. Und wir wollen unsere Religion da in Schutz nehmen, indem wir die Spiritualität hinter diesem Begriff und hinter religiöser Praxis zeigen.' Wir brauchen viel mehr Spiritualität heute."