Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Devin Townsend
Das musikalische Chamäleon

Der kanadische Gitarrist und Sänger Devin Townsend spielt mal Extreme-Metal, dann experimentellen Progressive- oder Country-Rock. Gerade ist Townsends 19. Soloalbum erschienen mit prominenten Gastmusikern, Chor, Orchester und gleich drei Schlagzeugern. Ein atemberaubendes wie überbordendes Gesamtergebnis.

Von Kai Löffler | 07.04.2019
    Ein mann mit einer Gitarre steht auf einer Bühne.
    Devin Townsend ist auf Unplugged Tour in Deutschland (imago stock&poeple (Zuma Press))
    Musik: "Genesis"
    Devin Townsend beschreibt sein neues Album "Empath" als eine Art Midlife Crisis. Wo andere sich einen Sportwagen kaufen, versammelt er eine Gruppe versierter Musiker um sich, um ambitionierte Musik aufzunehmen. Der Opener "Genesis" dient als eine Art Ouvertüre und zeigt - nach einem ausgedehnten, entspannten Intro - dass Townsend keinerlei kreative Kompromisse eingegangen ist. Innerhalb weniger Minuten streift er Extreme Metal, Hardrock, Musical, Zappa-esken Prog, New Age Musik, Pop, Funk, Disco, Elektronika und Zirkusmusik.
    Musik: "Genesis"
    Der Rest des Albums hält, was "Genesis" verspricht. "Empath" ist als eine Art Fazit aus Townsends bisheriger Karriere konzipiert. Der Kanadier mischt aber in den zehn Tracks so schamlos Genres, dass es manchmal weniger wie eine Zusammenfassung aus 25 Jahren Devin Townsend klingt, als wie ein Streifzug durch 400 Jahre Musikgeschichte.
    Musik: "Castaway"
    Townsends musikalischer Partner war Gitarrist Mike Keneally, der schon mit Frank Zappa zusammengearbeitet hat, und neben einer langen Karriere als Solokünstler und gefragter Studiomusiker auch live mit Joe Satriani, Steve Vai und Dethklock spielt, einer Art Death Metal Parodie a là Spinal Tap. Aber auch wenn Keneally dem Album seinen Stempel aufgedrückt hat, klingt "Empath" nach ungefiltertem Devin Townsend.
    Ein Mann mit Gitarre sitzt auf einem Hocker.
    Devin Townsend geht keine Kompromisse ein. (Tanya Gosh)
    Musik: "Spirits Will Collide"
    Daneben hat "Heavy Devvy" Bassist Nathan Navarro, ein Orchester und einen sehr guten Frauenchor rekrutiert; Steve Vai spielt ein Solo, Aneke von Giersbergen singt Background und das Schlagzeug ist gleich dreifach besetzt: Samus Paulicelli spielt Death Metal, Anup Sastry vertrackten Prog und Morgan Ågren alles Andere. Herausragend sind alle drei, Ågrens Parts sind vor allem beim Jammen aufgenommen und klingen nach lockerem Jam. Sastry spielt rhythmisch komplexe Parts und Samus Paulicelli die absurd schnellen; besonders bei "Hear Me", dem knüppeligsten Song seit Townsends Strapping Young Lad-Zeit.
    Musik: "Hear Me"
    Ähnlich spektakulär wie Paulicellis Blast Beats ist der Kontrast zum nächsten Song, der geschmetterten Musical-Hymne "Why".
    Musik: "Why?"
    Devin Townsend wird gewöhnlich in die Prog-Schublade gesteckt, und Prog definiert sich gerne als Mischung aus den verschiedensten Musikstilen. Auf "Empath" ist aber auch Prog nur eine von unzähligen Musikschattierungen. Das Pièce de Resistance ist das 20-minütige Epos "Singularity", das letzte Stück des Albums. Hier zieht Devin Townsend nochmal alle erdenklichen Klangregister von Jazz und Thrash bis zu operatischen Rock, der an Yes anno 1972 erinnert.
    Musik: "Singularity"
    "Empath", ein Konzeptalbum über Empathie in einer facettenreichen Welt, ist ein Treffen von Gegensätzen, vor denen selbst der eklektischte Mixtape-Fabrikant seinen Hut ziehen sollte. Townsend war immer schon ein musikalisches Chamäleon, und der ironische Prog-Metal von "Ziltoid the Omniscient" und der Country-Rock von "Casualties of Cool" haben so gut wie nichts gemeinsam. Trotzdem hat er sich hier selbst übertroffen. Ein Album dass mal wie Cannibal Corpse klingt und mal wie der Soundtrack zum "Herrn der Ringe" will erstmal erdacht sein.
    Musik: "Requiem"
    Das Album hat angeblich 18 Monate und viel von Townsends eigenem Geld verschlungen; es ist sein bisher ambitioniertestes Album, eine Odyssee durch seinen eigenen Kopf und eine Reise, die dem Publikum viel abverlangt. Genesis und Singularity sind wie ein stilistischer Schleudergang, und auch der Rest des Albums variiert zwischen karibischem Strand und Folterkammer. Nicht alle Hooks zünden gleichermaßen gut und die ständigen Stilwechsel des Albums können ermüdend wirken, zumindest bis man sich reingehört hat. Trotzdem erzeugt das schiere Maß an Ambition und Kreativität, das Devin Townsend in "Empath" gesteckt hat, ein paar der herausragenden musikalischen Augenblicke seiner langen Karriere. Wenn die Hooks funktionieren, dann sind sie extrem mitreißend und das Gesamtergebnis ist, in Ermangelung eines besseren Wortes, atemberaubend.