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DGB Sachsen-Anhalt: Korrekturen am Hartz-Vier-Gesetz reichen nicht aus

Breker: Die Arbeitsmarktreformen bleiben umstritten, der Ärger über Hartz IV wird die Menschen auch heute auf die Straße treiben. Vor allem in Ostdeutschland werden zehntausende Teilnehmer zu den so genannten Montags-Demonstrationen erwartet. Auch in Berlin und westdeutschen Städten wie etwa Köln und Dortmund sind Kundgebungen geplant. Am Wochenende hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder ein weiteres Mal klar gestellt, dass es trotz aller Kritik keine weiteren Änderungen bei den Arbeitsmarktreformen geben wird. Da hilft auch keine Aufklärungskampagne, denn die Gefühle haben derzeit auf allen Seiten die Oberhand. Am Telefon in Magdeburg begrüße ich nun den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes von Sachsen-Anhalt Udo Gebhard. Guten Tag Herr Gebhard.

Moderation: Gerd Breker |
    Gebhard: Guten Tag nach Köln, Herr Breker.

    Breker: Herr Gebhard, Sie werden sich heute Abend wieder in die Volksfront einreihen und protestieren mit Trillerpfeife?

    Gebhard: Ich werde mich in die Aktivitäten des sozialen Bündnisses Sachsen-Anhalt und des Gewerkschaftsbundes einreihen, wir sind ja seit vielen Montagen auf der Straße. Aber seit den letzten Montagen geht es ja richtig konkret zur Sache, es lassen sich einige Tausende Sachsen-Anhalter bei den Veranstaltungen sehen, die Veranstaltungen nehmen an Dynamik zu, was die Teilnahme anbelangt und auch die Veranstaltungsorte. Aber Volksfront wie gesagt, daran sieht man, in welchen Nöten die Regierung ist und hier spürt man auch den Druck, der auf den Kanzler wartet.

    Breker: Sind Sie denn noch zugängliche für Argumente? Denn viele sagen ja, es sei gar nicht so, dass man im Osten mit der Reform weniger hätte, im Gegenteil, manche sagen, man hätte sogar mehr.

    Gebhard: Ja, die jüngsten Zahlen aus der "Bild-Zeitung", die haben mich heute überrascht. Sie müssen einfach davon ausgehen, dass wir hier ein umgekehrtes Verhältnis zwischen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfeempfängern haben in Ostdeutschland als in den alten Ländern. Wir haben im Bestand der jetzigen Arbeitslosengeld I-Beziehern, wenn Sie so wollen, fast jeden zweiten, der langzeitarbeitslos ist, das heißt hier werden noch 50 Prozent derjenigen auch sukzessive nach einer Übergangszeit nach dem ersten Januar 2005 in das Arbeitslosengeld II fallen. Es sind also wesentlich mehr betroffen und es ist richtig, die Sozialhilfeempfänger stehen sich zum Teil besser, das ist eine Größenordnung bei uns von sechs Prozent. 80 Prozent in Sachsen-Anhalt und in Ostdeutschland verschlechtern sich mit dem Bezug des Arbeitslosengeldes II.

    Breker: Können Sie das noch mal wiederholen, wie viel Prozent verschlechtern sich?

    Gebhard: Wir haben das mal ermittelt nach der so genannten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahre 2002 mit der Erhebung des Bundes- und Landesamtes für Statistik und da kommen wir auf 36 Prozent der AE II-Bezieher, die keine Leistung mehr kriegen und 44 Prozent, die eine geringere Leistung kriegen. Sechs Prozent kriegen eine besser Leistung, das sind im Überwiegenden die Sozialhilfeempfänger. Das sind so die Zahlen, mit denen wir operieren.

    Breker: Das Arbeitslosengeld II ist keine Versicherungsleistung. Ist das den Menschen eigentlich klar, dass hier Steuergelder bereitgestellt werden?

    Gebhard: Ja natürlich. Sie haben aber in der Vergangenheit eine Lohnersatzleistung bekommen in Höhe von 53 oder 57 Prozent, egal ob in einer sogenannten Bedarfsgemeinschaft beide Arbeitslosenhilfeempfänger waren oder einer einen richtigen Full-Time-Job hatte, im Niedriglohnsektor oder in den Flächentarifgebieten, die wir ja auch noch zum Teil haben und der andere dann arbeitslos war. Durch diese Bedarfsgemeinschaften und die Mindestgrenzen, wir haben hier wie gesagt einen Großteil der Familien, die rausfallen aus jeglichem Leistungsbezug, weil es sich um eine Verjährungsleistung handelt, über Steuermittel finanziert, und nicht mehr um eine Lohnersatzleistung. Das bedauern wir sehr und deswegen hat der DGB da von Anfang an auch vehement Widerspruch geleistet und immer wieder gepocht auf die Höhe des Arbeitslosengeldes. Die Höhe ist eines mit der prägnantesten Punkte in dieser Reform.

    Breker: Wenn der Staat Geld bereitstellt, dann kann er doch auch fordern.

    Gebhard: Das kann er. Bloß müssen wir dann nicht nur fordern bei denen, die nichts haben und wo auch staatliche Institutionen wie Sozialämter und Arbeitsämter auch nicht in der Lage sein werden, Arbeit zu schaffen, außer die sogenannten Arbeitsgelegenheiten. Wir müssen einfach hier den Schwerpunkt auf neue Arbeitsplätze orientieren, um den Leuten überhaupt eine Chance zu geben und um teilhaben zu können am Sozialwesen.

    Breker: Aber demonstrieren allein schafft doch keine Arbeitsplätze.

    Gebhard: Nein, wir haben ja auch lange und viel geredet und bei uns, zumindest bei den Veranstaltungen, die wir im Bündnis soziale Bewegung Sachsen-Anhalt und der DBG organisiert, ist Montags Demonstration und von Dienstag bis Freitag wird beraten in einem intelligenten Netzwerk an Beratungsstellen, was wir uns gemeinsam mit dem Sozialverband, mit den kirchlichen Einrichtungen geschaffen haben.

    Breker: Der Hauptgeschäftsführer des deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Lanzberg hat davor gewarnt, dass man Panik macht und Ängste schürt. Sie beruhten hauptsächlich auf falschen Informationen. Er weist daraufhin, dass die Hälfte der sechs Milliarden Euro in den Osten gingen.

    Gebhard: Ich denke nicht, dass man von Panikmache reden kann. Die Menschen kommen aus ihrer Lethargie, man kann fast sagen 14jährigen Passivität heraus auf die Straße. Sie erinnern sich an ihre eigene Biografie. Es ist die Erkenntnis, dass ein Leben lang gearbeitet wurde, dass am Ende Altersarmut droht. All die Dinge bewegen die Leute, da sind natürlich auch Ängste dabei. Aber ich denke mal alle, die da jetzt verantwortungsbewusst auf den Straßen und Plätzen stehen an den Montagen, dass die auf die Sensibilität der Menschen eingehen. Man muss aber die Mentalität der Sachsen-Anhalter, der Ostdeutschen beachten. Man hat mit der '89er friedlichen Revolution sich demokratische Grundsätze auf der Straße erkämpft, aber es ist ihnen in den letzten Jahren ein wesentliches Grundrecht immer vorenthalten worden: Das ist das Recht auf Arbeit. Sie haben ihren Arbeitsplatz verloren und sind damit in soziale Armut gedrängt worden.

    Breker: Nun hat der Bundeskanzler sich festgelegt und auch seine Regierung, dass es keine Änderungen an Harzt IV mehr geben wird. Wird es denn nun den Demonstranten und auch Ihnen vielleicht reichen, wenn die Reichen solidarisch wären und auf eine Senkung des Spitzensteuersatzes verzichten?

    Gebhard: Ich glaube das im Moment nicht, die Situation ist sehr sensibel, die Demonstrationen haben eine Eigendynamik bekommen. Wir haben vorige Woche nach der Kanzlerrunde noch gesagt, vielleicht wäre es klug gewesen, hier ein Moratorium zu verhängen für eine bestimmte Zeit, um für alle Zeit zu gewinnen. Aber der Druck der Straße wird immer deutliche und die Forderungen in den Aufrufen, die wir ja auch für die heutigen Veranstaltungen wieder lesen lauten "Stoppt Hartz IV". Wahrscheinlich wird es auch nicht ausreichen Korrekturen an den Zumutbarkeitsregeln beziehungsweise an der Höhe des Arbeitslosengeldes II vorzunehmen. Ich glaube der Grundtenor auf allen Veranstaltungen lautet "Stoppt Hartz IV".