Samstag, 20. April 2024

Archiv


Diätrezepte für Rauchgaswäsche

Technik. - Kohlekraftwerke werden bis auf weiteres zum Energiemix Deutschlands beitragen - ihren Kohlendioxidemissionen zum Trotz. Mit dem CCS-Verfahren will man das Klimagas aus der Kraftwerksabluft herausfiltern und deponieren, was jedoch energieintensiv ist. Auf einem Symposium der Dechema zum Thema in Frankfurt wurden jetzt Ideen diskutiert, den Verbrauch des Verfahrens zu senken.

Von Volker Mrasek | 23.06.2011
    Das ist das große Dilemma mit CCS: Für sauberen Strom muss ein Gutteil mehr Braun- oder Steinkohle verbrannt werden. Denn die CO2-Abscheidung frisst große Mengen zusätzlicher Energie und vermindert damit den Wirkungsgrad der Kraftwerke beträchtlich. Die ersten Betriebserfahrungen bestätigen das. Zum Beispiel im bisher größten CCS-Pilotkraftwerk. Es steht südlich von Berlin und leistet Megawatt. Betreiber ist der Energiekonzern Vattenfall ...

    "Derzeit haben die Kraftwerke einen Verlust von acht bis zwölf Prozentpunkten ihres Wirkungsgrades."

    Das müsse aber nicht so bleiben, sagt Detlef Stolten, Direktor des Instituts für Energieforschung im Forschungszentrum Jülich. Seine Arbeitsgruppe hat ausgerechnet,

    "daß nur etwa ein bis zwei Prozent Wirkungsgradverlust theoretisch nötig sind, daß es also noch ein großes Fenster gibt, in dem man Kraftwerksoptimierung machen kann und die Einbindung dieses Prozesses damit effizient sicherstellen kann."

    Aus der Theorie ist allerdings längst Praxis geworden:

    "Es gibt Ansätze, diese Wirkungsgradverluste zu minimieren und die Lücke zumindest bis zu einem gewissen Teil zu schließen."

    Viktor Scherer, Meyer-Lindenberg für Energieanlagen und Energieprozesstechnik an der Ruhr-Universität Bochum.

    Gemeinsam leiteten Stolten und Scherer jetzt die Fachtagung über CCS in Frankfurt am Main, organisiert von der Dechema, der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie. Quantensprünge darf man laut Stolten in der CCS-Forschung nicht erwarten. Aber:

    "Wir können hier sehr schöne Fortschritte sehen, eigentlich auf allen Feldern. Bei den Demo-Kraftwerken sehen wir Fortschritte. Und wir sehen auch, daß neue Materialien entwickelt werden auf allen Feldern."

    Beispiel CO2-Rauchgaswäsche. Damit könnte man bestehende Kraftwerke nachrüsten. Ihr Abgas wird dabei in einen Reaktor mit einer Amin-Lösung geleitet. Die bindungsfreudige, stickstoffhaltige Chemikalie wäscht CO2 praktisch aus dem Rauchgasstrom. Doch das Kohlendioxid muss nachher wieder von dem Waschmittel getrennt werden. Das sei sehr energieaufwendig, sagt Viktor Scherer. Doch man könnte den Aufwand offenbar verringern:

    "Dort arbeiten verschiedene Firmen wie die Firma Siemens, um nur ein Beispiel zu nennen, an neuen Waschlösungen. Das wurde auf dieser Konferenz auch präsentiert. Und das Ziel der Firma ist da mittelfristig, auf Wirkungsgradverluste unter acht Prozentpunkte zu kommen, was ein deutlicher Fortschritt ist gegenüber dem Stand der Technik heute bei den Waschverfahren."

    Beispiel Oxyfuel-Technologie. Das ist das Verfahren der Wahl für künftige Kohlekraftwerke. Bei ihnen wären die Anlagen zur CO2–Eliminierung von vornherein integriert. Oxyfuel bedeutet, daß die Kohle nicht in Luft verbrannt wird, sondern mit viel Sauerstoff und ein wenig Rauchgas, das zurückgeführt wird. Dadurch fällt am Ende fast reines CO2 an, das sich gleich verflüssigen und abtransportieren läßt. Der Haken an der Sache: Der Sauerstoff muss irgendwoher kommen. Scherer:

    "Beim Oxyfuel-Prozess wird ja zur Zeit über die Verflüssigung der Luft und anschließende Zerlegung in Stickstoff und Sauerstoff der reine Sauerstoff erzeugt für die Verbrennung. Das ist eben sehr energieintensiv."

    Doch auch hier sieht Viktor Scherer alternative Verfahren auf dem Vormarsch. Ingenieure setzen neuerdings auf Trennmembranen, um den Sauerstoff aus der Luft zu isolieren. Das klappt bei hohen Temperaturen, die im Kraftwerk sowieso anfallen:

    "Nicht in molekularer Form, sondern als Ion wird Sauerstoff transportiert. Und der Stickstoff bleibt auf der anderen Seite der Membran übrig. Es gibt Beispielprojekte in Deutschland, wo Konzeptstudien dazu gemacht wurden. Und da spricht man von Wirkungsgradverlusten in der Größenordnung von sechs Prozentpunkten, was ja doch eine deutliche Reduktion ist gegenüber den zehn Prozentpunkten, die man eben heute hört."

    Noch sind solche Membranen aber nicht kommerziell erhältlich. Und wenn, dann müssen sie erst einmal praktisch in Pilot- und Demo-Kraftwerken erprobt werden. Das kostet Zeit. Und das gilt für jedes neue CCS-Verfahren. Am Ausblick für die CO2-Abscheidung ändert sich deshalb nichts: Wie die Experten glauben, werden klimafreundlichere Kohlekraftwerke mit CCS frühestens 2020 gebaut werden können.