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Dialekte an der Uni

'Wir können alles außer Hochdeutsch?' lautet zurzeit ein Werbeslogan. Dialekte sind wieder in Mode, so scheint's. Die Experten dazu tagen derzeit in Marburg an der Universität. 200 Dialektforscher beschäftigen sich mit dem Thema 'moderne Dialekte'. Philipp Bitterling: 'Wir können alles außer Hochdeutsch?' lautet zurzeit ein Werbeslogan. Wenn man sich das so anhört, dann man ja glatt denken, Dialekte seien wieder wahnsinnig in Mode. Die Experten dafür tagen zur Zeit in Marburg an der Universität. 200 Dialektforscher beschäftigen sich mit dem Thema 'moderne Dialekte'. Einer von ihnen ist jetzt am Telefon. Das ist Professor Joachim Hergen vom Deutschen Sprachatlas. Herr Professor Hergen, kommen die Dialekte jetzt zurück?

    Professor Joachim Hergen: Ja, das ist gar nicht falsch, was Sie gerade gesagt haben mit dem Dialekt und der Mode. Man kann nicht direkt sagen, dass die Dialekte in Mode kommen. Aber dass sie nun alle aussterben, wie manche das noch vor ein paar Jahren gedacht haben, so ist es nun auch nicht. Es wird sicherlich im Süden und in der Mitte Deutschlands mehr Dialekt gesprochen als im Norden. Im Süden und in der Mitte haben wir das systematisch untersucht. Wir stellen fest, dass man von einem Absterben des Dialektes überhaupt nicht reden kann, sondern dass der Dialekt in den entsprechenden Situationen, das sind Situationen des unmittelbaren nachbarlichen oder freundschaftlichen Gespräches, im Süden Deutschlands eine sehr gute Überlebenschance hat.

    Bitterling: Wie kann denn das sein. Früher haben ja die Menschen in kleineren Lebensräumen gewohnt. Heute reisen die Leute quer durch die Republik. Dann müsste doch eigentlich Hochdeutsch die Sprache sein.

    Hergen: Dazu fällt mir zweierlei ein. Gerade durch das nationale und internationale Reisen suchen die Menschen in gewisser Weise auch nach Identität. Es ist ja vielleicht gerade so, wenn wir den Eindruck haben, dass unsere politischen Organisationen in internationalen Organisationen aufgehen und dass immer mehr Entscheidungsbefugnis zu nationalen und internationalen Organisationen geht, dann entsteht bei den Menschen vielleicht auch eine Sehnsucht nach Nähe und nach Identität. Das kann auch eine regionale Identität sein. Zu dieser regionalen Identität trägt der Dialekt möglicherweise bei. Ich möchte noch eine zweiten Gedanken anfügen. Es ist allerdings tatsächlich so, dass wir nicht mehr einen Zustand wie vor hundert Jahren haben, wo wir es mit einem kleinen lokalen Dialekt zu tun hatten. Sondern es geht gewissermaßen eine Entwicklung von dem Ort zur Region. Unsere heutigen Dialekte werden also immer mehr zu regionalen Dialekten.

    Bitterling: Ich persönlich komme aus Schleswig-Holstein. Da habe ich festgestellt, dass es dort sehr viele Dialektkurse gibt. Kann man mit solchen Kursen die Dialekte erhalten und die Verbreitung denn auch fördern?

    Hergen: Ehrlich gesagt, glaube ich daran nicht so richtig. Ich glaube, dass der Dialekt, die Regionalsprache eine Chance hat, wenn sie für die Menschen eine echte Funktion erfüllt. In dem Moment, wo man eine systematische Dialektschule oder Dialektpflege betreibt, dann ist das zwar eine schöne heimatbezogene Aktivität, aber ob man damit wirklich etwas im Dialektalen wiederbelebt, was in der realen Kommunikation nicht mehr da ist, das möchte in Frage stellen.

    Bitterling: Stichwort: Hochschule. Das ist ja aufgrund der Vielzahl der Studierenden ein regelrechter Melting Pot der deutschen Sprache. Entstehen da auch neue und moderne Dialekte?

    Hergen: Na ja, das sind dann zunächst einmal jugendsprachliche Phänomene. Das sind Mischungserscheinungen. Diese Jugend-, Schüler und Studentensprache ist ja schon immer hoch innovativ. Heutzutage spielt da auch die Internet- und Chat-Kommunikation eine große Rolle. Das sind dann letztlich keine traditionellen Dialekte mehr. Aber wir beobachten durchaus, und einige unserer Kollegen haben das untersucht und auch hier auf unserem Kongress darüber berichtet, dass beispielsweise in diesen Chat Rooms im Internet das dialektale auch eine gewisse Rolle spielt. Auch dort scheint man sich in dieser weiten Welt der virtuellen Medien ganz gern ein bisschen regional selbst zu markieren.

    Bitterling: Vielen Dank, Herr Professor Doktor Hergen!