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Dialog der Disziplinen

Genua, Piazza San Lorenzo. Mitten im historischen Zentrum der Hafenstadt. Auf dem Platz erhebt sich "mock up", ein Werk des US-amerikanischen Architekturen Frank O. Gehry. Eine Skulptur aus Eisen, Stahl und Zement, neun Meter hoch und auf den ersten Blick Furcht einflößend. Ein Kunstwerk, mit dem Gehry beweisen will, dass ein Architekt auch ein Künstler ist, der, ohne eine komplettes Gebäude zu errichten, einen öffentlichen Raum verändert kann. Mit einer Skulptur beispielsweise.

Von Thomas Migge |
    Auf der Piazza Fontana Marose steht eine andere Skulptur - nicht weniger augenfällig. Baumeister Hans Hollein ließ einen Zugwaggon, der einmal Petroleum transportiert hatte, in leuchtender Goldfarbe anstreichen und mitten auf dem Platz aufstellen. Auch Rem Koolhass und Renzo Piano entwarfen Skulpturen, die auf Genueser Plätzen und in Parkanlagen stehen. Diese Werke gehören zu der vielleicht wichtigsten Ausstellung Genuas im Jahr als europäische Kulturhauptstadt. Dazu der römische Kunsthistoriker und Ausstellungsberater Paolo San Vito:

    Es herrscht immer noch die Ansicht vor, dass es einen Unterschied zwischen denjenigen gibt, die ein Gebäude errichten und jenen, die es mit Kunst verzieren. Das ist ein gewaltiger Irrtum. Diese Kunstschau beweist, dass seit Beginn des letzten Jahrhunderts die absolute Trennung zwischen Architekten und Künstlern langsam aber sicher überwunden wird. Man kann heute nun wirklich nicht mehr sagen, dass die anderen Künste der Architektur gegenüber weniger wichtig sind.

    Die Kunstschau in Genau zeigt anhand eines Parcours durch die Stadt und durch den Palazzo Ducale in welchem Masse Architektur und Kunst heute miteinander verflochten sind. Neben den Skulpturen von Piano und anderen Architekten hatten 50 Künstler, Baumeister und Fotografen die Möglichkeit, riesige Wandflächen mit Fotografien zu schmücken. Die Bilder von Greg Lynn und Massimo Scolari, von Jean Nouvel und anderen zeigen, wie große Fotografien einen Platz oder eine Reihe von Häuserfassaden verändern, beeinflussen können. Im Palazzo Ducale wird diese Beeinflussung besonders deutlich: dicht an dicht haben die Ausstellungsmacher hunderte von architektonischen Entwürfen, von Ölbildern, Grafiken und Zeichnungen, Fotografien und Modellen, die sich mit dem Bauen beschäftigten, nebeneinander gestellt. Von Künstlern des Futurismus, der russischen Avantgarde, des Konstruktivismus, des Expressionismus, des Surrealismus und so weiter - bis hin zu den Neorealisten und Postmodernen. Diese Art der Ausstellung soll verdeutlichen, dass Kunst und Architektur heute wieder eins sind. Paolo San Vito:

    Das ist einer der wichtigsten Punkte der Renaissance und auch des Barock, aber auch der Epochen davor: ein Baumeister war auch Künstler und umgekehrt. Wer sich für diesen Beruf entschied, studierte nicht nur die Baukunst, sondern alle Künste. Die Trennung der Disziplinen wurde erst mit Napoleon vollzogen, der die Ingenieurwissenschaften mit den Architekten zusammenlegte und von den anderen bildenden Künsten trennte.

    Eine Trennung, die das ganze 19. Jahrhundert andauerte und erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwunden wurde. Zunächst von den Futuristen. Die Ausstellung im Palazzo Ducale zeigt Entwürfe für Häuser in Buchform von Depero, die Projekte von Balla und anderen Futuristen. Die Schau zur, wie es im Katalog heißt, "stetigen Symbiose von Architektur und Kunst" ist wie eine "Jam Session" organisiert: die zeitliche Chronologie der Beziehungen beider Kunstformen wird immer wieder von Variationen zum Thema unterbrochen. Von zum Teil gigantischen Installationen, zum Beispiel von dem Architekten und Designer Alessandro Mendini. Oder von Skulpturen - wie dem elf Meter langen Wohn-Fisch von Frank O. Gehry, der an der Decke des Innenhofes des Palazzo Ducale hängt.

    Die Ausstellung macht deutlich, dass im Laufe des vergangenen Jahrhunderts Architekten zunächst mit den Künsten spielten - wie im Fall der Futuristen. Dass sie die Künste ideologisch nutzten - im Kommunismus und Faschismus. Dass sie die rationalistischen Bewegungen der bildenden Künste in Architektur umsetzten - wie beispielsweise, erklärt Kunsthistoriker Paolo San Vito, bei Mies van der Rohe, der sich von Mondrian beeinflussen ließ:

    Es gibt noch keine komplette Symbiose zwischen Architekten und Künstlern. Auch nicht in der Ausbildung. Aber immer mehr Architekten suchen den Kontakt zu Künstlern und verstehen sich als Künstler. Calatrave oder Gehry sind gute Beispiele dafür. Ihre Bauten sind Skulpturen. Ein Trend, der sich immer mehr Raum verschafft. Wie in der Vergangenheit.