Bislang vorwiegend mit historischen Ereignissen wie der jüdischen Diaspora verknüpft, der oftmals der Ruf eines messianischen Sendungsbewusstseins anhing, erfährt der Begriff Diaspora heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine enorme Erweiterung seines Bedeutungsspektrums. Es geht nicht mehr nur um soziale und kulturelle Aspekte dieser Gemeinschaften, sondern mehr und mehr um Politische. Jede noch so kleine Gruppe mit gemeinsamen Interessen bezeichnet sich heute als Diaspora. Bayern in Berlin, Münchner auf Elmau, Schwule unter Heteros, Punks unter Hip Hoppern - der Begriff Diaspora droht zu einer Worthülse zu werden oder ganz zu verschwinden. "Früher betraf diese Existenzform nur Minderheiten, doch wir erleben eine Demokratisierung und Verallgemeinerung dieses Phänomens", so das Credo vom Podium.
Für Historiker wie Professor Dan Diner von der Universität Leipzig ist Diaspora im strengen Sinne, das heißt eine autonome Gemeinschaft mit eigenen Regeln wie sie die Donauschwaben in Ungarn oder die Griechen in der Antike am Schwarzen Meer hatten, im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr vorstellbar. Ginge man noch einen Schritt weiter, dann hieße das mit der schrittweisen Auflösung dieser Gemeinschaften nach innen, wächst ihre politische Bedeutung nach außen. Denn der intensive Heimatbezug ist geblieben, oft stellt sich nur die Frage: Stimmt diese Heimat noch mit der realen Heimat überein? Saskia Sassen führte die politische Ausrichtung einer Diaspora darauf zurück:
Es gibt eine tiefgehende Kränkung oder symbolische Wunde, die dieser Gruppe als Gemeinschaft zugefügt wurde. Den Einzelnen sieht man das wahrscheinlich überhaupt nicht an, weil es nicht um das Individuum geht, sondern um die Gruppe. Die Menschen fühlen sich sogar zu Hause, sind Staatsbürger geworden, dennoch gibt es kein Zuhause für sie.
Sami Zubaida vom Londoner Zentrum für Studien des Nahen und Mittleren Ostens, selbst Inder in Großbritannien, illustrierte diese Transformation des Heimatbildes in der Diaspora sehr anschaulich, indem er auf den kulinarischen Aspekt hinwies: Indische Restaurants wurden von bengalischen Muslimen erfunden und haben nahezu keine Gemeinsamkeit mit traditionellen Essgewohnheiten des Herkunftslandes. Das Bild, das oftmals der 2. oder 3. Generation von Emigrantenkinder wie auch dem Gastland vermittelt wird, ist ein Idealbild, das gerade heute immer weniger den tatsächlichen Umständen in der Heimat entspricht. Ein Phänomen, das mittlerweile sogar Transformationsprozesse in den Ursprungsländern bewirkt. Keine Minderheitengruppe eines Landes ist vielfach so einflussreich wie zurückkehrende Emigranten oder deren Kinder. Man denke nur an die lettische Präsidentin oder den litauischen Präsidenten. Aufgrund der Idealisierung überlieferter Traditionen des fernen Ursprungslandes, wie es auch die jüdischen Gemeinschaften vor der Gründung Israels taten, eröffnen sich neue Perspektiven für die Weiterentwicklung einer stagnierenden Gesellschaft, man denke an den nicht zu unterschätzenden Einfluss deutschstämmiger Türken auf die Türkei, oder der Mexikaner auf die USA, so Roger Brubaker von von der University of California in Los Angeles:
Sie sind auf vielfältige Weise in kulturelle oder politische Projekte ihrer Heimat involviert. Bei uns in Los Angeles leben so viele Menschen aus Mexiko, die an Projekten in Mexiko arbeiten. Das sind die so genannten Transnationalen, wie sie in der Soziologie beschrieben werden. Sie sind entweder in politische, ökonomische oder andere Projekte in ihren Heimatorten eingebunden, obwohl sie in Los Angeles leben. Sie leben gewissermaßen in einer transnationalen Existenz und das wird immer mehr.
An eine endgültige Rückkehr mag von den Minderheitengruppen jedoch keiner denken, so Sami Zubaida:
Von unseren empirischen Studien her wissen wir, dass die meisten Menschen einer Diaspora nicht zurück nach Hause gehen. Aber der Gedanke daran, einmal zurückzukehren bleibt als eine Art Traum. Sie sind emigriert um Geld zu verdienen, eine Ausbildung für sich oder ihre Kinder zu bekommen. Selbst wenn sie diese Möglichkeit auch in der Heimat gehabt hätten, sie würden nicht wieder zurückkehren.
So paradox das klingen mag, die Stilisierung der eignen Herkunft bildet die Grundlage für die Identität einer Minderheitengruppe. Selbst Deutschen im Ausland ergeht es oftmals so, das ihr Verhältnis zur Heimat mit zunehmendem Entfernung von einem idealisierten Bild bestimmt wird. "Menschen, die in der Diaspora leben, sind an mehreren Orten zu Hause und kennen gleichzeitig mehrere Loyalitäten", stellte Ulrich Beck fest und griff damit das aktuelle Phänomen der langsamen Veränderung der Diaspora hin zu transnationalen Gemeinschaften auf, Gemeinschaften, wie die deutschstämmigen Türken in Deutschland, sich zu zwei Staaten bekennen. Das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft ist für Steven Vertovec der Beweis für einen Übergang aus der Diaspora im herkömmlichen Sinne hin zu transnationalen Gemeinschaften - nicht zuletzt durch das Internet:
Das ist ein ganz wichtiger Punkt und ein Teil der Globalisierung. Das zeigt doch, dass Globalisierung nicht nur wirtschaftliche Transaktionen betrifft, sondern vor allem die Beziehungen zwischen Menschen. Immer mehr Diasporas, die isoliert waren vom Herkunftsland, nehmen mit Hilfe des Internet, der Medien oder Satellitenschüsseln den Kontakt mit der Heimat oder anderen Diasporas wieder auf, Das ist eine ganze neue Entwicklung. Globalisierung ist vor allem die Intensivierung unterschiedlichster Verbindungen, sei es auf wirtschaftlicher Ebene, zwischen ethnischen Gruppen oder sozial engagierten Gruppen.
Hieß Diaspora in den 60er Jahren für türkische Gastarbeiter in Deutschland noch eine soziale Abkoppelung von der Heimat, so stellt sich für die mittlerweile dritte Generation junger Türken gar nicht mehr die Frage nach der Abkoppelung von einem Staat. Vielmehr gewinnt das Land der Eltern und Großeltern immer mehr an Bedeutung - eine konfliktreiche Entwicklung. Der Umgang mit dem Phänomen Diaspora beschäftigte schließlich auch Richard Sennett, einen der Vordenker der aktuellen Soziologie. Eine Gruppe, die in der Diaspora lebt und ihre Herkunft idealisiert, hat seiner Meinung nach keine Chance auf Eingliederung und Teilhabe an der Steuerung des Gemeinwesens, in der sie lebt. Das, und hier wurde Sennett deutlicher, sei die Tragödie eines Großteils der islamischen Einwanderer nach Europa, dem sich die Politik der Zukunft stellen müsste.
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Für Historiker wie Professor Dan Diner von der Universität Leipzig ist Diaspora im strengen Sinne, das heißt eine autonome Gemeinschaft mit eigenen Regeln wie sie die Donauschwaben in Ungarn oder die Griechen in der Antike am Schwarzen Meer hatten, im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr vorstellbar. Ginge man noch einen Schritt weiter, dann hieße das mit der schrittweisen Auflösung dieser Gemeinschaften nach innen, wächst ihre politische Bedeutung nach außen. Denn der intensive Heimatbezug ist geblieben, oft stellt sich nur die Frage: Stimmt diese Heimat noch mit der realen Heimat überein? Saskia Sassen führte die politische Ausrichtung einer Diaspora darauf zurück:
Es gibt eine tiefgehende Kränkung oder symbolische Wunde, die dieser Gruppe als Gemeinschaft zugefügt wurde. Den Einzelnen sieht man das wahrscheinlich überhaupt nicht an, weil es nicht um das Individuum geht, sondern um die Gruppe. Die Menschen fühlen sich sogar zu Hause, sind Staatsbürger geworden, dennoch gibt es kein Zuhause für sie.
Sami Zubaida vom Londoner Zentrum für Studien des Nahen und Mittleren Ostens, selbst Inder in Großbritannien, illustrierte diese Transformation des Heimatbildes in der Diaspora sehr anschaulich, indem er auf den kulinarischen Aspekt hinwies: Indische Restaurants wurden von bengalischen Muslimen erfunden und haben nahezu keine Gemeinsamkeit mit traditionellen Essgewohnheiten des Herkunftslandes. Das Bild, das oftmals der 2. oder 3. Generation von Emigrantenkinder wie auch dem Gastland vermittelt wird, ist ein Idealbild, das gerade heute immer weniger den tatsächlichen Umständen in der Heimat entspricht. Ein Phänomen, das mittlerweile sogar Transformationsprozesse in den Ursprungsländern bewirkt. Keine Minderheitengruppe eines Landes ist vielfach so einflussreich wie zurückkehrende Emigranten oder deren Kinder. Man denke nur an die lettische Präsidentin oder den litauischen Präsidenten. Aufgrund der Idealisierung überlieferter Traditionen des fernen Ursprungslandes, wie es auch die jüdischen Gemeinschaften vor der Gründung Israels taten, eröffnen sich neue Perspektiven für die Weiterentwicklung einer stagnierenden Gesellschaft, man denke an den nicht zu unterschätzenden Einfluss deutschstämmiger Türken auf die Türkei, oder der Mexikaner auf die USA, so Roger Brubaker von von der University of California in Los Angeles:
Sie sind auf vielfältige Weise in kulturelle oder politische Projekte ihrer Heimat involviert. Bei uns in Los Angeles leben so viele Menschen aus Mexiko, die an Projekten in Mexiko arbeiten. Das sind die so genannten Transnationalen, wie sie in der Soziologie beschrieben werden. Sie sind entweder in politische, ökonomische oder andere Projekte in ihren Heimatorten eingebunden, obwohl sie in Los Angeles leben. Sie leben gewissermaßen in einer transnationalen Existenz und das wird immer mehr.
An eine endgültige Rückkehr mag von den Minderheitengruppen jedoch keiner denken, so Sami Zubaida:
Von unseren empirischen Studien her wissen wir, dass die meisten Menschen einer Diaspora nicht zurück nach Hause gehen. Aber der Gedanke daran, einmal zurückzukehren bleibt als eine Art Traum. Sie sind emigriert um Geld zu verdienen, eine Ausbildung für sich oder ihre Kinder zu bekommen. Selbst wenn sie diese Möglichkeit auch in der Heimat gehabt hätten, sie würden nicht wieder zurückkehren.
So paradox das klingen mag, die Stilisierung der eignen Herkunft bildet die Grundlage für die Identität einer Minderheitengruppe. Selbst Deutschen im Ausland ergeht es oftmals so, das ihr Verhältnis zur Heimat mit zunehmendem Entfernung von einem idealisierten Bild bestimmt wird. "Menschen, die in der Diaspora leben, sind an mehreren Orten zu Hause und kennen gleichzeitig mehrere Loyalitäten", stellte Ulrich Beck fest und griff damit das aktuelle Phänomen der langsamen Veränderung der Diaspora hin zu transnationalen Gemeinschaften auf, Gemeinschaften, wie die deutschstämmigen Türken in Deutschland, sich zu zwei Staaten bekennen. Das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft ist für Steven Vertovec der Beweis für einen Übergang aus der Diaspora im herkömmlichen Sinne hin zu transnationalen Gemeinschaften - nicht zuletzt durch das Internet:
Das ist ein ganz wichtiger Punkt und ein Teil der Globalisierung. Das zeigt doch, dass Globalisierung nicht nur wirtschaftliche Transaktionen betrifft, sondern vor allem die Beziehungen zwischen Menschen. Immer mehr Diasporas, die isoliert waren vom Herkunftsland, nehmen mit Hilfe des Internet, der Medien oder Satellitenschüsseln den Kontakt mit der Heimat oder anderen Diasporas wieder auf, Das ist eine ganze neue Entwicklung. Globalisierung ist vor allem die Intensivierung unterschiedlichster Verbindungen, sei es auf wirtschaftlicher Ebene, zwischen ethnischen Gruppen oder sozial engagierten Gruppen.
Hieß Diaspora in den 60er Jahren für türkische Gastarbeiter in Deutschland noch eine soziale Abkoppelung von der Heimat, so stellt sich für die mittlerweile dritte Generation junger Türken gar nicht mehr die Frage nach der Abkoppelung von einem Staat. Vielmehr gewinnt das Land der Eltern und Großeltern immer mehr an Bedeutung - eine konfliktreiche Entwicklung. Der Umgang mit dem Phänomen Diaspora beschäftigte schließlich auch Richard Sennett, einen der Vordenker der aktuellen Soziologie. Eine Gruppe, die in der Diaspora lebt und ihre Herkunft idealisiert, hat seiner Meinung nach keine Chance auf Eingliederung und Teilhabe an der Steuerung des Gemeinwesens, in der sie lebt. Das, und hier wurde Sennett deutlicher, sei die Tragödie eines Großteils der islamischen Einwanderer nach Europa, dem sich die Politik der Zukunft stellen müsste.
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