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Dichtender Naturforscher

Noch als alter Mann soll Adelbert von Chamisso französisch gezählt und auch geträumt haben. Einer der erfolgreichsten deutschen Dichter kam als Flüchtling ins Land und mühte sich viele Jahre mit der deutschen Sprache. 1781 wurde der Naturforscher und Verfasser der berühmten Novelle "Peter Schlemihls wundersame Geschichte" geboren.

Von Eva Pfister | 30.01.2006
    Seine Gedichte fehlten in keinem Schulbuch, man schenkte sie sich zu Weihnachten, Robert Schumann hat sie vertont. Dabei war Adelbert von Chamisso, einer der großen deutschen Lyriker des 19. Jahrhunderts, mit elf Jahren als Flüchtlingskind über die Grenze gekommen.

    Louis Charles Adélaïde de Chamissot kam am 30. Januar 1781 auf Schloss Boncourt in der Champagne zur Welt. Nach der französischen Revolution irrte die Familie mehrere Jahre durch die Niederlande und Deutschland, bis sie schließlich 1796 nach Berlin gelangte. Dort wurde der Jüngste, der sich nun Adelbert nannte, Page der Königin Friederike Luise. Mit 17 Jahren trat er in die preußische Armee ein, wo er es zehn Jahre lang aushielt, obwohl sein Sinn nicht nach Disziplin stand:

    "Dieser Beruf verdorrt den Geist und tötet das Herz."

    So klagte Chamisso, der sich doch gerade in die Welt des Geistes und der Poesie gerettet hatte. Er schwärmte für Jean-Jacques Rousseau und begann im Kreise von Romantikern Gedichte zu schreiben. Zwischen Frankreich, wo seine Familie inzwischen wieder lebte, und Deutschland reiste er hin und her; er fühlte sich zwischen allen Stühlen:

    "Ich bin ein Franzose in Deutschland und ein Deutscher in Frankreich, Katholik bei den Protestanten, Protestant bei den Katholiken, Weltmann unter den Gelehrten und Pedant unter den Leuten von Welt, Jakobiner bei den Aristokraten und bei den Demokraten ein Adliger… Ich bin nirgends am Platze, ich bin überall fremd."
    Immer wieder fand Adelbert von Chamisso starke Bilder für seine schwebende Existenz, das berühmteste davon im Jahr 1813 mit der Novelle "Peter Schlemihls wundersame Geschichte": Für viel Gold verkauft Schlemihl dem Teufel seinen Schatten, aber er muss erfahren, dass er trotz seines Reichtums von der menschlichen Gesellschaft gemieden wird. Interessanterweise schrieb Chamisso dieses abgründige Märchen zu einer Zeit, als er für sich eine andere Art von Bodenhaftung gefunden hatte. Bei einem Aufenthalt am Genfersee entdeckte er nämlich das Botanisieren:

    "…denken Sie mich, da Sie diese Zeilen lesen, die Kapsel auf dem Rücken, das Buch in der Tasche, den Stab in der Hand, allein auf Felsengesimsen, zwischen Wolken, Gletschern, Bergströmen und Abgründen"

    In Berlin studierte Chamisso Botanik, Zoologie und Anatomie. Aus dem Krieg zwischen Preußen und Frankreich hielt er sich raus.

    "Brenne, massakriere, wer da Lust hat, vorderhand seziere ich die Toten und lasse es dabei bewenden."

    Seine große Chance kam 1815: Chamisso konnte als Naturforscher an einer dreijährigen russischen Expedition teilnehmen. Von dieser Weltreise brachte er Beobachtungen über Pflanzen und Meerestiere mit, die ihm akademischen Ruhm einbrachten und nicht zuletzt ein Amt am Berliner Botanischen Garten, das ihm im Alter von 38 Jahren endlich erlaubte, eine Familie zu gründen.

    Seine Frau war fast 20 Jahre jünger und hatte mit Poesie wenig im Sinn. Seine oft etwas überschwänglichen Liebesgedichte soll sie mit den Worten kommentiert haben: "Wie kann man aber auch so verliebt sein." Chamisso wurde nun ein geachteter Naturforscher und Vater von sechs Kindern. Erst 1831 veröffentlichte er seinen ersten Lyrikband, mit 50 Jahren, als er das Dichten nur noch als gelegentliches Hobby betrieb.
    "Ich singe noch ein Lied, wenn es mir gerade einfällt, und ich sammle sogar diese Zeitrosen zu einem eigenen Herbario, für mich und meine Lieben auf künftige Zeit…"

    Berühmt wurde er vor allem mit seinen Liebesgedichten, was ihm später den Ruf eines unpolitischen Biedermeierdichters eintrug. Aber Adelbert von Chamisso war auch ein begeisterter Verfechter der liberalen Ideen, und einige seiner Gedichte weisen mit ihrem sozialkritischen Inhalt auf die politische Lyrik des Vormärz hin.

    "Willst deines Hauses Glanz du aufrecht halten - ?
    Laß rosten deiner Väter Schild und Schwert;
    Die tun es nicht, die geben nicht den Wert,
    Die Zeit ist abgelaufen, wo sie galten."