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Dichter 2.0

Das Schreiben hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Es wird getwittert, gebloggt, gesimst und geflarft. Sind Twitter-Account, Facebook-Profil oder auf Computer-Algorithmen basierende Poesie aus Suchmaschinen die Zukunft der Belletristik?

Von Christine Kewitz | 13.12.2012
    spontan hätte ich wohl lust
    als wilder mustang durch brandenburg zu reiten,
    bis zum haaransatz voll adrenalin, ohne siege und hurra.

    neben mir der junge matschke, weiter
    zwei volksdeutsche aus odessa: trotz ihrer großen
    blauen augen eine tief im schädelknochen eingeritzte furche.


    Alexander Gumz ist Lyriker und Veranstalter beim Texttonlabel KOOK. Er schreibt klassische Gedichte und Flarf-Poesie. Für ein Flarf-Gedicht werden zwei bis drei möglichst unterschiedliche Worte in die Google-Suchmaschine eingegeben. Die Textzeilen der Suchergebnisse kopiert der Dichter 2.0 in ein Word-Dokument und collagiert sie.

    Hier waren es die Worte: Berlin, Haaransatz und Prärie.

    sie fährt auf die stadtautobahn, zieht rasch
    das jeanshemd aus. der ganze zauber
    eines leichten nebels.


    "Wie viel hast du da selber noch dazugedichtet?"

    "Nahezu nichts. Vielleicht drei Worte oder so. Also du kannst mal ein "und" oder so dazu oder mal ein "dann" oder aus einem Singular einen Plural machen wenn’s besser passt oder so, aber im Prinzip ist das 95 Prozent gefundenes Material."

    Und es geht noch einfacher: Wer gar nicht selbst schreiben will, gibt einfach mal "Lyrikmaschine" in die Suchmaske ein oder geht auf googlepoetics und lässt das Netz für sich arbeiten.
    Aber wo bleibt da die Kunst? Ist das nicht ein von Maschinen generiertes Gedicht auf Niveau eines Groschenromans - ohne Gefühle ohne kreative Leistung?

    Stephan Porombka ist Professor für Literatur und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim und Mitorganisator von litflow. Einer Konferenz zum Thema "nächste Literatur".

    "Wir dürfen uns nicht den Blick zustellen mit alten Formaten, wir erkennen die Neuen nicht. Und ich glaube auch, dass das was wir aus der alten Perspektive als flach, als mainstreamig, als was auch immer identifizieren mögen, dass das unser Urteil ein bisschen trübt. Weil wir dann immer an den Sachen vorbei schauen. Und nicht richtig hingucken und wenn wir nicht richtig hingucken unter Umständen auch nicht richtig machen können."

    Ein Twitter-Account oder ein Facebook-Profil ist die Zukunft der Belletristik. Schwer zu glauben, aber möglicherweise wahr.
    Stephan Porombka.

    "Man muss erst mal grundsätzlich sagen, wir alle erzählen da Stories. Das fällt uns auch auf, also an uns selbst auf, weil wir uns inszenieren wie man dann sagt. Nur muss man natürlich unterscheiden, es gibt immer Leute, die das offensiver machen und die ein Bewusstsein davon haben und das ausspielen. Also poetischer damit umgehen oder reflexiver damit umgehen und es gibt Leute, die damit weniger reflexiv umgehen, die das dann einfach so machen. Spannender sind natürlich die Leute, die so kleine Schreibprojekte haben oder so kleine Inszenierungsprojekte haben und das dauernd vorführen, wie sie sich vorführen."

    Die Eitelkeit hat’s im Netz natürlich schwer. Denn Originalität und Urheberrecht sind in einer Welt, in der Gedichte aus Collagen, Kommentaren und Dekonstruktionen entstehen, kaum zu halten. Eitelkeit wird ersetzt durch Netzwerk und die Unsterblichkeit des Werkes durch ein kurzfristiges prominentes Aufblitzen.

    "Da gibt es eine grundsätzliche, epochale, paradigmatische Verschiebung als würde man immer stärker auf die Jetztzeit schauen. Also ob man jetzt gelesen wird und ob man jetzt eine Reaktion bekommt und ob man jetzt weiterverarbeitet wird. Deswegen sind die "Likes" so interessant, das ist die unmittelbare Rückmeldung. Große Autoren definieren sich innerhalb dieser Netzwerke viel stärker, viel stärker über Momentanes. Über eine momentane Rückkopplung und nicht über Nachhaltigkeiten, die über 100 Jahre oder 200 Jahre gerechnet werden."

    Natürlich wirft das neue Fragen im Urheberrecht auf und gibt der Diskussion über künstlerischen Diebstahl neuen Zündstoff.
    Der Lyriker Alexander Gumz findet: die Literatur hat da noch einigen Aufholbedarf.

    "Diese ganze Authentizitätsdebatte in diesem trivialen und irgendwie zu kurz gegriffenen Sinn, die ist ja seit den 80ern von Hip Hop kommend über die ganze Sample-Geschichte in der Popmusik überhaupt nicht mehr gegeben. Also das ist ja völlig behind the times und jetzt lernen die Leute vielleicht, dass man so ein bisschen mal über den Tellerrand des nur eigenen Literaturbetriebs rüber gucken muss und schauen was in anderen Künsten passiert."

    Stephan Porombka nutzt das Internet wie eine reich bestückte Bibliothek. Für ihn können gar nicht genug Menschen ihre abenteuerlichen Geschichten, ausgedachten Tagebücher und witzigen Kurznachrichten im Netz verbreiten.

    "Je länger man dabei ist, umso interessanter werden die Projekte. Man kann viele Leute rausnehmen, die einen nicht mehr interessieren, das ist wie so ein bisschen Goldwäscherei natürlich. Goldwäscherei wie bei Büchern eben auch. Und dadurch steigt die Qualität. Und wenn man dann erst mal eingestiegen ist und etwa bei Facebook mit guten Leuten befreundet ist oder bei Google Plus oder bei Twitter mit guten Leuten "vertwittert" ist, wie ich immer sage, dann ist das einfach groß."


    Links:

    FLARF the pain away bei Litradio

    Texttonlabel KOOK

    Googlepoetics

    Litflow