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Dichter des deutschen Proletariats

Er schrieb über alles und jeden, seine Texte waren frech, direkt und ironisch, was ihm zum Feuilletonchef der von Karl Marx herausgegebenen "Neuen Rheinischen Zeitung" machte: der deutsche Kaufmann, Journalist und Schriftsteller Georg Weerth. Seine Werke sind allesamt Musterstücke der Lyrik im Vormärz.

Von Christian Linder | 30.07.2006
    Das Lied des Weber-Aufstandes war auch Georg Weerths Erkennungsmelodie. Als "den ersten und bedeutendsten Dichter des deutschen Proletariats" hat Friedrich Engels Weerth bezeichnet. Die beiden hatten sich in England kennen gelernt, wo Weerth, am 17. Februar 1822 in Detmold als Sohn eines Superintendenten geboren, und gelernter Handelskaufmann seit 1843 in einer Textilfirma in Bradford arbeitete.

    Nebenbei schrieb er. Zum Beispiel über den englischen Manchester-Kapitalismus, und wurde in Deutschland gedruckt, in der "Kölnischen Zeitung" - die fromme Mutter in Detmold schämte sich deshalb für ihren Sohn, empfand seine Artikel als "gemeine Machwerke" und "appellierte an sein Gewissen".

    Doch der Sohn scherte sich nicht um die ihm aus Detmold zugetragenen schriftlichen Bitten. Im Gegenteil: er geriet - allerdings ohne großen Vorsatz, denn er liebte seinen Handelskaufmann-Beruf, der ihm das Reisen erlaubte - immer tiefer in den Journalismus. Und wurde, nachdem er neben Engels auch Karl Marx persönlich kennen gelernt hatte, Feuilletonchef der von Marx geleiteten "Neuen Rheinischen Zeitung".

    Weerth schrieb über alles und jeden. Frech kamen seine Texte daher, direkt und ironisch und aufmüpfig: Reportagen, Reisefeuilletons, Gedichte, die oft als Volkslieder aufgemacht waren, geschrieben in der Tradition des von Weerth bewunderten Heinrich Heine - ohne dessen Artistik allerdings zu erreichen. Gedichte wie "Das Hungerlied", die die Literaturgeschichte später eingereiht hat in die Musterstücke der Lyrik des Vormärz.

    Gepackt vom Revolutionsfieber des Jahres 1848, nannte Georg Weerth sich selbst einen "Lumpen-Kommunisten" - die Mutter in Detmold war wieder entsetzt. Er freue sich von Herzen, dass er ein Proletarier sei, der "Religion, Eigentum und Vaterland mit bescheißen" helfe, bekannte Weerth.

    Ein Mann wie Georg Weerth war natürlich ganz nach dem Geschmack von Karl Marx, und dass die "Neue Rheinische Zeitung" in Deutschland derartiges Aufsehen erregte, lag nicht nur an den politischen Kommentaren von Marx, sondern auch am offenen, oft rüde-burschikos daherkommenden Feuilleton, dessen fleißigster Mitarbeiter der Chef selber war.

    Anders als Marx, schrieb Weerth weniger theoretisch. Ihn interessierte mehr die Welt als praktisches Geschäft, indem er zum Beispiel in den bürgerlichen Zeitungen gedruckte Anzeigen analysierte oder sich satirisch in die Weltpolitik Amerikas einmischte.

    Aber nicht die große Weltpolitik brachte Georg Weerth in Bedrängnis, sondern die kleindeutschen Zustände: Durch seinen in der "Neuen Rheinischen Zeitung" gedruckten Fortsetzungsroman "Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski" - 1849 auch als zu Lebzeiten Weerths einzig veröffentlichtes Buch vom Verlag Hoffmann und Campe gedruckt - handelte Weerth sich eine Anzeige wegen Verleumdung ein. Denn der berühmte Ritter war für jedermann erkennbar als der stock-konservative preußische Fürst Ernst Lichnowski. Und als dieser 1948 in Frankfurt auf offener Straße gelyncht wurde, revanchierte sich die Justiz und verurteilte Georg Weerth zu dreimonatiger Haft im Kölner Klingelpütz.

    Weerth zog sich anschließend aus dem literarischen Journalismus zurück - weil mit dem Ende der 48er Revolution auch sein Forum, die "Neue Rheinische Zeitung" zu existieren aufgehört hatte - und wurde wieder, sehr zur Freude seiner Mutter, ein Reisender in Handelssachen. Er arbeitete zunächst noch einmal in England, übernahm dann eine Agentur in der Karibik und bereiste von dort aus ganz Südamerika. Ein einziges Mal kam er noch nach Europa zurück und besuchte 1855 Karl Marx. Über diesen Besuch berichtete Marx Ferdinand Lassalle:

    "Weerth ist jetzt wieder in Manchester. In acht Tagen wird er von hier aus aufs Neue nach den Tropen absegeln. Es ist sehr amüsant, ihm zuzuhören. Er hat viel gesehen, erlebt und beobachtet, großen Teil von Süd, West- und Mittelamerika durchstreift, zu Pferde die Pampas durchritten, den Chimborasso erstiegen, nicht minder in Kalifornien sich aufgehalten. Wenn er jetzt keine Feuilletons schreibt, spricht er sie dafür, und da hat der Zuhörer den Vorzug der lebendigen Aktion, der Mimik und des schalkhaften Lachens. Übrigens schwärmt er sehr für das Leben in Westindien und ist keineswegs auf den Menschenkehricht und das Wetter des hiesigen nordischen Klimas gut zu sprechen."

    Draußen in der Welt hatte der einstige Schriftsteller und Journalist Georg Weerth einen Traum:

    "Die geschäftige Nichtigkeit seines Ichs, erlebte sich selbst als hinausgelangt in die empfundene Fähigkeit zu Frieden und Reinheit. Zu einem dem Begehren wie dem Abscheu Entrücktsein, zum seligen Befreitsein von der Persönlichkeit."

    Gestorben ist Georg Weerth am 30. Juli 1856, in Havanna auf Cuba, erst 34 Jahre alt, an Gelbfieber.