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Dichter in New York

"Die New Yorker Morgenröte/ hat vier Säulen aus Morast/ und Orkane schwarzer Tauben,/ die in den Kloaken plätschern./ Die New Yorker Morgenröte/ stöhnt auf endlos langen Treppen,/ stöbert zwischen Häuserkanten/nach den Narden schemenhafter Angst. Die New Yorker Morgenröte kommt,/doch kein Mund nimmt sie auf, denn dort ist gar kein Morgen und keine Hoffnung möglich."

Hans-Jürgen Schmitt |
    Federico Garcia Lorcas "Dichter in New York" , entstand in seinen Hauptteilen um 1929/ 1930. Nach 52 Jahren erschien nun eines der meist gelesenen und meistdiskutierten Gedichtbücher des 20. Jahrhunderts endlich in neuer Übertragung von Martin von Koppenfels. Das Buch war in seiner ersten deutschen Übersetzung 1948 neben Rilkes Duineser Elegien, T.S. Eliots Poem Das wüste Land. und Ezra Pounds Pisaner Gesänge trotz seiner problematischen Übersetzung für die lyrikbegeisterten Generationen eine Offenbarung. Auch Bertolt Brecht war von Lorcas Lyrik beeindruckt und notierte 1950 in seinem Arbeltsjour-nal mit der ihm eigenen Dialektik:

    "Ich blättere in lorcas gedichten in der mäßigen Übertragung durch beck. ich lese mit genuß, halte aber verschiedentlich ein, wie unsere werktätigen zu solchem genuß kommen könnten..."

    Heinrich Beck, der seinen Vornamen aus Liebe zu Spanien und Lorca in Enrique verwandelt hatte, ließ seinem lyrischen Genußverlangen freien Lauf. Er stieß während des Spanischen Bürgerkriegs, wo er Mitglied der "Vereinigten Marxistischen Arbeiterpartei" war, auf Gedichte Lorcas. 1945 erreichte er durch Vermittlung von Thomas Mann, daß Lorcas Bruder Francisco in den USA ihm, Beck, die Rechte aller Übersetzungen an Lorcas Werk übertrug. Aber auch mit Becks Tod 1974 konnte ein Neuanfang nicht gemacht werden; denn der Übersetzer hatte mit einer in der Schweiz gegründeten Stiftung, die seinen Namen trägt, seine Übersetzungen wie Autorenurheberrechte offenbar ad infinitum festschreiben lassen. Erst 1998 gelang es mit einem richterlichen Beschluß, den Weg für neue Übersetzungen frei zu machen. Der Suhrkamp Verlag, der von Rowohlt die ersten Übersetzungen Becks übernommen hatte und fernerhin wohl nicht schlecht an Lorca durch Becks Übersetzungen verdient hatte, nahm dessen Versionen daraufhin aus dem Programm. Was wiederum die Beckstiftung nicht daran hinderte, die Theaterstücke weiter über einen Bühnenvertrieb anzubieten.( Wohl auch auf Druck der Erben Lorcas, die Autorenrechte erlöschen nämlich im Jahr 2006)

    Soweit die Ausgangslage, um die Neuübersetzung eines immer wieder mit Spannung zu lesenden Gedichtbuches zu verstehen. Martin von Koppenfels verdanken wir eine sehr subtile und dem Original würdige Version des "Dichters in New York". Und nicht nur das. Koppenfels, der offensichtlich auch den Philologen und Literaturkritiker in sich vereint, was nicht selbstverständlich und auch nicht Voraussetzung fürs Übersetzen ist, liefert ein glänzendes, ein bravouröses Nachwort, in dem er Widersprüche und Ungereimtheiten (sie l)des Dichters Lorca anhand des Buches Dichter in New York diskutiert. Damit eröffnet er, ohne akademisch-philologisch zu wirken, für Lorca-Leser neue Zugänge, die gelegentlich durch mythisierende Rezeptionen verdeckt waren. Etwa, weshalb Lorcas getragener Ton - zum Glück , wie wir meinen - immer "einen Sprung" hat. So etwa der Anfang des Gedichts Schlaflose Stadt mit dem den Ort präzisierenden Untertitel(Brooklyn-Bridge-Nocturne)

    "Niemand schläft im Himmel. Niemand, niemand. Niemand schläft./Die Mondgeschöpfe schnüffeln und schleichen um die Hütten./Lebende Leguane werden kommen und die Menschen beißen, die nicht schlafen,/und wer auf der Flucht ist mit gebrochenem Herzen,/ wird finden an den Straßenecken/das unglaubliche Krokodil, still unter zartem Protest der Sterne."

    Man merkt es sofort: Lorca hat eben nicht Hölderlins oder Walt Whitmans die Welt umschlingenden, pathetischen Hymnus-Gestus erreicht, sondern: was Lorca nicht erfassen will und kann - Ich löse mich in alles auf -, "spaltet er ab", sagt Koppenfels - nach der Devise, wie es in einer Gedichtzeile heißt: "Das Leben ist kein Traum.Alarm! Alarm! Alarm!" Man muß hier die Umstände der Entstehung dieser Gedichte erwähnen. Garcia Lorca kam 1929 nach New York; in Spanien schon von Ruhm mit seinen Theaterstücken überhäuft, hatte er allerdings von seinen besten Freunden Luis Bunuel und Salvador Dali in Madrid herbe Kritik einstecken müssen. Sie fanden seine Zigeunerromanzen konventionell, ein "Scheißbuch" (Bunuel). Verlassen zudem von dem Bildhauer Emilio Aldren, kam zur Formkrise eine Liebeskrise hinzu. Und als er in New York eintraf, prallte er auf eine ihm gänzlich fremde Kultur. Schon etliche der Titel signalisieren diesen Schock, aber sie zeigen auch sogleich, daß er nicht mehr der andalucista, also nur der andalusische Dichter sein wollte, wie man ihn polemisch zu begrenzen versucht hatte:

    "Landschaft mit Menschenmenge, die sich erbricht; Landschaft mit uriniernder Menschenmenge; Mord; Blindes Panaromana von New York."

    In einem erst kürzlich aufgefundenen Interview, das Lorca 1935 der trotzkistischen katalanischen Zeitschrift L'hora gab, erklärt er unter anderem:

    "Ich war erschreckt, als man mir sagte, daß es in den USA 12 Millionen Arbeitslose gibt...und daß dieses Problem nur ganz oberflächlich zur Kenntnis genommen wird ... und niemand das Gefühl für menschliche Solidarität aufbringt...Die, die nur meine frühere literarische Produktion kennen, wird das neue Buch nicht gefallen. Sie glauben wahrscheinlich, daß es eine totale Abkehr ist, eine gänzlich anderer Weg. Aber im innersten Grunde bin ich der gleiche wie in meinen ersten Versen. Nur die Umstände haben mich gezwungen, diese Position einzunehmen. Ohne die poetische Sprache aufzugeben, mit der ich im innersten zufrieden bin, rede ich von einer Menge von Dingen, die ich in den letzten fünf Jahren erlebt habe."

    Das mag ein wenig Selbststilisierung sein; denn die neuen Gedichte sprechen ja keineswegs nur von der Solidarität mit den Schwarzen, den Homosexuellen, den Marginalisierten überhaupt. Es sind nicht Poeme, wie die von Eliot oder Pound, die in ein von letzter Hand zyklisch komponiertes Buch eingegangen sind. Es war ein work in progress. Lorca wurde im August 1936 von Flangisten ermordet. Er, der so viel Angst vor dem Tod hatte und so viel über den Tod schrieb, hatte vermutlich einen Totenzyklus im Sinne ( Ein Kapitel heißt ja auch "Einführung in den Tod"). Er schrieb, verbesserte und verwarf, so daß es nie ein für ihn endgültiges Manuskript gab. Koppenfels konnte nun erstmals auf ein 1997 im mexikanischen Privatbesitz aufgefundenes Manuskript als Übersetzungsvorlage zurückgreifen. Und man lese seine Versionen im Vergleich zu Beck,- wir müssen uns hier auf wenige Beispiele beschränken - etwa die beiden Schlußverse aus dem programmatischen Gedicht "1910 (Zwischenspiel)". Zunächst Koppenfels^ Version:

    "Lücken liegen schmerzend in der menschenleeren Luft/ und in meinen Augen Kleiderwesen ohne Körper." (Beck): "Da ist ein Schmerz von Hohlem in unbewohnter Luft,/ in meinen Augen Geschöpfe, bekleidet, ohne Nacktheit."

    "Bekleidet ohne Nacktheit"? Das wäre etwa wie "der weiße Schimmel" , also ein Pleonasmus; den hat sich ein Dichter wie Lorca aber nie geleistet. Koppenfels hat für "sin desnudo" die geniale Lösung "ohne Körper" gefunden. Oder eine Strophe aus der berühmten Ode auf den König von Hartem /zunächst Koppenfels' Version:

    "Man muß die Brücken überqueren,/ hinüber zum schwarzen Rumoren,/ damit uns Lungenduft/ an die Schläfen schlägt in seiner Hülle/aus warmer Ananas." (Beck):" Man muß die Brücken überschreiten/ und zu dem schwarzen Schamgefühl gelangen,/ damit der Lungenduft/ an unsre Schläfen klopft mit seinem Kleid/ aus warmer Ananas." "Rumor negro" ist mit schwarzem Rumoren besser getroffen als mit der Beck´schen gewagten Interpretation "schwarzes Schamgefühl". Beck ist nicht nur gravitätisch, er zieht Lorca pathetisch hoch und "schreitet" mehr, als daß er, als getreuer Übersetzer, Äquivalente sucht. Die Gedichte überträgt Beck, weil er selbst sich als Dichter sah, allzu "frei" und damit auch z.T. falsch; z.B. macht er aus einem "Safranhaufen" einen lyrischer wirkenden "Krokushaufen" . Er schönt also Lorcas Ästhetik des Brüchigen auf.

    Bei den Stücken Lorcas ist Beck viel genauer, vielleicht manchmal eher ungelenk am Original entlang übersetzend. Vergleicht man Enzensbergers Version von Bernarda Albas Haus, so übersetzt dieser aber höchstens heute zeitgemäßer, flotter.

    Ganz anders die Lyrik. Obwohl unendlich schwer zu übertragen - auch, weil Lorca aufgrund der Freundeskritik, auf -forcierter- Metaphernsuche war, die zu Mystifikationen Anlaß gab - ist diese Edition von Lorcas Dichter in New York, in der Version von Martin von Koppenfels , ein Ereignis ersten Ranges, eine Tat.

    Wir sagen es im Sinne des Dichters etwas sibyllinisch: Man darf gespannt sein, wie's bei uns mit Lorcas Werk weitergeht.