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Dicke Luft in der Union

Sinkende Umfragewerte, Proteste gegen das Großbauprojekt "Stuttgart 21" in Baden-Württemberg, Dauerstreit mit dem Koalitionspartner FDP. Der Frust sitzt tief - die CDU-Basis ist derzeit nicht gut auf die Parteichefin Angela Merkel zu sprechen.

Von Almuth Knigge, Anke Petermann, Barbara Roth und Michael Watzke |
    "Ich bin mit der Koalition, wie sie sich verhalten, nicht zufrieden. So kann man keine Politik machen, wie es im Moment läuft. Einfach weil viele Leute den genauen Kurs von Frau Merkel nicht einschätzen können. Sie muss Führungsstärke zeigen. Das Laufenlassen, das Aussitzen, das geht nicht. Mich stört, dass die Frau Merkel keine klaren Aussagen trifft; dass sie hauptsächlich die CSU und die FDP machen lässt, dass über alles diskutiert wird in der Öffentlichkeit und sie dazu schweigt."

    Es rumort in der Kanzlerinnen-Partei. Umfragewerte um die 30 Prozent für die Union, auch der Dauerkrach in der schwarz-gelben Koalition sorgen für Frust bei den Mitgliedern. Nicht nur in Baden-Württemberg. Das Parteivolk ist nervös und verunsichert.

    Die einen vermissen konservatives Profil, die anderen einen klaren Kurs. Für die CDU-Vorsitzende Angela Merkel dürfte es ungemütlich werden, wenn sie sich Sonntag und Montag zu einer Sonderklausur mit ihrem Parteipräsidium trifft, um über die schlechte Stimmung an der Basis zu beraten.

    "Der Frust ist gewaltig. Egal in welche Versammlungen sie kommen oder mit welchen CDU-Leuten sie sprechen. Man ist sofort beim Zustand der Bundes-CDU, aber auch der Koalition."

    Der Politikwissenschaftler und Merkel-Biograf Gerd Langguth wundert sich nicht. "Gurkentruppe" und "Wildsäue" – Merkels Koalitionspartner von CSU und FDP trugen vor der Sommerpause ihre Konflikte deftig und öffentlich aus. Eingekeilt zwischen einem machthungrigen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und einem, in seiner eigenen Partei mächtig unter Druck stehenden FDP-Außenminister Guido Westerwelle wirkte die Kanzlerin zu oft machtlos. Aus dem Sommerurlaub zurück gibt sie sich kämpferisch. Und so will sich die 57jährige auch auf der Klausurtagung präsentieren. Professor Langguth bleibt skeptisch.

    "Nur wenn Merkel was Tapferes tut, wenn sie sichtbar macht, dass sie Führung zeigt, wenn sie bestimmte Dinge auch abstellt, notfalls auch nicht zurückschreckt vor personellen Entscheidungen, ich sage: auch notfalls jemand in die Wüste schickt, nur dann wird es irgendwann mal Ruhe an der Basis der CDU geben."

    Ruhe bitte - diese Hoffnung sprach auch Merkel in ihrer Bundestagsfraktion aus. Sie will mit Schwarz-Gelb endlich harmonisch regieren. Die Unionsabgeordneten schwor sie auf einen arbeitsreichen Herbst ein. Die Einigung auf das Energiekonzept sollten sich alle zum Vorbild nehmen für die künftige Arbeit in der Koalition; wenn es darum geht, strittige Themen wie Gesundheitspolitik oder Wehrpflicht zu entscheiden.

    "Sie hat eigentlich immer große Sympathien dadurch gewonnen, weil sie als eine unideologische, pragmatische Problemlöserin erschienen ist. Aber sie hat durch ihre Art und Weise, wie sie die Themen beschreibt, eigentlich vermissen lassen überhaupt eine Botschaft zu zeigen: Was ist das christlich-liberale Projekt. Wenn ich mir auch die berühmte Parteibasis, über die wir jetzt diskutieren, anschaue, niemand kann ihnen eigentlich genau sagen, was sind die vier, fünf ganz wichtigen Ziele, die diese Koalition jetzt hat. Und das ist das Problem, dass Frau Merkel sich schwer tut mit einer Formulierung christlich-liberaler Politik."

    Ein gravierender Fehler, sagt der Merkel-Biograf. Ein Fehler, den man ihr in den eigenen Reihen zunehmend übel nimmt. Die Vorsitzende will aus ihrer CDU eine Volkspartei der Mitte formen. Modern, weltoffen und familienfreundlich – spätestens auf dem Karlsruher Bundesparteitag Mitte November wird sie Auskunft geben müssen, wie sie sich das konkret vorstellt. Sicher ist soviel, ihre Erklärung muss über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Stichwort Kinderbetreuung zugunsten berufstätiger Frauen, hinausgehen. Sonst werden die Konservativen in der Partei lautstark aufmucken. Erika Steinbach, die umstrittene Vertriebenen-Präsidentin, hat bereits Konsequenzen gezogen, weil sie sich als Konservative alleine fühlte.

    "Sie werden heute merken, welche sympathischen Menschen Sie bei der Seniorenunion finden."

    Christel Haas trägt zur blütenweißen Hose einen blütenweißen Strickpulli. Das gemusterte Tuch in warmen Rottönen passt zu ihren goldblonden Haaren. Die fröhliche 75jährige ist Kreischefin der Seniorenunion in Herborn, Mittelhessen. Sie strahlt Entschlossenheit und Frische aus. Von der rüstigen Seniorin könnte sich Angela Merkel durchaus eine Scheibe abschneiden. Als führungsschwach und unentschlossen wird die CDU-Chefin gelegentlich auch in den eigenen Reihen kritisiert. Im parteiinternen Streit um die Wehrpflicht oder die sozialen Härten des Sparpakets solle sie ein Machtwort sprechen, fordern manche Parteifreunde. Doch Christel Haas weiß, dass ihre Vorsitzende es viel schwerer hat, als sie selbst mit ihren braven Senioren.

    "Frau Merkel ist nicht der Typ, der auf den Tisch schlägt. Das macht ein Mann, der überschüssiges Test(ost)eron hat und dann auf n Tisch haut, Seehofer würde das machen. Und die hat ja praktisch eine Dreierkoalition: mit der FDP, die so’n hohes Wahlergebnis hat und ihre Punkte durchbringen will, und dieser Kraftprotz Seehofer, der zum ersten Mal in Bayern überhaupt eine Koalition hat und sich ständig artikuliert mit irgendwelchen kontroversen aufsässigen Dingen, und da soll die Frau Merkel dieses koordinieren. Das stelle ich mir auch nicht so einfach vor."

    Und weil ihr Stolz auf die erste Frau als Kanzlerin und ihr Mitgefühl für die von Männern eingekeilte Parteifreundin so groß sind, gibt Christel Haas ihr Bestes, um möglichen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die gute Wirtschaftskonjunktur und die sinkende Arbeitslosigkeit wertet sie in einer flammenden Rede vor der Senioren-Union als Beweise dafür, dass der Kurs der Bundesvorsitzenden so falsch nicht sein kann. Doch nicht alle Parteifreunde überzeugt das. Horst Besserer ist als Herborner Ortsvorsteher und CDU-Ortsverbandschef sozusagen Gastgeber an diesem Nachmittag.

    "Die allgemeine Unzufriedenheit ist ja erkennbar. Das spürt man auch in der CDU der Gemeinde hier. Ich denke, das wollen die Leute gern mal zum Ausdruck bringen."

    Das dürfen sie demnächst auch. Im Herbst, so hat es Angela Merkel angekündigt, wird sie der Basis auf Regionalkonferenzen Rede und Antwort stehen. Die erste soll Anfang Oktober in Wiesbaden stattfinden.

    "Ich habe auch schon eine Einladung für eine Regionalkonferenz. Ich werde - wenn die Zeit es zulässt - auch hinfahren. Aber, man wird wahrscheinlich gar nicht ernst genommen. Denn das ist ja das Problem: Zur Basis hin ist eine Kluft. Die haben keine Verbindung mehr zur Basis. Die wissen gar nicht, was unten los ist. Wenn Sie sehen, zum Beispiel mit Krippenplätzen, die machen in Berlin Gesetze, aber die Kommunen müssen sie ausführen und bezahlen, und haben das Geld nicht dafür. Und das würde ich denen noch sagen","

    schimpft Franz Michels, Parteimitglied aus dem hessischen Marburg.

    ""Dann sollte man sich auch ein bisschen an der Basis orientieren und fragen, was will die Basis denn. Ich hab’ das Gefühl, in vielem hat man sich von der Basis doch schon sehr stark entfernt und distanziert","

    ergänzt Horst Besserer. Sein Vertrauen in die Dialogbereitschaft der Parteispitze hat ebenfalls gelitten. Der Herborner CDU-Chef hofft, dass sich mit den Regionalkonferenzen etwas ändert. Von Klagen aber, der CDU gehe konservatives Profil verloren, will Christel Haas, die Kreisvorsitzende der Seniorenunion, nichts wissen.

    ""Da müssen wir natürlich auch aufpassen, wenn wir zu konservativ sind - wir müssen feststellen, dass wir eine Bewusstseinsveränderung in der Bevölkerung, besonders auch unter den jungen Leuten haben. Und da gibt es Werte, die vielleicht nicht mehr so vertreten werden. Und sicher muss die CDU das rüberbringen, die muss ihre Werte klar und deutlich artikulieren. Das ist ganz klar."

    Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn die Kritik an Merkels Modernisierungskurs will nicht verstummen. Saarlands Ministerpräsident Peter Müller sieht seine CDU in ihrer Existenz als Volkspartei bedroht. Um wieder Wahlergebnisse von 40 Prozent plus X zu erreichen, müsse sie ihre Politik wieder stärker mit Grundwerten verbinden. Und CSU-Chef Seehofer fürchtet, dass Wertkonservative, die ihre Ansichten in der Partei nicht wiederfinden, zu Nichtwählern werden.
    Hat das Konservative in Merkels CDU denn noch Zukunft? Wobei zunächst einmal die Frage zu klären wäre, was heutzutage konservativ überhaupt ist? Alles auf Anfang in der Atompolitik? Zurück an den Herd, zur gleichnamigen Prämie? Oder heißt konservativ: Das Kreuz im Klassenzimmer und die Moschee in der Türkei? Die Vorsitzende wird Antworten geben müssen. Nicht nur wegen Eriks Steinbach, weiß der Politikwissenschaftler Gerd Langguth, vor allem wegen dem Abgang von Roland Koch.

    "Die Tatsache, dass jemand wie Koch nicht mehr da ist, ist natürlich ein dramatischer Verlust für die CDU. Koch ist jemand, der eine Flügelpersönlichkeit ist. Er hat mehr das Konservative abgedeckt. Dann gibt es jemand wie Friedrich Merz nicht mehr, der hohe Sympathiewerte in Teilen der Bevölkerung hat. Das war einfach früher so, dass die CDU sehr viel mehr aus Flügelpersönlichkeiten bestand und deswegen hatte sie eine hohe Integrationsdichte. Und das ist eben heute kaum mehr der Fall. Insofern ist die CDU eigentlich nur noch Merkel, Merkel, Merkel."

    Die Frau, die den Machtkampf für sich entschied; an der sich so viele Alphatiere wund rieben. Die Klagen, dass das Identitätsstiftende fehlt, sind nicht neu in der CDU. Sie werden seit Merkels Wahl zur Parteichefin im Jahr 2001 immer wieder artikuliert. Die Kritik an Merkel wächst, je tiefer die Union in der Wählergunst fällt. Angela Merkel ist 36jährig von ihrem einstigen Mentor Helmut Kohl in die Politik gelockt worden. Jetzt rächt sich, dass die CDU-Vorsitzende eigentlich keine Partei-Erfahrungen habe, sagt ihr Biograf Langguth, sie kenne die Nöte eines Ortsvorsitzenden an der Basis nicht.

    "Sie ist auch nicht wie Helmut Kohl. Er hat durch seine historischen Einlässe vermittelt, dass er Standort hat. Konservative Menschen lieben es, wenn aus der Geschichte heraus politische Überzeugungen kundgetan werden. Nun muss man aber zur Ehrlichkeit sagen, in früheren Zeiten war die Gesellschaft weniger fragmentiert als heute. Die hatten früher auch den Ost-West-Konflikt, man wusste damals, wogegen man war; in Westdeutschland gegen den Kommunismus beispielsweise, das war ein wichtiges Bindemittel gerade für die Union. Das Verhältnis von Frau Merkel zur deutschen Geschichte ist ja eher unterentwickelt. Sie werden wenig von ihr dazu hören."

    Ein weiteres kommt hinzu: Der Zuspruch für den Noch-SPD-Bundesbanker Thilo Sarrazin beunruhigt viele Unionspolitiker. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Emnid sympathisieren fast 20 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland mit einer Partei, die weder extrem noch fremdenfeindlich ist, aber deutlich rechts von der aktuellen CDU steht. Eine Partei, die laut Emid in der Integrationspolitik die Szarrazinsche Forderung nach einer Bringschuld der ausländischen Mitbürger einklagt.

    Volksfest in Wolfratshausen. Heimat von Edmund Stoiber und Schauplatz des berühmten Wolfratshauser Frühstücks, bei dem Angela Merkel vor acht Jahren dem damaligen bayerischen Ministerpräsidenten die Kanzlerkandidatur angetragen hat. Heute ist sie die Regierungschefin – auch die der CSU. Der christsoziale Parteinachwuchs findet dafür einen urbayrischen Ausdruck:

    "Passt scho, ja kämpft sich halt so durch. Ich denke, dass sie sich eher zurückhält und wenig macht. Sie ist jetzt keine Kanzlerin, die im Vordergrund steht."

    Begeisterung klingt anders. Je länger man in die junge CSU hineinhört, desto deutlicher wird die Kritik. Marc Tenbücken aus Murnau, Mitglied im Bundesvorstand der Jungen Union, vermisst bei Angela Merkel, was er bei Edmund Stoiber fand. Eine klare politische Linie, ein Ziel:

    "Dieses Ziel erkennt man in der aktuellen Arbeit von Angela Merkel und der Regierungskoalition zu wenig. Dieser Brückenschlag gelingt der Kanzlerin nicht, und ich glaube, dass das einer der Hauptgründe ist, warum gerade auch in Bayern der Rückhalt für die Kanzlerin schwindet."

    In Bayern habe Politik wie Blasmusik zu sein: Laut, schmetternd, emotional und leidenschaftlich. Politik mit Seele eben - wie bei der CSU, behauptet Tenbücken. Und Merkels Problem sei…

    "Dass sie sich in diese Seele nicht hineinversetzen kann. Das hat ein sicherlich auch mit ihrer Biografie zu tun. Sie hat einen anderen Politikstil. Sie ist Naturwissenschaftlerin. Sie ist deutlich nüchterner, deutlich unemotionaler bei ihren Entscheidungen. Und ich glaube, dass gerade die CSU die emotionalste Partei in Deutschland ist."

    Emotional werden derzeit vor allem die Konservativen in der CSU. Sie fürchten, dass die Markenkerne der Union verloren gehen: klare Wertvorstellungen zu Ehe, zur klassischen Familie und zur Inneren Sicherheit. Ludwig Würth aus dem Landesvorstand der JU beklagt, die CDU ziehe die CSU zu häufig nach links.

    ""Wir haben jahrlang gekämpft für eine konservative Mehrheit. Wir haben jetzt diese Ideal-Konstellation in Berlin. Und wir kriegen schon mit, dass es einfach nicht läuft. Dass wir gewisse Schwierigkeiten haben. Teilweise enorme Schwierigkeiten, auch im menschlichen Bereich. Das frustriert natürlich, und irgendwo schlägt sich das dann auch auf die Stimmung, auf das Verhältnis nieder."

    Die teilweise heftigen Verwerfungen im Verhältnis von CSU und CDU schiebt Würth nicht nur, aber auch auf die Vorsitzenden der beiden Schwesterparteien: Horst Seehofer und Angela Merkel. Dass der barocke Bayer und die bedächtige Ostdeutsche nicht miteinander können, ist in der Jungen Union kein Geheimnis:

    "Jeder, der das beobachtet, merkt, dass da die persönliche Chemie nicht stimmt. Ich bin schon ne ganze Weile dabei und weiß, dass Politik zu einem erheblichen Teil auch menschlich zusammen funktionieren muss. Und wenn die Chemie nicht passt, dann hat man eben diese Probleme, die man gerade anschauen muss."

    Angela Merkel ist zwar auch ihre Kanzlerin; setzt sich Seehofer aber mit ihr auseinander, schlagen sich die jungen CSUler meist auf die Seite ihres Parteichefs. Dass vor allem die Jungen so unzufrieden mit der derzeitigen Performance der schwarzgelben Bundesregierung sind, hat einen gewichtigen Grund. Der Nachwuchs sucht stärker als ältere Parteimitglieder nach klaren Vorbildern. Charakterköpfe, an denen sich die Jungen orientieren können, sagt Marc Tenbücken.

    "Jemand wie Edmund Stoiber oder auch Helmut Kohl haben nie einen Zweifel aufkommen lassen, dass man orientierungslos ist zu irgendeinem Zeitpunkt. Sondern es gab immer eine Richtung. Ob die Richtung immer richtig war, sei jetzt mal dahingestellt. Aber diese Orientierung zu geben in einer Zeit, in der sich die Welt globalisiert. In der Menschen sich auf Plattformen wie Facebook international austauschen. In der es keine Grenzen mehr gibt, in der auch Begriffe wie Heimat, auch Nation ein Stück weit verschwimmen – dass man in der Zeit Orientierung geben muss, ist unabdingbar."

    Ausgerechnet in dieser orientierungslosen Zeit springen nach und nach die Helden der jungen Konservativen ab: Koch, Wulff, Oettinger und vor allem Friedrich Merz – der in der Jungen Union Kultstatus genießt, auch in Bayern. Weil diese Köpfe fehlen, drängen die jungen CSUler immer stärker selbst an die Macht.

    "Ich glaub, dass Hoffnungsträger vor allem natürlich unser KT zu Guttenberg ist. Da braucht man nicht viel hinzuzufügen." / "Wir haben ausgezeichnetes Personal, das aus unseren Reihen kommt. KT zu Guttenberg, Georg Fahrenschon, auch ein Markus Söder. Das sind alles Persönlichkeiten, die können durchaus in Deutschland wieder das Steuer so in die Hand nehmen, dass wir von einem klaren Kurs sprechen können. Das mag auch ein Grund dafür sein, warum Frau Merkel, bei all ihren Verdiensten, die sie sich erworben hat, in den nächsten Jahren nicht mehr die Zukunft von CDU und CSU repräsentieren wird."

    Harte Worte eines 34Jährigen. Früher haben die jungen Christsozialen Bayern Angela Merkel mal "Mutti" genannt. Das war durchaus ehrfurchtsvoll gemeint. Jetzt klingt das "Mutti" eher verächtlich. Wie bei Teenagern, die von ihren Eltern genervt sind.

    "Was sagt denn nun Frau Merkel dazu, in ihrem Wahlkreis. Im Wahlkampf hat sie doch gesagt, hier in Zingst, lasst euch von den Grünen nicht die Türen vernageln; seitdem hab ich nichts mehr gehört."

    Antwort Glawe:

    "Wir sind auch Frau Merkel."

    Ortswechsel. Der Wahlkreis 15 im Norden Mecklenburg-Vorpommern. Es ist der Wahlkreis der Bundestagsabgeordneten Angela Merkel. Harry Glawe ist Fraktionsvorsitzender der CDU im Schweriner Landtag – und irgendwie ist er auch Frau Merkel, obwohl er fast doppelt so groß ist. Er teilt sich in Grimmen mit der Kanzlerin das Bürgerbüro.

    "Wenn wir Frau Merkels Hilfe brauchen? Also ich hab ihre Telefonnummer – und sie geht sogar ran."

    Der gelernte Krankenpfleger war auch dabei, als sich Angela Merkel 1990 auf Rügen in einer Kampfabstimmung gegen zwei Politiker aus dem Westen durchgesetzt hat. Seitdem kandidiert sie hier im Norden von Mecklenburg-Vorpommern. Unangefochten. Auch wenn es kein konstantes Hochburgergebnis mit Sympathiezuschlag für Führungspersonal gibt.

    "Man sieht sich, sie ist oft hier, aber wir können uns ja nicht jedes Mal an den Rand stellen und klatschen. Wir wissen, wo sie essen geht, wo sie spazieren geht und das ist auch ok. Frau Merkel ist die CDU und die CDU ist Frau Merkel. So ist das hier."

    Mecklenburg-Vorpommern ist Kanzlerinnenland. Hier ist ihre Welt anscheinend noch in Ordnung.

    Stralsund ist ihre Residenzstadt. Mitten in der Fußgängerzone, in einem alten Giebelhaus, hat die Parteichefin ihr Wahlkreisbüro.
    Angela Merkel, MDB. Ein 40 mal 30 cm großes Messingschild mit ihrem Namen gibt den Hinweis. Wenn es nicht gerade wieder geklaut worden ist. Das Schild ist bereits das fünfte.

    Es ist Donnerstagnachmittag - 15 Uhr – und keiner ist da. Die Geschäftsleute nebenan sind sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, über die prominente Nachbarin zu plaudern. Auch die Frau aus dem Zeitungsladen hat vergessen, welche Zeitungen Frau Merkel bei ihr kauft.

    "Ich seh' bloß immer die Urlauber, die sagen, och hier wohnt ja Frau Dr. Merkel, oder och das Haus gehört ihr wohl, das sind so amüsante Sachen. Wir kriegen mit, wenn hier die Leibwächter umherlaufen, ne, dann wissen wir, sie ist da, aber sonst."
    Die Schlagzeilen an diesem Tag sind wenig freundlich. "Gegenwind für Merkel" kann man am Zeitungsständer lesen.

    "Die Presse ist mittlerweile nur noch schlecht, aber das wird wieder, die reißen sich zusammen oder?"

    Die CDU-Basis, die an diesem Abend mit der Fraktionsspitze bei Stralsunder Bier und Pommerschen Würstchen in einem Golfhotel ihr traditionelles Sommerfest feiert, lässt auf ihre Kanzlerin nichts kommen.

    "Also hier in Mecklenburg-Vorpommern stehen wir auf jeden Fall hinter der Kanzlerin und da wir ja die Möglichkeit haben sie auch häufiger zu sehen wissen wir ja auch, was sie mit vielen Sachen bezweckt und haben schon noch die guten Absichten im Blick und denken auch, dass das alles glücken wird, und wenn sich das jetzt ein bisschen findet in Berlin, dass dann die vielen Erfolge, die ja auch zu sehen sind, deutlicher werden als das Ringen um die Entscheidung."

    Keine Kritik – zumindest keine öffentliche hört man aus Mecklenburg-Vorpommern, dem Kanzlerinnenland.
    "Natürlich gibt es Kritik. Aber Kritik, die macht man intern."

    Noch. Denn Anfang des kommenden Jahres wird auch in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. 2011 ist entscheidend für die Parteivorsitzende. Eine ganze Reihe von Kommunal- und Landtagswahlen muss ihre CDU bestehen. In Baden-Württemberg, wo die Christdemokraten seit über einem halben Jahrhundert den Ministerpräsidenten stellen, ist die Nervosität sieben Monate vor der Landtagswahl besonders groß.
    Sprecherin
    In Umfragen schneidet die CDU derzeit sensationell schlecht ab, sie könnte unter Umständen sogar ihre Macht verlieren. Schuld an dieser Formkrise sind in erster Linie die eigenen Spitzenpolitiker in Berlin, murrt die Basis im Ländle. Auch die Auseinandersetzungen um das umstrittene Großprojekt der Bahn – Stuttgart 21 – schaden vor allem der CDU. Der Politikwissenschaftler Gerd Langguth nennt die Wahl am 27. März die Nagelprobe für Angela Merkel.

    "Wenn Baden-Württemberg, das als das CDU-Stammland schlechthin gilt, wenn das verloren ginge, das wäre für die CDU-Seelenlage nicht hinnehmbar. Dass irgendwann die Bundestagsfraktion sagt, so, bis hier her und nicht weiter. Dann möchte ich keine Vorhersage machen, wie es mit der Frau Merkel politisch weitergeht. Denn irgendwann ist natürlich das Maß voll."