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Dicker als erwartet

Polarforschung. - Das arktische Meereis ist in den vergangenen Jahren auf eine historisch kleine Fläche zusammengeschmolzen. Ob damit tatsächlich auch eine Abnahme im Volumen einhergeht, ist nicht eindeutig. Eine vorläufige Auswertung der Vermessungskampagne, die soeben abgeschlossen wurde, ergab überraschend große Eisdicken.

Von Folkert Lenz | 30.04.2009
    Schnell ist sie nicht: Aber die "Polar 5" – das Forschungsflugzeug des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts – soll auch keine Geschwindigkeitsrekorde brechen. Dass die 20 Meter lange Propellermaschine auch im Langsamflug ein zuverlässiges Transportmittel ist, ist den Wissenschaftlern nur allzu recht. Vier Wochen lang sind sie jetzt zwischen Spitzbergen, Grönland, Kanada und Alaska in der Luft unterwegs gewesen. Um zu sehen, welche Partikel sich in der Atmosphäre über den arktischen Gewässern finden und um die Dicke des Meereises zu messen, erklärt der Geophysiker Daniel Steinhage:

    "Diese Meereisdeckenmessung haben wir bislang vom Helikopter aus gemacht. Mit einem Schleppkörper. Und dieser Schleppkörper, den haben wir jetzt auf die Polar 5 bekommen. Das war ein lang gehegter Traum. Vorher war das nicht möglich, weil die Flugzeuge von der Größe her das nicht so einfach hergegeben haben wie jetzt mit der Polar 5."

    Weiterer Vorteil des Fliegers: Er ist doppelt so schnell wie ein Hubschrauber. Und er kann fast zweimal so lange in der Luft bleiben. So war es jetzt erstmals möglich, die Dicke des Meereises nicht nur an wenigen Stellen zu beobachten, sondern auf größeren Flächen. Dazu hängen Steinhage und seine Kollegen aus Bremerhaven einen torpedoähnlichen Zylinder an eine Leine unter das Flugzeug. Vier Meter lang ist das Messgerät, sein Durchmesser: ein knapper halber Meter. Die Sonde mit dem feuerroten Kopf hat den Namen EM-Bird und sendet elektromagnetische Impulse aus. Steinhage:

    "In diesem Bird sind zwei Spulensysteme drin. Die Elektronik ist im Flugzeug. Über das Kabel, an dem das Ganze hängt – etwa 80 Meter unter dem Flugzeug – werden Signale runtergeschickt. Und wir erzeugen in der ersten Spule ein elektromagnetisches Wechselfeld. An der Grenze zwischen dem Meereis und dem Meerwasser wird ein Signal erzeugt, das mit der zweiten Spule empfangen wird. Und aus diesen beiden Signalen, aus dem Abgleich, kann man die Eisunterseite vom Meereis bestimmen."

    Ein Laser tastet zugleich die Oberfläche des Eises ab. Seine Dicke lässt sich leicht aus der Differenz der beiden Messungen errechnen. Weil der diesjährige Messflug gerade erst beendet ist, sind die Daten noch nicht ausgewertet. Doch eins haben die Polarforscher schon vor Ort in der Arktis feststellen können: Das schwimmende Eis rund um den Nordpol sei an vielen Stellen mächtiger als erwartet, berichtet Daniel Steinhage vom Alfred-Wegener-Institut. Dabei hatte die Ausdehnung der arktischen Eismassen in den vergangenen Sommern historische Minima erreicht.

    "Bei den ersten Ergebnissen war für meine Kollegen überraschend, dass sie aus den Satellitenmessungen mitbekommen haben, dass die Ausdehnung des Meereises weiter abgenommen hat. Auf der anderen Seite haben sie aber dort, in Regionen wo sie in der Vergangenheit schon mal gemessen haben, demgegenüber dickeres Eis gemessen. Im Extremfall haben sie bis zu 15 Meter dickes Meereis gemessen."
    Was das bedeutet, ist noch nicht klar. Eine Möglichkeit wäre, dass das Volumen des Meereises trotzdem nicht zugenommen hat. Die Wissenschaftler könnten beim Messen rein zufällig auf Stellen gestoßen sein, wo das Eis durch Strömungen, Drift oder Wind zusammengeschoben ist. Weil es aus der Vergangenheit nur relativ wenige Vergleichsdaten gibt, ist die Interpretation schwer. So kann sich auch der Geophysiker Steinhage noch keinen Reim auf die ersten Resultate machen.

    "Also, ich denke schon, dass dieser Trend vorhanden ist. Aber die aus meiner Sicht interessantere Frage ist, ob das eine kurzfristige Schwankung ist oder eine langfristige. Es kann durchaus sein, dass die Menge des Meereises konstant ist und dass die abnehmende Fläche durch ein Anwachsen der Dicke kompensiert wird. Wobei ich keine Erklärung habe, welcher physikalische Prozess dahintersteht, dass das so ist."

    Für die Zukunft hoffen Steinhage und andere Polarforscher deshalb auf weitere Luftunterstützung. Sehnsüchtig warten sie auf den Start des europäischen Erdbeobachtungssatelliten CryoSat 2. Der soll noch in diesem Jahr ins All starten und mit seinem Radarauge künftig die Meereisbeobachtung weiter erleichtern. "Polar 5" hat deswegen noch lange nicht ausgedient.