Freitag, 19. April 2024

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Wandern am Nord- und Südpol
Die abenteuerlichen Polarexpeditionen von Marek Kamiński

Der polnische Abenteurer und Forscher Marek Kamiński hat 1995 sowohl den Nord- als auch den Südpol erwandert. Mit dem Sachbuch „In ewige Eis!“ können junge Polarforscherinnen und –forscher selbst über Schollen springen, im Thermozelt übernachten und Pemmikan zu Abend essen.

Von Jan Drees | 20.08.2022
Agata Loth-Ignaciuk und Bartliej Ignaciuk: "Ins ewige Eis- Nordpol und Südpol in einem Jahr"
Agata Loth-Ignaciuk und Bartliej Ignaciuk: "Ins ewige Eis- Nordpol und Südpol in einem Jahr" (Portraitfoto: picture-alliance / dpa | Wojtek_Stein / Buchcover: Gerstenberg Verlag)
Noch als Erwachsener erinnerte sich Siegfried Kracauer, wie ihn Bilderbücher einst in eine Weite versetzten, „die schlechterdings unwirklich war“. So kann man, angelehnt an den großen Soziologen und Geschichtsphilosophen, Kinder- und Jugendbücher leicht in jene unterteilen, die ihr Augenmerk auf die unmittelbare Wirklichkeit richten, im Gegensatz zu anderen, die eine fremde Welt vorstellen.

Traum von fremden Erdflecken

Zu letzteren gehört jenes aus dem Polnischen übersetzte Sachbuch, das eine reale Nordpolexpedition aus dem Jahr 1995 vorstellt und ihren Abenteurer, den 1964 in Danzig geborenen Marek Kamiński, der bereits als Kind von fremden Erdflecken geträumt hat.

„Als Teenager las Marek in den Sommerferien nachts Geschichten über die Expeditionen berühmter Reisender und pflückte tagsüber Erdbeeren. Nicht, weil er die so gerne aß – er verkaufte und sparte Geld, um seinen Traum zu verwirklichen: Er wollte mit einem Frachtschiff nach Dänemark fahren. Vorher musste er aber Hunderte Kilo Erdbeeren pflücken, Dutzende Fenster putzen und seine besorgten Eltern davon überzeugen, dass er auf der Fahrt zurechtkommen würde."

Das Sachbuch „Ins ewige Eis! Nordpol und Südpol in einem Jahr“ holt seine jungen Leserinnen und Leser zunächst in ihrer eigenen Lebenswelt ab, bevor Kamiński und sein Kollege Wojchiech Moskal beinahe fünfzehn Jahre später eine gemeinsame Unternehmung planen.

"Die polnische Expedition zum Nordpol 1995 kostete so viel wie damals eine große Eigentumswohnung oder ein Haus in Warschau. Weder Marek noch Wojtek hatten Ersparnisse in dieser Höhe. Und sie brauchten zusätzlich Geld für Spezialausrüstung, Kleidung und Lebensmittel.”

200 Kilogramm Ausrüstung

Bereits dieser Abschnitt zeigt, wie bildreich die abenteuerliche Reise erzählt wird. Stück für Stück wandert man in diesem Buch näher Richtung Nord- und Südpol und lernt nicht nur die weißen Weiten kennen, sondern auch viel über die Herausforderungen dieser lebensfeindlichen Abenteuer: von Testversuchen im heimischen Garten über das sportliche Trainingsprogramm bis zur Zusammenstellung der gerade einmal 200 Kilogramm wiegenden Ausrüstung, darunter Funkgeräte, eine Reiseapotheke und hinreichend Pemmikan,

“eine Mischung aus Fett, getrocknetem Fleisch, Gemüse und Gewürzen. Lässt sich zu Mahlzeiten hinzufügen oder separat verzehren.“

Reich ist die Varianz an Text- und Bildarten dieses Expeditionsbuchs, das die Weite der Polarlandschaft mit großzügigen Weißflächen nachbildet, dazu kontrastierend eine tiefblaue Farbe verwendet, mit der schlagartig Polarnacht herrscht. Seltener ist die Verwendung eines warmen Orange, das daran erinnert, was Marek Kamiński und Wojchiech Moskal entbehrten auf ihrer mehrwöchigen, von zahlreichen Gefahren begleiteten Nordpol-Expedition.

"Hat man Zahnschmerzen, geht man normalerweise zum Zahnarzt. Wojteks Zahn begann allerdings mitten in der Arktis zu schmerzen. Selbst, wenn sein Begleiter Zahnarzt gewesen wäre, hätte er ihm ohne Spezialwerkzeug nicht helfen können. Also sperrte Wojtek den Mund weit auf und zog den Zahn mithilfe einer Multitool-Zange, einem Mehrzweckwerkzeug, einfach heraus. Der Weg zum Pol war wichtiger als ein schönes Lächeln.“

Eine grafische Expedition

Szenenillustrationen folgen auf Graphic-Novel-Elemente. Landkarten und detailgetreue Abbildungen einzelner Ausrüstungsgegenstände wechseln nahezu filmisch in diesem Abenteuerbuch, das ebenso erhellend wie klar die Komplexität der 1995 geglückten Nord- und Südpolexpeditionen nachzeichnet.
„Ins ewige Eis!“ ist ein herausgehobenes Beispiel jener Biografien für junge Leserinnen und Leser, die in unserer Zeit wie Pilze aus dem Boden schießen – von der weltweit erfolgreichen „Little People, Big Dreams“-Reihe des Inselverlages über Peter Sís' Holocaust-Buch „Nicky & Vera“ bis zu Megan Stines „Wer war Marie Curie?“. "Ins ewige Eis“ ist eine grafische Expedition, die Leserinnen und Leser ab dem zehnten Lebensjahr auf eine gefährliche Reise mitnimmt, auf eine Expedition, die immer wieder das Blut in den Adern gefrieren lässt und mit Marek Kamiński eine Identifikationsfigur vorstellt, die zeigt, wie Kinderträume wahr werden – mit Planung, Geduld und einer hinreichenden Menge Pemmikan.
Agata Loth-Ignaciuk, Bartłomiej Ignaciuk (Ill.): „Ins ewige Eis! Nordpol und Südpol in einem Jahr“
Aus dem Polnischen von Dorothea Traupe
Gerstenberg Verlag, Hildesheim. 96 Seiten, 18 Euro, ab 10 Jahren.