Samstag, 18. Mai 2024


Die Abrechnung

O-Ton Archivband: Ich klage an die Berufslosen Horst Hertel, geboren am 8.6.1936, Werner Dyballa, geboren am 11.4.33 in Berlin ....

Von Peter Lange | 07.06.2003
    Berlin, im August 1953. Prozessauftakt gegen mehrere Beteiligte des 17. Juni.

    O-Ton Archivband: In Ausführung erhaltener Instruktionen haben beide als Rädelsführer an mehreren verbrecherischen Aktionen am 16.und 17.Juni 1953 in Berlin im Zuge des faschistischen Aufruhrs teilgenommen.

    Der Prozess endet mit Zuchthausstrafen zwischen sechs und 10 Jahren.

    Klemperer : Im Radio geht das Werben um die Arbeiterschaft, das Sündenbekennen weiter, zugleich die Erklärung rücksichtsloser Härte gegen alle Feinde, von denen viele bereits verhaftet sind und noch viele andere zu fangen seien. Und immer wieder: innenpolitisch rechnen wir später ab, wenn es uns passt.

    Tagebuchnotiz von Viktor Klemperer, SED-Mitglied und Abgeordneter der Volkskammer.

    Kehrhahn : Verhaftet haben sie mich am Alexanderplatz. Die Leute wollten das Präsidium stürmen, da haben die da einen Ring drum gebildet, und wir kamen da nicht mehr raus.

    Manfred Carl Kehrhahn, ein Westberliner Elektriker. - Willy Möckel, damals Volkspolizist, gehört zu einem Kommando, dass in mehreren Transporten jeweils cirka 20 verhaftete Personen mit einem LKW zu einem provisorischen Gefängnis, zum Schlachthof Friedrichsfelde bringt.

    Möckel : Die Verhafteten saßen auf Bänken und wir drei standen an der hinteren Bordwand. Unser Auto war so voll, dass wir uns kaum bewegen konnten. Um uns selbst zu schützen, haben wir vor jedem Transport unsere Gewehre entladen und erst vor den Augen der Verhafteten wieder geladen und so gehofft, dass sie uns nicht angreifen oder einen Fluchtversuch unternehmen.

    Rautenberg: In Sechserreihen marschieren wir nun in eine große Halle und müssen da in eben dieser Formation stehen, wieder die Hände nach oben und das Gesicht zur Wand

    Der Bäckermeister Gustav Rautenberg, damals 64 Jahre alt. Er gerät als Unbeteiligter ins Räderwerk von Polizei und Justiz, weil er wie viele andere auch die Ausgangssperre um wenige Minuten überzogen hat.

    Rautenberg: Wieder wird bei der kleinsten Bewegung gebrüllt, und da es nun ca 1000 Menschen sind, ist das ununterbrochen der Fall. Von nun an hören wir nur noch sächsische Kommandos und gröbste Schimpfworte. Mehrere alte Frauen sind schon in Ohnmacht gefallen.

    Twarock: Da schlimmste war ja die Angst. Jeder wusste: Überall waren Spitzel. Wer wird denn nun verhaftet. Wer hat den Mund zu voll genommen? Sie wissen nicht: Hat man sie gehört, hat man sie gesehen, hat man sie gefilmt?

    Brunhilde Twarock, damals Schülerin in Bitterfeld

    Kehrhahn: Die hatten nur Anklagepunkte, aber keine Beweise. Wurde ja nachts immer verhört, Scheinwerfer, Schläge ... Die wollten wissen, ob es irgendwie angezettelt worden war in Zusammenhang mit meinem Bruder als Kurzwellenamateur, ob das von außen angestiftet wurde.

    Manfred Carl Kehrhahn kommt nach vier Monaten ohne Urteil frei. Andere bezahlen ihre Beteiligung am 17. Juni mit dem Leben. Harro Hess, ein Abiturient aus Berlin, erinnert sich:

    Hess : Weiße Plakate klebten plötzlich an den Wänden. Bekanntmachung: Mit sofortiger Wirkung werden standrechtlich zum Tode verurteilt: Und dann folgen vier Namen. Das Urteil wurde vollstreckt.

    Unbehauen: An einer Säule haben sie mich festgebunden. Da hing ich bis zum nächsten Morgen. Also praktisch erwartete ich, dass sie mich dort umlegen. Mir war das egal, lieber weg, als das hier noch länger zu ertragen.

    Kurt Unbehauen gilt als einer der Anführer des Aufstands in Jena. In der Nähe von Dessau ist er an einer Straßensperre gefasst und nach Gera gebracht worden. Dort wird er von sowjetischen Militärs vernommen.

    Unbehauen: Und jetzt ging es bei den drei Tagen und drei Nächten: Von wem haben Sie Auftrag gehabt. Wir besser wissen, haben die Russen gesagt. Sie haben Auftrag gehabt. Von wem haben Sie Auftrag gehabt? Da habe ich gesagt: von keinem. Das lag in der Luft nach dem, was Ulbricht gemacht hatte.

    Pilz : In der Anklageschrift steht: An der Spitze einer mit Knüppeln bewaffneten Bande. So hat das der Staatsanwalt formuliert. Weder die Spitze stimmt, noch dass ich in irgendeiner Form eine Rädelsführerschaft beabsichtigt hätte...

    Gotthard Pilz, damals Student in Halle, ist von zwei Kommilitonen denunziert worden. Anfang Juli muss er sich vor Gericht verantworten.

    Pilz: Es wurde mir ein Pflichtverteidiger zugeteilt, der sich zwar Mühe gab, um das als Affekthandlung darzustellen und damit die Strafmilderung zu erreichen. Das war aber mehr oder weniger eine Farce, weil das Urteil, wie ich hinterher dann gemerkt habe, vorher schon feststand.

    Unbehauen: Ich war nicht ruhig vor Gericht ...Da hab ich dem Richter gesagt: Wer ist denn Faschist, doch die Leute ... hab ich doch gesehen, was die Leute gemacht haben, die Leute ausgeplündert. Das habe ich doch gesehen. Ach, ist der bald über die Barriere gesprungen: Unsere besten Leute als Faschisten bezeichnen. Ihn muss die volle Härte des Gesetzes treffen, hat der rumgetobt.

    Pilz: Man ist in einer solchen Situation ja fast schon überfordert. Man hat ja noch nie mit der Gerichtsbarkeit zu tun gehabt. Insofern regte sich im Moment auch kein Widerstand dagegen, dass man da sagte: Das stimmt ja gar nicht, was Sie da sagen, Anklagevertreter...

    Drei Jahre Haft, so lautet das Urteil gegen Gotthard Pilz. Kurt Unbehauen bekommt lebenslänglich. 1964, nach elf Jahren Haft, wird er von der Bundesregierung freigekauft. Andere exponierte Figuren des Aufstands haben mehr Glück, wie zum Beispiel der Lehrer Fiebelkorn aus Bitterfeld:

    Twarock: Er wurde offiziell in dieser Zeit, als die Russen schon da waren, richtig verhaftet. Aber er wurde dann über Umwege nach West-Berlin von diesen Menschen gebracht. (...) Und er hat dann später von London aus noch gesprochen - über BBC.