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Die Abschaffung der Studiengebühren 1970

1970: an deutschen Hochschulen gärt und brodelt es. Studierende gehen gegen überalterte Verwaltungsstrukturen und Lehrinhalte auf die Barrikaden, die Hörsäle platzen aus allen Nähten, politische Entscheidungsträger treffen sich in immer kürzeren Abständen um zu beraten, wie man das Hochschulwesen ausbauen kann um noch mehr junge Leute zum Studium zu bringen. In dieses Reformklima hinein verkündet der Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz, den Beschluss der Ministerpräsidenten:

Von Esther Körfgen |
    Der Senat hat beschlossen, vom Wintersemester 1970 an die Studiengebühren abzuschaffen. Es scheint mir notwendig, eindeutig deutlich zu machen, worum es im Grunde geht. Um nichts anderes als um die Gleichheit der Bildungschancen. Sie herzustellen ist ein wichtiges Ziel längst überfälliger innerer Reformen.

    Die Forderung nach Abschaffung der Studiengebühren war allerdings nicht wirklich neu: Schon 1948 hatte es unter der britischen Besatzungsmacht im so genannten "Blauen Gutachten" geheißen:

    Die Abschaffung der Studiengebühren bzw. die Unentgeltlichkeit des Hochschulunterrichts ist anzustreben. Unter der Voraussetzung einer entsprechenden Entschädigung für alle Dozentenkategorien der Hochschulen - also auch für die nicht planmäßig Lehrenden - sind die Kolleggelder abzuschaffen.

    Kolleggelder, später auch Hörergelder genannt, waren nur ein Teil der damaligen Studiengebühren. Die Studierenden zahlten sie direkt in die Tasche des Professors - 2,50 bis 3 Mark pro einzelne Lehrveranstaltung. Der Bildungshistoriker Manfred Heinemann erinnert sich:

    Die Hörergelder waren so etwas wie eine Leistungsprämie, das heißt die Professoren die sich bemühten, möglichst viele Studenten um sich zu versammeln, attraktive Lehrveranstaltungen machten, hatten dann ein zusätzliches Einkommen und in den großen Lehrgebieten war dieses Einkommen oft höher als das Grundgehalt.

    Außerdem mussten die Studierenden noch Einschreibegebühren zahlen, Semestergebühren, Beiträge für Bibliotheken und schließlich Prüfungsgebühren. So dass um 1970 herum pro Semester rund 150 DM anfielen. Damit konnte auch der damalige Student Manfred Heinemann keine großen Sprünge machen:

    Ich bin 1963 angefangen mit einem Haushalt von 250 DM. Da sind dann Gebühren von 60, 80, 100 D-Mark schon ein ziemlicher Anteil.

    Die Erleichterung der Studierenden muss groß gewesen sein, als sie von diesen Gebühren befreit wurden. Es gab allerdings schon damals Studierende, die befreit waren - so genannte Bedürftige. Um jetzt aber noch mehr Kinder aus finanzschwachem Elternhaus an die Unis zu holen, setzte die sozial-liberale Brandt-Regierung das um, was die große Koalition unter Kiesinger schon vorbereitet hatte: ein bundeseinheitliches Ausbildungsförderungsgesetz. Und das in Zeiten, in denen der Staat ungeheure Summen in den Ausbau des Hochschulwesens investieren musste - Manfred Heinemann findet das bemerkenswert:

    Es war eigentlich sehr merkwürdig, dass man bei steigenden Kosten auch noch auf diesen Bereich verzichtet um die Barriere des Zugangs zu den Hochschulen ganz gering zu halten.

    Der Ausbau der Hochschulen hatte aber noch einen weiteren wesentlichen Grund: Sie waren nicht mehr wettbewerbsfähig im europäischen Vergleich. Wegen der schlechten Studienbedingungen brauchten die Studierenden im Schnitt 2 Semester länger als in den Jahrzehnten davor. Wie sollte das erst sein, wenn die Zahl der Studierenden noch weiter stieg? Also entstanden auf dem Reißbrett Dutzende neuer Universitäten samt Tausenden neuer Lehrstellen. Der damalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen Heinz Kühn verkündete:

    Das Sofortprogramm, ein Notprogramm, im Pavillon-Provisorium-Stil sollen Studienplätze für die Studenten geschaffen werden und eben auch zusätzliche Planstellen zur Verfügung gestellt werden für Hochschullehrer. Ich will damit vor allem gegen die Gefahr des Numerus Clausus an. Numerus Clausus heißt das Sich-verschließen der Unis gegen neuen studentischen Zuzug.

    Das war einigen Hochschulen dann aber doch zuviel: um dem Ansturm der Studenten auf ihre Fakultäten einen Riegel vorzuschieben, behielten sie den Numerus clausus bei, oder führten ihn sogar noch ein. Vor 1970 hatten noch die Kolleggelder den Zugang zu den Lehrveranstaltungen reguliert, jetzt war es der Numerus Clausus.