Als Schwarm fliegen sie dem strengen Herrn um die Nase, scheinen sich über ihn lustig zu machen. Die größte Herausforderung aber für den einst Allmächtigen könnten die riesigen Fotowände in der Halle sein. Sie dokumentieren Taiwans Demokratiebewegung. Bilder von Protestmärschen, Plakaten, Spruchbändern. Chiang Kai-Shek ist hier eindeutig in der Defensive.
"Ich habe Bilder von der Halle im Fernsehen gesehen und war skeptisch. Aber jetzt berührt es mich."
Viele neugierige Taiwaner sind hier und schauen sich um. Seit Anfang Januar erst ist das Gebäude in Taipeh wiedereröffnet, mit neuer Dekoration und mit neuem Namen. Aus der verherrlichenden Chiang-Kai-shek-Gedenkhalle ist die Nationale Taiwan-Demokratie-Gedenkhalle geworden. Ein Bruch mit der Geschichte.
1949 flüchtete Chiang Kai-shek mit rund zwei Millionen Soldaten und Zivilisten auf die Insel und nahm sie quasi in Geiselhaft. Mao Zedong und die Kommunisten hatten sich im Bürgerkrieg durchgesetzt und ganz Festlandchina erobert. Chiang herrschte als Diktator in der "Republik China", wie Taiwan sich bis heute offiziell nennt. Die neu gestaltete Halle ist ein sichtbares Nein zu Machtansprüchen aus Festlandchina, das Bekenntnis zu einer taiwanischen Nation. Sie ist Ausdruck der Regierungspolitik von Präsident Chen Shui-bian und seiner Demokratischen Fortschrittspartei DPP.
"Für die DPP, für die regierende Partei, Taiwan ist ein völlig unabhängiger Staat. Und die DPP versucht, alle Kontakte, einschließlich kultureller Kontakte, mit China abzubrechen. Das heißt, Taiwanesen sind Taiwanesen. Taiwanesen sind keine Chinesen mehr. Sie versucht, einen Prozess des "nation building" einzuführen. Aber die Ergebnisse sind erbärmlich. Auf der anderen Seite, die KMT, versucht, den Status Quo beizubehalten. Denn das schließt ein unsere kulturelle Identität, nämlich Chinesen zu bleiben, und auch das Ein-China-Prinzip."
Tang Shaocheng ist der Leiter des Instituts für Internationale Beziehungen in Taipeh. Er steht der oppositionellen Kuomintang nahe.
Die Taiwaner sollen Chinesen bleiben, sagt Tang Shaocheng. Viele Taiwaner halten sich überhaupt nicht für Chinesen. Immerhin 48 Prozent, das hat eine Umfrage ergeben, definieren sich ausschließlich als Taiwaner und nicht als Chinesen.
Ein Spaziergang durch Taipeh ist ein Spaziergang durch eine chinesisch aussehende Stadt. Da sind die Schriftzeichen im Straßenbild. Da ist die chinesische Esskultur, die Leuchtreklamen für Fußmassagen. Da ist das Nationale Palastmuseum, in dem die prächtige Kunstsammlung des chinesischen Kaiserhofs ausgestellt wird. Die Menschen sprechen Chinesisch, entweder Pekings Hochsprache Mandarin oder den taiwanischen Dialekt. Trotzdem ist die Atmosphäre anders als auf dem Festland. Die sozialen Unterschiede sind viel geringer. Die Frauen verhalten sich selbstbewusster. Das Leben wirkt offener, liberaler.
"Den Chinesen merkt man an, dass China noch ein Entwicklungsland ist. Taiwan ist aber schon lange entwickelt. Deshalb ist Taiwan kulturell weiter und zivilisierter, finde ich. Ich fühle mich nicht chinesisch. Die Chinesen beschimpfen uns als Hunde. Das ist ein sehr unfaires Verhalten. Wir Taiwaner machen das nicht."
"Ich bin Taiwanerin. Da ist bestimmt ein kultureller chinesischer Einfluss. Aber ich würde trotzdem sagen: Ich bin Taiwanerin."
So zwei junge Angestellte. Das Taiwan-Gefühl ist stark in der Bevölkerung. Und noch stärker in der Regierung. Präsident Chen Shui-bian ließ die Geschichtsbücher umschreiben. Chinesische Geschichte wird jetzt nicht mehr als die eigene nationale Geschichte interpretiert. Er führte auf vielen Gebieten eine Entsinisierungspolitik durch. Das Wort China ist aus vielen Bereichen verschwunden. So heißt der Postdienst der Insel jetzt nicht mehr China-Post, sondern Taiwan-Post. Offizielle Dokumente tragen oft den Namen Taiwan im Briefkopf. In den elektronischen Medien wird immer häufiger der taiwanische Dialekt gesprochen.
"Ich bin schon seit 60 Jahren hier in Taiwan. Aber ich bin als Chinese geboren. Es ist unwichtig, wann jemand hierher gekommen ist. Wir Taiwaner sind alle als Chinesen geboren. Ich bin gegen die Unabhängigkeit und für eine Wiedervereinigung. Ich fühle mich als Chinese."
Chen Yi-kun, 78 Jahre alt, geboren in Nanjing, China. Zu Besuch dort, wo Taiwan wirklich noch chinesisch ist, im Veteranen-Altersheim außerhalb von Taipeh. Mehrere alte Herren haben es sich bei grünem Tee im Aufenthaltsraum gemütlich gemacht. Über ihnen an der Wand hängt ein Foto von Chiang Kai-shek. Das kalte Lächeln ist unverkennbar. Viele, die hier leben, kamen 1949 als junge Bürgerkriegssoldaten mit Chiang nach Taiwan. Li Chun aus Peking, 77 Jahre alt:
"Ich bin zwar schon lange in Taiwan, aber ich fühle mich als Chinese aus der "Republik China". Wenn mich jemand Taiwaner nennt, ist das auch in Ordnung. Schließlich habe ich hier ja fast ein ganzes Leben verbracht und werde hier wohl auch sterben. Aber um es historisch mit Deutschland zu vergleichen: Ich fühle mich als Gesamtdeutscher, nicht etwa als Ostdeutscher zum Beispiel."
Wie ein Taiwaner zur Unabhängigkeitsfrage steht, hängt stark von seiner Herkunft ab. Da sind die Chinesen, die 1949 auf die Insel kamen, und deren Kinder und Enkel. Sie fühlen sich dem Festland oft noch verbunden. Da ist die schon seit Jahrhunderten ansässige chinesischstämmige Bevölkerung, die Mehrheit. Bei ihnen ist der Drang nach Unabhängigkeit größer. Bei Chen Lung-Chu zum Beispiel. Er leitet die New-Century-Stiftung, einen Think Tank zur Zukunft Taiwans. Zeitweilig war er Berater der DPP-Regierung.
"Ich erkenne an, das unsere Vorfahren aus der Region Fujian in China stammen. Aber für mich ist Taiwan einfach ein Land der Immigranten. Und Immigranten entwickeln mit der Zeit eigene Perspektiven. Ich bezeichne mich niemals als Chinesen. Und wenn mich Leute fragen, ob ich Chinese bin, fühle ich mich beleidigt."
Jahrelang bestimmte die Unabhängigkeitsfrage Taiwans Politik. Während die Insel aber die eigene Identität diskutierte, schuf die Wirtschaft Fakten. Das boomende China ist mittlerweile Taiwans wichtigster Handelspartner. Schätzungsweise eine Million Taiwaner leben, arbeiten und investieren auf dem Festland. Mehr Pragmatismus in der China-Politik, weniger ideologische Streitereien, das scheint Umfragen zufolge jetzt das Bedürfnis der Taiwaner zu sein, vor allem der jungen Generation.
"Ich habe Bilder von der Halle im Fernsehen gesehen und war skeptisch. Aber jetzt berührt es mich."
Viele neugierige Taiwaner sind hier und schauen sich um. Seit Anfang Januar erst ist das Gebäude in Taipeh wiedereröffnet, mit neuer Dekoration und mit neuem Namen. Aus der verherrlichenden Chiang-Kai-shek-Gedenkhalle ist die Nationale Taiwan-Demokratie-Gedenkhalle geworden. Ein Bruch mit der Geschichte.
1949 flüchtete Chiang Kai-shek mit rund zwei Millionen Soldaten und Zivilisten auf die Insel und nahm sie quasi in Geiselhaft. Mao Zedong und die Kommunisten hatten sich im Bürgerkrieg durchgesetzt und ganz Festlandchina erobert. Chiang herrschte als Diktator in der "Republik China", wie Taiwan sich bis heute offiziell nennt. Die neu gestaltete Halle ist ein sichtbares Nein zu Machtansprüchen aus Festlandchina, das Bekenntnis zu einer taiwanischen Nation. Sie ist Ausdruck der Regierungspolitik von Präsident Chen Shui-bian und seiner Demokratischen Fortschrittspartei DPP.
"Für die DPP, für die regierende Partei, Taiwan ist ein völlig unabhängiger Staat. Und die DPP versucht, alle Kontakte, einschließlich kultureller Kontakte, mit China abzubrechen. Das heißt, Taiwanesen sind Taiwanesen. Taiwanesen sind keine Chinesen mehr. Sie versucht, einen Prozess des "nation building" einzuführen. Aber die Ergebnisse sind erbärmlich. Auf der anderen Seite, die KMT, versucht, den Status Quo beizubehalten. Denn das schließt ein unsere kulturelle Identität, nämlich Chinesen zu bleiben, und auch das Ein-China-Prinzip."
Tang Shaocheng ist der Leiter des Instituts für Internationale Beziehungen in Taipeh. Er steht der oppositionellen Kuomintang nahe.
Die Taiwaner sollen Chinesen bleiben, sagt Tang Shaocheng. Viele Taiwaner halten sich überhaupt nicht für Chinesen. Immerhin 48 Prozent, das hat eine Umfrage ergeben, definieren sich ausschließlich als Taiwaner und nicht als Chinesen.
Ein Spaziergang durch Taipeh ist ein Spaziergang durch eine chinesisch aussehende Stadt. Da sind die Schriftzeichen im Straßenbild. Da ist die chinesische Esskultur, die Leuchtreklamen für Fußmassagen. Da ist das Nationale Palastmuseum, in dem die prächtige Kunstsammlung des chinesischen Kaiserhofs ausgestellt wird. Die Menschen sprechen Chinesisch, entweder Pekings Hochsprache Mandarin oder den taiwanischen Dialekt. Trotzdem ist die Atmosphäre anders als auf dem Festland. Die sozialen Unterschiede sind viel geringer. Die Frauen verhalten sich selbstbewusster. Das Leben wirkt offener, liberaler.
"Den Chinesen merkt man an, dass China noch ein Entwicklungsland ist. Taiwan ist aber schon lange entwickelt. Deshalb ist Taiwan kulturell weiter und zivilisierter, finde ich. Ich fühle mich nicht chinesisch. Die Chinesen beschimpfen uns als Hunde. Das ist ein sehr unfaires Verhalten. Wir Taiwaner machen das nicht."
"Ich bin Taiwanerin. Da ist bestimmt ein kultureller chinesischer Einfluss. Aber ich würde trotzdem sagen: Ich bin Taiwanerin."
So zwei junge Angestellte. Das Taiwan-Gefühl ist stark in der Bevölkerung. Und noch stärker in der Regierung. Präsident Chen Shui-bian ließ die Geschichtsbücher umschreiben. Chinesische Geschichte wird jetzt nicht mehr als die eigene nationale Geschichte interpretiert. Er führte auf vielen Gebieten eine Entsinisierungspolitik durch. Das Wort China ist aus vielen Bereichen verschwunden. So heißt der Postdienst der Insel jetzt nicht mehr China-Post, sondern Taiwan-Post. Offizielle Dokumente tragen oft den Namen Taiwan im Briefkopf. In den elektronischen Medien wird immer häufiger der taiwanische Dialekt gesprochen.
"Ich bin schon seit 60 Jahren hier in Taiwan. Aber ich bin als Chinese geboren. Es ist unwichtig, wann jemand hierher gekommen ist. Wir Taiwaner sind alle als Chinesen geboren. Ich bin gegen die Unabhängigkeit und für eine Wiedervereinigung. Ich fühle mich als Chinese."
Chen Yi-kun, 78 Jahre alt, geboren in Nanjing, China. Zu Besuch dort, wo Taiwan wirklich noch chinesisch ist, im Veteranen-Altersheim außerhalb von Taipeh. Mehrere alte Herren haben es sich bei grünem Tee im Aufenthaltsraum gemütlich gemacht. Über ihnen an der Wand hängt ein Foto von Chiang Kai-shek. Das kalte Lächeln ist unverkennbar. Viele, die hier leben, kamen 1949 als junge Bürgerkriegssoldaten mit Chiang nach Taiwan. Li Chun aus Peking, 77 Jahre alt:
"Ich bin zwar schon lange in Taiwan, aber ich fühle mich als Chinese aus der "Republik China". Wenn mich jemand Taiwaner nennt, ist das auch in Ordnung. Schließlich habe ich hier ja fast ein ganzes Leben verbracht und werde hier wohl auch sterben. Aber um es historisch mit Deutschland zu vergleichen: Ich fühle mich als Gesamtdeutscher, nicht etwa als Ostdeutscher zum Beispiel."
Wie ein Taiwaner zur Unabhängigkeitsfrage steht, hängt stark von seiner Herkunft ab. Da sind die Chinesen, die 1949 auf die Insel kamen, und deren Kinder und Enkel. Sie fühlen sich dem Festland oft noch verbunden. Da ist die schon seit Jahrhunderten ansässige chinesischstämmige Bevölkerung, die Mehrheit. Bei ihnen ist der Drang nach Unabhängigkeit größer. Bei Chen Lung-Chu zum Beispiel. Er leitet die New-Century-Stiftung, einen Think Tank zur Zukunft Taiwans. Zeitweilig war er Berater der DPP-Regierung.
"Ich erkenne an, das unsere Vorfahren aus der Region Fujian in China stammen. Aber für mich ist Taiwan einfach ein Land der Immigranten. Und Immigranten entwickeln mit der Zeit eigene Perspektiven. Ich bezeichne mich niemals als Chinesen. Und wenn mich Leute fragen, ob ich Chinese bin, fühle ich mich beleidigt."
Jahrelang bestimmte die Unabhängigkeitsfrage Taiwans Politik. Während die Insel aber die eigene Identität diskutierte, schuf die Wirtschaft Fakten. Das boomende China ist mittlerweile Taiwans wichtigster Handelspartner. Schätzungsweise eine Million Taiwaner leben, arbeiten und investieren auf dem Festland. Mehr Pragmatismus in der China-Politik, weniger ideologische Streitereien, das scheint Umfragen zufolge jetzt das Bedürfnis der Taiwaner zu sein, vor allem der jungen Generation.