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Die Ahnen der Tiefseeorganismen

Zu den auffälligsten Phänomenen in der Tiefsee gehören die Black Smoker, vulkanische Quellen, in deren schwefelhaltiger Umgebung sich einzigartige Lebensformen niedergelassen haben. Doch wo kamen die Bewohner dieses abgeschiedenen Ökosystems ursprünglich her?

Von Dagmar Röhrlich | 05.01.2011
    Die Schlote der Black Smoker sind ungewöhnliche Lebenswelten. Statt Pflanzen stehen dort Schwefelbakterien an der Basis der Nahrungskette. Die Mehrzahl der oft bizarren Schlotbewohner hält sie sich als "Nutzvieh": Röhrenwürmer, Muscheln, Garnelen - sie alle bieten den Bakterien eine Behausung, versorgen sie mit schwefelwasserstoffhaltigem Wasser, Sauerstoff und Kohlendioxid. Im Gegenzug liefern ihre Untermieter Zucker und andere energiereiche Verbindungen für den Lebensunterhalt:
    "Wir haben ihr Erbgut sehr erfolgreich analysiert, um die Verbreitungswege der Tiefseeorganismen zu erkunden. Woher kommen all die Muscheln, Krabben oder Röhrenwürmer? Lebten ihre Ahnen im Flachwasser? Wir können aber auch untersuchen, ob die Muscheln in dieser Hydrothermalquelle mit denen der nächsten Quelle in 100 Kilometer Entfernung verwandt sind oder woanders herkommen."
    Robert Vrijenhoek vom Forschungsinstitut des Monterey Bay Aquariums rückt seit Jahrzehnten den Bewohnern der Black Smoker mit molekulargenetischen Methoden zu Leibe. Zu seiner Überraschung stellte er fest:
    "Alle untersuchten Gene zeigten dasselbe: Anscheinend haben sich beispielsweise die Röhrenwürmer an den Schwarzen Rauchern erst nach dem Aussterben der Saurier entwickelt - vielleicht in den vergangenen 60 Millionen Jahren."
    Dabei gab es schon in der Frühzeit der Erde Schwarze Raucher, die sogar als Kandidaten für die Wiege des Lebens angesehen werden. Aber anders als erwartet sitzen ihre Bewohner im Baum des Lebens auf recht jungen Zweigen:
    "Die Lebewesen an diesen Quellen befinden in einer prekären Lage: Praktisch stehen sie mit den Füßen im energiereichen Gift, das ihre Bakterien-Symbionten brauchen, und ihr Kopf schwimmt in der für sie lebensnotwendigen Sauerstoffzone. Solange die Verhältnisse stabil bleiben, ist das wunderbar, aber diese Systeme sind alles andere als stabil."
    So kann die Sauerstoffzone aus der Reichweite der Tiere schwinden. Neben solchen lokalen Störungen hat es wiederholt Perioden gegeben, in denen die Meeresströmungen zum Erliegen kamen und keinen Sauerstoff in die Tiefsee schafften:
    "Unserer Meinung nach ist die Tiefsee mehrfach in der Erdgeschichte erstickt und alle ihre Bewohner starben. Sobald die Meeresströmungen wieder ansprangen, wurden dann auch die Black Smoker vom Flachwasser her neu besiedelt."
    Die Gene verraten, dass die Röhrenwürmer der Black Smoker Verwandte haben, die für ihren Lebensunterhalt die Fette in den Knochen von Walkadavern chemisch umsetzen und auch solche an den kalten Methanquellen der Tiefsee. Ihr aller Urahnen soll jedoch aus norwegischen Fjorden stammen:
    "In den tiefen Fjorden vor Norwegen ist der Sauerstoffgehalt des Wassers sehr gering, und deshalb reichert sich in ihnen organisches Material an. Dort leben fadendünne Bartwürmer, die etwa so lang sind wie ein Pferdehaar. Wir vermuten, dass Organismen wie sie die Urahnen der Röhrenwürmer an den Black Smokern sind. Sie kamen aus den Fjorden und haben sich dann in mehrere Linien aufgespalten, zuerst die kalten Methanquellen besiedelt und von da aus die Black Smoker, und dann gab es eine Linie zu den Walknochen."
    Erstaunlich ist, dass die Ahnen der Röhrenwürmer es von den Fjorden zu den Schwarzen Rauchern im Pazifik schafften, nicht aber zu denen im Atlantik. Warum, das ist unbekannt.
    "Aus irgendeinem Grund leben diese Würmer nicht am mittel-atlantischen Rücken. Sie haben allerdings Verwandte in den kalten Quellen vor Brasilien und Spanien. Aber sie haben es nie bis zum mittel-atlantischen Rücken geschafft. Das hat vermutlich viel mit den Zufällen in der Evolution zu tun."

    Denn am mittelatlantischen Rücken nahmen andere Lebewesen ihren Platz ein: Krabben, die zu Hunderttausenden über die Kamine der Hydrothermalfelder wuseln. Für die Röhrenwürmer ist dort vielleicht kein Platz mehr.