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Die akademische Reservearmee

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beklagt den Trend an den Unis weg von regulären Stellen hin zu prekären. Andreas Keller von der GEW spricht in dem Zusammenhang von "Tagelöhnern" und fordert mehr Stellen an den Hochschulen.

Andreas Keller im Gespräch mit Kate Maleike |
    "Als Privatdozent hat man ja Lehrbefugnis, und dann gehört es zu den Ritualen der deutschen Universität, dass man in dem Moment, wo man diesen Titel hat, die Lehrberechtigung, dann infrage kommt als jemand, der als Nachwuchswissenschaftler Lehrstuhlvertretung macht, oder man hat Gastprofessuren, so wie ich vielfach im Ausland das hatte oder auch an deutschen Universitäten, und zwischendurch habe ich dann in der empirischen Sozialforschung gearbeitet. Und die vierte Lösung, das ist Arbeitslosigkeit und Arbeitslosengeld."

    Kate Maleike: Und wer jetzt meint, das sei die Ausnahme, liegt falsch. Denn nicht nur studentische Hilfskräfte leben an deutschen Hochschulen häufig, wie wir ja vorhin in der Studie gehört haben, regelrecht von Hungerlöhnen, sondern auch viele Lehrbeauftragte, Privatdozenten müssen sich durchschlagen. Und zum Teil sieht es da noch sehr viel schlechter aus. Die Situation ist aber nicht neu und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) deshalb schon seit Langem ein Dorn im Auge. Dr. Andreas Keller ist im GEW-Vorstand für den Bereich Hochschule und Forschung zuständig. Guten Tag, Herr Keller!

    Andreas Keller: Guten Tag, Frau Maleike!

    Maleike: In der Vergangenheit haben wir ja immer wieder mal Berichte über den sogenannten Ein-Euro-Dozenten oder Discount-Lehrbeauftragten gehört, das sind zum Teil abenteuerliche Beschäftigungsverhältnisse. Wie lässt sich denn die aktuelle Lage derzeit beschreiben?

    Keller: Nun, es ist leider so, dass einige sogar über diesen einen Euro froh wären, denn der Privatdozent, der gerade eingespielt wurde, ist ja das typische Beispiel dafür, dass die Hochschulen auch auf unentgeltliche Arbeit bauen. Privatdozentinnen, Privatdozenten sind verpflichtet, unentgeltlich zu lehren, und auch viele Lehrbeauftragte machen das. Wenn sie dann aber einen Lohn dafür bekommen, dann liegen die Vergütungen so in einer Bandbreite angefangen von 15 bis etwa 50 Euro, wenn jemand besonders viel bekommt, aber wohlgemerkt, pro Unterrichtsstunde im Hörsaal. Und wenn man nur mal bedenkt, dass ein Professor etwa acht Semesterwochenstunden lehrt, dann sieht man, dass da natürlich viel Vor- und Nachbereitungsarbeit mit dabei ist, die dann in diesen 15 Euro nicht mitbezahlt wird.

    Maleike: Das sind ja eigentlich skandalöse Zustände, die sich jetzt offenbar auch manifestieren. Wieso ist es so weit gekommen?

    Keller: Es ist so weit gekommen, weil die Hochschulen natürlich auch aufgrund einer schlechten Haushaltssituation offensichtlich sich teilweise nicht mehr anders zu helfen wussten, als einen Großteil ihrer Pflichtlehre eben von dieser ich würde mal sagen akademischen Reservearmee erledigen zu lassen. Das ist natürlich sehr bequem, die haben oft kein Geld, und die machen es umsonst oder für einen, wie Sie selbst sagten, Hungerlohn. Das Zweite, was natürlich dazukommt, ist, wir brauchen Leute, die das mit sich machen lassen, sonst funktioniert das ja gar nicht. Und die Karrierewege in den deutschen Hochschulen sind im Moment so gestrickt, dass es viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt, die erfolgreich voranschreiten, die promovieren und machen dann noch weiter, aber irgendwann ist für einen Großteil dieser Generation kein Weiterkommen mehr möglich. Und für den Arbeitsmarkt außerhalb der Hochschulen sind sie dann häufig überqualifiziert, im Alter von 40 oder 45, und in der Hochschule gibt man ihnen keine Perspektive mehr, Wissenschaft als Beruf zu betreiben. Und diese Gruppe, die greift dann nach jedem Strohhalm, um noch eine Chance zu haben, im Wissenschaftssystem drin zu bleiben.

    Maleike: Wie groß ist die Gruppe denn?, Sie haben von der akademischen Reservearmee gesprochen.

    Keller: Also wir haben im Moment 60.000, 70.000 Lehrbeauftragte an deutschen Hochschulen, das sind diejenigen, die von der Statistik erfasst werden, es sind, glaube ich, 67.000, so in der Größenordnung. Und das Interessante ist, dass diese Zahl in den letzten 15 Jahren um 50 Prozent angestiegen ist, während die Zahl der Professoren immer noch bei etwas unter 40.000 liegt. Das heißt, mittlerweile gibt es sehr viel mehr Lehrbeauftragte als Professorinnen und Professoren, und das belegt auch noch mal meine These, dass hier eine Verlagerung der Aufgabenwahrnehmung der Hochschulen, insbesondere in der Lehre zu beobachten ist, weg von den regulären, vernünftig bezahlten Kräften, insbesondere Professorinnen und Professoren, hin zu Tagelöhnern, zu den Lehrbeauftragten oder Privatdozenten.

    Maleike: Diese These wird ja auch von einer Umfrage belegt, die der Deutsche Hochschulverband kürzlich rausgegeben hat. Da war eben auch die Rede davon, dass die Lehrbeauftragten im Grunde die billigen Professoren sind, also zumindest, was die Lehrtätigkeit angeht. Ich frage mich gerade, wovon leben denn dann die Lehrbeauftragten?

    Keller: Es gibt natürlich einige Lehrbeauftragte, die leben nicht von ihrem Lehrauftrag, sondern weil sie einen normalen Beruf anderswo haben. Die sind Richter oder arbeiten in der Wirtschaft oder vielleicht woanders außerhalb der Hochschule in der Forschung. Und das war ja auch mal die gute Idee eines Lehrauftrags, das ist sozusagen der Normalfall, den es früher mal gab, und heute hat sich das häufig umgekehrt. Diese Hauptbeschäftigung haben die Lehrbeauftragten nicht mehr, sondern sie setzen drauf, über einen Lehrauftrag in die Hochschule reinzukommen, und davon können sie nicht leben. Das heißt, entweder sie leben dann tatsächlich von Hartz IV oder Arbeitslosengeld, sie haben vielleicht Partner im Hintergrund, wenn sie eben nicht diesen anderen Job haben, den sie eigentlich bräuchten, um das machen zu können.

    Maleike: Was also muss konkret bei wem passieren, damit sich die Situation halbwegs verbessert zumindest?

    Keller: Wir brauchen zunächst mehr Stellen an den Hochschulen, das heißt, die Aufgaben, die Lehrbeauftragte in der grundständischen Lehre wahrnehmen, die müssen durch ordentlich bezahlte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erledigt werden. Darüber hinaus wird es natürlich immer einen Bedarf geben, dass man auf Lehraufträge zurückgreift, um eben auch eine Praxisnähe der Lehre herzustellen. Und für diese Lehrbeauftragten brauchen wir gewisse Mindeststandards, das heißt, es dürfen nicht nur die Stunden im Hörsaal bezahlt werden, sondern auch die Vor- und Nachbereitungszeiten, und die Hochschule muss auch für eine soziale Absicherung, insbesondere für die Sozialversicherung der Lehrbeauftragten sorgen.

    Maleike: Aber mehr Stellen im Hochschulbereich, das ist eine Forderung, die ist sehr ehrenwert, aber der Sparkurs, der momentan überall angesetzt wird, lässt eigentlich eher Gegenteiliges vermuten.

    Keller: Ja, auf der anderen Seite haben ja Bund und Länder klar erkannt, dass man diesen Studierendenberg oder das Studierendenhoch, um es positiver auszudrücken, was gerade auf uns zukommt, nur auffangen kann, wenn man auch die Hochschulen ausbaut, mehr Studienplätze schafft. Das muss dann mit vernünftigen Personalkategorien geschehen. Sie haben den Hochschulpakt auf den Weg gekriegt, und das ist natürlich eine Chance jetzt für die Hochschulen, dass sie jetzt auch dafür sorgen, dass die Lehre unter guten Beschäftigungsbedingungen erbracht wird. Und da bin ich ganz zuversichtlich, dass da die Politik auch noch mal nachlegt und den Hochschulen die Möglichkeit gibt, Stellen einzurichten.

    Maleike: Hochschuldeutschland und seine prekären Arbeitsverhältnisse. Zur Lage der Lehrbeauftragten war das Dr. Andreas Keller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Vielen Dank für das Gespräch!

    Keller: Ich danke Ihnen!