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Die Aldi-Welt

Viele müssen. Und die, die nicht müssen, dürfen jetzt auch. Denn: Aldi ist hip. Die Nahkampfatmosphäre an den Kartons mit Schnäppchen jeden Mittwoch gilt als eines der letzten Abenteuer. Es gibt ein "Lied für Aldi-Versessene", ein T-Shirt mit dem blauen Logo, unter Studenten sind Aldi-Parties in Mode gekommen, es gibt einen Fanclub für diesen Laden -, ohne daß irgend jemand aus dem Hause, um das es geht, den Finger gerührt hätte.

Brigitte Neumann |
    Der Werbeetat von Aldi beträgt immer noch 0,3 Prozent vom geschätzten Umsatz und schlägt sich in Zeitungsanzeigen nieder, denen das Prädikat "selbstgemalt" noch schmeichelt. Vielleicht deshalb gerät nun auch eine Bücherlawine ins Rollen, die sich mit dem Phänomen Aldi beschäftigt. Hannes Hintermeiers "Aldi-Welt" aus dem Karl Blessing Verlag ist das neunte und vorläufig letzte Buch über die, wie er den Laden nennt, "Mutter aller Einkaufsschlachten": "Jeder der 80 Millionen Bewohner Deutschlands hat seine ganz persönliche Geschichte mit diesem Laden. Reiche, Arme, Studierte, Normale, Männer, Frauen, Türken, Afrikaner, einfach jeder. Eine persönliche Geschichte mit den wild tippenden Kassiererinnen in den hellblauen Kitteln, mit dem Hasenbrot, dem Büchsenkäse und der Weichsalamie. Wer noch nie eine Büchse ‘Texanischer Feuerzauber’ gegessen hat, werfe den ersten Stein."

    Dreiviertel der Deutschen gehen regelmäßig zum Billigheimer mit dem großen A. Jede vierte Lebensmittel-Mark landet dort. Für den Autor des Buches "Die Aldi Welt" Hannes Hintermeier ist dieser Laden, sind seine Macher ein mächtiges Phänomen unserer westlichen Zivilisation. Und einkaufen geht er da auch - 14-täg. "Das hat sich unmerklich eingeschlichen", so Hintermeier. "Das hängt sicher mit dieser Angebotspalette der Schnäppchen zusammen, die dann irgendwo Richtung Kasse aufgebaut sind und die einen immer größeren Anteil an dem Sortiment bekommen haben über die Jahre. Da will man immer mal ganz gern wissen, was liegt denn diese Woche da? Kann ich einen Klappspaten brauchen oder brauch ich schon wieder einen Pilotenkoffer?"

    Weit und breit nichts zu sehen von einem Pilotenkoffer in Hintermeiers Redaktionsstube. Ein einsames Plakat von Arno Schmidt an der Wand. Sonst nur auffällig aufgeräumt. Hannes Hintermeier, noch im Feuilleton der "Woche" beschäftigt, bald Kulturchef der Münchner AZ, kann aber auch ganz anders: "Ein Blick in den Einkaufswagen sagt mehr als tausend Worte. Es sind die Prototypen des häßlichen Deutschen, die einem hier dauernd über den Weg laufen."

    Manchmal betrachtet er die Aldi-Welt und damit die Welt des Massenkonsums mit Sympathie und Wohlwollen. Und manchmal mit Verachtung. Wie’s besser kommt. Das Leben ist ein reißend ruhiger Fluß und Hannes Hintermeier einer seiner buntesten Fische. Manchmal kommt’s aber auch sehr Mantafahrer-geckig. Etwa wenn Hintermeier einen Passus in seinem Buch beendet mit dem Satz "So weit, so Albrecht."

    Alles in allem erinnert das Buch ans Streiflicht der Süddeutschen. Wie Hintermeier vom Aldi Jodsalz über die Brillendemokratie Fielmann zu Elton John, über Tony Blair und wieder zurück zur jodsalzgelben FDP kommt. "Es gibt so etwas, was ich gar nicht wußte, und zwar im angelsächsischen Bereich. Das poetisierte Sachbuch. So was schwebte mir eigentlich vor. Es sollte eine Mischung sein aus Recherche, Essay und durchaus frei flottierenden Assoziationen. Ich will nicht sagen, daß es dafür keine Vorbilder gibt. Es ist nur hier in Deutschland nicht so verbreitet, und es wird so ein Problem sein bei der Schubladisierung dieses Buches. Es ist kein Sachbuch." Es ist mehr eine stilistische Hochseilübung eines guten Schreibers.

    Natürlich hat das Buch auch Fakten aufzubieten. Schließlich heißt es im Untertitel ja "Nachforschungen im Reich der Discount Milliardäre", aber so richtig neu sind die nicht. Denn die Firma Aldi ist ein hermetisch abgeriegelter Konzern. Es gibt keine Pressestelle und keine Bilanzveröffentlichungen. Es gibt keinen Betriebsrat und keine Interviews mit den Gründern, den Brüdern Theo und Karl Albrecht. Auch die höheren Weihen des Feuilletons konnten da nicht locken. "Und dann kam komischerweise eine gute Woche später ein Brief von Theo A., der mir mitteilte, daß er aus grundsätzlichen Erwägungen auch in meinem Falle keine Ausnahme machen könne. Er bedauerte das auch gar nicht. Aber ich war damit zufrieden, weil immerhin, er hat mir persönlich auf seinem persönlichen Briefpapier eine Absage erteilt. Mehr war wahrscheinlich nicht drin. Auf dem Briefpapier stand die alte Postleitzahl: D 4300 Essen. Und diese Zahl gilt ja, wie wir wissen, seit 5 jahren nicht mehr. Die alte Zahl war ausgeixt mit einer Schreibmaschine und die neue war drübergeschrieben, während der Brief selber mit einer anderen Computertype getippt war. Also er lebt die Sparsamkeit seiner Läden auch in Wirklichkeit vor."

    Und wirkt dabei gar nicht sympathisch. Oberste Managementregel ist: Suche den Feind in den eigenen Reihen. Spitzeldienste, Lohndrückerei, Mobbing sind an der Tagesordnung. Die Ware hinterläßt eine Menge Verpackungsmüll, und billig ist sie deshalb, weil die Hersteller nicht viel von Aldi kriegen. Also kein Prädikat: Ökologisch wertvoll. Aber das ist laut Hintermeier sowieso aus der Mode gekommen. Und was die Welt der Aldis an sich betrifft: Hintermeiers Rechercheteam hat viele, viele Hefte von Stiftung Warentest ausgewertet. Ergebnis: Ob bei Tomatenketchup, Sonnenmilch oder Spülmaschinenpulver, Aldi ist gut und billig. Deshalb: Klagen von seiten der rabiaten Aldi-Oberen werden nicht erwartet. Das Buch ist von einem Verlagsjustiziar geprüft worden, bevor es gedruckt wurde. Und jetzt ist es schon zu lange auf dem Markt.

    Theo und Karl Albrecht, alte und reiche Männer, die offenbar ständig damit beschäftigt sind, das Licht auszuschalten und die Heizung runterzudrehn, kann das Buch nichts anhaben. Andererseits: Hintermeier rechnet auch nicht damit, daß es als Imageprospekt bald in den Aldi-Filialen ausliegen wird. Hintermeiers "Aldi Welt" versammelt alle bekannten Informationen über die zehntgrößte Lebensmittelkette Europas, garniert mit Hintermeiers Einkaufsmeditationen und den schönsten Anekdoten und Geschichten über die Albrechts. Zum Beispiel war da mal die Sache mit dem Suhrkamp Verlag. Der in germanistischer Würde erstarrte Hochkulturverbreiter und die Pappenheimer Albrecht wollten einen gemeinsamen Verlag namens "sual" gründen, stand mal in der "taz". Im Programm: Handke mit dem Werk "Höchstlichste Heimat", Klaus Theweleit mit "Aldi-Ödipus" und Adorno mit "Temperaturen". Studien zur Physiognomie der Feinbackkunst. Im Dreierpack. In allen Aldi Filialen. War leider nur ein Fake. Aber dafür hammer ja jetzt Hannes Hintermeier.