
Der Starnberger See bei Allmannshausen. Spiegelglatt plätschert das Wasser ans Ufer. Nichts weist darauf hin, dass hier vor wenigen Tagen erneut ein Taucher ums Leben kam – der 19. Tote innerhalb von 19 Jahren. Gestorben an der "Wand", wie die Taucher ehrfurchtsvoll jene 80 Meter tiefe Steilklippe unter Wasser nennen.
"Es hat einen ganz besonderen Reiz. Man ist dort isoliert vom Geschehen über Wasser, man ist in der kompletten Stille", sagt der Unterwasser-Archäologe Lino von Gartzen, der die Allmannshauser Wand schon oft bezwungen hat.
"Es ist sehr dunkel, und man schwebt neben einer senkrechten Felswand entlang. Das hat einen ganz besonderen Charme, einen ganz besonderen Reiz. Vor allem, weil die Felswand wahnsinnig schön gestaltet ist."
Die Gewalt der Kräfte der Natur
Steinerne Figuren und Schilder begegnen den Tauchern auf dem Weg nach unten. In 13 Metern Tiefe steht eine Parkbank. Auf 28 Metern: ein altes Telefon. In 40 Metern eine Warntafel: Wer sich hier weiter hinab wagt, braucht eine Spezialausrüstung und einen Tauchpartner. Die Lebensgefahr steigt mit jedem Meter Tiefe. Wassertemperatur: sechs Grad. An der Oberfläche. Auf dem Grund kann das Wasser je nach Jahreszeit auf fast null Grad abkühlen.
"Und gerade bei der Kälte können zum Beispiel Automaten vereisen. Das heißt, dass sie aufgrund der großen Kälte nicht mehr sauber funktionieren und dementsprechend zu viel Luft abgeben. Und wenn jetzt zum Beispiel mehrere Sachen zusammenkommen – man fühlt sich unwohl, der Automat vereist, man sieht seinen Tauchpartner nicht mehr, der einem in diesem Fall beistehen könnte mit seinen Tauchvorräten, man schafft’s nicht mehr rauf – dann können verschiedene Sachen zusammenkommen, und die können zu einem Unfall führen."

Noch ist nicht abschließend geklärt, warum genau jener Taucher ums Leben kam, dessen Leiche Spaziergänger vor Kurzem entdeckten – auf der Oberfläche des Starnberger Sees treibend. In nüchternem Beamtendeutsch erklärt ein Polizeisprecher, der 50-Jährige sei möglicherweise zu schnell aufgetaucht. Man habe den Leichnam im rechtsmedizinischen Institut in München obduziert. Fremde Gewalteinwirkung schließt die Polizei aus. Die Gewalt scheint von den Kräften der Natur auszugehen – dem Tiefenrausch, der eisigen Dunkelheit. Und der vermeintlich schwebenden Leichtigkeit, die sich schnell in bleierne Schwere verwandeln kann. All das macht die Allmannshauser Wand so gefährlich. Nur mit speziellen Taucherflaschen, angereichert mit Helium und Stickstoff, kann man dort unten überleben, sagt der Feuerwehr-Rettungstaucher Jürgen Bichlmaier.
Bislang 19 Tote in 19 Jahren
"Auf 50 Metern ist es dunkel, kalt und finster. Man hat keine rechte Orientierung. Man sieht zwar die Blasen aufsteigen, aber man weißt nicht: fall' ich schnell oder langsam? Wenn man mit der Wassertiefe nicht die Erfahrung hat, ist es nicht ganz einfach zu handeln, das Ganze."
Aber vielleicht macht gerade diese Gefahr den Reiz für Extremtaucher aus. Manche sagen, dort unten, am Grund der Allmannshauser Wand, schwebe der Geist des toten Kini – des ertrunkenen Märchenkönigs Ludwigs II. Der Erbauer des Schlosses Neuschwanstein verlor vor 130 Jahren sein Leben in Sichtweite des Ufers vor den Unterwasserklippen. Die Umstände seines Todes sind bis heute ungeklärt. Eine Votivkapelle erinnert an den Unglücksort und wirkt wie ein Menetekel für die Taucher an der Allmannshauser Wand. Rettungstaucher Bichlmaier hofft, dass die Unglücksserie im Starnberger See mit dem 19. Toten endlich ein Ende findet.
"Man sollte auf jeden Fall größtmögliche Vorsicht walten lassen. Nicht nur auf den Reiz ausgehen. Man muss sich immer einen Rückzugsweg offenhalten."