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Die alternde Gesellschaft und die Risse im sozialen Netz

Vor rund hundert Jahren hatte der Altersaufbau der Bevölkerung die Form einer Pyramide: Oben eine dünne Spitze von alten und sehr alten Menschen – unten eine breite Basis mit jungen Menschen und Kindern. Heute bereits hat der Bevölkerungsaufbau eher die Form einer Gewitterwolke, die drohend über Deutschland schwebt.

Von Nikolaus Nützel | 01.04.2010
    Zu Besuch bei Dr. Roland Schöffel. Der promovierte Informatiker, Psychologe und Anthropologe hat sich mit einem eigenen Büro auf Ergonomie spezialisiert. In dem kleinen Ort Schweitenkirchen nördlich von München erforscht er, wie Maschinen, Arbeitsplätze oder auch Supermärkte gestaltet sein müssen, damit Menschen gut damit und darin zurecht kommen. Vor allem interessiert er sich dafür, wie ältere Menschen mit ihrer Umgebung klarkommen. Zu diesem Zweck hat er etwas Besonderes entwickelt: Den Alterssimulationsanzug.

    "Jetzt bekommen Sie eine Gewichtsweste mit neun Kilogramm extra. Da können Sie dann mal sehen, was es bedeutet, im Alter etwas schwerer zu sein, beziehungsweise auch weniger Kraft zu haben. Und bei der Kraft ist es so, dass zwischen dem 25. und dem 70. Lebensjahr ungefähr die Hälfte der Kraft verloren geht. Und das simulieren wir zum Teil mit dieser Weste. Später kommen noch andere Gewichte dazu, die wir Ihnen an die Extremitäten tun, um auch da zu simulieren, dass es da weniger Kraft hat im Alter."

    Aber nicht nur der Verlust von Kraft wird durch Gewichte simuliert – auch eine geringere Beweglichkeit der Ellenbogen- oder Kniegelenke empfindet der Alterssimulationsanzug nach – mit Manschetten, die um Beine und Arme geschnallt werden.

    "So, wenn Sie jetzt den Arm beugen, merken Sie, das geht nicht mehr so einfach. So stellt sich also ein spontanes Verständnis dafür ein, dass Ältere häufig so ungekämmt herumlaufen. Wobei das also mit dem Kopf und dem Gekämmtsein eher plakativ gesagt ist. Was tatsächlich häufiger der Fall ist, ist, dass Ältere es nicht mehr schaffen, sich ihre Füße selbst zu pflegen."

    Etwa 30 bis 40 Jahre älter sollen sich diejenigen fühlen, die in den Alterssimulationsanzug schlüpfen. Dazu trägt auch eine Brille bei, die altersbedingte Einschränkungen beim Sehen simuliert. Dünne Handschuhe sollen ein Gefühl dafür geben, wie es ist, wenn die Fingerspitzen nicht mehr so empfindlich sind wie in jungen Jahren. Auch um ein schlechteres Gehör zu simulieren, hat sich Schöffel etwas einfallen lassen:

    "Mit dem Geräusch simulieren wir einen Tinnitus. Das ist jetzt eine ganz neue Errungenschaft für den Alterssimulationsanzug. Nach der Weiterentwicklung der Brille ist das eine Weiterentwicklung für die Ohren. Der Tinnitus, der ja immer weiter Verbreitung findet im Alter, den simulieren wir jetzt auch mit."

    Der Alterssimulationsanzug soll aber kein skurriler Gag sein, betont der promovierte Ergonomie-Spezialist Roland Schöffel. Ihm geht es vor allem darum, Bewusstsein zu schaffen für die Bedürfnisse älterer Menschen. Seine Zielgruppe:

    "In erster Linie Ingenieure und Designer, also die Entwicklungsabteilungen von Herstellern von Produkten. Und die Produkte können kleine Produkte sein, wie Handys, wie Verpackungen, auch große Sachen wie Autos, Lkw, Züge, Schiffe, Gebäude. Also die ganze Welt, mit der Menschen in Berührung kommen auf der Entwicklungsseite. Da wird sensibilisiert, und da ist das Sensibilisieren auch sehr notwendig, damit wir nicht bald in eine Welt mit lauter Problemen hineinkommen."

    Ändert sich nichts an Arbeitsplätzen, an Maschinen und technischen Produkten für den Privatgebrauch, werden immer mehr Menschen Schwierigkeiten bekommen. Denn der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung steigt rapide. Weil seit Ende der 60er-Jahre die Zahl der Geburten in Deutschland deutlich zurückgegangen ist, verändert sich die Altersstruktur wie noch nie zuvor. Vor rund hundert Jahren hatte der Altersaufbau der Bevölkerung die Form einer Pyramide: Oben eine dünne Spitze von alten und sehr alten Menschen – unten eine breite Basis mit jungen Menschen und Kindern. Heute bereits hat der Bevölkerungsaufbau eher die Form einer Gewitterwolke: Über einer relativ schmalen Basis türmen sich in beachtlicher Breite die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre. Und bald schon wird der Bevölkerungsaufbau wie ein Pilz aussehen. Die Zahl derjenigen, die älter als 65 sind, wird bis zum Jahr 2030 um mehr als ein Drittel zunehmen. Professor Bernd Raffelhüschen, der an der Uni Freiburg das "Forschungszentrum Generationenverträge" leitet, warnt schon seit geraumer Zeit vor den Folgen vor allem für die sozialen Sicherungssysteme bei Rente, Gesundheit und Pflege.

    "Wir müssen ganz klar sehen, dass wir mit circa drei Viertel, wenn es gut läuft, oder zwei Drittel der heutigen Beitragszahler entsprechend die Kranken der Zukunft versorgen. Und die Kranken der Zukunft, das sind diejenigen, die heute 30, 40 oder 50 sind. Und entsprechend bei der Pflege haben wir exakt dasselbe Problem. Wir müssen mit zweieinhalb bis dreimal so vielen Pflegefällen und längeren bzw. auch noch teureren Pflegefällen rechnen."

    Die Beitragssätze zur Kranken- und Pflegeversicherung müssten in den nächsten Jahrzehnten von heute zusammen gut 17 Prozent auf mindestens 25 Prozent steigen, hat der Bevölkerungswissenschaftler berechnet. Wahrscheinlicher seien aber 35 Prozent. Dazu kommen noch Rentenversicherung und Steuern. Sozialversicherungsbeiträge und andere Abgaben würden sich also auf 60 Prozent, 70 Prozent oder mehr summieren. Eine solche Belastung für die künftigen Berufstätigen sei aber unzumutbar, meint Raffelhüschen. Also bleibt seiner Ansicht nach nur ein Ausweg:

    "Die Schultern der heutigen Baby-Boomer müssen stärker belastet werden. Das sind diejenigen, die das Problem verursacht haben. Und das sind diejenigen, die das Problem zugleich darstellen."

    Raffelhüschen räumt dabei ein, dass die "Baby-Boomer", also die Menschen, die in den geburtenstarken Jahrgängen von Ende der 50er bis Ende der 60er Jahre auf die Welt gekommen sind, durch Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre durchaus schon belastet werden. Die Heraufsetzung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre sei nicht anderes als eine Rentenkürzung gewesen, sagt der Demographie-Experte. Eine Kürzung, die er aber für notwendig hält. Ebenso wie er es für richtig hält, dass durch den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor die Berechnung der Renten geändert wurde. Dieser Faktor berücksichtigt das Verhältnis der Rentenempfänger zu den Beitragszahlern. Nimmt die Anzahl der Rentner zu und die der Beitragszahler ab, bremst der Nachhaltigkeitsfaktor den Rentenanstieg. Nimmt durch einen Wirtschaftsaufschwung die Anzahl der Beitragszahler zu, ohne dass es mehr Rentner gibt, erhöht sich der Faktor. Mit der Folge, dass im Jahr 2022 die durchschnittliche gesetzliche Rente nur noch rund 46 Prozent dessen ausmachen wird, was Beitragszahler als Durchschnittsverdienst haben. Im Jahr 1982 lag dieses sogenannte Netto-Rentenniveau noch bei über 58 Prozent – also um zwölf Prozentpunkte oder rund ein Viertel höher. Bernd Raffelhüschen sieht die Politik beim Thema Rente damit auf dem richtigen Kurs:

    "Das Steuer ist dort komplett rumgerissen. Wir haben es in der Rente im Grunde genommen im Wesentlichen geschafft, die Nachhaltigkeitslücken, also die fehlenden Dinge zu setzen, so zu setzen, dass wir in der Zukunft eigentlich eine relativ sichere Rente haben werden. Allerdings ist diese Rente vom Niveau her natürlich gedrückt. Die Rente mit 67, auch der Nachhaltigkeitsfaktor wie auch andere Reformen der letzten zehn Jahre haben nichts anderes gemacht als die Rentenansprüche der Zukunft zu reduzieren – für diejenigen, die auch die wenigen Kinder in die Welt gesetzt haben, die auch als Beitragszahler nicht ausreichen."

    In der gesetzlichen Rentenversicherung sei die Belastung jüngerer Generationen durch Verpflichtungen gegenüber den Älteren damit rechnerisch um drei Viertel geschrumpft, stellt Raffelhüschen fest. Gleichzeitig warnt er aber davor, die harten Einschnitte bei der Rente wieder aufzuweichen. So hält er die Rentengarantie, die die Große Koalition im vergangenen Jahr beschlossen hat, für blanken Populismus. Die Garantie sieht vor, dass In Deutschland die Renten niemals sinken dürfen - selbst wenn die Löhne schrumpfen.

    Und der Demographie-Forscher sieht noch gewaltige ungelöste Aufgaben: Beamtenpensionen müssen analog zur gesetzlichen Rente gekürzt werden, fordert er. Und vor allem bei der Kranken- und Pflegeversicherung gibt es noch viel zu tun. Denn hier kann die Politik nicht einfach Leistungen kürzen, wie sie es bei der Rente bereits getan hat:

    "Das ist wesentlich komplizierter. Denn im Rentensystem, da ist klar, wer zahlt und wer nimmt. Bei der Gesundheitsversorgung haben wir einen Topf, wo unklar ist, wer was einzahlt und wo auch unklar ist, wer was rausholt. Das sind sozusagen tausend Krakenarme, die da reinreichen. Der Punkt ist relativ kompliziert. Dennoch: Wenn man es genau nimmt, wird man denjenigen, die im Jahr 2030, 2040 oder 2050 krank sind oder Pflegefall sein werden, sagen müssen, dass sie nicht genug getan haben, und dass sie, weil sie nicht genug getan haben, einfach schlichtweg mit höheren Selbstbeteiligungen, mit höheren Eigenanteilen leben müssen als die Generation der heutigen Kranken- und Pflegefälle."

    Von anderen Bevölkerungswissenschaftlern bekommt Bernd Raffelhüschen viel Zustimmung. Außerhalb seiner Zunft erntet er aber auch einiges an Widerspruch. So hat Ulrike Mascher, die Vorsitzende des Sozialverbandes VdK, Zweifel daran, ob ein höherer Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung wirklich wesentlich höhere Kosten für die Kranken- und Pflegeversicherung mit sich bringt. Hinter Vorhersagen beispielsweise, dass die Zahl der Pflegebedürftigen oder Demenzkranken unerbittlich steigt, möchte die VdK-Chefin lieber ein Fragezeichen setzen:

    "Wenn Sie 50 Jahre zurückgehen und sich überlegen, wie eine Prognose vor 50 Jahren ausgesehen hätte und wie weit die tatsächlich mit dem, was heute der Ist-Zustand ist, das vergleichen, dann sehen Sie sehr rasch, dass es da eine große Bandbreite gibt, wo sich auch Dinge positiv entwickelt haben: Wir haben immer mehr Menschen, die immer länger gesund sind. Und also gerade im Bereich der Altersdemenz würde ich nicht sagen, dass man das positiv fortschreiben muss – sondern da kann sich auch positiv was tun."

    Der Freiburger Bevölkerungsforscher Bernd Raffelhüschen kennt solche Einwände gegen seine Zukunfts-Szenarien. Und er kennt auch die Diskussion unter Gesundheits-Wissenschaftlern über die sogenannte "Kompressions-Theorie". Sie besagt, dass in der Regel die höchsten Behandlungskosten in den ein bis zwei Jahren vor dem Tod eines Patienten anfallen – egal, ob der Patient mit 80 Jahren oder mit 60 Jahren stirbt. Ein beträchtlicher Teil der lebenslangen Gesundheitskosten fällt also kurz vor dem Lebensende in komprimierter Form an. Doch das ändere an einigen anderen Tatsachen gar nichts, meint Raffelhüschen: So leidet in Deutschland fast jeder Dritte Über-60-Jährige inzwischen an Diabetes – und verursacht entsprechende Behandlungskosten. Von den Über-80-Jährigen erkrankt jeder fünfte an Demenz. Die Hoffnung beispielsweise der VdK-Chefin Ulrike Mascher, dass sich hier einiges bessern könnte, teilt der Demographie-Professor Raffelhüschen nicht:

    "Wir wissen, dass die Pflegewahrscheinlichkeiten, dass die im Grunde relativ unverändert sind. Das einzige, was wir beobachtet haben, ist, dass der Mensch immer länger lebt und dass er immer mehr diese heißen Phasen erlebt und damit auch mehr Pflegefälle da sind. Nun kann man eine Politik sich erhoffen, die irgendwie eine Wunderpille gegen Alzheimer oder Demenz erfindet. Das muss natürlich ein Interessensverband wie der VdK auch machen. Aber da muss man sich auch klarmachen: Wissenschaftlich gesehen ist die Wahrscheinlichkeit einer Wunderpille gegen die Pflege relativ gering. Und wenn, wird sie die Pflege auch nur um zwei oder drei oder vier Jahre verschieben – was uns auch nichts nützt."

    Denn der steigenden Zahl kranker und pflegebedürftiger Menschen steht gleichzeitig eine sinkende Zahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter gegenüber. Bereits seit Ende der 60er Jahre kommen in Deutschland weniger Kinder auf die Welt als nötig wären, damit die Bevölkerung stabil bleibt. Allerdings gibt es unter Wissenschaftlern Diskussionen darüber, wie dramatisch diese Entwicklung wirklich ist. Lange Zeit galt als Faustformel, dass 100 Frauen in Deutschland im Schnitt 140 Kinder auf die Welt bringen – also, statistisch gesprochen, 1,4 Kinder je Frau.

    Doch Forscher vom Max-Planck-Institut für Bevölkerungsforschung in Rostock haben im vergangenen Herbst eine Untersuchung vorgelegt, die zeigt, dass Frauen inzwischen oftmals weit später Mütter werden als in früheren Zeiten. Die Erhebungen diesen Altersanstieg bisher aber nicht berücksichtigt haben. Deshalb müssen die Berechnungsdaten für die Bevölkerungsprognosen geändert werden, erklärt Michaela Kreyenfeld, sie ist Professorin am Rostocker Max-Planck-Institut.

    "Es gibt keinen einzigen Frauenjahrgang in Deutschland, der 1,4 Kinder bekommen hat. Also die Frauen, die heute 45 sind, die haben keine 1,4, sondern die haben 1,55 oder 1,6. Das heißt, wenn wir von 1,4 Kindern reden – die Jahrgänge, die jetzt noch nicht fertig sind, was erwarten wir von denen? Werden die wirklich bei 1,4 bleiben, oder ist da noch etwas zu erwarten? Und da kann man noch etwas aufgrund erwarten, aufgrund der Tatsache, dass Frauen heute später ihr erstes Kind bekommen und auch später ihr zweites oder drittes Kind bekommen."

    Die Rostocker Bevölkerungswissenschaftler haben mit ihrer Studie weit über Fachkreise hinaus Beachtung gefunden. Zeitungsberichte über die Studie trugen Titel wie: "Das Märchen von der leeren Wiege". Der Freiburger Demographie-Forscher Bernd Raffelhüschen hält solche Schlussfolgerungen aber für übertrieben. Von Entwarnung könne deshalb auch keine Rede sein, meint er. Ob Frauen im Schnitt 1,6 oder 1,4 Kinder zur Welt bringen, sei nicht der Punkt. Ausschlaggebend ist für ihn, dass die Geburtenrate deutlich unter zwei Kindern liegt – und diese Rate wäre nötig, damit Todesfälle und Geburten im Gleichgewicht bleiben.

    Hinzu kommt: Im Jahr 2000 sind 770.000 Jungen und Mädchen auf die Welt gekommen. 1965 zwei Mal so viele – also 1,4 Millionen Menschen. Das heißt, dass es in zwei Jahrzehnten etwa doppelt so viele Deutsche geben wird, die ihren 65. Geburtstag feiern, wie es Deutsche gibt, die auf ihren Dreißigsten anstoßen. Diese Tatsache sei unumstößlich, stellt Bernd Raffelhüschen fest. Selbst wenn die Geburtenrate wieder deutlich steigen sollte, ändert das nichts daran, dass das Verhältnis von Jungen zu Alten erst einmal immer ungünstiger wird.

    "Sie können überhaupt nicht mehr gegensteuern. Diese Pilzstruktur und die damit verbundenen Belastungen sind aus der Vergangenheit determiniert. Und die Vergangenheit hat nun einmal die dumme Eigenschaft, dass man sie nicht ändern kann. Die Familienpolitik der Zukunft spielt für das Jahr 2035 schlichtweg keine Rolle."

    Deswegen ist die Politik nach Raffelhüschens Meinung zu weiteren Einschnitten in den sozialen Sicherungssystemen gezwungen. Im Bereich Gesundheit und Pflege, zum Beispiel. Hier hält er in Zukunft wesentlich höhere Eigenbeteiligungen der Patienten und Pflegebedürftigen für unumgänglich. Raffelhüschen räumt ein, dass die Politik dabei vor einer Herausforderung steht: Sie muss höhere Eigenanteile so gestalten, dass keine soziale Schieflage entsteht. Wie das im Einzelnen aussehen kann – dafür muss die Politik Lösungen entwickeln, sagt er.

    Der Ergonomie-Fachmann Dr. Roland Schöffel in Schweitenkirchen nördlich von München kennt natürlich die Forderungen nach einer höheren finanziellen Eigenbeteiligung in den sozialen Sicherungssystemen auch. Doch Eigenbeteiligung könne man auch anders verstehen, sagt er. Nämlich ganz praktisch im Alltag. Supermärkte, der öffentlicher Nahverkehr, Produkte aller Art – aber auch Arbeitsplätze müssten so gestaltet werden, dass auch alte und gebrechliche Menschen damit zurecht kommen – denn dann seien sie länger selbständig und weniger auf die Unterstützung anderer angewiesen. Auch dafür wolle er mit seinem Alterssimulationsanzug Bewusstsein schaffen, sagt Schöffel:

    "Denn wenn von Seiten der produzierenden Industrie die Umwelt und die Produkte nicht so gestaltet werden, dass die Alten nicht von sich aus damit klarkommen, dann muss es von den Pflegediensten kompensiert werden – und bei den Pflegediensten haben wir jetzt schon einen viel zu großen Mangel an Pflegekräften. Und das wird eine echte Bruchstelle geben. Die Pflegedienste können es nicht kompensieren, die können es nicht schaffen."

    Der Ergonomie-Fachmann ist aber zuversichtlich, dass sich die Lebenswelt so gestalten lässt, dass auch eine Gesellschaft damit zurecht kommt, in der die Hälfte der Bevölkerung 50 Jahre und älter ist. Bis es so weit ist, dass zum Beispiel Fahrkartenautomaten für Menschen aller Altersgruppen leicht zu bedienen sind - oder auch Arbeitsplätze und Arbeitsabläufe besser den Bedürfnissen einer älter werden Belegschaft angepasst sind, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Bis dahin lässt Roland Schöffel immer wieder Männer und Frauen in seinen Alterssimulationsanzug schlüpfen, wenn sie wissen möchten, wie es sich anfühlt, 30 bis 40 Jahre älter zu sein.