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Die Angst des Schützen beim Elfmeter

Psychologie. - Das Elfmeterschießen gilt als eine der größten psychischen Belastungen im Wettkampfsport. Die Elfmeterschwäche der britischen Kicker ist auf der Insel fast schon ein nationales Trauma. Neue Studien gehen den Gründen für Erfolg und Misserfolg nach.

Von Volker Mrasek | 04.02.2009
    "Und nun kommt Uli Hoeneß. Der sicherlich die Nerven haben kann. Aber ob er sie jetzt haben muss?"

    Der 20. Juni 1976. Die legendäre "Nacht von Belgrad". Deutschland und die Tschechoslowakei stehen im Finale der Fußball-Europameisterschaft. Die Entscheidung fällt im Elfmeterschießen:

    "Hoeneß läuft an, schießt ... und jagt den Ball über die Querlatte!"

    Sechsmal musste eine deutsche Nationalelf bei einer Europa- oder Weltmeisterschaft ins Elfmeterschießen. Fünfmal gewann sie souverän. Nur nicht dieses eine Mal:

    "Jetzt läuft Panenka an. Panenka! Schießt ein! Die Tschechoslowakei ist Europameister 1976."

    Belgrad, nur ein Betriebsunfall, könnte man rückblickend sagen. Längst vergessen und vorbei:

    "Und Helmut Schön ist bei Uli Hoeneß. Legt ihm tröstend die Hand auf die Schulter."

    Ganz anders dagegen die Bilanz der englischen Nationalmannschaft. Auch sie trat bis heute sechsmal bei einer EM oder WM zum Elfmeterschießen an - und versagte fünfmal:

    "Das ist inzwischen so etwas wie ein nationales Trauma: Dass wir beim Elfmeterschießen immer das Nachsehen haben."

    Iain Greenlees, Sportpsychologe an der Universität von Chichester in Südengland. Warum ausgerechnet Englands Nationalspieler bei Strafstoß-Krimis ständig scheitern - diese Frage stellte sich auch ein Kollege von Greenlees: Geir Jordet von der Norwegischen Hochschule für Sportwissenschaften in Oslo. Jetzt glaubt er sie beantworten zu können:

    "England hat ein sehr hohes Renommee. Es ist das Mutterland des Fußballs! Zudem gehen die englischen Medien manchmal schrecklich mit Spielern um. Das heißt: Wenn sie beim Elfmeterschießen versagen, hat das schlimme Folgen. Zum Strafstoß anzutreten ist daher besonders belastend, wenn man Engländer ist."

    Je größer das Renommee einer Mannschaft in der Öffentlichkeit und je mehr hochdekorierte Superstars sie in ihren Reihen hat, desto schlechter schneidet sie bei Elfmeterschießen ab. Die Spieler scheitern vor allem an den enormen Erwartungen. Das zeigt der norwegische Sportpsychologe jetzt in zwei Studien. Die eine ist gerade erschienen, die andere soll bald veröffentlicht werden. Ihr Titel: "Wenn Superstars floppen".

    "Wenn das öffentliche Image eines Spielers besonders hoch ist, wird er einen Elfmeter um so eher vergeben. Überträgt man das auf Nationalteams und macht sich klar, dass der öffentliche Druck in manchen Ländern größer ist als in anderen, dann ist es plausibel, dass auch diese Mannschaften häufiger verschießen."

    In seinen Studien zieht Jordet eine Bilanz der Elfmeterschießen bei allen Fußballeuropa- und Weltmeisterschaften zwischen 1976 und 2006. England kommt dabei nicht nur auf die schlechteste Trefferquote, zusammen mit den Niederlanden. Die Spieler gehen auch am hastigsten zur Sache. Gerade mal 0,3 Sekunden vergingen im Schnitt nach dem Pfiff des Schiedsrichters, bis sie den Strafstoß ausführten. Deutsche oder französische Nationalspieler lassen es viel lockerer angehen - und sind erfolgreicher. Der Sportpsychologe sieht darin ein Indiz für besonders große Anspannung:

    "Die Spieler wollen sich der enormen psychischen Belastung so schnell wie möglich entziehen. Und verschießen dann häufiger."

    Jordet beläßt es nicht bei akademischen Überlegungen. Bis heute arbeitete er mit fünf niederländischen Nationalteams zusammen, vor allem mit Junioren-Auswahlmannschaften. Der Sportpsychologe ist deshalb nicht um praktische Tipps für stressige Elfmeterschießen verlegen:

    "Ein Weg, damit umzugehen, ist es, der Situation nicht zu entfliehen, sondern sich ihr zu stellen. Ich kann Spielern nur raten: Nehmt eine Extra-Sekunde und atmet durch! Auch der Trainer kann etwas tun. Er sollte seine Spieler nicht fragen, wer die Elfmeter schießen will, sondern es selbst festlegen nach dem Eindruck, den er hat. Er trägt dann die Verantwortung und entlastet so seine Spieler."

    Auf deutschen Elfmeterschützen laste kein so hoher Psychodruck, glaubt Jordet. Deshalb gingen sie unbefangener zur Sache und, wie der Norweger sagt, ziemlich normal. Denn eigentlich sei es nicht sonderlich schwer, einen Strafstoß zu versenken - schon gar nicht für gestandene Fußballprofis.

    "Jetzt läuft Panenka an. Panenka! Schießt ein!"