Jule Reimer: Trotz Fukushima: Die Atomexplosion im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 bleibt der schwerste Unfall in der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Soviel Radioaktivität wie damals geriet noch nie in die Umwelt. Kurz vor dieser Sendung fragte ich meinen Kollegen Florian Kellermann in Kiew, also 80 Kilometer südlich vom Ort der Katastrophe, in wieweit die Menschen dort noch betroffen sind von dem, was vor 27 Jahren passierte.
Florian Kellermann: Kiew ist ja schon damals weitgehend verschont worden, die radioaktive Wolke ist Richtung Norden und Richtung Westen gezogen. Zum großen Glück für die Stadt mit ihren 2,5 Millionen Einwohnern. Die einzige Gefahr besteht, wenn die Menschen auf dem Markt Lebensmittel mit unbekannter Herkunft kaufen, die können sehr stark radioaktiv belastet sein. Das betrifft vor allem Waldfrüchte und Pilze aus der Gegend. Noch viel größer ist diese Gefahr für die Menschen, die in den Dörfern in der Nähe leben. Sie sind ärmer als die Menschen in der Stadt und sammeln deshalb sehr eifrig Pilze und Beeren.
Aber auch Milch kann belastet sein, wie eine Studie von Greenpeace vor zwei Jahren gezeigt hat. Im vergangenen Jahr ist bekannt geworden, dass Bauern illegal Milch und Käse aus der erweiterten, der sogenannten dritten Schutzzone um das Atomkraftwerk, nach Kiew geliefert haben.
In den Gebieten bis 30 Kilometer um Tschernobyl, die damals auch zwangsevakuiert wurden, ist Landwirtschaft ganz verboten. In der erweiterten dritten Zone, mit einigen tausend Bewohnern, dürfen die Menschen nur für den Eigenbedarf wirtschaften.
Reimer: Und wie sieht das Leben in dieser dritte Zone und überhaupt im Umkreis von Tschernobyl aus? Sind die Menschen dort ständiger Strahlenbelastung ausgesetzt?
Kellermann: Unmittelbare gefährliche Strahlenbelastung gibt es nur noch in direkter Nähe der abgeschalteten Reaktoren. Etwa für die Arbeiter, die dort im Moment einen neuen Sarkophag bauen. Offizielle Informationen darüber gibt es allerdings nicht. Ukrainische Medien haben vor Kurzem einen ukrainischen Arbeiter zitiert. Er hat gesagt, dass sie ständig Dosimeter dabei haben, also Messgeräte für die Strahlung. Wenn die zu viel anzeigen, dürfen sie nach Hause und sich ausruhen. Die Werte, die er genannt hat, waren noch in etwa so hoch wie bei den Aufräumarbeiten in Fukushima, in Japan. Als bei den Arbeiten mal ein Dach einstürzte, sollen französische Spezialisten sofort zurück nach Frankreich geflogen worden sein, um sich dort untersuchen zu lassen.
Reimer: Wenn es im erweiterten Gebiet um Tschernobyl eigentlich keine Strahlenbelastung mehr gibt, könnte es ja wieder für Landwirtschaft und Tourismus freigegeben werden?
Kellermann: Darüber wird in der Ukraine nachgedacht. Eine neue Studie des Umweltministeriums besagt, dass 90 Prozent der Gebiete, die früher als verseucht galten, heute sauber seien. Es gibt auch schon Parlamentsabgeordnete, die den Bau von Ferienheimen außerhalb der 30-Kilometer-Zone fordern. Das ist eine sehr idyllische Gegend mit Wäldern und Sümpfen. Aber konkrete Projekte gibt es bisher nicht, wohl, weil man den Protest der Menschen fürchtet, die eben doch weiterhin Angst vor der Radioaktivität haben. Bisher beschränkt sich der Tourismus weitgehend auf geführte Touren zum ehemaligen Kraftwerk und nach Prypjat, der Stadt, wo die meisten Arbeiter gelebt haben. Dieser Tourismus nimmt allerdings ständig zu. Die Feuerwehr hat vor dem Jahrestag heute schon gewarnt, dass ja keiner sich von den Gruppen absondert und womöglich ein Lagerfeuer anzündet.
Reimer: Warum darf man das nicht?
Kellermann: Weil bei einem solchen Feuer Radioaktivität freigesetzt wird.
Reimer: Und wie sieht es in Weißrussland aus? Das Land war ja noch schlimmer betroffen als die Ukraine?
Kellermann: Dort hat die Regierung schon verfügt, dass große Teile von ehemals brachliegenden Flächen wieder bewirtschaftet werden - rund 40.000 Hektar. Da ist es aber auch einfacher, weil Präsident Aleksander Lukaschenko autoritär regiert und nicht so viel Rücksicht darauf nehmen muss, was die Menschen denken. Die weißrussische Opposition wirft ihm vor, dass er die Folgen von Tschernobyl nach wie vor verharmlost - und veranstaltet an den Jahrestagen wie heute Demonstrationen gegen den Staatschef.
Florian Kellermann: Kiew ist ja schon damals weitgehend verschont worden, die radioaktive Wolke ist Richtung Norden und Richtung Westen gezogen. Zum großen Glück für die Stadt mit ihren 2,5 Millionen Einwohnern. Die einzige Gefahr besteht, wenn die Menschen auf dem Markt Lebensmittel mit unbekannter Herkunft kaufen, die können sehr stark radioaktiv belastet sein. Das betrifft vor allem Waldfrüchte und Pilze aus der Gegend. Noch viel größer ist diese Gefahr für die Menschen, die in den Dörfern in der Nähe leben. Sie sind ärmer als die Menschen in der Stadt und sammeln deshalb sehr eifrig Pilze und Beeren.
Aber auch Milch kann belastet sein, wie eine Studie von Greenpeace vor zwei Jahren gezeigt hat. Im vergangenen Jahr ist bekannt geworden, dass Bauern illegal Milch und Käse aus der erweiterten, der sogenannten dritten Schutzzone um das Atomkraftwerk, nach Kiew geliefert haben.
In den Gebieten bis 30 Kilometer um Tschernobyl, die damals auch zwangsevakuiert wurden, ist Landwirtschaft ganz verboten. In der erweiterten dritten Zone, mit einigen tausend Bewohnern, dürfen die Menschen nur für den Eigenbedarf wirtschaften.
Reimer: Und wie sieht das Leben in dieser dritte Zone und überhaupt im Umkreis von Tschernobyl aus? Sind die Menschen dort ständiger Strahlenbelastung ausgesetzt?
Kellermann: Unmittelbare gefährliche Strahlenbelastung gibt es nur noch in direkter Nähe der abgeschalteten Reaktoren. Etwa für die Arbeiter, die dort im Moment einen neuen Sarkophag bauen. Offizielle Informationen darüber gibt es allerdings nicht. Ukrainische Medien haben vor Kurzem einen ukrainischen Arbeiter zitiert. Er hat gesagt, dass sie ständig Dosimeter dabei haben, also Messgeräte für die Strahlung. Wenn die zu viel anzeigen, dürfen sie nach Hause und sich ausruhen. Die Werte, die er genannt hat, waren noch in etwa so hoch wie bei den Aufräumarbeiten in Fukushima, in Japan. Als bei den Arbeiten mal ein Dach einstürzte, sollen französische Spezialisten sofort zurück nach Frankreich geflogen worden sein, um sich dort untersuchen zu lassen.
Reimer: Wenn es im erweiterten Gebiet um Tschernobyl eigentlich keine Strahlenbelastung mehr gibt, könnte es ja wieder für Landwirtschaft und Tourismus freigegeben werden?
Kellermann: Darüber wird in der Ukraine nachgedacht. Eine neue Studie des Umweltministeriums besagt, dass 90 Prozent der Gebiete, die früher als verseucht galten, heute sauber seien. Es gibt auch schon Parlamentsabgeordnete, die den Bau von Ferienheimen außerhalb der 30-Kilometer-Zone fordern. Das ist eine sehr idyllische Gegend mit Wäldern und Sümpfen. Aber konkrete Projekte gibt es bisher nicht, wohl, weil man den Protest der Menschen fürchtet, die eben doch weiterhin Angst vor der Radioaktivität haben. Bisher beschränkt sich der Tourismus weitgehend auf geführte Touren zum ehemaligen Kraftwerk und nach Prypjat, der Stadt, wo die meisten Arbeiter gelebt haben. Dieser Tourismus nimmt allerdings ständig zu. Die Feuerwehr hat vor dem Jahrestag heute schon gewarnt, dass ja keiner sich von den Gruppen absondert und womöglich ein Lagerfeuer anzündet.
Reimer: Warum darf man das nicht?
Kellermann: Weil bei einem solchen Feuer Radioaktivität freigesetzt wird.
Reimer: Und wie sieht es in Weißrussland aus? Das Land war ja noch schlimmer betroffen als die Ukraine?
Kellermann: Dort hat die Regierung schon verfügt, dass große Teile von ehemals brachliegenden Flächen wieder bewirtschaftet werden - rund 40.000 Hektar. Da ist es aber auch einfacher, weil Präsident Aleksander Lukaschenko autoritär regiert und nicht so viel Rücksicht darauf nehmen muss, was die Menschen denken. Die weißrussische Opposition wirft ihm vor, dass er die Folgen von Tschernobyl nach wie vor verharmlost - und veranstaltet an den Jahrestagen wie heute Demonstrationen gegen den Staatschef.