Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Die Angst vor einem Staatszerfall

Der Jemen wird regelmäßig von Terroranschlägen erschüttert. Die Sicherheitskräfte des Landes werden der islamistischen Gruppen im Umfeld der El Kaida nicht Herr. Die Zentralregierung kann nur schwer zwischen den aufbegehrenden Stämmen vermitteln. Nun wächst die Angst vor einem Staatszerfall.

Von Klaus Heymach | 21.03.2009
    "Gott ist groß", ruft der Bärtige und tritt auf die Bremse. Als sein Wagen vor dem Jeep einer Touristengruppe zum Stehen kommt, zündet er den Sprengsatz.

    Vor anderthalb Jahren wurden acht Spanier bei einem Selbstmordanschlag getötet, als sie einen antiken Tempel besichtigten. Vergangenen September starben 16 Menschen bei der Explosion einer Autobombe vor der amerikanischen Botschaft in Sanaa - und nun fünf Tote bei einem Anschlag auf Urlauber aus Südkorea.

    Die Toten sind real. Doch die spektakuläre Szene stammt aus einem Film - dem ersten Spielfilm, den ein jemenitisches Team je produziert hat. Mit viel Action und Dramatik warnt er junge Männer vor den Fundamentalisten.

    "Wir wollen mit dem Film die Jugend erreichen. Auf sie haben es die Extremisten abgesehen. Sie werben gezielt um junge Männer, die keine Arbeit haben und kein Geld. Sie wollen sie in den Jihad schicken. Gegen die Ungläubigen."
    Regisseur Fadl al-Olofi bekam das Geld für diesen Film, der aufklären soll, von der Regierung. Das ist etwas Neues. Denn der Jemen galt lange als Rückzugsgebiet von El Kaida. Extremisten blieben unbehelligt, und dafür verübten sie auch keine Anschläge auf jemenitischem Boden. Doch das soll heute anders sein. Präsidentenberater Faris Sanabani:

    "Die Regierung geht härter gegen Terroristen vor, weil sie verstanden hat, dass sie den Terrorismus ausrotten muss. Eine andere Option gibt es nicht. Anders kommt das Land nicht voran. Aber eins ist klar: Erst mal wird es schlimmer werden im Kampf gegeneinander, bevor es dann aufwärts geht."

    Sanabani berät den Staatschef in Sachen Medien. Außerdem gibt er den "Yemen Observer" heraus, eine englischsprachige Zeitung. Themen wie Terrorismus, Armut und das katastrophale Bildungsniveau im Jemen sind keine Tabus für das Blatt. Auch über die immer knapper werdenden Ressourcen - Wasser und Erdöl - und über das viel zu hohe Wachstum der Bevölkerung berichtet der "Observer". Sanabani kennt die tickenden Zeitbomben - aber er räumt auch ein, dass viele in der Regierung nicht willens und nicht fähig sind, sie zu entschärfen.

    "Das Problem ist, dass in manchen Regierungsbehörden Leute sitzen, die alles blockieren. Das bremst die Entwicklung. Da müssen wir aufräumen und die richtigen Leute suchen. Wir brauchen diese neue Generation, die gut ausgebildet ist, im Ausland war, und weiß, wie sie schnell und glaubwürdig ans Ziel kommt."

    Sanabanis Chef, Präsident Ali Abdallah Saleh, regiert im nördlichen Sanaa seit 30 Jahren. 1990 hatte er den von Stämmen geprägten Nordjemen mit dem sozialistischen Süden vereinigt, und lange galt die neue Republik als Vorbild für Demokratisierung auf der arabischen Halbinsel. Doch nun scheint Saleh die Kontrolle zu entgleiten und sein Rückhalt in der Bevölkerung zu schwinden. Seit fast fünf Jahren herrscht Bürgerkrieg im nördlichen Saada, und auch im Süden lehnen sich die Menschen gegen die Zentralmacht auf - nicht zuletzt, weil sich viele nicht einmal mehr Brot leisten können.

    "Die Probleme im Land sind ja unübersehbar. Der Staat ist in der Krise, über die Reform des Wahlgesetzes gibt es keine Einigung, und der Krieg gegen die schiitischen Rebellen im Norden geht weiter. Im Süden fordern jetzt immer mehr wieder die Abspaltung. Die Menschen wissen ja nicht einmal, wovon sie leben sollen. Die Regierung kann auch keine Entführungen verhindern, und sie ist machtlos gegenüber der Korruption. Die Regierung ist nur in einem stark: mit scharfer Munition auf friedliche Demonstranten zu schießen."

    Aideroos an-Nagib ist Fraktionschef der Sozialisten. Im vereinigten Jemen spielt seine Partei, die frühere Einheitspartei des Südens, keine große Rolle mehr. Sie ist nicht mehr Sprachrohr der sozial Benachteiligten im Land. Selbst die Proteste im Süden, wo die Menschen gegen die Bevormundung durch den Norden auf die Straße gehen, haben sich längst verselbständigt.

    Den meisten Menschen im Land ist anderes viel wichtiger geworden als Politik und Parteien: das Gebet. Der Ruf des Muezzins bestimmt ihren Tagesablauf. Die Worte eines Scheichs zählen mehr als die eines Abgeordneten.

    "Die Jemeniten sind ein gläubiges Volk, zu 100 Prozent. Die Religion ist den Menschen wichtig. Die Regierung kann ihre Probleme nur lösen, wenn sie sich mit der religiösen Opposition zusammensetzt, mit den Gelehrten und Scheichs und Persönlichkeiten aus der Gesellschaft. Andernfalls wird das Volk dafür sorgen, dass andere das Land reformieren."

    Scheich Hamud al-Dharehi trägt einen Bart, so ähnlich wie die Fundamentalisten in dem Anti-Terror-Film. Scheich Hamud ist Mitglied der islamistischen "Islah", der einflussreichsten Oppositionspartei im Jemen. Dass er die Regierung nicht braucht, um Politik zu machen, bewies er vergangenen Sommer. Da gründete Scheich Hamud ein Komitee - eines für Reformen in der Wirtschaft - sondern das "Komitee zur Verteidigung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters".

    "Wir haben das Komitee gegründet, weil die Moral der Gesellschaft durch bestimmte Einrichtungen in Gefahr ist. Diese chinesischen 'Massagen' zum Beispiel, die in manchen Etablissements angeboten werden, verstoßen gegen unser Recht und gegen die Religion. Unser Komitee unterstützt die Behörden, damit sie solche Dinge entdecken und dagegen vorgehen. Das ist doch besser, als wenn Fundamentalisten und Terroristen dem ein Ende setzen."

    Doch viele, die sich mit der jemenitischen Politik beschäftigen, haben den Glauben an einfache Lösungen längst aufgegeben. Abdallah al-Faqih lehrt Politikwissenschaft an der Uni Sanaa. Er sieht auch in den Islamisten und in den Sozialisten keine Alternative zur korrupten Regierung.

    "Das Problem ist, dass es hier so viele verschiedene Einflussgruppen gibt. Der Präsident versuchte immer, alle einzubinden, aber das funktioniert nicht mehr. Jetzt will er nur noch eins: an der Macht bleiben. Auch wenn das Land auseinander fällt - der Präsident wird bleiben, zumindest als Warlord. Ich rechne mit dem Schlimmsten: Dieses Regime hält an der Macht fest, macht keine Zugeständnisse an irgendjemanden, und dann fallen die Regionen nacheinander in die Hände lokaler Führer, wie in Somalia."

    Ein neues Somalia im Süden der arabischen Halbinsel? Düstere Aussichten für die Region am Golf von Aden. Dem Filmemacher Olofi liefern sie Ideen für ein nächstes Projekt.

    "Vielleicht ein Film über die jemenitische Einheit. Wir haben Proteste im Süden, im Norden, dieses Land ist in so vieler Hinsicht in Gefahr. Ich würde gern einen Film machen, der einen Beitrag leistet zum nationalen Zusammenhalt."