"Der Roman ist autobiografisch geprägt sicher. Obwohl das vielleicht eine Banalität ist, weil das für so viele Romane gilt von "Buddenbrooks" bis "Crazy". Als ich eben Buddenbrooks sagte, habe ich das genauso gemeint. Es haben sich ja, als das Buch erschienen ist, die Bürger von Lübeck, jeder einzelne darin wiederfinden können, nur mit verändertem Namen. Für die Bücher von Klaus Mann gilt das mindestens in demselben Maße."
In Darmstadt wächst dieser Friz auf, am Rande "der Steppe", die die Kinder zu abenteuerlichen Spielen lockt, in einem Haus voller Bücher der an einer seltsamen Krankheit leidenden Mutter. "Atterseekrankheit" - so nennen die Familienmitglieder das Leiden der Mutter, weil es sie am Attersee einst heftig befiel, ein Leiden, das sich später lediglich als Folge einer Überdosis eines bestimmten Medikaments erweist. Die Mutter ist Schriftstellerin, ihre Rezitationen erfüllen die Räume, ihr "wildes Geheimnis", Liebschaften ihrer Jugend, verlocken die Kinder zu feuchten Phantasien. Der Faktor S. -S. wie Soboda, der Künstlername der Mutter- der Faktor S., nämlich "alles Gewesene zu stilisieren und aufzubauschen", wird bei Friz und seinem Zwillingsbruder Carl radikalisiert. Alles was sie tun, betreiben sie bis zur letzten Konsequenz. Gerade mal zwölfjährig machen sie sich an ihrer Schule mit lautstarken Protesten, Besetzungen und Tumulten zu Vollstreckern der 68er Revolte. Friz fliegt von der Schule, läßt sich nach dem Abitur im trotzkistischen Untergrund für den linken Umsturz einspannen, daß ihm vor lauter Gehorsam und blindwütiger Schufterei Hören und Sehen vergeht. Weltrevolution good-bye! Zwei Freundinnen nehmen ihn unter ihre Fittiche. Im anheimelnden Flair vollgestopfter Altbauwohnungen zwischen Ikea-Regalen und Räucherstäbchen läßt es sich gemütlich lieben, diskutieren und promovieren.
"Das ist", meint Friedrich Kröhnke, "nicht speziefisch für diesen einen Friz. Es scheint mir vielmehr eine recht typische Entwicklung zu sein, auf die bestimmten Hindernisse, die diese Protest- und Veränderungsbewegung vorgefunden hat, so zu reagieren, wie es Fritz tut. Das ist die Schilderung des Milieus von Bioläden, Kinderbuchhandlungen, Kuscheltier- und Marionettenläden, die ungefähr an denselben Stellen zu Tage traten, wo vorher die politischen Institutionen waren. Ich muß dann immer an den trotzkistischen Buchladen in der Zülpicher Straße in Köln denken, von der Gruppe "Internationale Marxisten", in dem dann eines Tage plötzlich ein Scherzartikelladen, ich glaube er hieß "Luftballon", gewesen ist. Das Porträt einer Generation, aber aus einer Froschperspektive eines Teilnehmers dieser Generation, der seine eigenen Passionen hat."
Schließlich sind es die üppigen finanziellen Zuwendungen seiner, wie es heißt, "nationalsozialistischen Verwandten", die Friz ein Leben frei von Broterwerb mit Reisen durch die Welt, zu den jungen Burschen aller Herren Länder ermöglicht. Florian, Tim, Mogli, André, Zoran, Sascha, Abdeslam, Neung und Ssong - Friz akkumuliert seine Affären zu einem Katalog amouröser Abenteuer. Das Äußerste, was die Welt einem schenkt, meint er, sei "mit nackten Jungen im Bett zu liegen". Dazu der Autor:
"Der Ton, die Sprache ermöglicht nicht, denke ich, das Buch als eine Art soften Porno zu lesen; das ist ein in früheren Bühern von mir bereits in Vorstufen, wenn man so will, herausgebildeter, lakonischer und seltsamerweise, wie Kritiker beobachtet haben, gleichwohl idyllischer Ton; in ihm bekommen werden Sexualität, auch sexuelle Handlungen, direktes Vollziehen von Sexualittät gleichzeitig dargestellt, ausgespart und direkt benannt, ohne pornografisch zu werden. Sie finden Platz neben vielen anderen als schön und glücklich empfundenen Dingen drumherum, also dem Ambiente, in dem diese Sexualität und diese Erotik geschieht."
Friedrich Kröhnke ist tatsächlich ein Idylliker. "Es wechselte schauervolle Nacht mit Paradieseshelle", heißt es über einen Abend in Florenz, und weiter: "Da bogen wir aus einer dunklen Gasse in eine andere, und ich sah eine beleuchtete Pizzeria liegen, da ward mir Trost." Kröhnke wirft einen unaufgeregten Blick zurück auf seine Vergangenheit und rückt das Leben seines Helden in eine ferne, friedliche Sprachwelt. Das betrifft die private Geschichte ebenso wie die Historie, auch die jüngste:
"Erzählt er nicht relativ kurz zuvor erst, etwa während der Zeit des Mauerfalls, autobiographische Stoffe im Kontext der großen Geschichte? Die Liebesgeschichte mit David in Ostberlin etwa, ebenfalls eine persönliche, private Geschichte. Auf diese Weise wirkt sie entrückt, als geschütztes unangreifbares Kleinod. Wenn man keinen Beruf hat und keine schönen Möbel und keinen Bausparvertrag will man diese Geschichten als Besitz haben, als Schönheit, als etwas Geschütztes, und deshalb stellt man sie auch in diesen Rahmen, auf den kleinen Hausaltar, den vielleicht jeder braucht. Und dazu gehören die Ereignisse, die, wenn man sie miterlebt hat, jedenfalls für mich, etwas Heiliges haben, wie -großes Beispiel- der Tag, an dem die Mauer in Berlin fällt."
Mit großer Gelassenheit flaniert Kröhnkes Erzähler durch die turbulente Zeitgeschichte und seine nicht minder aufregenden privaten Erlebnisse. Auf acht Kapitel sind die 139 teils sehr kurzen, teils längeren Abschnitte verteilt, die -mit Titeln versehen- weitgehend chronologisch aufeinander folgen. Manche Episoden sind kleine Impressionen, die unverbunden ins Geschehen eingefügt werden, andere wiederum sind leitmotivisch verknüpft. Auf diese Weise zeichnet Kröhnke auch ein Porträt der bundesrepublikanischen Geschichte von den späten 50er bis hinein in die 90er Jahre. Das geschieht aber nur beiläufig. Es geht neben der Idyllisierung zugleich darum, die alltägliche Erfahrung auf romantische Weise zu entgrenzen. Die Gesetze zu brechen, findet der Schüler Friz, "macht einen Vormittag noch ungewisser, schöner, banger, nach allen Seiten offener als Schuleschwänzen". Und so versteht er sich als Deutschlands einzigen, letzten Jungen, "dessen Leben den Gesetzen und der Romantik der Bildungs- und Entwicklungsromane folgte". Das Ziel des Helden:
"Gewachsenes Glück. Er ist mit jedem Jahr, mit jedem erotischen Abenteuer, mit jeder Begegnung der Welt, mit der Welt glücklicher, als zu jener Zeit, in der er diesen Weg noch nicht bewußt zu gehen begonnen hat. Also glücklicher als in der Kindheit und in der Zeit in der trotzkistischen Untergrundorganisation, wo er die Welt noch nicht als bunt, schön, sinnlich empfinden konnte. Obwohl auch das -Bildungsroman- in Vorstufen schon angelegt war. Wobei manche Leser auch schon gespürt haben, daß selbst in dem Glück einige melancholische Reste sind. Selbst in den ganz besonderen Geschichten, die er erlebt, denen mit Tim und Felix, ist immer auch Abschied, Elemente von Unglück, Trennung, Nicht-halten-Können."
In Darmstadt wächst dieser Friz auf, am Rande "der Steppe", die die Kinder zu abenteuerlichen Spielen lockt, in einem Haus voller Bücher der an einer seltsamen Krankheit leidenden Mutter. "Atterseekrankheit" - so nennen die Familienmitglieder das Leiden der Mutter, weil es sie am Attersee einst heftig befiel, ein Leiden, das sich später lediglich als Folge einer Überdosis eines bestimmten Medikaments erweist. Die Mutter ist Schriftstellerin, ihre Rezitationen erfüllen die Räume, ihr "wildes Geheimnis", Liebschaften ihrer Jugend, verlocken die Kinder zu feuchten Phantasien. Der Faktor S. -S. wie Soboda, der Künstlername der Mutter- der Faktor S., nämlich "alles Gewesene zu stilisieren und aufzubauschen", wird bei Friz und seinem Zwillingsbruder Carl radikalisiert. Alles was sie tun, betreiben sie bis zur letzten Konsequenz. Gerade mal zwölfjährig machen sie sich an ihrer Schule mit lautstarken Protesten, Besetzungen und Tumulten zu Vollstreckern der 68er Revolte. Friz fliegt von der Schule, läßt sich nach dem Abitur im trotzkistischen Untergrund für den linken Umsturz einspannen, daß ihm vor lauter Gehorsam und blindwütiger Schufterei Hören und Sehen vergeht. Weltrevolution good-bye! Zwei Freundinnen nehmen ihn unter ihre Fittiche. Im anheimelnden Flair vollgestopfter Altbauwohnungen zwischen Ikea-Regalen und Räucherstäbchen läßt es sich gemütlich lieben, diskutieren und promovieren.
"Das ist", meint Friedrich Kröhnke, "nicht speziefisch für diesen einen Friz. Es scheint mir vielmehr eine recht typische Entwicklung zu sein, auf die bestimmten Hindernisse, die diese Protest- und Veränderungsbewegung vorgefunden hat, so zu reagieren, wie es Fritz tut. Das ist die Schilderung des Milieus von Bioläden, Kinderbuchhandlungen, Kuscheltier- und Marionettenläden, die ungefähr an denselben Stellen zu Tage traten, wo vorher die politischen Institutionen waren. Ich muß dann immer an den trotzkistischen Buchladen in der Zülpicher Straße in Köln denken, von der Gruppe "Internationale Marxisten", in dem dann eines Tage plötzlich ein Scherzartikelladen, ich glaube er hieß "Luftballon", gewesen ist. Das Porträt einer Generation, aber aus einer Froschperspektive eines Teilnehmers dieser Generation, der seine eigenen Passionen hat."
Schließlich sind es die üppigen finanziellen Zuwendungen seiner, wie es heißt, "nationalsozialistischen Verwandten", die Friz ein Leben frei von Broterwerb mit Reisen durch die Welt, zu den jungen Burschen aller Herren Länder ermöglicht. Florian, Tim, Mogli, André, Zoran, Sascha, Abdeslam, Neung und Ssong - Friz akkumuliert seine Affären zu einem Katalog amouröser Abenteuer. Das Äußerste, was die Welt einem schenkt, meint er, sei "mit nackten Jungen im Bett zu liegen". Dazu der Autor:
"Der Ton, die Sprache ermöglicht nicht, denke ich, das Buch als eine Art soften Porno zu lesen; das ist ein in früheren Bühern von mir bereits in Vorstufen, wenn man so will, herausgebildeter, lakonischer und seltsamerweise, wie Kritiker beobachtet haben, gleichwohl idyllischer Ton; in ihm bekommen werden Sexualität, auch sexuelle Handlungen, direktes Vollziehen von Sexualittät gleichzeitig dargestellt, ausgespart und direkt benannt, ohne pornografisch zu werden. Sie finden Platz neben vielen anderen als schön und glücklich empfundenen Dingen drumherum, also dem Ambiente, in dem diese Sexualität und diese Erotik geschieht."
Friedrich Kröhnke ist tatsächlich ein Idylliker. "Es wechselte schauervolle Nacht mit Paradieseshelle", heißt es über einen Abend in Florenz, und weiter: "Da bogen wir aus einer dunklen Gasse in eine andere, und ich sah eine beleuchtete Pizzeria liegen, da ward mir Trost." Kröhnke wirft einen unaufgeregten Blick zurück auf seine Vergangenheit und rückt das Leben seines Helden in eine ferne, friedliche Sprachwelt. Das betrifft die private Geschichte ebenso wie die Historie, auch die jüngste:
"Erzählt er nicht relativ kurz zuvor erst, etwa während der Zeit des Mauerfalls, autobiographische Stoffe im Kontext der großen Geschichte? Die Liebesgeschichte mit David in Ostberlin etwa, ebenfalls eine persönliche, private Geschichte. Auf diese Weise wirkt sie entrückt, als geschütztes unangreifbares Kleinod. Wenn man keinen Beruf hat und keine schönen Möbel und keinen Bausparvertrag will man diese Geschichten als Besitz haben, als Schönheit, als etwas Geschütztes, und deshalb stellt man sie auch in diesen Rahmen, auf den kleinen Hausaltar, den vielleicht jeder braucht. Und dazu gehören die Ereignisse, die, wenn man sie miterlebt hat, jedenfalls für mich, etwas Heiliges haben, wie -großes Beispiel- der Tag, an dem die Mauer in Berlin fällt."
Mit großer Gelassenheit flaniert Kröhnkes Erzähler durch die turbulente Zeitgeschichte und seine nicht minder aufregenden privaten Erlebnisse. Auf acht Kapitel sind die 139 teils sehr kurzen, teils längeren Abschnitte verteilt, die -mit Titeln versehen- weitgehend chronologisch aufeinander folgen. Manche Episoden sind kleine Impressionen, die unverbunden ins Geschehen eingefügt werden, andere wiederum sind leitmotivisch verknüpft. Auf diese Weise zeichnet Kröhnke auch ein Porträt der bundesrepublikanischen Geschichte von den späten 50er bis hinein in die 90er Jahre. Das geschieht aber nur beiläufig. Es geht neben der Idyllisierung zugleich darum, die alltägliche Erfahrung auf romantische Weise zu entgrenzen. Die Gesetze zu brechen, findet der Schüler Friz, "macht einen Vormittag noch ungewisser, schöner, banger, nach allen Seiten offener als Schuleschwänzen". Und so versteht er sich als Deutschlands einzigen, letzten Jungen, "dessen Leben den Gesetzen und der Romantik der Bildungs- und Entwicklungsromane folgte". Das Ziel des Helden:
"Gewachsenes Glück. Er ist mit jedem Jahr, mit jedem erotischen Abenteuer, mit jeder Begegnung der Welt, mit der Welt glücklicher, als zu jener Zeit, in der er diesen Weg noch nicht bewußt zu gehen begonnen hat. Also glücklicher als in der Kindheit und in der Zeit in der trotzkistischen Untergrundorganisation, wo er die Welt noch nicht als bunt, schön, sinnlich empfinden konnte. Obwohl auch das -Bildungsroman- in Vorstufen schon angelegt war. Wobei manche Leser auch schon gespürt haben, daß selbst in dem Glück einige melancholische Reste sind. Selbst in den ganz besonderen Geschichten, die er erlebt, denen mit Tim und Felix, ist immer auch Abschied, Elemente von Unglück, Trennung, Nicht-halten-Können."