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Die aufblasbare Lärmschutzwand

Technik. - Krach macht krank. An Bahngleisen und Autobahnen sorgen Lärmschutzwände dafür, dass der Geräuschpegel für die Anwohner erträglich bleibt. Bei temporären Lärmquellen wie Baustellen und Open-Air-Konzerten sieht es beim Schallschutz aber oft schlecht aus. Vor ein paar Jahren schlug ein Stuttgarter Professor deshalb vor, aufblasbare Lärmschutzwände zu bauen, die sich schnell aufstellen und später wieder entfernen lassen.

Von Ralf Krauter | 24.03.2009
    Der gebürtige Afghane Schew-Ram Mehra ist Professor am Institut für Bauphysik der Universität Stuttgart. Sein Spezialgebiet: Die Akustik von Gebäuden.

    "Und die Idee kam daher, weil ich sehr aktiv auf dem Gebiet der Lärmbekämpfung und des Lärmschutzes tätig bin. Und ich habe gesehen: Gerade Baustellen, die sind ein Problem. Die sind meistens in Wohngebieten, machen sehr viel Krach - und dort war kein Lärmschutz da, weil die traditionellen Lärmschutzwände, die wir kennen, dort nicht einsetzbar sind. Die sind zu teuer, zu aufwendig, zu kompliziert. Und da habe ich mir überlegt: Was könnte man da machen?"

    Schew-Ram Mehras Idee war es, den Krach mit Schallschutzwänden aus überdimensionalen Luftmatratzen zu dämpfen, die sich in Problemzonen einfach und schnell aufpumpen ließen. Eine Luftnummer, dachten die meisten Kollegen zunächst. Laut Lehrbuch braucht man nämlich möglichst schwere, massive Wände, um Schallenergie effizient zu schlucken.

    "Mir war auch bekannt aus der Forschung, dass die Folien, die Membranen, die leichten Bauteile für Akustik nicht in Frage kommen, weil sie keine Masse haben. Da habe ich gesagt: Ich versuch’s trotzdem. Und die ersten Versuche im Rahmen von studentischen Diplomarbeiten haben mir gezeigt, dass diese Elemente funktionieren. Die haben einen sehr guten Schallschutz. Zum Teil sogar besser als die traditionellen Lärmschutzwände. Und so habe ich dann die Forschung weiter betrieben."

    Das Ergebnis der Tüftelei steht im Innenhof. Mit einem Kompressor haben zwei Studenten dort innerhalb von 20 Minuten einen Prototypen der Lärmschutzwand aufgeblasen: Eine flaches Wandelement, mit Seilen an umstehenden Bäumen verzurrt, damit es nicht umfällt. Die Außenhaut ähnelt dem Stoff einer Lastwagenplane. Gut drei Meter hoch und vier Meter breit ist die luftgefüllte Wand. Die rechteckigen Kammern in ihrem Inneren absorbieren einen beträchtlichen Teil der Schallenergie. Um die Dämpfung zu demonstrieren, stellt sich einer der Studenten mit einem laut klingelnden Handy davor. Sobald man hinter die Wand tritt, wird das Telefon merklich leiser. Steht man exakt gegenüber der Lärmquelle auf der anderen Seite, ist das Klingeln kaum noch zu hören.

    Normale Schallschutzwände aus Beton, Holz oder Metall mindern Lärm in der Regel um zwölf bis 14 Dezibel. Die Luftwand aus Stuttgart senkt den Geräuschpegel deutlich stärker, um über 20 Dezibel, das haben Messungen an einer Baustelle belegt. Trotz der guten Ergebnisse vergingen über zwei Jahre, bis die Stuttgarter Forscher einen Lizenznehmer fanden, der aus der tollen Idee ein käufliches Produkt machen wollte.

    "Die Risikobereitschaft ist hier in Deutschland ja sehr klein. Aber wir wollten hier in Deutschland die Elemente produzieren lassen. Damit wir auch mit der künftigen Firma zusammen noch weiter fortentwickeln. Das ist im Ausland ein bisschen schwieriger."

    Seit 2008 vermarktet der Spezialtextilien-Hersteller Ceno-Tec aus dem westfälischen Greven die Schallschutzmatratzen unter dem Motto: "Leichte Lösung gegen Lärm auf Zeit".

    "Und die Nachfrage ist gut."

    Auf zwei Baustellen in Frankfurt und Heidelberg sind derzeit 15 der mobilen Schallschutzwände im Einsatz – unter anderem, um den Lärm bei Rammarbeiten zu dämpfen. Bis Jahresende wolle man mindestens 100 der Module verkaufen, teilt Ceno-Tec auf Anfrage mit. Sieht so aus, als ob aus der Stuttgarter Luftnummer doch noch ein veritables Geschäft werden könnte.

    "Irgendwann kommt das, dass man daraus auch Kabinen macht. Für Kreissägen. Gegen eine Kreissäge hilft ja keine Lärmschutzwand. Da brauchen sie eine Haube, eine Kabine, eine Kapsel. Und das ist mit diesen Elementen leicht machbar."

    http://www.ibp.fhg.de/akustik/ba/schallschutz/mehra.pdf

    http://www.ceno-tec.de/sattler-web/static/media/pdf/Flyer_Schallschutz_CENO-IBP.pdf

    http://www.handelsblatt.com/technologie/forschung/aufblasbare-schutzwaende-loesen-laermprobleme;1116578