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Die Aufklärung der Amateurfilmer

In den siebziger und achtziger Jahren entstand der Begriff der "Gegenöffentlichkeit". Im Zuge neuer Videotechnologien wurde damals die etablierte Medienberichterstattung in Frage gestellt. Heute schaffen Digitalkamera und Internet neue, dezentral vernetzte Formen von Öffentlichkeit, oder besser: paralleler Öffentlichkeiten. Wird die Kommunikation dadurch aber demokratischer? Kann man digitalen Bildern hier wirklich trauen? Ein Symposium in Köln brachte Gegner, Anhänger und Beobachter der "Camcorder Revolution" zusammen.

Von Klaus Gronenborn |
    Ob die Revolution fernsehtauglich ist oder nicht: das bleibt eine ebenso alte wie offene Frage. Gil Scott-Herons Song "The Revolution will not be televised" jedenfalls klingt heute, drei Jahrzehnte nach seiner Entstehung, wie ein Kommentar zu der Tagung "Camcorder Revolution". Die von der Kölner SK-Stiftung Kultur in Kooperation mit dem Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms organisierte Veranstaltung brachte Videoaktivisten, Fernsehredakteure, Dokumentarfilmer und Vertreter nichtstaatlicher Menschenrechtsorganisationen im Kölner Mediapark zusammen. Am Tagungsort, einem ehemaligen Studio des Musiksenders "Viva" trafen, so stellte sich rasch heraus, zwei Lager aufeinander. Sie hatten wenig miteinander gemeinsam. Auf der einen Seite die Fernsehredakteure: Für sie bot die digitale Kameratechnologie die kostengünstige Möglichkeit beispielsweise lokaler Fernsehberichterstattung mit Ein-Mann Teams: "Videojournalismus" - für den es bereits Professuren und universitäre Ausbildungsgänge gibt. Im anderen Lager waren es die basisdemokratischen antikapitalistischen Medienaktivisten. Deren Digitalvideoclips im Internet sollen als vernetzte Agitprop-Formate die "Usern" zur direkten politischen Aktion animieren: Mit HipHop gegen Hartz IV auf einer Berliner Demo.

    Neue Medientechnologien haben immer auch neue Formen der Information jenseits der etablierten Medienberichterstattung möglich gemacht. Das war Anfang der sechziger Jahre so mit den 16-Millimeter Synchronton-Kameras der direct-cinema Bewegung. Das war in den siebziger und achtziger Jahren der Fall mit der Videotechnologie. Die politischen Videogruppen jener Jahre brachten den Begriff der "Gegenöffentlichkeit" in die medienpolitische Debatte ein. Heute schaffen Digitalkamera und Internet neue, dezentral vernetzte Formen von Öffentlichkeit, oder besser: paralleler Öffentlichkeiten. Die politische Dimension des Zerfalls von Öffentlichkeit in Öffentlichkeiten blieb auf der Tagung undiskutiert.

    Als die erste digitale Handycam 1985 in Japan hergestellt wurde, exakt in der Größe eines japanischen Reisepasses übrigens, war das Gerät als Konsumartikel für die Amateurfilme gedacht. Erinnern wir uns: Oft waren es Amateurfilme, die die politischen Katastrophen und die Naturkatastrophen aus erster Hand im Bild festhielten. Angefangen von dem wohl am ausgiebigsten analysierten Home-Movie der Welt, das die Ermordung John F. Kennedys zeigt, bis zu den Bildern der Tsunami-Flut im Dezember vergangenen Jahres. Handycams sind heute überall präsent. Sie werden von der Polizei genutzt, von oppositionellen Gruppen, von Rechten, wie von Linken, von Terroristen, wie von Menschenrechtsorganisationen bei der gerichtstauglichen Dokumentation von Völkermord.

    Was kann ein Bild über die Welt aussagen? "Seeing is Believing", lautete der Titel des die Tagung eröffnenden Digitalvideos von Katerina Cizek und Peter Wintonik aus Kanada. Kann man den Bildern, die man sieht, glauben?
    Mit Nachdruck wird diese Frage bejaht, wenn der Philipino Joe Lozano die Unterdrückung der Einwohner von Mindanao, einer Insel im Süden des Landes, dokumentiert und mit Unterstützung der Menschenrechtsorganisation "Witness" dieses Bildmaterial auf deren Website weltweit verfügbar macht. Hier sagt ein Bild tatsächlich "mehr als tausend Worte". Anders ist das in Andrej Nekrasows "Disbelief". Der ebenfalls mit Digitalvideokamera gedrehte Film blickt hinter die Bilder eines am 9. September 1999 in Moskau verübten Bombenanschlags auf einen Wohnblock, dem über 200 Menschen zu Opfer fielen. Die russische Führung machte Tschetschenen für den Terrorakt verantwortlich. Tatjana, die bei dem Anschlag ihre Mutter verlor und heute im amerikanischen Exil lebt, begibt sich auf die Spurensuche nach den Hintergründen dieses Terroranschlags. Für die Vermutung, der russische Geheimdienst stehe hinter dieser Schreckenstat. findet sie keine Beweise, nur Indizien. Die schreckliche Evidenz der Bilder führt nicht zur Identifizierung der Täter. Zweifel und Skepsis bleiben.

    Skepsis - als Fazit der Tagung - bleibt auch angebracht gegenüber dem Slogan der "Camcorder Revolution". Einen Schritt zur Demokratisierung der Kommunikation bietet diese Technologie zweifellos. Erst dann, wenn ein weltweit gleichberechtigter Zugang zu den Kameras und zum Internet möglich ist, erst dann gäbe es keine geographischen und politischen Bildmonopole mehr.