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Die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union

    Heinlein: : Europa wächst zusammen, doch vor dem Feiern kommt das Feilschen. Bis zur letzten Minute verhandeln in Kopenhagen die Kandidaten mit der Kommission um das liebe Geld. Doch ernsthaft rechnet niemand mit einem Scheitern des Gipfels, und so werden die europäischen Staats- und Regierungschefs die Erweiterung der Union um 10 Mitglieder beschließen. Doch bereits vor dem Erreichen dieser historischen Wegmarke wird der nächste Schritt ins Auge gefasst. Die Türkei will sich nicht länger vertrösten lassen und endlich ein konkretes Datum für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen genannt bekommen. Nach etlichen Reformen fühlt sich Ankara fit für Brüssel und will weg vom Katzentisch der Gemeinschaft. Dieser Wunsch könnte erfüllt werden, nach einer erneuten Reifeprüfung sollen 2005 Beitrittsverhandlungen beginnen, so wollen es zumindest Deutschland und Frankreich. Darüber wollen wir jetzt mit Hasan Ögütci, dem Koordinator der neugegründeten europäisch-türkischen Zivilplattform, ein Zusammenschluss türkischer Organisationen und Vereine in Deutschland. Guten Morgen Herr Ögütci!

    Ögütcü: : Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: : Die Türkei ist ein islamisches Land und liegt geographisch außerhalb von Europa. Was ist denn so europäisch an der Türkei?

    Ögütcü: : Teilweise liegt die Türkei zwischen Asien und Europa, ein Teil liegt in Europa. Ich denke, dass die Türkei sich seit über 4000 Jahren zum Westen orientiert hat. Dies wird deutlich, wenn wir uns das Osmanische Reich angucken, die damaligen Beziehungen zu Europa und dann die gegründete Republik mit der Trennung von Staat und Religion. Die Türkei ist in allen europäischen Organisationen, von militärischen und sportlichen bis zu wissenschaftlichen Organisationen Mitglied. Deshalb denken wir, dass die Geographie keine große Rolle spielen soll.

    Heinlein: : Ist denn die Türkei bereits reif für einen EU-Beitritt? Nicht nur in Deutschland gibt es ja daran viele Zweifler.

    Ögütcü: : Die Türkei hat natürlich wirtschaftliche Probleme. Das ist klar. Die Wirtschaftskrise hat auch die Türkei getroffen. Wir schauen zurück. Der europäische Rat von Helsinki hat 1999 der Türkei den Status als Beitrittskandidat förmlich eingeräumt. Diese Zusage von Helsinki hat in der Türkei eine politische Dynamik ausgelöst. Es wurden sehr viele entscheidende Reformen veranlasst. Dazu gehören die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten, die Reform des Strafrechtes und des Vereins- und Versammlungsrechtes. Der Ausnahmezustand, das ist wichtig in Gebieten, wo überwiegend Kurden leben, wurde abgeschafft. Es gab dann auch die Möglichkeit, in der Muttersprache unterrichtet zu werden. Die Zusage von Helsinki hat also einiges ausgelöst. Ich hoffe, dass für die Türkei heute eine positive Entscheidung fällt, so dass weitere demokratische Prozesse vorangetrieben werden können.

    Heinlein: : Trotz dieser Reformen, die Sie gerade angesprochen haben, werfen ja Menschenrechtsorganisationen, wie Amnesty International, der türkischen Regierung nach wie vor Folter und systematische Menschrechtsverletzungen vor. Ist denn die Türkei bereits ein rechtsstaatliches Land nach europäischem Muster?

    Ögütcü: : Ich denke schon, dass die Türkei ein rechtsstaatliches Land ist. Es gibt natürlich hier und dort kleine Probleme. Das muss man auch akzeptieren. In den letzten Jahren, was es nicht einfach, dass ein Polizist einen Menschen foltert. Wenn so etwas passiert, wird er vor Gericht gestellt. Das zeigt, dass die Türkei die Sache ernst nimmt. Die Türkei hat 1980 eine Militärjunta gehabt. Über 4 oder 5 Jahre hat nur das Militär das Land regiert. Es ist natürlich nicht so leicht, in allen Bereichen des Lebens das Demokratieverständnis und den Demokratieprozess voranzutreiben. Ich möchte hier jedoch als ehemaliger Oppositioneller sagen, dass auch diese Regierung, obwohl sie aus einer islamistischen Bewegung entstanden ist, möchte, dass die Türkei der EU beitritt. Sie meint es ernst und wird sich dafür einsetzen, dass es in der Türkei im nächsten Jahr mehr Demokratie und mehr Menschenrechte und keine Folter geben wird.

    Heinlein: : Sie haben zum Ausdruck gebracht, dass Sie sich von Beitrittsverhandlungen noch mehr Reformen versprechen. Was erwarten Sie denn nun von dem EU-Gipfel? Sind Sie zufrieden mit der wahrscheinlichen Lösung, dass 2005 die Aufnahmegespräche beginnen?

    Ögütcü: : Unsere Plattform würde sich darüber freuen. Die Menschen haben seit über einem Monat und bei der Novemberkälte sehr hart gearbeitet. Sie haben Unterschriften gesammelt und mit vielen deutschen Bürgern diskutiert. Wir würden uns freuen, wenn die Aufnahmeverhandlungen vor 2005 eingeleitet würden. Aber auch das Jahr 2005 ist eine Perspektive, wenn es die Europäer und Türken ernst meinen. Und sie meinen es ernst. Das wäre nicht die beste, aber auch eine gute Lösung.

    Heinlein: : Welche Folgen hätte eine weitere Verzögerung des türkischen Beitrittswunsches?

    Ögütcü: : Das würden den Demokratieprozess in der Türkei erschweren. In der Türkei würde man denken, die Europäer wollten die Türken nicht, obwohl sie viel getan haben. Das würde dem Land nicht gut tun. Das würde das Land nicht Richtung Westen, sondern Richtung Osten verschieben. Das wäre sehr schlecht.

    Heinlein: : Wie bewerten Sie denn das Vorgehen der Bundesregierung in Sachen türkischer EU-Beitritt? Deutschland ist ja eher zögerlich im Vergleich zu anderen EU-Staaten.

    Ögütcü: : Deutschland hat natürlich auch innenpolitische Bedenken. Sie haben ja demnächst in Hessen und Niedersachsen Wahlen. Leider haben CDU und CSU in ihrem Parteitag beschlossen, dass die Türkei keine Perspektive bekommt und dass sie kein Vollmitglied der EU wird. Das beeinflusst diese Landschaft. Ich denke aber, dass die Bundesregierung dennoch dafür ist, dass die Türkei eine Perspektive bekommt. Wir haben das bei vielen Gesprächen so verstanden.

    Link: Interview als RealAudio