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Die australische Phobie vor den Flüchtlingen

Der Umgang mit Asylbewerbern, die oftmals unter lebensgefährlichen Umständen in überfüllten Booten die Küsten Australiens ansteuern, ist eines der wichtigsten Wahlkampfthemen im Land. Die Labor Partei des Premierministers Kevin Rudd versucht mit einer restriktiven Flüchtlingspolitik, Wählerstimmen zu gewinnen.

Von Udo Schmidt |
    Farad ist vor vier Jahren aus dem Iran geflüchtet, den ganzen langen klassischen Weg über Thailand, Malaysia, Indonesien, dann mit dem Boot, einem kaum seetüchtigen Kahn, Richtung Australien. Farad hat es geschafft, er sitzt in einem Flüchtlingszentrum am Rande Sydneys – hier werden ihm Englischkenntnisse vermittelt - und erinnert sich:

    "Ich habe zwei Monate in Indonesien gelebt, einen Monat davon in einem Internierungslager. Dort gab es für Geld alles von der Polizei, Alkohol, Drogen, Frauen. Ich habe meine ganz eigenen Erfahrungen gemacht in diesem Lager in Indonesien."

    Dann schließlich kauft sich Farad frei und auf dem Kahn nach Australien ein. Er wird zu einem der Boatpeople, die die australische Politik so fürchtet.

    "Ich bin glücklich, jetzt hier in Australien zu sein. Aber ich kann es mir nicht verzeihen, dass ich mit einem Boot gekommen bin. Denn die Australier schauen auf uns Boatpeople herab, als wenn wir Diebe wären."

    An die 10.000 Flüchtlinge, Asylsuchende, sind bisher in diesem Jahr an Australiens Küsten, meist vor der nahe an Indonesien liegenden Weihnachtsinsel, angelandet, häufig halbertrunken gestrandet. Rund 90 Prozent von ihnen werden, nach oft jahrelangen Verfahren und mehrjähriger Internierung, als Asylsuchende anerkannt. Kein Grund für den neuen australischen Premier Kevin Ruud, vor wenigen Tagen zu behaupten, die meisten Boatpeople seien Wirtschaftsflüchtlinge.

    Wovor hat Australien Angst, fragt David Marr, Buchautor und bekannter Kritiker der australischen Flüchtlingspolitik:

    "In letzter Zeit sind mehr Flüchtlinge mit dem Boot gekommen als jemals zuvor. Aber insgesamt gesehen, seit den 35 Jahren, in denen überhaupt Asylsuchende per Boot flüchten, sind es gerade einmal 44.000 sogenannte Boatpeople. In dieser Zeit hat Australien 3,5 Millionen Einwanderer integriert. Die Zahl der Flüchtlinge, um die es geht, ist winzig, aber die Abschreckungspolitik ist brutal."

    Abgeschreckt wird seit vergangenem Jahr mit der Neuauflage der "Pazifischen Lösung", das heißt, die Boatpeople werden für die Zeit des Verfahrens in Lager, Zeltlager, auf Nauru und Papua-Neuguinea gebracht – weit weg von Australien. Diese ursprünglich konservative Idee der Liberalen Partei hatte Labor-Mann und jetzt wieder Premier Kevin Rudd, als er 2007 erstmals an die Macht kam, als menschenverachtend einkassiert. Nun hat er genau diese Lösung zu vertreten, will er die kommenden Wahlen gewinnen. David Marr zu der Logik, die in dieser Politik steckt:

    "Die Boote symbolisieren die Art unkontrollierter Ankunft, die den Australiern Angst macht. Beide politischen Parteien versuchen daraus, einen Vorteil zu gewinnen. Wer auch immer an der Regierung ist, wird sich von der Opposition angegriffen sehen, wenn die Zahl der Bootsflüchtlinge steigt."

    Und diese Zahl steigt deutlich. Seitdem die Abschreckungslösung der weit entfernten Internierungslager greift, steigt sie sogar noch schneller. Von August bis Ende vergangenen Jahres waren es mehr als 8.000 Bootsflüchtlinge, in den ersten drei Monaten 2013 erreichten bereits knapp 5.000 Asylsuchende auf Booten irgendwie Australien. Die Politik, sagt David Marr, versucht der wachsenden Zahl mit Verunglimpfung zu begegnen:

    "Eine Möglichkeit, das Problem anzugehen, ist die Sprache. Die Asylsuchenden werden als Illegale bezeichnet. Aber Asylsuche ist legal. Und sie werden als Vordrängler denunziert, was in Australien ein schlimmer Vorwurf ist. Aber es gibt keine Reihe, in der sie sich vordrängeln können."

    Nesrin ist auch aus dem Iran geflüchtet, auch über Indonesien, auch mit dem Boot. Sie hat das nicht getan, weil sie sich vordrängeln wollte, sondern weil sie keinen anderen Weg wusste:

    "Wir haben viel Geld bezahlt, etwa 8.000 Dollar. Auf dem Boot gab es einen Haufen Probleme. Wir waren neun Tage unterwegs, es war furchtbar dreckig. Es gab nicht genug zu essen und zu trinken. Wir wären fast gestorben. Nach neun Tagen hat uns die australische Küstenwache gerettet und wir waren glücklich und aufgeregt, an einem sicheren Ort anzukommen."

    Nesrin ist inzwischen anerkannt in Australien, sie hat ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht und fühlt sich in ihrer neuen Heimat wohl. Eigentlich nämlich, sagt Stephen Castles von der Universität Sydney, der viele Jahre in Frankfurt gelehrt hat, ist Australien ein liberales Einwanderungsland, das mit Neuankömmlingen gut umgeht:

    "Also, ich glaube nicht, dass man in Australien von einem starken Rassismus sprechen kann, weil die Leute hier sehr gut mit Anderssein umgehen. Aber das klappt in der Praxis besser als in der Theorie."

    Und der Wahlkampf der kommenden Wochen und Monate in Australien wird von der Theorie bestimmt werden, von Rededuellen etwa um den besten, das heißt den restriktivsten Umgang mit eben jenen Flüchtlinge, die per Boot Australien zu erreichen versuchen und eigentlich zu den Hilfsbedürftigsten gehören.