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Die Basta-Vokabel

Eigentlich ist in unseren postparadiesischen Gefilden nichts wirklich alternativlos. Im Jargon der Politik wähnt sich der Verwender im Besitz der einzigen Wahrheit. Aber: Zur Alternativlosigkeit gibt es immer eine Alternative, und zwar den Alternativenreichtum.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 18.01.2011
    Die Alternative war eigentlich ein Gottesgeschenk. Als Adam sich auf Erden furchtbar langweilte, schuf der Herr eine Alternative. Adam nannte sie scherzhaft: "alte Naive", aber das war wirklich nur ein Scherz.

    Jedenfalls gab es im Paradies fast zu allem eine Alternative: zum Land das Wasser, zum Tag die Nacht und zu den Tieren die Pflanzen. Dadurch war das Dasein reich und lebenswert, und so wäre es wahrscheinlich noch geraume Zeit geblieben, wenn da nicht die Sache mit dem Erkenntnisbaum passiert wäre, bei der es um die Alternative von gehorsam, gut und wahr ging.

    Jedenfalls schmiss der Schöpfer das paradiesische Paar kurzerhand hinaus, und zwar mit der Bemerkung, das sei jetzt leider alternativlos. Da mussten die beiden sehr weinen, denn aus dem Paradies geworfen zu werden, ist schon sehr traurig, aber Alternativlosigkeit ist noch viel schlimmer. Alternativen sind der Treibstoff der Hoffnung; wenn der ausgeht, dann gute Nacht. Alternativen sind die Grundlage der Dialektik; wenn die wegfällt, dann ist das Denken am Ende. Weil aber die Hoffnung nie ganz ausgeht und sogar das Denken, wenn auch manchmal nur auf Sparflamme, weitergeht, ist eigentlich in unseren postparadiesischen Gefilden nichts wirklich alternativlos. Wer das Gegenteil behauptet, will uns bloß Angst einjagen.

    Aus diesem Grund ist "alternativlos" ja so ein beliebtes Wort geworden: Es ist ein Macht-Wort, ein Basta-Begriff, eine Zwangs-Vokabel. Wer "alternativlos" sagt, wähnt sich im Besitz der einzigen Wahrheit. "Alternativlos" gehört zum Arsenal totalitären Politjargons, "alternativlos" klingt nach kalter Wissenschaft, dabei ist es bloß eine wilde Suggestion. Es gibt nämlich zur Alternativlosigkeit immer eine Alternative, und zwar den Alternativenreichtum. Obwohl Alternativen streng genommen nur zu zweit auftreten können, wünschen sich manche Leute "mehr Alternativen"; oft sind diese Leute selbst Alternative und drücken sich bloß nicht ganz richtig aus.

    Auffällig ist, dass es in den soziologischen siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts es viel mehr Alternative und Alternativen gab als heute; "Alternativen" aufzeigen, war damals geradezu ein Volkssport. Vor lauter Alternativen verlor man bloß die ursprünglichen Gegebenheiten manchmal ein bisschen aus dem Blick. Aber heutzutage werden diese sogenannten Gegebenheiten eher überbewertet. Jedenfalls sollte man jedes Mal, wenn jemand "alternativlos" sagt, sofort losziehen und in der Lotterie der Möglichkeiten ein Alternativ-Los ziehen.