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"Die Bedeutung des VW-Gesetzes wird überschätzt"

Trotz einer drohenden Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof hält der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff das so genannte VW-Gesetz für vereinbar mit dem EU-Binnenmarktsrecht. Es werde kein ausländischer Investor diskriminiert oder gar das Land Niedersachsen privilegiert. Das Gesetz sorge dafür, dass kein einzelner Aktionär einen dominierenden Einfluss bei Volkswagen habe. Diese Idee finde er "nach wie vor faszinierend", fügte der CDU-Politiker hinzu.

Moderation: Dieter Jepsen-Föge | 18.02.2007
    Dieter Jepsen-Föge: Herr Wulff, war die vergangene Woche für Sie als Ministerpräsident Niedersachsens eine, die Ihnen abgefordert hat, auch Niederlagen zu verdauen? Ich denke da an den drohenden Verlust des Einflusses auf das Volkswagenwerk einmal durch europäische Rechtsprechung und durch die starke Position Ferdinand Piechs, des Aufsichtsratsvorsitzenden und Miteigentümers, und ich denke an die Gefahr von Arbeitsplatzverlusten bei Airbus auch an Standorten in Niedersachsen.

    Christian Wulff: Man muss auch mit schwierigen Situationen umgehen können, man muss auch erkennen - gerade in meinem Falle -, wo man sich nicht ganz oder so durchsetzen kann, wie man sich das ursprünglich vorgestellt oder vielleicht sogar vereinbart hatte. Auf der anderen Seite ist aber gerade in der Krise klaren Kopf zu bewahren und daraus wieder eine neue Chance zu machen, nämlich nach vorne zu schauen, bei VW mit dem Aktionär Porsche jetzt gemeinsam an einem Strang zu ziehen und sich zu verständigen, dann auch wieder für viele Beteiligte ermutigend, auch für einen selbst, dass man dann hinter einer solchen Woche sagen kann: Man hat daraus das Beste gemacht.

    Jepsen-Föge: Bleiben wir zunächst bei VW. Wird das Volkswagen-Gesetz, das ja ein Schutz vor feindlichen Übernahmen bieten soll und dem Land Niedersachsen erheblichen Einfluss gibt, wird dieses Gesetz auch nach Ihrer Vermutung vom Europäischen Gerichtshof gekippt, oder haben Sie da noch Hoffnung, dass der Gutachter sich nicht durchsetzen wird auf die Rechtsentscheidung?

    Wulff: In Zweidrittel aller Fälle ist das Gericht dem Gutachter gefolgt. Das heißt, man kann jetzt vermuten, dass es so kommen könnte. Aber in einem Drittel ist der Gerichtshof auch abgewichen. Darauf setzen wir natürlich, denn wir halten das Gesetz für vereinbar mit dem Europäischen Binnenmarktsrecht. Es wird kein Aktionär besonders begünstigt, keiner benachteiligt, kein ausländischer diskriminiert, kein inländischer oder gar das Land Niedersachsen privilegiert, sondern es gilt für alle Aktionäre gleichermaßen, dass die Ursprungsidee von Volkswagen und des Gesetzes war, dass kein einzelner Aktionär den dominierenden Einfluss bei Volkswagen haben soll. Deswegen hat man gesagt: Egal, wieviel Aktien jemand hat, bei 20 Prozent enden seine Stimmrechte, darüber hinausgehend hat er keine Stimmen - damit eben wirklich Volksaktie besteht, breite Streuung des Aktienkapitals. Und diese Idee finde ich nach wie vor faszinierend und hoffe, dass sie im Europäischen Recht Bestand haben kann. Das ist die Entscheidung, die dem Europäischen Gerichtshof vorliegt.

    Jepsen-Föge: Und wenn Ihre Hoffnung trügt, wenn dieses Gesetz doch gekippt wird, was hat das für Folgen?

    Wulff: Die Bedeutung des VW-Gesetzes wird überschätzt. Insofern halten sich auch die Folgen in Grenzen. Eine feindliche Übernahme, die wir nie wollten und wollen können, die war auch unter dem VW-Gesetz möglich. Wenn sich zwei Aktionäre, die je 20 Prozent besitzen, einig geworden wären, dann hätten sie jeweils auf den Hauptversammlungen die Mehrheit gehabt. Die Beeinflussung des VW-Konzerns wäre immer etwas schwieriger gewesen als bei anderen Unternehmen, weil das Land Niedersachsen zwei Entsendemandate im Aufsichtsrat hat. Genau diese beiden Entsendemandate, die der Europäische Gerichtshof jetzt angreift, die haben sie aber auch aufgrund der Satzung des Unternehmens. Und die Satzung bleibt bestehen. Sie ist nur mit 80 oder 75 Prozent Mehrheit zu ändern. Und das können wir immer verhindern, denn Niedersachsen hat 20,8 Prozent Aktien. Und das ist auf der Hauptversammlung immer mehr als 25,1 Prozent, und damit können wir weiter alle wesentlichen Entscheidungen, wenn sie uns nicht gefallen, auf den Hauptversammlungen verhindern. Und man kann wirklich sagen: Es muss sich niemand fürchten - auch für den negativen Fall dieses Verfahrens, dass das VW-Gesetz geändert werden müsste.

    Jepsen-Föge: Könnte es nicht vielleicht sogar VW guttun, wenn dieser - ich nenne es mal - Schutzzaun fällt und VW sich voll dem Wettbewerb stellen muss?

    Wulff: Volkswagen hat sich ja gut entwickelt die letzten Jahrzehnte, ist ja insgesamt eine Erfolgsstory. Und die Aktien werden stärker gehandelt als die Aktien anderer Automobilhersteller, zum Beispiel Peugeot oder Renault. Es stimmt also nicht, dass das den freien Kapitalverkehr behindert. Die Mehrheit der Aktionäre war bis vor kurzem im Ausland, und es gibt auch viele Fonds, die dort beteiligt sind. Aber dass man hier einen gewissen Schutzzaun jetzt bildet durch eine gute Zusammenarbeit von Porsche und Niedersachsen gegen anonyme Fonds, die bestimmte Dinge im Schilde führen können, die dem Unternehmen gar nicht guttun, die vielleicht den Aktionären guttun, aber nicht dem Unternehmen als solchem, das werden Sie verstehen, finde ich nicht schlecht, dass wir auch die Rendite einerseits und die Sicherung der Arbeitsplätze andererseits als gleichwertige Ziele ansehen. Und ich fände es schon nicht gut, wenn man den Konzern aufspalten würde, Audi loslösen würde oder die Bank von Financial Services loslösen würde, sondern ich sehe das Ganze als erfolgreich - mit all den Marken und all den Standorten in der ganzen Welt.

    Jepsen-Föge: Zur Zukunft der deutschen Automobilindustrie. In der Diskussion um mehr Klimaschutz im Allgemeinen und der Verringerung des CO 2-Ausstoßes im Besonderen wird der deutschen Automobilindustrie ja vorgeworfen, sie verhindere mehr Klimaschutz, sie habe die Entwicklung verschlafen, und die Bundesregierung und die Politik insgesamt schütze die deutsche Autoindustrie und verrate damit die eigene Umweltpolitik. Ist diese Kritik so unberechtigt?

    Wulff: Die Kritik ist richtig wie falsch. Natürlich müssen wir befürchten, dass die Selbstverpflichtung der Automobilhersteller, die Reduktion bis 2008 zu bewerkstelligen, nicht erreicht werden könnte. Auf der anderen Seite sind die Emissionen seit 1990 für einen Kilometer Beförderungsleistung um 40 Prozent zurückgegangen. Wir haben wirklich große CO 2-Reduktionen auch durch technische Neuerungen und technische Entwicklungen. Und es muss auch eine Mixbetrachtung angestellt werden, also Verkehrslenkung, Fahrertraining, energiesparend zu fahren, neue Einsätze von Techniken, Biokraftstoffe, die CO 2-frei sind, Anteil der Dieselfahrzeuge, die weniger CO 2 emittieren. Bei einer Gesamtbetrachtung sieht Deutschland so schlecht nicht aus. Und dann gilt: Die deutsche Automobilindustrie ist besonders für größeren Hubraum, für größere, für aufwendigere Luxusfahrzeuge . . .

    Jepsen-Föge: . . . ist das zukunftsträchtig?

    Wulff: Ich denke, wir sind Weltmarktführer. Wenn also in Japan, in China, in Amerika sich jemand ein schickes Auto, ein bequemes Auto, ein tolles, ein schnelles Auto anschaffen will, dann schafft er sich ein deutsches Auto an. Und wenn wir also irgendwo mal Weltmarktführer sind in einem Bereich - und es wird ja immer solche Autos geben -, dann sollten wir auch diese Weltmarktstellung verteidigen und ausbauen und können keine Flottenbetrachtung anstellen, denn die Flottenbetrachtung ist dann eindeutig für die Italiener, für die Japaner, für die Koreaner, denn dann muss man auch auf die spezifische Situation der europäischen, der deutschen Automobilwirtschaft abstellen. Und das hat die Kommission versäumt gehabt am Anfang.

    Jepsen-Föge: Sollten wir das tun, selbst wenn es zu Lasten des Klimaschutzes geht?

    Wulff: Ich beispielsweise finde, es wird zu sehr der Straßenverkehr verteufelt. Die Kernkraftwerke in Deutschland vermeiden die CO 2-Emmission im Umfang von 150 Millionen Tonnen CO 2, und genau diese Menge ist die Menge des gesamten deutschen Straßenverkehrs. Also, man macht so schnell ideologisch den Ausstieg aus der Kernenergie fest, wie Rot-Grün, und auf der anderen Seite schimpft man über bestimmte Phänomene des Verkehrs, stellt aber keine Gesamtbetrachtung an. Und Gesamtbetrachtung heißt, dass durch diese größeren Fahrzeuge auch immer technische Neuerungen aufgekommen sind, wie neue Werkstoffe, Aluminiumfahrzeuge beispielsweise. Und das ist auch ein Technologietreiber. Ich bin für eine Gesamtbetrachtung, dass wir vor allem auch die Biokraftstoffe erweitern, zu Hybrid-Antrieben, zu anderen Antrieben - Brennstoffzelle, Wasserstofftechnologie - kommen. Die deutsche Automobilindustrie investiert Millionen in Umwelttechnologien, Milliarden im Grunde genommen insgesamt, betrachtet über die Jahre. Und auf dem Weg muss weitergemacht werden.

    Jepsen-Föge: Wenn Sie auf die Gesamtenergiepolitik abheben, dann haben sie gerade ein Plädoyer für die Kernenergie abgegeben. Nun hat ja nicht nur Rot-Grün den Ausstieg aus der Atomenergie und die Abschaltung von Kernkraftwerken gefordert, sondern so ist es auch festgeschrieben im Koalitionsvertrag. Sollte der nach Ihrer Meinung gleichsam aufgeschnürt werden?

    Wulff: Wir müssen den Koalitionsvertrag einhalten. Ich hoffe, dass man durch eine extensive Auslegung der möglichen Formulierungen letztlich erreichen kann, dass in dieser Legislaturperiode kein Kernkraftwerk vom Netz gehen muss, wenn es dem neuesten Stand der Technik entspricht, eben nur aufgrund des damals beschlossenen rot-grünen Atomausstiegs. Das kann man hinbekommen. Und dann muss 2009 in der Bundestagswahl eine offene Auseinandersetzung geführt werden, dass wir vorübergehend auf die Kernkraft nicht verzichten können. Wir brauchen natürlich Energiesparen. Die gesparte Energie muss nicht erzeugt werden, das ist die klügste Energiepolitik. Und es gibt immer noch viel zu viel Standby-Schaltungen bei Fernsehen und andere Formen von Energiefressern, wo die Bevölkerung auch insgesamt mitmachen kann, dass wir Energie sparen. Und die Energie, die wir brauchen, müssen wir stärker ökologisch erzeugen durch Wasserkraft, durch Gezeitenkraftwerke, wie wir es jetzt in Niedersachsen bauen, durch Sonnenenergie, Windenergie, wie wir im Offshore-Bereich auf der Nordsee auch bauen. Aber all dies an vernünftiger ökologischer Politik wird nicht vermeiden können, dass wir die Grundlast, die Grundversorgung auch der Industrie auch über Kernenergie werden sicherstellen müssen, bis dann mal die regenerativen Energieträger so weit sind.

    Jepsen-Föge: Herr Wulff, nun werde ich den Versuch unternehmen, einen schwierigen Bogen zu schlagen vom Klimaschutz, Kernenergie, Energiepolitik zum Rauchverbot. Irgendwie hängt das ja alles zusammen, es ist irgendwie klimaschädlich. Nun hat die Bundesregierung ja ein Rauchverbot für öffentliche Verkehrsmittel und Bundesbehörden in dieser Woche beschlossen. Nun sind also die Länder an der Reihe. Es wird einen sogenannten Raucher- oder Antiraucher-Gipfel geben, denn die Länder sind ja zuständig, die Frage zu klären, wie soll es in den Restaurants, in den Gaststätten geregelt sein. Sie hatten einfach gesagt, die Wirte sollten doch entscheiden, ob und wo sie rauchfreie Zonen einrichten. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Position bei den Ländern mehrheitsfähig ist?

    Wulff: Wir haben uns im Dezember vorgenommen, uns drei Monate Zeit zu nehmen, also im März zu einer Entscheidung zu kommen. Die Länder haben die gewaltige Chance, nachzuweisen, dass Themen, die bei ihnen aufgehoben sind, gut aufgehoben sind, denn der Bund hat ja nichts voreinander bekommen über Jahre, und jetzt haben die Länder die Chance, zu zeigen, dass sie damit verantwortlich umgehen. Ich wünsche mir, dass wir im Bereich von Verkehrsmitteln, von Schulen, Hochschulen, Bildungseinrichtungen, Krankenhäusern und vielen anderen öffentlichen Einrichtungen, wo Menschen auch zwangsweise sein müssen, wo sie gar nicht entscheiden können, will ich da hin oder will ich da nicht hin, dass wir dort zu Rauchverboten kommen und im Gastronomiebereich auch sagen, grundsätzlich ist Rauchverbot, Rauchen nur noch in abgeschlossenen Räumen, wo eine eigene Luftzirkulation gewährleistet ist, oder Gastwirte entscheiden sich bewusst, dass bei ihnen geraucht werden kann, so in der Eckkneipe, wo man gar nicht geschlossene Räume abgeschottet schaffen kann. Dann müssen sie es aber kenntlich machen und dann weiß derjenige, der dort reingeht, dass er in eine Gaststätte geht, in der auch geraucht wird. Das ist für eine freie und freiheitliche Gesellschaft angemessen und würde vor allem zu wesentlich mehr Nichtraucherschutz beitragen, weil die Nichtraucher überall darauf rechnen können, wo ein solches eher nicht in der Tür steht, dass man dort nicht mit Rauch belästigt wird. Die gesundheitsschädliche Wirkung des Passivrauchens, des Mitrauchens ist einfach nachgewiesen. Und es sterben Menschen wegen des Passivrauchens, die selber gar nicht rauchen. Das kann man nicht mehr zulassen. Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass sie nicht von Rauch belästigt werden, weil er gesundheitsschädlich ist, vor allem für Kinder und Jugendliche, vor allem für Frauen in der Schwangerschaft, da ist das Passivrauchen für die Kinder von ganz großer Gefahr.

    Jepsen-Föge: Kriegen wir das also am Ende der kommenden Woche hin? Wissen wir denn, was die Bundesregierung, was die Länder wollen?

    Wulff: Ich weiß nicht, ob bereits bei der Gesundheitsministerkonferenz am Freitag das Ergebnis zustande kommt. Ich glaube, dass das eher bei den Beratungen der Ministerpräsidenten zustande kommt in der Form, dass man sich hoffentlich über 80 Prozent der Regelungen gemeinsam einigt und dann vielleicht auch Alternativen hat. Dann wird es vielleicht ein Land geben, das den Nichtraucherschutz absolut setzt und Rauchverbote überall generell macht, und dann wird es andere Länder geben, die sagen, wir lassen auch ein bisschen mehr Freiraum den Gastronomen und den Kunden, die sollen selbst entscheiden können. Und das wäre ja gar nicht schlecht, wenn es drei, vier Jahre zwei verschiedene Regelungen in unterschiedlichen Bundesländern gäbe. Dann könnten wir nämlich Erfahrungen sammeln und Wettbewerb organisieren. Und am Ende könnten wir sagen, also das eine ist doch das bessere Modell, alle schließen sich dem an, oder das andere hat sich durchgesetzt und wir schließen uns dem an. Warum soll es nicht an einem bestimmten Punkt auch einmal Unterschiedlichkeiten geben zwischen den Ländern? Das darf man dann nicht mit Flickenteppich diffamieren, denn das ist dann auch die Chance, aus unterschiedlichem Vorgehen zu lernen und best practice zu praktizieren, nämlich zu gucken, wer hat es denn wirklich am Ende am besten gemacht, wo sind am wenigsten Arbeitsplätze weggefallen und wo sind am meisten Leute zu überzeugten Nichtrauchern geworden.

    Jepsen-Föge: Herr Wulff, zur Situation der CDU. Sie sind stellvertretender Parteivorsitzender. Friedrich Merz, einstmals Fraktionschef der Union, wirtschaftspolitischer Sprecher, hat nun seinen Rückzug aus dem Bundestag angekündigt, und zwar auch mit der Begründung, dass die CDU dabei sei, die SPD gleichsam links zu überholen und marktwirtschaftliche Überzeugung preiszugeben. Hat er recht mit dieser Sorge?

    Wulff: Die Entscheidung von Friedrich Merz ist zu akzeptieren, sich jetzt auf den anderen Beruf in der Wirtschaft zu konzentrieren. Das Programm von CDU/CSU ändert sich damit keinen Deut, das bleibt bestehen. Aber natürlich muss man in einer großen Koalition auch größere Kompromisse schließen, kann nicht das durchsetzen, was man sich ursprünglich vorgestellt hatte. Es ist halt so, die SPD setzt im Zweifel eher bei Lösungen auf den Staat, auf die Bürokratie, auf Regelungen. Wir setzen eher auf den Bürger, den Menschen, den Einzelnen vor Ort in der Subsidiarität. Das sind Gegensätze, die nicht leicht zu überwinden sind. Aber die Union hält Kurs und sie bleibt die Partei der sozialen Marktwirtschaft.

    Jepsen-Föge: Ist das Überzeugung oder ist das Hoffnung, was Sie da ausgedrückt haben?

    Wulff: Das ist schon deshalb Überzeugung, weil wir es auch in den Bundesländern verfolgen können, wo die Union die absolute Mehrheit hat wie in Hessen oder Hamburg, oder wo CDU-FDP-Koalitionen sind, beispielsweise in Baden-Württemberg oder Niedersachsen. Dort kann man sehen, dass die Union auf schlanken Staat, flexible Regelungen, auch mehr Ortsnähe und kleine Einheiten setzt und damit sehr erfolgreich ist, auch in der Mittelstandsorientierung, während bei Kompromissen mit der SPD - wir sehen es in Sachsen - die Verhältnisse sehr viel schwieriger liegen.

    Jepsen-Föge: Und in der Bundespolitik, jetzt nehmen wir mal ein aktuelles Thema, über das schon lange gestritten wird, über die Frage von Mindestlohn, den die SPD will oder Kombilöhnen oder etwas dazwischen, was wird denn da rauskommen, was soll da rauskommen nach Ihrer Überzeugung? Wie soll der Niedriglohnsektor geregelt werden?

    Wulff: Ich selber bin überzeugter Marktwirtschaftler, aber auch für pragmatische Lösungen. Und den Langzeitarbeitslosen zu sagen, wir ändern die Rahmenbedingungen und mehr Freiheit, mehr Flexibilität, bessere Infrastrukturen, dann wird schon etwas für euch passieren, das ist zu wenig, sondern wir haben auch in Niedersachsen ein besonders erfolgreiches Kombilohnmodell aufgelegt, wo wir inzwischen über 1150 Menschen in den letzten sieben Monaten aus der Arbeitslosigkeit in unbefristete Vollzeitstellen gebracht haben mit Hilfe des Kombilohnes. Insofern bin ich auch ein Anhänger davon, und wenn man das mit dem Mindestlohn verknüpft, dann ist für mich eine ideologische Debatte Mindestlohn - Teufelszeug oder nicht wenig hilfreich. Für mich ist nicht die Frage, ob hier und da ein Mindestlohn eingeführt wird, sondern das wie. Jeder wird einsehen, wenn er zu hoch gegriffen ist, dann werden Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet und Arbeitslose noch weniger Chancen haben, in Arbeit zu kommen. Wenn er angemessen niedrig festgelegt ist gemäß der niedrigen und geringen Qualifikation vieler Menschen auf dem Arbeitsmarkt, dann ist das schon okay. Also, ein Lohn von 2,50 Euro oder 3,60 Euro, den wird keiner verantworten wollen pro Stunde, weil bei uns einfach netto vom brutto dann viel zu wenig übrig bleibt.

    Jepsen-Föge: Und den Mindestlohn bei 6,50 Euro oder sieben oder acht Euro?

    Wulff: Ganz genau. 6,50 Euro oder sieben Euro. Dann werden massenhaft Menschen aus dem Arbeitsprozess ferngehalten. Die haben dann keine Chance mehr, weil sie überhaupt keine Produktivität haben für sieben Euro die Stunde, weil sie manchmal keinen Abschluss haben, keine Ausbildung haben, keine deutschen Sprachkenntnisse haben. Für die gibt es nur ganz wenig Betätigungsfelder. Die brauchen wir aber hier in Deutschland. Wenn nämlich diese Beschäftigungsfelder hier abgeschafft werden, dann geht diese Arbeit nach Rumänien, Bulgarien oder nach Indien oder China, aber die Menschen gehen ja nicht dort hin. Die bleiben ja hier und werden hier zu Transferleistungsempfängern und belasten die sozialen Versicherungssysteme. Nein, es muss für Menschen, die keinerlei Qualifikation haben, auch Beschäftigung im Niedriglohnbereich geben. Und dort, wo sie ganz schwer zu organisieren ist, muss es dann eben den Kombilohn geben, um über die Schwelle zu heben, dass es sich lohnt, zu arbeiten.

    Jepsen-Föge: Und den Mindestlohn in welcher Höhe?

    Wulff: Das kommt von Branche zu Branche darauf an. Wir haben ihn ja im Baubereich durch die Verbindlichkeit der Entsenderichtlinie. Wir müssen drüber nachdenken, in bestimmten anderen Dienstleistungsbranchen, Gebäudereiniger, Handwerker und so weiter, da kann man auch mit der Wirtschaft, mit der Industrie reden, wo versagen Tarifverträge. Das ist ja auch das Risiko für die Gewerkschaften. Man kann sagen, um so mehr Tarifautonomie, um so weniger Mindestlöhne. Um so weniger die Tarifautonomie funktioniert, um so mehr muss es Mindestlöhne geben. Also, das ist auch eine Konsequenz aus gewissem Machtverlust der Gewerkschaften, dass die nicht mehr hinbekommen, über Organisation der Arbeitnehmerschaft und Tarifverträge diese sozialen Fragen zu lösen. Das ist also durchaus auch eine Krücke für mangelnde Kraft der Gewerkschaften, dass der Staat in diesem Feld eingreifen muss. Und ich finde, eine ideologische Debatte lohnt da nicht und wir sollten uns auch nicht in eine solche Debatte hineintreiben lassen.

    Jepsen-Föge: Herr Wulff, innerhalb der Union wird die Frage "SPD links überholen?" diskutiert am Beispiel der Familienpolitik, der Familienministerin Ursula von der Leyen, die ja früher Ministerin in Ihrem Kabinett war. Haben Sie auch den Eindruck wie manche in der Union, dass hier die Union wirklich die SPD links überholt? Denn von der SPD bekommt sie viel Zustimmung, in der Union viel Kritik.

    Wulff: Ich bin am Ende dieser Woche über diesen Punkt völlig verstört. Die SPD hat immer eine einseitige Begünstigung der berufstätigen Frau vollzogen, zum Beispiel die Einschränkung des Ehegattensplittings gefordert. Wir haben immer die Position vertreten: Wahlfreiheit. Männer und Frauen sollen selber frei entscheiden, wie sie die Familie organisieren wollen, wer sich um die Kinder mehr kümmern will, wer sich mehr im Beruf engagiert, ob beide oder nur einer, das ist Frage der Wahlfreiheit. Ehrlicherweise müssen wir aber inzwischen erkennen, wie unehrlich wir diese These vertreten haben, denn viele Mütter hatten ja gar nicht die Wahlfreiheit. Sie wollten gerne in Beruf und Familie tätig sein, sie wollten Kinder und Karriere miteinander verbinden. Aber die Betreuungsangebote sind gar nicht da in weiten Teilen unseres Landes, um zwei- und dreijährige Kinder angemessen betreut zu sehen, um Vier- und Fünfjährige ganztags in Kindergärten betreut zu sehen. Und wir müssen einfach sehen, ein bedarfsgerechter Ausbau dieser Betreuungsmöglichkeiten gemäß der Bedürfnisse und der Wünsche, der Wahlentscheidungen der Eltern.

    Jepsen-Föge: Und da hat die Union einen Nachholbedarf?

    Wulff: Das ganze Land hat da Nachholbedarf. Und die Partei diffamiert damit keine Hausfrauen und Mütter, wenn sie bedarfsgerechten Ausbau beschreitet. Sie zwingt auch niemand in den Beruf. Wenn Ursula von der Leyen sagt, drei Milliarden für diesen Bereich und damit ja richtig liegt, dann will sie für ein Drittel der Kinder diese Betreuungsmöglichkeiten. Niemand diffamiert Hausfrauen und Mütter, aber die Männer, die immer dieses hoch halten, die müssen sich natürlich fragen lassen, wie viele Männer denn bereit sind, selber auch ein Stück mehr Verantwortung in der Familie zu übernehmen und die Kinder zu betreuen. Und so lange mir nicht gesagt wird, hier sind 1000 oder 10000 Männer, die sich mehr einbringen in die Kindererziehung zu Hause und auf berufliches Fortkommen verzichten, so lange ist die Diskussion in verschiedenerlei Hinsicht eine unehrliche. Und ich bin dafür, dass wir jetzt endlich erkennen, wir brauchen einen bedarfsgerechten Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Wir brauchen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gerade für Frauen. Wir brauchen die Möglichkeit von Karriere für Frauen einerseits und Kindern, die brauchen wir nämlich ganz dringend und die bekommen die Frauen. Wir brauchen mehr Verantwortung der Männer, eine bessere Kompetenz der Eltern. Wir müssen die Eltern viel mehr einbinden, sie vernetzen mit den Kindertagesstätten und den Schulen, und gemeinsam Eltern befähigen, partnerschaftlich Kinder zu erziehen. Viele fühlen sich nämlich überfordert und sagen, die Kinder waren da, kein Mensch hat uns darauf vorbereitet, wie wir die jetzt vernünftig erziehen und bilden können. Und ein letztes: Wir müssen erkennen, es kommt auf den Anfang an. Kinder sind nie wieder so aufnahmefähig, so neugierig wie als Vierjährige, als Fünfjährige. Dort machen andere Länder viel mehr mit frühkindlicher Förderung, frühkindlicher Bildung, zu fördern, das zu bedienen. Ein Kind mit fünf Jahren hat die meisten neuen Verbindungen im Gehirn, und nach dem fünften Lebensjahr sterben 30 Prozent der Gehirnzellen ab, weil sie nicht gefordert, nicht gebraucht worden sind. Da liegen unendliche Potentiale. Und wir in Niedersachsen machen das jetzt. Wir haben 100 Millionen Euro eingestellt für die 0 bis dreijährigen, wir haben 120 Millionen Euro eingestellt, damit alle Fünfjährigen den Kindergarten vor der Grundschule besuchen, und zwar ohne Beiträge der Eltern. Es ist doch absurd, dass bis vor Kurzem ein Medizinstudium kostenlos war, aber ein Kindergartenplatz für ein Kind über 100 Euro im Monat kostete. Da müssen wir ran, das müssen wir ändern, das tun wir sehr konsequent.

    Jepsen-Föge: Herr Wulff, zum Schluss: In knapp einem Jahr müssen Sie sich in der Landtagswahl dem Votum der Bürger stellen. Sie regieren in Hannover gemeinsam mit den Freien Demokraten. Wollen Sie diese Koalition fortsetzen?

    Wulff: Wir möchten weitermachen von CDU und FDP und fühlen uns unheimlich unterstützt von der Bevölkerung. Die Menschen sind nämlich viel weiter, als manche Politiker glauben. Sie erkennen unsere erreichten Erfolge an im Bereich der Haushaltskonsolidierung, beim wirtschaftlichen Schaffen von Arbeitsplätzen, im Bereich der Bildungspolitik, in der inneren Sicherheit. Also, ich glaube, die Bevölkerung in Niedersachsen, die erkennt an, dass sie in guten Händen sind, dass sie gut regiert werden, dass wir nicht ständig am Gackern sind, sondern immer erst gackern, wenn das Ei gelegt ist, also sehr konsequent auch handeln, sehr Kurs halten. Also, ich bin sehr zuversichtlich, dass wir von den Bürgerinnen und Bürgern im nächsten Jahr am 27.Januar das Vertrauen ausgesprochen bekommen und dann erst mal fünf weitere Jahre erfolgreich arbeiten können.

    Jepsen-Föge: Und Schwarz-Gelb dann auch ein Modell für die Bundespolitik?

    Wulff: Das ist meine große Hoffnung, dass wir darlegen können: Schaut nach Niedersachsen, da funktioniert eine Regierung sehr konsequent mit sehr visionären Vorstellungen, nämlich eines schlankeren, handlungsfähigeren Staates, der sich um die wirklichen Kernaufgaben kümmert. Innere Sicherheit, dafür ist der Staat zuständig, Bildungschancen, also Teilhabe zu öffnen für alle im Land, und Ausbau der Infrastruktur, dass sind staatliche Aufgaben. Und andere Aufgaben, da bauen wir eher die Bühnen, auf denen die Bürger wieder selber tätig sein können. Da errichten wir eine Zivilgesellschaft, eine Bürgergesellschaft mit Vereinen, Verbänden, bürgerschaftlichem Engagement. Da sagen wir, so, jetzt fordern wir euch Bürger auf, wieder selber ein bisschen die Geschicke in die Hand zu nehmen, weil der Staat nicht alles machen kann. Aber dafür ist dann auch die Belastung geringer und es werden Freiräume möglich für Kinder, für Familien, für soziale Zwecke.

    Jepsen-Föge: Nun die allerletzte Frage: Sie haben in dieser Woche, Herr Wulff, in einem Film von Dieter Wedel mitgespielt, eine kurze Szene. Da spielen sie den Ministerpräsidenten Niedersachsens. Wann können Sie sich vorstellen, spielen Sie mal die Rolle des Kanzlers als Kanzler?

    Wulff: Das schließe ich aus, da ich ja nur das spiele, was ich ausfülle und bin, und ich bin unendlich gerne Ministerpräsident, möchte das lange bleiben, war neun Jahre Oppositionsführer im Land. Das war eine ganz schwierige Zeit, und jetzt möchte ich erst mal mindestens neun Jahre Ministerpräsident sein und habe auch immer gesagt, unter den Fittichen von Dieter Wedel, das, was ich bin und ausfülle und gut mache zu spielen, das ist kein Thema. Ansonsten spiele ich gar nichts, weil Schauspieler und Politiker nicht so viel gemein haben dürfen. Und das Gerücht, dass Politiker bessere Schauspieler seien, vor allem vor Wahlen, dem möchte ich nicht Nahrung bieten.