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Die bedrohten Riesen

In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft ging es nicht nur um die Frage, wie die Walbestände in den Weltmeeren zu schützen sind, sondern auch darum, welche Walarten überhaupt schutzbedürftig sind und unter welchen Umständen eventuell der Walfang wieder erlaubt werden kann. Dazu hat der Ausschuss eine Reihe von Experten gebeten, einen Katalog von Fragen schriftlich zu beantworten. Von denen konnte heute nur ein kleiner Teil überhaupt erwähnt werden. Die Ära des Walfangs, damit begann das Statement des Experten von Greenpeace, dem Meeresbiologen Thomas Henningsen, sei glücklicherweise Vergangenheit. Heute seien es ganz andere Faktoren, die den Walen zu schaffen machten:

Von Andreas Baum |
    Die Verlärmung der Meere war nie größer als heute in der Geschichte der Erde. Die Vergiftung der Meere war nie größer heutzutage als in der Geschichte der Erde. Der Einfluss dieser Vergiftung ist so stark geworden, dass wir, wenn wir Wale finden, an den Stränden, Zahnwale, sie oft als Sondermüll beseitigt werden müssen.
    Selbst die Walfangnation Norwegen empfiehlt, nicht mehr als zehn Gramm Walspeck pro Woche zu verzehren, alles darüber wäre ungesund. Das größte Problem für die Bestände aber ist der Beifang: In die Netze der Fischer, die es eigentlich gar nicht auf die Wale abgesehen haben, gehen nach Berechnungen von Greenpeace jährlich 300.000 von ihnen aufgrund rücksichtsloser Fangmethoden. Überhaupt: Was Wale und Wirtschaftlichkeit angeht, weisen die Umweltschützer darauf hin, dass man mit diesen Tieren auch Geld verdienen kann, indem man sie einfach nur beobachtet, statt sie zu bejagen:
    Wenn wir sehen, was in Island an Whale-Watching verdient wird, wenn wir sehen, was in der Welt an Whale-Watching-Interessierten für die Wirtschaftskraft beitragen, ist das ein Zigfaches höher als das, was am Walfang jemals verdient werden kann.
    Die Industrialisierung der Meere ist also heute der Hauptfeind der Walbestände, die sich von der intensiven Bejagung im 19. und 20. Jahrhundert noch nicht erholt haben, weil sie – ähnlich wie die Menschen – in der Regel nur jeweils ein Jungtier großziehen und deshalb Jahrzehnte brauchen, um sich zu regenerieren. Immer noch gibt es bestimmte Arten von Großwalen, die nur wenige hundert Exemplare zählen. Zu diesen gehört der asiatische Grauwal, der im Nordwestpazifik, also vor der Küste Sibiriens, vorkommt. Auch er ist durch menschliches Eingreifen bedroht, wie Justin Cooke erläutert, häufiger Teilnehmer an den Sitzungen der Internationalen Walfang-Kommission:
    Dieser Walbestand ist einer der weltweit drei Großwalbestände, die der höchsten Gefährdungsstufe der Roten Liste zugeordnet sind. Sein Haupternährungsgebiet liegt vor der Küste Sachalins im russischen Osten. Genau dort bohren Shell und Exxon nach Öl und Gas.
    Aber es gab unter den geladenen Experten auch ausgesprochene Befürworter des Walfangs, zu ihnen gehört der Historiker Klaus Barthelmeß. Er argumentiert vor allem kulturgeschichtlich: Heute seien es gerade diejenigen Nationen, die die Wale ausgerottet hätten, also die Mitteleuropäer und Nordamerikaner, die auf verlogene Weise anderen Vorschriften machten:

    Es sind diese Kulturen, die für die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen des Planeten in erster Linie verantwortlich sind, das Schlagwort lautet, 20 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen 80 Prozent der Weltressourcen, ich sehe eine Unehrlichkeit, eine Unredlichkeit in der Anwendung ethischer Standards. Ethische Standards sind kulturell definiert, sie anderen kulturellen Einheiten aufzuoktroyieren erfüllt meines Erachtens alle Kriterien von Kulturimperialismus.
    Denn Walfangnationen wie die Japaner, die Isländer, die Norweger oder Grönländer, so argumentiert Barthelmeß, gingen traditionell vorsichtig mit ihren Ressourcen um, es sollte ihnen deshalb gestattet sein, weiter zu jagen. Das entspricht dem Standpunkt des isländischen Experten, der darauf hinwies, dass sein Volk sowohl die Fischbestände als auch die Walbestände in den Gewässern vor Island nachhaltig zu bewirtschaften in der Lage sei. Die Wissenschaftler waren sich allerdings einig darüber, dass es im Prinzip Sinn mache, extrem gefährdete Walarten nicht zu bejagen, weil sie sich durch diese Schutzmaßnahmen mittel- und langfristig wieder erholen könnten. Und wenn diese Walarten erst wieder zahlreicher auf den Weltmeeren vorkommen, kann man auch wieder darüber nachdenken, sie maßvoll zu bejagen. Die Befürworter der Wal-Jagd vergleichen diese gerne mit der Hege des Bestandes an Wild in unseren Wäldern, auch hier müssten ja Tiere geschossen werden, um Ökosysteme im Ganzen zu erhalten. Die Gegner der Waljagd weisen darauf hin, dass die Bestände der Großwale erst in Jahrhunderten wieder als gesund bezeichnet werden können.