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Die "Bekenntnisse" des Nicolas Sarkozy

Auf 288 Seiten verspricht der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy in seiner autobiografischen Schrift "Bekenntnisse". Er schreibt über sich, "Frankreich, Europa und die Welt im 21. Jahrhundert", so der Untertitel des vergangene Woche erschienenen Werkes. Warum autobiografische Schriften von Politikern ein Genre für sich darstellen und wie sich ein Buch zu einem politischen Barometer umfunktionieren lässt, erklärt Tilla Fuchs.

10.12.2007
    "Ich plane ein Unternehmen, das kein Vorbild hat und dessen Ausführung auch niemals einen Nachahmer finden wird. Ich will vor meinesgleichen einen Menschen in aller Wahrheit der Natur zeigen, und dieser Mensch werde ich sein". So lauten die ersten Sätze der "Bekenntnisse" des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau. Auch das Buch des französischen Staatspräsidenten, das zufällig denselben Titel trägt, beginnt mit ebendiesem Wort: Ich. Darüber hinaus haben die beiden Werke herzlich wenig gemein. Das eine redefiniert eine literarische Gattung, das andere antwortet auf ein dringendes Bedürfnis der Sarkozy-Anhänger jenseits von Rhein und Atlantik. Im Vorwort der Bertelsmann-Ausgabe heißt es:

    "Um ehrlich zu sein: Ich hatte nicht an eine internationale Ausgabe gedacht, bis man mit dieser Idee auf mich zukam. Nie hätte ich vermutet, dass eine französische Präsidentschaftswahl im Ausland so großes Interesse wecken könnte. Doch viele Menschen auf der ganzen Welt erkundigten sich nach meinen Reden und Schriften. Ich sah ein, dass ein gewisses Interesse besteht und dass es eine Antwort verdient."

    Die Antwort erreicht uns in Form einer Textcollage, für die drei von Sarkozys Werken nach dem Copy-and-Paste-System aufbereitet wurden: "Ensemble", veröffentlicht im März dieses Jahres, "Libre" aus dem Jahr 2001 und das titelgebende Buch "Témoignage", erschienen im vergangenen Jahr. Übersetzt wurde das Patchwork-Werk dann aber nicht aus dem Französischen, sondern aus dem amerikanischen Englisch, was an manchen Stellen ein etwas holpriges Deutsch zur Folge hat. Im zugegeben eigens für die "internationale Ausgabe" verfassten Vorwort, erläutert Sarkozy die Eckpunkte seiner geplanten Außen-, Innen-, Immigrations-, Sicherheits-, Finanz- und Weltpolitik. Die Leser, die mit heißen Tränen gewaschene Seiten über Cecilia erwartet haben oder gar eine offenherzige Selbstdarstellung, werden zwangsläufig enttäuscht. Mit einer beinahe sadistischen Liebe zum Detail schildert Nicolas Sarkozy seinen Weg zur Macht, steinig - jenseits des ausgetretenen roten Läufers der französischen Kaderschmiede ENA, steil - mit 28 ist er der jüngste Bürgermeister Frankreichs, schlaglöcherig - 1995 setzt er auf den falschen Präsidentschaftskandidaten und fällt bei seinem Vorgänger Jacques Chirac in passagere Ungnade.

    "Natürlich ließ mich die neue Regierung, trunken von Erfolg und Macht, den Preis dafür zahlen, dass ich den falschen Kandidaten unterstützt hatte."

    Doch selbst am Boden weiß Sarkozy eine gute Figur zu machen - zumindest in der Verklärung der literarischen Retrospektive. Jenseits des autobiografischen Teils geht es noch weniger um "Bekenntnisse". Seitenfüllend rezitiert Sarkozy seine politische Programmatik. Normal, ist doch das Gros der nun auf Deutsch vorliegenden Schriften im Sommer 2006 in Frankreich erschienen, in einer Phase also, in der man sich als potenzieller Präsidentschaftskandidat vor allem verkaufen musste. Sarkozy recycelt das Parteiprogramm der Regierungspartei UMP und freut sich, "dass das Buch den Lesern nun auf Deutsch zugänglich gemacht wurde".

    Das Hauptproblem der "Bekenntnisse" liegt in der Zeitverschiebung. Der Leser erfährt, was der Kandidat Sarkozy umsetzen würde, wenn er denn an die Macht käme: Es ist die Rede von zu schaffenden Ministerien, die heute längst existieren. und von unerlässlichen Veränderungen, die inzwischen an der Mauer der weltökonomischen Wirklichkeit zerschellt sind. Einen Vorteil hat das Wahlkampfbuch dennoch: Es erlaubt dem Leser einen Abgleich zwischen dem, was der Kandidat Sarkozy versprach und was der Präsident Sarkozy tatsächlich umsetzt. "Kaufkraft" lautet dieser Tage das mot d'ordre der Franzosen, die in vorweihnachtlich gesteigerter Anspannung darauf warten, dass Nicolas Sarkozy eines seiner Hauptwahlkampfversprechen einlöst:

    "[...] das Ziel meiner Politik ist nicht die Stabilisierung, sondern die Steigerung der Kaufkraft. Die Kinder von morgen sollen es einmal besser haben als ihre Eltern. Das Ziel ist nicht Stagnation, sondern Fortschritt - nicht das Minimum, sondern das Maximum."

    Seine Hauptmaßnahme zur Lohnanhebung - im Kapitel "Kaufkraft" ausführlich dargelegt - lautet: "travailler plus pour gagner plus", mehr arbeiten, um mehr zu verdienen. Neben Steuersenkungen für Spitzenverdiener schlug Sarkozy so auch die Steuerfreiheit von Überstunden vor, ein Prinzip, das sowohl Arbeitnehmer wie Arbeitgeber entlasten sollte, das sich aber in den letzten Monaten für viele Unternehmen als schwer durchführbar erwiesen hat. Und so sind denn die "Kinder von heute" ziemlich sauer:

    "Wer Armut sät, wird Wut ernten" und "Sarkozy mit dem Kärcher wegspülen" rufen die Demonstranten in den Straßen von Paris. In den letzten Wochen wurde der Reformwille des Staatspräsidenten auf eine Probe gestellt: Streiks in Nah- und Fernverkehr, Aufruhr unter den Fischern, neue Gewaltausbrüche in den Vorstädten. Doch Nicolas Sarkozy möchte nicht zurückstecken: "Je ne cèderai pas d'un pouce", ich werde um keine Haaresbreite nachgeben. Wenn doch etwas schief läuft, dann gehört das eben zu den Kollateralschäden des Metiers:

    Sarkozy: "Ich wurde doch gewählt, um die Dinge zu verändern. Um Lösungen für Frankreichs Probleme zu finden, nicht um sie lediglich zu kommentieren. Und dann sagt man mir natürlich: Sie haben Probleme Monsieur. Aber wissen Sie: Gordon Brown hat Probleme, Angela Merkel hat Probleme - Alle diejenigen, die versuchen, etwas zu tun, haben Probleme."

    Zum Zweifeln bleibt allerdings kaum Zeit: Sarkozy ist überall, hat zu allem etwas zu sagen, nimmt seinen Ministern die Dossiers aus der Hand und erhöht den Rhythmus der medialen Interventionen derart, dass man sich nicht wundern würde, wenn er eines Tages live auf zwei verschiedenen Kanälen zeitgleich in Washington und Moskau Interviews geben würde. Der Omnipräsident löst alle Probleme, auch diejenigen, die in Wirklichkeit andere vor ihm gelöst haben: von der Durchsetzung des europäischen Minivertrags bis zur Befreiung der bulgarischen Krankenschwestern in Libyen. Dennoch ist "Supersarko" bei kritischeren Medien in Misskredit geraten, weil er zwei Begriffe, die in seinem Buch als Kapitelüberschrift noch friedlich koexistierten, in der Wirklichkeit aneinander schlagen ließ: "Realpolitik und Menschenrechte":

    "Wenn man die Chinesen nach dem Schicksal ihrer politischen Häftlinge fragt, demonstriert man damit nicht mangelnden Respekt für das chinesische Reich. [...] Man kann eine Kultur bewundern, ihre jüngsten Erfolge feiern und eine solide, auf tiefer Freundschaft basierende Beziehung aufbauen und dennoch die ganze Zeit über deutliche Forderungen auf den Gebieten erheben, auf denen Schweigen nicht gerechtfertigt ist. Nichts sagen, heißt, Komplize zu sein. Ein Vorteil der Globalisierung ist, dass alle die gleichen Informationen nutzen können. Heute wissen wir alles über alles [...] Schweigen wird dadurch umso verabscheuungswürdiger."

    Der französische Staatspräsident muss bei seinem letzten Besuch im Reich der Mitte geflüstert haben, andernfalls wäre das, was dank der globalisierten und für jedermann zugänglichen Informationen zu hören war, nämlich nur als Schweigen auszulegen gewesen. Deutlich vernehmbar dagegen raschelten die Papiere, die Frankreichs wirtschaftliche Kooperation mit China intensivieren sollen: Laut dem Radiosender Europe 1 wurden Verträge im Wert von 20 Milliarden Euro unterzeichnet. Unter anderem wird China 160 Airbusse kaufen und die französische Firma Areva zwei Nuklearreaktoren der neuen Generation in China konstruieren. Die Menschenrechte scheinen auch in anderen geografischen Regionen hintangestellt: Sarkozy sucht den, ökonomisch ebenfalls einträglichen, Schulterschluss mit Gaddafi und gratulierte als einziges europäisches Staatsoberhaupt Wladimir Putin zu seinem Wahlerfolg bei den manipulierten Parlamentswahlen vergangene Woche. Das Nicolas Sarkozy wandlungsfähig ist, kann man auch in den "Bekenntnissen" nachlesen.

    "Seit jeher ist es mir wichtig, Dinge zu verändern. Worte und Vorstellungen sind für mich nur interessant, wenn sie zum Handeln führen. Schon immer brach ich leidenschaftlich gern mit alten Gewohnheiten, um das Unmögliche möglich zu machen und neue Handlungsspielräume zu eröffnen. Deshalb begann ich bereits in jungen Jahren, Verantwortung zu übernehmen und das auszuüben, was wir gemeinhin 'Macht' nennen."

    "Gemeinsam wird alles möglich", dieser Satz war auf den Wahlplakaten im Frühjahr neben Sarkozys Lächeln zu lesen. In den Bekenntnissen geht er noch weiter und schreibt, dass "das Wort "unmöglich" aus dem Sprachgebrauch gestrichen werden sollt]. Hoffen wir also, dass wir nicht die "Bekenntnisse eines Hochstaplers" in Händen halten.


    Nicolas Sarkozy: Bekenntnisse. Frankreich, Europa und die Welt im 21. Jahrhundert
    C. Bertelsmann Verlag, München 2007
    288 Seiten, 19,95 Euro