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Die "Belle Epoque" in Italien

"Fin de siècle", das ist die Formel für künstlerischen Aufbruch und gesellschaftlichen Untergang, für Hysterie und Weltflucht. Eine kleine Gruppe impressionistischer Maler hat die untergegangene Welt des Pariser "fin de siècle" im Bild festgehalten. Eine Ausstellung im italienischen Castiglioncello stellt die unbekannteren Vertreter der malerischen "Belle Epoque" vor.

Von Thomas Migge | 30.08.2006
    "In den letzten 25 Jahren", schrieb George Gourcat, den Ende des 19. Jahrhunderts in Paris alle nur "Sem" nannten, "sind wir uns treu geblieben und trafen uns immer wieder in den Alleen, im Park des Bois de Bologne, zu den Pferderennen in Longchamp, im Maxim, zum Baden in Deauville und auf der Yacht von Helleu". Der französische Maler gehörte zu einer fest eingeschworenen kleinen Gruppe impressionistischer Maler, für die Paris und die damals mondänen Vergnügungen der Pariser Schickeria ein absolutes Muss waren. Diesen Maler ist vor allem zu verdanken, dass die untergegangene Welt des pariser "fin de siècle" festgehalten wurde. In Form von Ölgemälden, von Zeichnungen, Lithografien und auch Fotografien. Eine Welt, die das Thema einer auserlesenen Ausstellung ist, die die Kunsthistorikerin Francesca Dini organisiert hat:

    "Die Idee zu dieser Ausstellung über die Zeit der Belle Epoque kam mir, weil das Thema des mondänen Alltags während dieser Epoche nur selten behandelt wurde. Die Ausstellung zeugt rund 100 Gemälde und andere Bilder, die die alltäglichen Beschäftigen der Schönen und Reichen und ihrer Freunde in Paris und an jeden Orten darstellen, wo man sich damals aufhalten musste, um zur feinen Gesellschaft zu gehören. Eine Gesellschaft, an der diese Künstler teilhatten."

    Die Kunstschau bietet eine Art Geographie der Pariser Schickeria um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Der Besucher bekommt die Darstellungen dreier Künstler zu sehen. Sie kannten sich gut, waren Freunde und in ihrem Schaffen Anhänger der impressionistischen Darstellungsweise. Der wohl bekannteste dieser Maler - und der einzige Nichtfranzose - ist der Italiener Giovanni Boldini, der in Paris zum hochbezahlten Porträtisten des Jet Sets wurde. Die beiden anderen Künstler der Ausstellung sind heute eher unbekannt - und jetzt in Castiglioncello zu entdecken. Es sind George Gourcat, kurz Sem genannt, und Paul César Helleu. Häufig trafen sie sich auf der "Etoile", der Yacht, die Helleu gehörte.
    Francesca Dini:

    "Die bei uns gezeigten Bilder sprechen eine klare Sprache: sie zeigen, wie sich die Maler nicht nur miteinander vergnügten, sondern auch gegenseitig inspirierten. Wir haben hier zum Beispiel ein Gemälde von Boldini, aus einer pariser Privatsammlung. Es zeigt Madame Helleu mit ihrer Tochter Paulette auf der Yacht ŒEtoile¹. Ein intimes Sujet und gemalt mit der für Boldini typischen sprühenden Virtuosität. Ein für das Verständnis von Boldini wichtiges Bild."

    Ausstellungskuratorin Francesca Dini hat eine Bilderschau zusammengestellt, die nicht - wie in den meisten anderen Ausstellungen zur Belle Epoque - die immer gleichen Gemälde der berühmtesten Maler jener Epoche zeigt. Auch in Castiglioncello sind Boulevards und elegante Dame der Pariser High Society zu sehen, Reiter im Bois de Bologna und Badende an der nordfranzösischen Küste. Doch die Ausstellung zeigt eher unbekannte Gemälde, Zeichnungen und Lithographien aus verschiedenen Privatsammlungen.

    Neben dem bekannten Boldini stellt die Ausstellung das Schaffen von Helleu und Sem vor, die bei den großen impressionistischen Kunstschauen der letzten Jahre unbegreiflicherweise immer außen vor blieben, meint Francesca Dini:

    "Das ist eines der Hauptziele der Ausstellung: zwei Maler vorzustellen, die dem großen Publikum unbekannt sind, die aber in ihrem Schaffen in keiner Weise einem Boldini nachstehen. Nehmen sie nur Sem. Im Unterschied zu Boldini legte er auf die präzise Wiedergabe der von ihm gemalten Personen und Details extrem großen Wert."

    Die Ausstellung gibt auch Einblicke in das eher unbekannte Leben von Sem und Helleu. So wurde für die Kunstschau in Castiglioncello zum ersten Mal überhaupt das Archiv von Paulette Howard-Johnston, der noch lebenden Tochter von Hellau, wissenschaftlich ausgewertet. Unter anderem werden jene Briefe ausgestellt, die er mit Boldini wechselte und in denen beide Maler über den impressionistischen Malstil diskutierten. Unter den Dokumenten finden sich auch schriftliche Zeugnisse Hellaus aus New York. 1897 wurde der Maler in der amerikanischen Metropole wie ein Star empfangen. Er residierte im Waldorf-Astoria und wurde in der Metropolitan Opera gefeiert. Die New Yorker Bourgousie hoffte von ihm porträtiert zu werden. Doch diese Hoffnungen wurden enttäuscht. In einem in der Ausstellung nachzulesenden sehr amüsanten Brief von 1897 schrieb er recht kritisch und ironisch über die New Yorker und ihre Stadt. "Ich werde hier nie etwas malen", so das Resumee Hellaus, der die Rückfahrt in sein geliebtes Paris gar nicht abwarten konnte, "denn hier gefällt es mir überhaupt nicht".