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Die Berge, die Frauen und der Tod

Zwei Leidenschaften hatte Ferdinand Hodler: die Landschaft und die Frauen. In den großen Wandbildern hat er die Körper gefeiert, aber er hat sich auch dem Verfall des Körpers nicht verschlossen. Das sieht man am bedrückenden malerischenProtokoll des Sterbens der Valentine Godé-Darel.

Von Christian Gampert | 25.01.2013
    Schon wieder Hodler, möchte man seufzen – hat die Schweiz ihren Nationalheiligen nicht schon oft genug gefeiert? Die Ausstellung in der Fondation Beyeler ist dann aber ganz anders: Sie bescheidet sich mit dem Spätwerk, den letzten fünf Jahren. Und sie feiert nicht, sondern sie nähert sich ganz vorsichtig an. Es geht um den Tod, das Sterben, die andere Welt. Die gesamte symbolistische Phase fehlt; nur ein einziger, allerdings großartiger Raum – ganz am Ende der Schau – thematisiert diese großformatigen allegorischen Frauenfiguren: die Freiheit, die Erotik, das Pathos, die tänzerische Bewegung, die sich in immer neuen Figuren fortzusetzen scheint. Viele Skizzen und Vorstudien sind da. "Blick in die Unendlichkeit" heißt dieses 1916 abgeschlossene Werk. Und so könnte auch die ganze Ausstellung heißen. Sie ist ein Blick in den Tod, aber auch ein Blick auf die Serialität, auf die immer neuen Versuche Hodlers, eines Themas, eines Motivs, besonders natürlich einer Landschaft habhaft zu werden – und damit natürlich auch ein Verweis auf seine Modernität, sagt Kurator Ulf Küster.

    "Ich glaube, der Symbolismus ist hier schon vorbei. Wir möchten den späten Hodler, der nur Maler ist, darstellen, der die ganzen nationalpatriotischen Werke schon gemalt hat. Der, weil er reich und berühmt ist und sich das auch erlauben kann, sich auf die Kunst konzentriert. Und sowas wie Farbe entdeckt. In den symbolistischen Hauptwerken der früheren Phase war er ein zeichnender Maler. Jetzt entdeckt er die Farbe, wie er auch selber gesagt hatte."

    In der Tat ist der umrissorientierte Malstil der frühen Jahre im Spätwerk fast völlig verschwunden – in den späten Bildern wird fast nur mit den Farbtönen, ihren Nuancen, ihren Schichtungen argumentiert. Die Ausstellung setzt aber biografisch ein, mit einer Reihe von Fotos, die Hodler an seinem letzten Lebenstag zeigen, am 18. Mai 1918, als Spaziergänger am Genfer See, in einer Droschke, mit der Tochter, in der Wohnung, dann auf dem Totenbett. Dann sehen wir die Selbstporträts, die Selbstbefragungen: Um 1900 ein viriler Künstler auf der Höhe seiner Kraft, zwölf Jahre später überwiegt der Selbstzweifel. Dafür glühen aber die Landschaften, der immer wieder neu angeeignete Genfer See, der Mont Blanc, die "Dents du Midi", die Jungfrau, das Stockhorn. Über die Steinschichtungen der Bergbäche führt der Weg immer tiefer in die Alpenlandschaften hinein, nach Montana und, als Hodler krank ist, immer wieder an den Genfer See mit dem Mont Blanc im Dunst, in der Morgenröte, in der Sonne, in der Dämmerung.

    Tageszeiten, Jahreszeiten, Lichtverhältnisse werden nun immer wichtiger - und die Bilder immer abstrakter, enthobener. Und es ist die inszenatorische Grundidee dieser Ausstellung, dass diese horizontalen Linien, die Spiegelungen des Sees, die Kräuselungen der Bergketten auf das Schönste harmonieren mit dem Flachbau der Fondation Beyeler, den ebenfalls planen Seerosenteichen vor der Fensterfront, dem Schnee in Park und den Wiesen an der Längsseite.

    Zwei Leidenschaften hatte Ferdinand Hodler: die Landschaft und die Frauen. In den großen Wandbildern hat er die Körper gefeiert, aber er hat sich auch dem Verfall des Körpers nicht verschlossen. Seine malerischen Protokolle des Sterbens der Valentine Godé-Darel bilden, in einem intimen Kabinett, den Höhepunkt der Ausstellung – wobei man unschwer sehen kann, dass die Liegende, Leidende, Ausgezehrte, Krebskranke, Sterbende ebenfalls als Landschaft begriffen ist, die Landschaft des vergehenden Leibes.

    Das ist nicht nur ein Holbein-Zitat, der Leichnam Christi als Frau, sondern schonungslose Auseinandersetzung mit dem Verlöschen, das hier auch ein Verrecken ist. Man hält das nicht lange aus und flüchtet wieder in die farbgesättigten Berglandschaften, vor denen man lange meditieren kann.