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Die Bergmannsparade am zweiten Advent

Es gibt aber eine Berufsgruppe, für die hat Licht nicht nur etwas mit Gemütlichkeit zu tun, sondern mit dem Überleben: die Bergleute. Einmal im Jahr ziehen sie zur großen Parade durch die Stadt Schneeberg - und erinnern damit an die Bergmannstradition im Erzgebirge.

Von Franz Lerchenmüller |
    "Und ist die saure Schicht vollbracht
    schaut er nach Weib und Kind.
    Sagt seinem Kamrad gute Nacht
    und muss nach Haus geschwind.

    Bergmannsblut hat Lieb` und Mut
    Glück auf, Glück auf, Glück auf
    Ja, Bergmannsblut hat Lieb und Mut
    Glück auf, Glück auf, Glück auf."


    Das Dutzend älterer Herrn in schwarzen Kitteln, das sich an der Stirnseite des alten Gemäuers aufgereiht hat, ist mit Inbrunst bei der Sache. Alle Stühle sind besetzt, die Zuhörer lauschen fast andächtig. Das Konzert des Bergchors "Glück auf" im Kellergewölbe des Schnorrhauses ist eine der Auftaktveranstaltungen des Schneeberger Lichtelfestes. Aber es gibt nicht nur Musik. Zwischendurch bekommt das Publikum immer wieder mal auch eine Lektion in Sachen Erzgebirger Dialekt.

    "Do komme aner mol zu uns
    der tat sich interessieren
    und er wollt bei uns zu 14 Toch
    mal unser Schproch schtudieren.
    Nach kurzer Zeit, da sacht er schon:
    Janz einfach, ich habs raus
    Die Sprache macht mir keine Müh
    Man tauscht nur Buchstaben aus.
    Für ei da setzt man a dafür
    Da wird aus heiß dann haaß,
    Beim ä da siehts genauso aus
    da wird aus Käse Kaas

    Leicht eilen wir mit frohem Sinn
    die steile Fahrt hernieder.
    Ein jeder geht zur Arbeit hin
    Es regt sich alles wieder.
    Man hört des Pulvers Donnerknall
    des Schlegels und des Eisens Schall
    der Hundte Räder Lauf
    Glück auf, Glück auf
    Glück auf, Glück auf"


    Immer am zweiten Adventswochenende wird das Lichtelfest gefeiert. Zwei Tage lang gibt es ein reichhaltiges Programm. Kinder führen Stücke auf, der Weihnachtsmann kommt, Schnitzer zeigen ihre Kunst. Höhepunkt der Festlichkeiten aber ist die große Bergparade am Sonntag. Nachmittags um vier formiert sie sich im Schneeberger Stadtteil Neustädtl. Federbüsche wippen, Silberborten schimmern, Licht spiegelt sich auf Äxten und "Steigerhäckchen", mit denen die Bergleute einst die Zechen zu verteidigen hatten. Schließlich gibt der Vorsitzende das Zeichen zum Aufbruch.

    Jetzt marschieren sie los, die Bergbrüderschaft Sosa und die Bergbrüderschaft Oederan und die 15 anderen Vereine, die heute dabei sind, jede Gruppe mit ihrer Fahne vorweg. 500 Männer zwischen 15 und 85 Jahren, in weißen, schwarzen und gemischten Uniformen setzen sich geordnet in Bewegung, auch ein paar Frauen sind dabei.

    Henry Schlauderer, der Vorsitzende des Sächsischen Landesverbands der Bergmann-, Hütten- und Knappenvereine ist der oberste Zeremonienmeister an diesem Nachmittag. Bergparaden, erzählt er, waren ursprünglich einmal Prunkveranstaltungen.

    "Und zwar war es früher so, dass die Landesherren oder die Oberberghauptmänner, also die fürs Oberbergamt verantwortlich waren, zu besonderen festlichen Anlässen - Landesfürst, Hochzeiten, Jubiläen, Empfang von Ehrengästen - haben die Bergparaden organisiert. Die Bergleute wurden dazu befohlen. Und wir führen das heute fort, einfach als Anerkennung für die Arbeit unserer Vorgänger. Aber wir machens nicht für die Landesherren, wir machens für uns, für die Bevölkerung."

    Diese Art der prunkvollen Selbstdarstellung der Bergwerke und Hütten - gab es sie auch in der DDR?

    "Es gabs, aber nicht in dem Umfang. Es gab einige Vereine, die haben sich nicht beirren lassen. Sieben Vereine haben Bestand gehabt zur DDR-Zeit. Aber es war nicht so erwünscht. Es gab auch Festumzüge, wo die Bergleute dabei waren - wiederum bei Stadtjubiläen und so weiter waren sie immer gerne gesehen."

    Hauer mit Arschleder machen sich auf den Weg, Schwefelhüttenwerker in gelben Schürzen, Bergschmiede, Blaufarbenmeister, ein pfeifenqualmender kohlschwarzer Köhler. Und alle haben sie jeweils ihr eigenes Habit - wie die Tracht der Bergleute heißt.

    "Da gibt es Schneider, die sich speziell damit befassen. Die haben die historischen Vorlagen und danach kann man die fertigen. Und zwar gibt es dann verschiedene Dienstgrade: die einfachen Hauer, dann die Steiger, die Oberberghauptleute. Die wissen das dann und machen das danach."

    So prachtvoll, wie sie aussieht, mit ihren Silberschnüren, Borten und Zierknöpfen, ist eine solche Uniform ja sicher nicht gerade billig?

    "Zu meiner Uniform gehört noch unten der Säbel und das Häckchen. Ich habe die schon zehn Jahre, da war es ungefähr 1600 D-Mark. Und jetzt, schätz ich mal, ist es ungefähr gleich so viel in Euro."

    Mit viel Musik und Trommelwirbel bewegt sich der Zug die zwei Kilometer nach Schneeberg. Zuschauer säumen fast durchgehend die Straßen. Und immer wieder klingt der Gruß der Bergleute

    "Glück auf!"

    Nach 40 Minuten erreicht der Zug Schneeberg. Ganz oben, im scharfen Wind, ragt schroff wie eine Burg die St.-Wolfgangskirche hoch. Und ganz, ganz oben, vom sturmgeschüttelten Turm, geht der Blick über das 17.000-Einwohner-Städtchen, das blau in der Dämmerung leuchtet und von Lichterketten wie von einem filigranen Netz überzogen ist.

    Der "Bergmannsdom" wurde im 16. Jahrhundert erbaut. Schneeberg gehörte dank seiner Erzgruben damals zu den reichsten Orten - davon kündet sowohl die mächtige Kirchenhalle als auch das mehrflügelige Altarbild. Es stammt aus der Wittenberger Werkstatt von Lukas Cranach, einem der gutbezahlten Malerstars jener Zeit. 1945 wurde St. Wolfgang zerbombt und zu DDR-Zeiten wieder aufgebaut.

    In der Kirchgasse wird es eng, die Zuschauer stehen dicht an dicht. Schon kommt der Markt in Sicht, der Platz scheint viel zu klein für die Tausenden von Menschen. An den Buden gibt es Fellmützen, Nussknacker und Weihnachtskugeln, Pulsnitzer Spitzen und erzgebirgischen Stollen. Im Hintergrund strahlt das helle Rathaus, das ein wenig an einen toskanisches Palazzo erinnert. Am Turm prangt ein vielzackiger Stern, ein großer Weihnachtsbaum funkelt auf dem Platz davor, daneben dreht sich die drei Meter hohe Pyramide mit den geschnitzten Bergleuten.

    Das schönste aber sind die Häuser rundum - genauer: deren Fenster. Da ist keines, in dem nicht wenigstens eine Kerze oder ein Laterne leuchten würde. Häufig zeigen aufwendige Schwibbögen aus Sperrholz Szenen aus dem Bergbau oder der Heiligen Nacht. Räuchermännle und Engel salutieren daneben, stehen aber wohl nur noch selten für die Anzahl der Söhne und Töchter im Haus, wie es bei den Bergleuten früher der Fall war.

    In der Tat: Das Schneeberger "Lichtelfest" trägt seinen Namen zu Recht. 1963 wurde es zum ersten Mal gefeiert, als "Fest der Freude und des Lichtes" - nachdem allerdings die Nazis 1937/38 die Stadt schon einmal mit Lichterketten illuminiert hatten.

    Zwischen den Menschenmassen hindurch ziehen die Männer zur Bühne am Rathaus. Grubenlampen flackern mit den erleuchteten Fenstern um die Wette. Und all die Mechaniker, Rechtsanwälte, LKW-Fahrer und Dachdecker-Azubis in ihren Uniformen marschieren mit derselben Ernsthaftigkeit wie die alten Männer, die tatsächlich noch selbst eingefahren sind.

    "Nach diesem eindrucksvollen Einmarsch freuen wir uns nun, ihnen mit einem bergmännisch weihnachtlichen Konzert und der Vorstellung der Paradetrachten einmal mehr Einblick in unser reiches Brauchtum geben zu können."

    Die junge Frau am Mikrofon holt Vertreter der einzelnen Gewerke auf die Bühne und erklärt ihre Geschichte und ihr Habit. Blaufarbenmeister etwa hatten mit der Förderung und Verarbeitung von Kobalt zu tun. Das Schneeberger Revier war einst der größte Kobaltlieferant der Welt. Mit Kobalt wurden Delfter Kacheln und Meißner Porzellan bemalt. Der Blaufarbenmeister war verantwortlich für die Herstellung und Zusammensetzung der Farbe.

    Mit Grußworten, Reden und immer wieder Musik geht das Lichtelfest schließlich zu Ende.

    "Mit dem folgenden Bergmarsch beenden wir dieses Abschlusszeremoniell. Es erklingt für sie der Oelsnitzer Bergmarsch von Herman Schröder. Ein herzliches Dankeschön dem Bergmännischen Musikverein Ehrenfriedersdorf."

    Ganz zuletzt aber stimmen alle noch einmal in die Melodie ein, die die Besucher durch die beiden Tage geleitet hat - und die ihnen nun nicht mehr aus dem Kopf will: Das Steigerlied - die Bergmannshymne.