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Die Berliner "tanztage 2004" in den Sophiensälen

Kakerlaken krabbeln über den Tisch. Einer der Tänzer lässt sie frei aus der Hand, sammelt sie dann wieder ein in die Schublade. Ein anderer hört die Wand ab nach Stimmen. Ein dritter klebt Tapeten. Dann kommt Bewegung in den Raum. Alle machen sich fertig zum Gehen.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Aber sie können nicht los. Der aktivste wird mit Klarsichtfolie an einen Stuhl gefesselt. Von den Füßen bis zum Kopf. Gerade ein kleines Loch bleibt ihm am Mund zum Atmen. Das Südseeplakat, das unter der Tapete vorgekratzt wird, bleibt Verlockung, Traum. Sie alle kleben fest. Wie Käfer krabbeln sie am Ende am Boden.

    Lawn heißt das Stück. Die drei Tänzer-Choreographen, die es kreiert haben – Vincent Crowley, Grayson Milwood, Gavin Webber – stammen aus bekannten Kompanien: Sasha Waltz, Joachim Schlömer, Wim Vandekeybus. "Splinter Group" nennen sie sich. Die Eröffnung der "13.Tanztage Berlin" mit ihnen war schon so etwas wie ein Höhepunkt.

    Junge Tänzer, angehende Choreographen finden hier in den Sophiensälen für knapp zwei Wochen ein Forum. Nachdem das Hebbeltheater unter der neuen Leitung den Tanz aus seinen Programmen weitgehend verdrängt hat, ist dies für das tanzsüchtige, begeisterungsfähige junge Publikum die verlässlichere Adresse.

    Meisterliches bekommt man hier nicht garantiert. Es gibt Ansätze. Oft reichen die über den mehr oder weniger originellen Grundeinfall nicht hinaus. Und damit muss Leiterin Barbara Friedrich sich dann begnügen. Überwiegend Uraufführungen lädt sie ein.

    Zum Teil habe ich von den jungen Choreographen ein Stück, manchmal ein Stück, das sie innerhalb der Ausbildung erarbeitet haben, gesehen. In der Regel ist es eine zündende, eine klare Idee, die die Grundlage ist für jede Choreographie wie für jedes Theaterstück. Manchmal, weil ich bei dem Probenprozess dabei bin, weiß ich’s dann kurz vor dem Festival schon. Aber zum Zeitpunkt der Programmierung weiß ich wirklich bei ca. 60 Prozent noch nicht, was real dann auf der Bühne sein wird.

    Zum Beispiel: Anne Retzlaffs Körpertreffer, ein von der Palucca-Schülerin gut durchgeformtes Stück. In der tänzerischen Ausführung durch Julia Leidhold bleibt es dann doch etwas blass.

    Oder: Anja Hempel. In Widergang versucht die aus der North Carolina School of Arts hervorgegangene Tänzerin und Choreographin ein getanztes Tagebuch. Vorgeführt werden einzelne tänzerische Phrasen, aneinander gehängt ergeben die aber noch kein Stück.

    Eindrucksvoll ist das Eröffnungsbild, wenn Hempel wie eine Sphinx mit hoch gebeugtem Rumpf wie über dem Boden schwebend den Reigen ihrer Übungen eröffnet. Immer wieder kehrt sie zu diesem Bild zurück. Entwicklungslinien sieht man nicht.

    Heimat inbegriffen nennt der Choreograph Tim Plegge sein Stück. Die Tänzerinnen Kristin Schmidt und Peggy Ziehr sieht man aus einer umgekippten Badewanne sich lösen. Und immer wieder wollen sie dorthin wie in einen Mutterschoß zurück. Ein Schelm, wer da an Susanne Linkes berühmtes Im Bade wannen denkt.

    Pantomimisch-dekorativ bleibt Nina Homolkas Zu Händen, ein kaleidoskopisch gebautes Stück für drei Tänzerinnen. Und ähnlich die Gruppe G.A.S. In mit ihrem Stück Kula stellen sie Posen eines zur Schablone gefrorenen Lebens aus, interessant im Ansatz, etwas einspurig in der Komposition.

    Die Tanztage sind ja auch ein Forum, um den Kompanien, die noch keine Chance haben, eine öffentliche Förderung zu bekommen, denn die geht ja erst ab einem bestimmten Level von öffentlicher Resonanz los - dort zu helfen, mal ne erste zweite dritte Produktion auf die Füße zu stellen. Und dann muss man das Wagnis einfach eingehen, dass es anders wird als man sich wünscht.

    Ihr Konzept will Barbara Friedrich beibehalten, auch wenn wegen des Einfrierens des Hebbeltheaters, alias HAU, für den Tanz jetzt schon etabliertere Kompanien bei ihr anfragen. Und mit dem Umzug vom räumlich beengten Pfefferberg, wo die Tanztage begannen, ins Szenelokal Sophiensäle ist zumindest die Resonanz weiter gestiegen.