Zagatta: Der viertägige Parteitag der SPD geht in diesen Minuten zu Ende und es war - soviel darf man wohl behaupten - einer der ruhigsten, einer der harmonischsten Parteitage, den die SPD seit langem erlebt hat: Zustimmung zu Kanzler Schröder. Selbst seine Afghanistan-Politik wurde ohne größeren Widerspruch gebilligt. Niels Annen, der Vorsitzende der Jungsozialisten, ist in unserem Übertragungswagen in Nürnberg. Guten Tag Herr Annen.
Annen: Schönen Guten Tag.
Zagatta: Herr Annen, die Jusos galten ja einst als eher aufmüpfige Organisation. Wie beurteilen Sie denn die Art und Weise, wie dieser Parteitag jetzt abgelaufen ist?
Annen: Ich glaube, man muss eine gemischte Bilanz ziehen. Wir haben auf der einen Seite natürlich - das haben Sie angesprochen - eine sehr ruhige, eine sehr sachliche Diskussion geführt. Diese Partei - das wollen auch wir Jusos - will mit Gerhard Schröder gemeinsam, mit Rot-Grün mit einer Reformperspektive die Wahlen gewinnen. Was aber auch gesagt werden muss, ist, dass gerade die Afghanistan-Debatte nicht das wiederspiegelt, was in der Partei unter den Delegierten in dem Ortsverein, aber natürlich auch bei uns Jusos, diskutiert wird. Insofern gibt es da also eine gewisse Enttäuschung. Ich glaube auch nicht, dass es der Partei nutzt, denn sie muss auch als große Volkspartei das wiederspiegeln, was verschiedene Teile unserer Mitgliedschaft denken und diskutieren. Das ist nicht in ausreichendem Maße geschehen. Wir Jusos haben versucht, unseren Teil dazu beizutragen, sind aber natürlich nicht für jeden und jeden einzelnen, der da spricht, verantwortlich.
Zagatta: Warum ist das nicht gelungen, da weiter durchzustoßen? Wie ist das verhindert worden?
Annen: Es geht ja nicht darum, was verhindert worden ist. Es ist ja auch einiges umgesetzt worden. Es ist in dem Antrag, den wir beschlossen haben, auf unsere Initiative aufgenommen worden, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit in den Mittelpunkt gerückt werden muss - das steht dort drin -, und wir haben eine Antrag der Jusos aufgenommen, der einen internationalen Strafgerichtshof fordert. Darauf haben sich ja auch viele SPD-Rednerinnen und -Redner berufen. Das sind durchaus Erfolge, die dann nicht so wahrgenommen werden, weil sie nicht kontrovers abgestimmt worden sind. Aber ich habe in meinem Redebeitrag sehr deutlich gemacht, dass ich es jetzt für falsch halte, zu diesem Zeitpunkt deutsche Soldaten bereitzustellen. Dafür gab es auch viel Unterstützung, und es gibt dafür auch mehr Unterstützung in der Partei, als es hier auf dem Parteitag deutlich geworden ist.
Zagatta: Wieso spiegelt der Parteitag dann nicht wieder, dass es diese Unterstützung gegeben hat? Woran hat es gelegen?
Annen: Meine persönliche Einschätzung ist, dass nach der Abstimmung am Freitag, nach der Vertrauensfrage, die Luft ein bisschen raus war - wie man so schön sagt. Viele haben zu Unrecht angenommen, dass damit eine Vorentscheidung getroffen worden sei. Die Partei ist aber ein eigenständiges Gebilde, die Partei muss sich auch ein eigenständiges Profil erarbeiten. Da sehe ich ein bisschen die Gefahr, dass wir zu sehr in mediale Inszenierungen abrutschen. Das wird uns auch in der Wahlauseinandersetzung nichts nützen, und die Delegierten gehen, so glaube ich, nicht mit dem Gefühl nach Hause, dass wir hier ein Projekt für die nächsten Jahre formuliert haben. Sie gehen mit dem Gefühl nach Hause: Wir haben erfolgreiche Regierungsarbeit geleistet und das läuft alles soweit ganz gut, aber es gibt nichts, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt. Das mag sich auswirken und da müssen wir nachlegen. Das ist durchaus eine bedenkliche Entwicklung.
Zagatta: Ist die SPD da ein bisschen ein Kanzlerwahl-Verein geworden?
Annen: Nein, wir sind kein Kanzlerwahl-Verein geworden, wir sind eine große und demokratische Partei, auch mit einer Streitkultur. Was aber stimmt - das habe ich ja eben gesagt -, es gibt gewisse Tendenz, mediale Inszenierung vor die eigene inhaltliche Debatte zu setzten. Das werden wir als Jusos nicht zulassen, und das wird sich auch die Partei auf Dauer so nicht gefallen lassen. Ich glaube, dass nach der Vertrauensabstimmung in der jetzigen Situation das in der Tat eine besondere Situation ist, die zu dieser ruhigen Stimmung geführt hat. Aber es geht ja auch nicht nur darum, Krawall zu machen, sondern es geht darum, dass wir ein sachliche Auseinandersetzung führen wollen. Das haben wir beispielsweise bei der Frage der Studiengebühren getan. Es ist da ein Antrag von uns angenommen worden, der eindeutig aussagt: Mit der SPD wird es keine Studiengebühren geben. Darüber haben wir sehr lebhaft diskutiert und uns im übrigen auch gegen die Parteiführung durchgesetzt. Also, dieser Eindruck, den Sie da wiedergeben, stimmt nicht so hundertprozentig.
Zagatta: Aber meinen Sie denn, dass jetzt Ihr Einsatz für oder gegen die Studiengebühren ausreicht, die SPD für jüngere Mitglieder attraktiv zu machen? Die Partei veraltert doch ziemlich.
Annen: Das ist ja nicht nur unsere Partei, die veraltert. Es sind auch andere große Organisationen, und das wird sicherlich nicht ausreichen. Es geht darum, dass wir eine Politik formulieren müssen, die das Interesse junger Menschen weckt und die vor allem die Interessen junger Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wir brauchen eine Politik für Zukunftschancen. Dazu gehört die Gebührenfreiheit des Studiums. Dazu gehört etwas, was wir auch beschlossen haben, nämlich eine Ausweitung des Jump-Programms, gerade in Gebieten wie in Ostdeutschland und anderen strukturschwachen Regionen, wo wir eine zweite Säule brauchen, die den Eintritt von der Ausbildung in die Arbeit wirklich vereinfacht - da muss die SPD nachlegen. Und gerade bei der Frage Krieg und Frieden gibt es viele junge Menschen, die zurecht besorgt sind, die ihre Ablehnung auch ausdrücken. Das drückt sich auch in Wahlergebnissen bei Jungwählern aus. Da hat die SPD reichlich Anlass, darüber nachzudenken, und vor allem die beiden Aspekte der Afghanistan-Politik, die humanitäre Hilfe und den politischen Einsatz der Bundesregierung - Dinge, die wir durchaus unterstützen - mehr in den Mittelpunkt zu rücken, anstatt über die Enttabuisierung des Militärischen zu sprechen. Das ist ein Fehler gewesen und wir müssen zeigen: Wir bleiben Friedenspartei, wir bleiben auch dem Erbe von Willi Brandt verpflichtet.
Zagatta: Afghanistan ist ja die eine Seite, Herr Annen, aber Kanzler Schröder hat ja immerhin auch schon sein Wahlversprechen, die Zahl der Arbeitslosen zumindest auf 3,5 Millionen zu senken, so gut wie gebrochen. Wieso nimmt das ein SPD-Parteitag so ohne Widerspruch hin.
Annen: Ja, das dürfen Sie mich nicht fragen. Wir haben uns dagegen gewährt. Wir haben ganz klar gesagt: Natürlich hat sich die weltwirtschaftliche Lage verschlechtert - das ist nicht die Schuld des Bundeskanzlers. Das muss man mal vorwegschicken. Trotzdem bleiben wir den 3,5 Millionen verpflichtet und wir sollten uns auch ehrgeizige Ziele setzen. Die Glaubwürdigkeit einer sozialdemokratischen Regierung entscheidet sich nicht zuletzt darin, ob es ihr gelingt, die Massenarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Deswegen brauchen wir jetzt konjunkturelle Impulse. Das hat der Parteitag abgelehnt. Das ist das falsche Signal, was dort nach außen gesandt wird, aber es ist vollkommen klar, dass wir eine aktive Beschäftigungspolitik brauchen: Da haben wir das Job-Aktiv-Gesetz, da haben wir das Jump-Programm - es gibt also da auch eine gemischte Bilanz. Trotzdem halte ich diesen Beschluss, der dort getroffen worden ist, dezidiert für falsch.
Zagatta: Wie ehrlich geht man denn überhaupt noch in der SPD miteinander um? Das schlechte Ergebnis von Rudolf Scharping etwa bei der Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden ist ja anschließend von der SPD-Führung fast schon krampfhaft schöngeredet worden. Wie beurteilen Sie das - hat Scharping noch eine politische Zukunft?
Annen: Ach ja, Sie sind natürlich wie Ihre Kollegen auch immer sehr daran interessiert, eine Aussage zu der ein oder anderen Person zu bekommen. Ich glaube, aus unserer Sicht, hat es eine nach wie vor nicht wirkliche Auseinandersetzung mit dem Kosovo-Krieg gegeben. Wir haben auf dem letzten Parteitag einen Antrag gestellt und es liegt jetzt ein Bericht der Internationalen Kommission der SPD vor, über das was dort geschehen ist. Trotzdem hat sich der Bundesverteidigungsminister zu seinem Verhalten nicht geäußert und auch das nicht mal in der Öffentlichkeit gegenüber den Delegierten reflektiert. Da sind einige Wunden zurückgeblieben, und da gab es Aufklärungsbedarf, der offensichtlich aus Sicht der Delegierten nicht hinreichend befriedigt worden ist. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen.
Zagatta: Aber Sie sprechen ja für die Juso. Was heißt das für die Jusos?
Annen: Für die Jusos bedeutet das, dass wir weiter daran arbeiten werden, dass das Völkerrecht in den Mittelpunkt der sozialdemokratischen Außenpolitik gerückt wird. Der Krieg, den wir im Kosovo geführt haben, war völkerrechtswidrig - dafür trägt u.a. der Verteidigungsminister die Verantwortung. Aber wir wollen nicht nur nach hinten blicken, sondern wir haben eine Diskussion um Leitlinien sozialdemokratischer Außenpolitik geführt - daran werden wir uns beteiligen, und das natürlich auch in der konstruktiv-kritischen Art und Weise, wie wir das immer tun, nämlich mit dem Bundesverteidigungsminister Scharping.
Zagatta: Stellen Sie einen Mann, der ein so schlechtes Ergebnis beim Parteitag erhalten hat, nicht in Frage?
Annen: Nein. Wie sollte ich ihn in Frage stellen? Er hat 58% bekommen und damit ist er stellvertretender Parteivorsitzender. Das ist so in der Demokratie.
Zagatta: Und hat er eine politische Zukunft?
Annen: Darüber entscheiden ja nicht die Jusos.
Zagatta: Na gut, belassen wir es dabei. Das war Niels Annen, der Vorsitzende der Jungsozialisten. Schönen Dank für das Gespräch.
Annen: Ich bedanke mich.
Annen: Schönen Guten Tag.
Zagatta: Herr Annen, die Jusos galten ja einst als eher aufmüpfige Organisation. Wie beurteilen Sie denn die Art und Weise, wie dieser Parteitag jetzt abgelaufen ist?
Annen: Ich glaube, man muss eine gemischte Bilanz ziehen. Wir haben auf der einen Seite natürlich - das haben Sie angesprochen - eine sehr ruhige, eine sehr sachliche Diskussion geführt. Diese Partei - das wollen auch wir Jusos - will mit Gerhard Schröder gemeinsam, mit Rot-Grün mit einer Reformperspektive die Wahlen gewinnen. Was aber auch gesagt werden muss, ist, dass gerade die Afghanistan-Debatte nicht das wiederspiegelt, was in der Partei unter den Delegierten in dem Ortsverein, aber natürlich auch bei uns Jusos, diskutiert wird. Insofern gibt es da also eine gewisse Enttäuschung. Ich glaube auch nicht, dass es der Partei nutzt, denn sie muss auch als große Volkspartei das wiederspiegeln, was verschiedene Teile unserer Mitgliedschaft denken und diskutieren. Das ist nicht in ausreichendem Maße geschehen. Wir Jusos haben versucht, unseren Teil dazu beizutragen, sind aber natürlich nicht für jeden und jeden einzelnen, der da spricht, verantwortlich.
Zagatta: Warum ist das nicht gelungen, da weiter durchzustoßen? Wie ist das verhindert worden?
Annen: Es geht ja nicht darum, was verhindert worden ist. Es ist ja auch einiges umgesetzt worden. Es ist in dem Antrag, den wir beschlossen haben, auf unsere Initiative aufgenommen worden, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit in den Mittelpunkt gerückt werden muss - das steht dort drin -, und wir haben eine Antrag der Jusos aufgenommen, der einen internationalen Strafgerichtshof fordert. Darauf haben sich ja auch viele SPD-Rednerinnen und -Redner berufen. Das sind durchaus Erfolge, die dann nicht so wahrgenommen werden, weil sie nicht kontrovers abgestimmt worden sind. Aber ich habe in meinem Redebeitrag sehr deutlich gemacht, dass ich es jetzt für falsch halte, zu diesem Zeitpunkt deutsche Soldaten bereitzustellen. Dafür gab es auch viel Unterstützung, und es gibt dafür auch mehr Unterstützung in der Partei, als es hier auf dem Parteitag deutlich geworden ist.
Zagatta: Wieso spiegelt der Parteitag dann nicht wieder, dass es diese Unterstützung gegeben hat? Woran hat es gelegen?
Annen: Meine persönliche Einschätzung ist, dass nach der Abstimmung am Freitag, nach der Vertrauensfrage, die Luft ein bisschen raus war - wie man so schön sagt. Viele haben zu Unrecht angenommen, dass damit eine Vorentscheidung getroffen worden sei. Die Partei ist aber ein eigenständiges Gebilde, die Partei muss sich auch ein eigenständiges Profil erarbeiten. Da sehe ich ein bisschen die Gefahr, dass wir zu sehr in mediale Inszenierungen abrutschen. Das wird uns auch in der Wahlauseinandersetzung nichts nützen, und die Delegierten gehen, so glaube ich, nicht mit dem Gefühl nach Hause, dass wir hier ein Projekt für die nächsten Jahre formuliert haben. Sie gehen mit dem Gefühl nach Hause: Wir haben erfolgreiche Regierungsarbeit geleistet und das läuft alles soweit ganz gut, aber es gibt nichts, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt. Das mag sich auswirken und da müssen wir nachlegen. Das ist durchaus eine bedenkliche Entwicklung.
Zagatta: Ist die SPD da ein bisschen ein Kanzlerwahl-Verein geworden?
Annen: Nein, wir sind kein Kanzlerwahl-Verein geworden, wir sind eine große und demokratische Partei, auch mit einer Streitkultur. Was aber stimmt - das habe ich ja eben gesagt -, es gibt gewisse Tendenz, mediale Inszenierung vor die eigene inhaltliche Debatte zu setzten. Das werden wir als Jusos nicht zulassen, und das wird sich auch die Partei auf Dauer so nicht gefallen lassen. Ich glaube, dass nach der Vertrauensabstimmung in der jetzigen Situation das in der Tat eine besondere Situation ist, die zu dieser ruhigen Stimmung geführt hat. Aber es geht ja auch nicht nur darum, Krawall zu machen, sondern es geht darum, dass wir ein sachliche Auseinandersetzung führen wollen. Das haben wir beispielsweise bei der Frage der Studiengebühren getan. Es ist da ein Antrag von uns angenommen worden, der eindeutig aussagt: Mit der SPD wird es keine Studiengebühren geben. Darüber haben wir sehr lebhaft diskutiert und uns im übrigen auch gegen die Parteiführung durchgesetzt. Also, dieser Eindruck, den Sie da wiedergeben, stimmt nicht so hundertprozentig.
Zagatta: Aber meinen Sie denn, dass jetzt Ihr Einsatz für oder gegen die Studiengebühren ausreicht, die SPD für jüngere Mitglieder attraktiv zu machen? Die Partei veraltert doch ziemlich.
Annen: Das ist ja nicht nur unsere Partei, die veraltert. Es sind auch andere große Organisationen, und das wird sicherlich nicht ausreichen. Es geht darum, dass wir eine Politik formulieren müssen, die das Interesse junger Menschen weckt und die vor allem die Interessen junger Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wir brauchen eine Politik für Zukunftschancen. Dazu gehört die Gebührenfreiheit des Studiums. Dazu gehört etwas, was wir auch beschlossen haben, nämlich eine Ausweitung des Jump-Programms, gerade in Gebieten wie in Ostdeutschland und anderen strukturschwachen Regionen, wo wir eine zweite Säule brauchen, die den Eintritt von der Ausbildung in die Arbeit wirklich vereinfacht - da muss die SPD nachlegen. Und gerade bei der Frage Krieg und Frieden gibt es viele junge Menschen, die zurecht besorgt sind, die ihre Ablehnung auch ausdrücken. Das drückt sich auch in Wahlergebnissen bei Jungwählern aus. Da hat die SPD reichlich Anlass, darüber nachzudenken, und vor allem die beiden Aspekte der Afghanistan-Politik, die humanitäre Hilfe und den politischen Einsatz der Bundesregierung - Dinge, die wir durchaus unterstützen - mehr in den Mittelpunkt zu rücken, anstatt über die Enttabuisierung des Militärischen zu sprechen. Das ist ein Fehler gewesen und wir müssen zeigen: Wir bleiben Friedenspartei, wir bleiben auch dem Erbe von Willi Brandt verpflichtet.
Zagatta: Afghanistan ist ja die eine Seite, Herr Annen, aber Kanzler Schröder hat ja immerhin auch schon sein Wahlversprechen, die Zahl der Arbeitslosen zumindest auf 3,5 Millionen zu senken, so gut wie gebrochen. Wieso nimmt das ein SPD-Parteitag so ohne Widerspruch hin.
Annen: Ja, das dürfen Sie mich nicht fragen. Wir haben uns dagegen gewährt. Wir haben ganz klar gesagt: Natürlich hat sich die weltwirtschaftliche Lage verschlechtert - das ist nicht die Schuld des Bundeskanzlers. Das muss man mal vorwegschicken. Trotzdem bleiben wir den 3,5 Millionen verpflichtet und wir sollten uns auch ehrgeizige Ziele setzen. Die Glaubwürdigkeit einer sozialdemokratischen Regierung entscheidet sich nicht zuletzt darin, ob es ihr gelingt, die Massenarbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Deswegen brauchen wir jetzt konjunkturelle Impulse. Das hat der Parteitag abgelehnt. Das ist das falsche Signal, was dort nach außen gesandt wird, aber es ist vollkommen klar, dass wir eine aktive Beschäftigungspolitik brauchen: Da haben wir das Job-Aktiv-Gesetz, da haben wir das Jump-Programm - es gibt also da auch eine gemischte Bilanz. Trotzdem halte ich diesen Beschluss, der dort getroffen worden ist, dezidiert für falsch.
Zagatta: Wie ehrlich geht man denn überhaupt noch in der SPD miteinander um? Das schlechte Ergebnis von Rudolf Scharping etwa bei der Wahl zum stellvertretenden Parteivorsitzenden ist ja anschließend von der SPD-Führung fast schon krampfhaft schöngeredet worden. Wie beurteilen Sie das - hat Scharping noch eine politische Zukunft?
Annen: Ach ja, Sie sind natürlich wie Ihre Kollegen auch immer sehr daran interessiert, eine Aussage zu der ein oder anderen Person zu bekommen. Ich glaube, aus unserer Sicht, hat es eine nach wie vor nicht wirkliche Auseinandersetzung mit dem Kosovo-Krieg gegeben. Wir haben auf dem letzten Parteitag einen Antrag gestellt und es liegt jetzt ein Bericht der Internationalen Kommission der SPD vor, über das was dort geschehen ist. Trotzdem hat sich der Bundesverteidigungsminister zu seinem Verhalten nicht geäußert und auch das nicht mal in der Öffentlichkeit gegenüber den Delegierten reflektiert. Da sind einige Wunden zurückgeblieben, und da gab es Aufklärungsbedarf, der offensichtlich aus Sicht der Delegierten nicht hinreichend befriedigt worden ist. Mehr möchte ich dazu aber nicht sagen.
Zagatta: Aber Sie sprechen ja für die Juso. Was heißt das für die Jusos?
Annen: Für die Jusos bedeutet das, dass wir weiter daran arbeiten werden, dass das Völkerrecht in den Mittelpunkt der sozialdemokratischen Außenpolitik gerückt wird. Der Krieg, den wir im Kosovo geführt haben, war völkerrechtswidrig - dafür trägt u.a. der Verteidigungsminister die Verantwortung. Aber wir wollen nicht nur nach hinten blicken, sondern wir haben eine Diskussion um Leitlinien sozialdemokratischer Außenpolitik geführt - daran werden wir uns beteiligen, und das natürlich auch in der konstruktiv-kritischen Art und Weise, wie wir das immer tun, nämlich mit dem Bundesverteidigungsminister Scharping.
Zagatta: Stellen Sie einen Mann, der ein so schlechtes Ergebnis beim Parteitag erhalten hat, nicht in Frage?
Annen: Nein. Wie sollte ich ihn in Frage stellen? Er hat 58% bekommen und damit ist er stellvertretender Parteivorsitzender. Das ist so in der Demokratie.
Zagatta: Und hat er eine politische Zukunft?
Annen: Darüber entscheiden ja nicht die Jusos.
Zagatta: Na gut, belassen wir es dabei. Das war Niels Annen, der Vorsitzende der Jungsozialisten. Schönen Dank für das Gespräch.
Annen: Ich bedanke mich.