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Die "Bild" zum Sonntagsfrühstück

"Bild" gilt als die Zeitung mit Bekennerdefizit - viele lesen sie, wenige geben es zu. Damit konnte der Springer-Konzern schon immer gut leben. Als die "Bild"-Zeitung nach knapp vierjährigem Bestehen erfolgreich geworden war, erweiterten die Herausgeber ihre Palette und brachten 1956 die "Bild am Sonntag" heraus - etwas teurer, umfangreicher und feiertäglicher.

Von Ingo Kottkamp |
    "Das Geständnis der deutschen Kidnapperin – so raubte ich den Millionärssohn"

    Ein typischer Aufmacher der "Bild am Sonntag" in den 50er Jahren - er würde auch in heutigen Ausgaben nicht weiter auffallen. Für 30 Pfennig konnte man seit dem 29. April 1956 auch am Sonntag die "Bild"-typischen Human-Interest-Stories erwerben. Wie in der knapp vier Jahre älteren Mutterzeitung ging es um Entspannendes, Ablenkendes und Fesselndes für die so genannten einfachen Leute - mit einem Unterschied: Man dachte hier nicht an hastige Lektüre im Pendlerzug, sondern an gemütliches Blättern am Kaffeetisch. Die damals schon bestehende "Welt am Sonntag" gehörte ebenfalls Springer und richtete sich an ein anderes Publikum. Der Markt war also frei für die Boulevardzeitung am Sonntag. Und um ihn zu bedienen, versuchten die Macher, in Stil und Themenwahl familienfreundlich zu sein. Im Mai 1958 hörte sich das so an:

    "Der Herd rollt mit
    Neueste Errungenschaft für Feinschmecker: die fahrbare Küche. Jetzt braucht Vati selbst am Fuße des Vesuvs nicht mehr auf seine Hausmannkost zu verzichten. Hoffentlich wird sie ihm nicht von Mutti versalzen - denn für sie ist es nun aus mit der Erholung."

    Das Erfolgsrezept hat sich in 50 Jahren nicht wesentlich geändert: Verbrechen, Sex, Sport, Prominentenklatsch und auf griffige Nenner vereinfachte Politik; eingelegt in einer Gemütlichkeitssauce aus "weichen" Themen wie Tiere, Küche, Medizin, Ratgeber und Lebenshilfe. Der Ton bleibt sich dabei gleich - auch das Sonntäglich-Beschauliche wirkt wie eine Sensationsmeldung.

    "Das sind Deutschlands schönste Bäume"

    Eine typische Doppelseite aus dem Mauerbaujahr 1961 zeigt, wie in dieser Zeit das Politische an Stellenwert gewinnt und dabei vom Trivialen umgeben ist. Links prangt

    "Das Lächeln der Lisa"

    - ein ganzseitiges Babyfoto mit Tipps, wie man die Kleinen am wirkungsvollsten fotografiert. Auf der gegenüberliegenden Seite nimmt sich die "BamS" der Politik an. Der sowjetische Generalsekretär Nikita Chruschtschow hat auf dem 22. Parteitag der KPdSU den Durchbruch des Kommunismus innerhalb von 20 Jahren prophezeit. "Bild am Sonntag" nennt das "Zwanzigjahresplan" und kommentiert:

    "Haben WIR keinen Plan?
    Warum gibt es bei uns keinen Politiker, der den einfachen Leuten in einem mitreißenden Plan erklärt, welch gewaltige Erfolge wir hier im Westen in den nächsten zwanzig Jahren haben werden? Warum spricht keiner davon, dass 1980 ein Massenkonsum billiger Lebensgüter erreicht ist, wie wir ihn uns heute kaum vorstellen können. Dass dann fast jeder Erwachsene ein Auto besitzt? Dass wir sichere Straßen haben und vieles mehr?"

    In den siebziger Jahren regte sich Widerstand gegen "Bild", und auch die Sonntagsausgabe spielte ihre Rolle in diesem Streit. In Heinrich Bölls Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" fällt dem als "SONNTAGSZEITUNG" verklausulierten Blatt eine Schlüsselrolle zu. Auch der deutsche Presserat erteilte der "BamS" öffentliche Rügen. Die tägliche "Bild" war davon weitaus häufiger betroffen, aber dennoch schaltete sich die "BamS" ein, als unter anderem auf Initiative des Grafikers Klaus Staeck viele, auch prominente Unterzeichner zum Boykott sämtlicher Varianten der "Bild" aufriefen.

    "Dem Staeck-Konsortium teilt BILD am SONNTAG ganz undramatisch mit: Sie verweigern Mitarbeit, die gar nicht gefragt ist. 'Staecken’ Sie sich Ihre Boykottaufrufe an den Hut! Wir arbeiten nicht mit Radikalen."

    Heute verfolgt eine Internetseite täglich kritisch Verdrehungen, Vereinfachungen und Verleumdungen der "Bild" – auch am Sonntag. Was die Erfolgsaussichten eines Boykottes betrifft, sollte die "BamS" allerdings recht behalten. Gerade die "Bild am Sonntag" wird heute von vielen Politikern mit Interviews und Gastkommentaren als Plattform genutzt. Wahrscheinlich spricht das weniger für die Politisierung eines Boulevardblattes als für die Boulevardisierung der Politik. So kann man auch die Zielsetzung der "BamS" verstehen, die Chefredakteur Claus Strunz im Jahr 2001 formulierte.

    "Wir wollen für 'Bild am Sonntag' die erste Meldung in der 'Tagesschau' und die erste Meldung in 'heute', und jetzt kommt es: Wir wollen auch die erste Meldung bei 'RTL exklusiv'."

    Ihre Kritiker sind inzwischen das geringste Problem für die "Bild am Sonntag". Schwierigkeiten macht allerdings die Krise des Zeitungsmarktes. Mehr Konkurrenten als früher versuchen, in der Nische des Feiertags ihr Geschäft zu machen. Es gibt nicht nur mehr Sonntagszeitungen, auch der "Spiegel" hat sein Erscheinen um einen Tag vorverlegt. Eines hat sich also geändert nach 50 Jahren: Die Springer-Presse hat kein Monopol mehr auf den sonntäglichen Kaffeetisch.