Freitag, 19. April 2024

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Die blinde Eule

Sadeq Hedayat:

Peter Schütt | 25.02.1998
    Die blinde Eule Aus dem Persischen von Bahman Nirumand Suhrkamp, 1997, 166 Seiten Preis: 21 Mark

    Ssadegh Hedayat:

    Der Feueranbeter und andere Erzählungen Herausgegeben von Touradj Rahnema C.H. Beck, Neue Orientalische Bibliothek, 1997, 200 Seiten Preis: 38 Mark

    Es gibt kaum ein Werk der modernen Weltliteratur, das so quälend und hypnotisierend vom Leid der Einsamkeit und der Verlorenheit erzählt wie Sadeq Hedayats Roman "Die blinde Eule". Das Buch gilt bis heute als Höhepunkt der persischen Moderne. Es erschien zuerst 1936 als Privatdruck in Bombay, weil in Persien die Zensur die Veröffentlichung verboten hatte. Sein Verfasser, ein Mann aus hochherrschaftlicher Familie, nahm sich 1951 im Pariser Exil das Leben. Sein Visum war abgelaufen. Die Schweiz verweigerte ihm die Einreise. So verwirklichte er seine fast lebenslange Todessehnsucht. Die Bibliothek Suhrkamp hat Hedayats Meisterwerk in der poetischen Übertragung von Sahman Nirumand neu herausgegeben und ermöglicht dem Buch dadurch den Zugang zu einer breiteren Leserschaft.

    Der Roman vergegenwärtigt in "Schattenbilder der Seele" die Trauer eines Federkastenmalers, der entweder zur Opiumpfeife oder zur Schreibfeder greift, um sein Elend zu vergessen. Sein verlorenes Ich wendet sich an sein Schattenbild, die blinde Eule, die zugleich sein Todesbote ist. Immer wieder erscheint ihm ein Motiv, das er früher unablässig gemalt hat: ein buckliger alter Mann aus Indien sitzt unter einer Zypresse. Ein Mädchen im schwarzen Umhang reicht ihm über einen Bach hinweg eine Windenblüte. Das Bild wird Realität. Als der Alte, sein eigenes Zerrbild im Trauerspiegel, auftaucht, erblickt das Ich durch eine Luke das Mädchen und schaut ihr wie geblendet in die Augen. Er wird wahnsinnig und rennt ziellos umher, um das Objekt seiner Sehnsucht zu suchen. Eines Tages erwartet das Mädchen ihn und will sich ihm hingeben. Doch in Wirklichkeit stirbt sie, und er kann nur noch eine Tote zeichnen: ein morbides Selbstbildnis des Künstlers als Gefährte der Toten.

    Die Beseitigung der Leiche mithilfe eines gespenstischen Totengräbers wird zu einer neuen Reise in das Reich der Toten. Das als heilig verehrte Mädchen entpuppt sich als Hure, die sich jedem hingegeben hat, nur nicht dem buckligen Alten. Die unerfüllte Begierde stürzt ihn in ein qualvolles Siechtum, verurteilt ihn zum Leben im Sarg, von dem er erst durch seine Ermordung, die dem Freitod zuvorkommt, erlöst wird. Moderner, von Kafka geprägter Nihilismus, verbindet sich in Hedayats beklemmendem Roman mit buddhistischer Nirwana-Sehnsucht.

    Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die literarische Öffentlichkeit im Iran den Rang Sadeq Hedayats erkannt hat. Erst während der Islamischen Revolution wurden die Werke des Einzelgängers, der lange Jahre im Exil verbracht hat, als Ganzes veröffentlicht. Hedayats Erzählungen sind jetzt in der ambitionierten "Neuen Orientalischen Bibliothek" des Münchener Beck-Verlages zum ersten Mal in deutscher Sprache zusammenfassend erschienen. Herausgeber ist Touradj Rahnema, der an der Teheraner Universität deutsche Literatur lehrt und sich einen Namen als Vermittler zwischen beiden Kulturen gemacht hat. Er hat für Hedayats Erzählungen die besten Übersetzer versammelt, hat den Band mit einem informativen Vorwort eingeleitet und im Anhang hilfreiche Erläuterungen und Interpretationshilfen hinzugefügt. Dennoch enttäuscht die Lektüre der zwölf Prosastücke unterschiedlicher Länge und Gestalt ein wenig, denn keiner der Texte erreicht auch nur annähernd die magische Suggestivkraft der "blinden Eule". Die Titelgeschichte, "Der Feueranbeter", ist möglicherweise sogar die schwächste der Sammlung. Sie wird überdies im Vorwort maßlos überinterpretiert als verschlüsseltes Bekenntnis zum Kult der Zoroastrier in Indien und im Iran. Ebenso gut könnte man aus anderen Erzählungen eine Nähe zur Mystik der Sufi-Bewegung herauslesen.

    Die Geschichten Sadeq Hedayats haben alle ein Grundmotiv: unerfüllte und unerfüllbare Liebessehnsucht, die nicht erotisch, sondern in bester orientalischer Tradition metaphysisch gedeutet wird. Seine Protagonisten sehnen sich nach einem Glück, das nicht von dieser Welt ist, und für dieses Verlangen überschreiten sie die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum, zwischen Leben und Tod. Seine Prosastücke sind Gleichnisse für die Einsamkeit des modernen Menschen, der sich von Gott lossagt, aber dennoch nicht von Gott loskommt.

    Es liegt auf der Hand, daß Hedayats Werk im Iran bis heute umstritten geblieben ist. Seine wenigen Bücher - einen wesentlichen Teil seiner Manuskripte hat der Autor vor seinem Freitod selbst verbrannt - stehen für ein anderes Persien als das Iranbild der in der Kulturpolitik der Islamischen Republik immer noch bestimmenden Doktrinäre. In Hedayats Traum- und Alptraumwelten begegnen sich buddhistische Weisheitslehren, islamische Mystik und westlicher Skeptizismus. Daß Hedayat im Iran wieder im Gespräch ist und überaus kontrovers diskutiert wird, ist ein Indiz für die Entschlossenheit vieler Intellektueller, die Isolierung zu durchbrechen und sich den vielfältigen Strömungen der Moderne von neuem zu öffnen.