"Zeichen und Wunder am Sereth" - der Untertitel gibt die Stimmung vor. Zwischen Wirklichkeit und Legende ist der Text angesiedelt, Unfaßliches und viel Symbolik finden sich - "es geschah aber", lautet die wiederkehrende Sprachformel. Aber es sind auch erzählerische Momente darin und Szenen, die haften bleiben - ewige Fragen der Gerechtigkeit, großartige Monologe der wenigen Warnenden, daneben das Zögern und Zaudern der Gläubigen, der Verlorenen, und die Schamlosigkeit der Mörder. Wieder, wie schon in der Trilogie, trifft der Blutrausch der Judenhasser ausgewählte Kinder, "das Zarteste und das Schwächste", wie es heißt, detailversessen werden die Greuel vor der Phantasie des Lesers ausgemalt. Heller Wahnsinn und pure Mordgier, und einen dämonischen, satirisch verzerrten Blick ins deutsche Machtzentrum erspart der Schriftsteller dem Leser schließlich auch nicht. Und läßt dann ein großes Klagelied erklingen, so etwas wie ein heiliges Tribunal. Anklage gegen zweitausendjährige Verfolgung, Aufschrei gegen die tausendjährige Vernichtung durch die "deutschen Mordbrenner" im 20. Jahrhundert. Schwer nachzuerzählen ist das, man muß es selber lesen. Um die Wirkung zu erfassen und auch, um einen Begriff von der Sprache zu bekommen, in der es verfaßt ist. Aber, schwer zu lesen soll das sein? Die Sprache kommt klar und wie aus Granit gehauen. Schwer nachzuvollziehen also? Verstaubt gar? Schulte dazu: "Wenn man so reagiert, könnte es passieren, daß man das literarische Problem, das hinter einem solchen Werk steht, nicht mehr sieht. Es käme also wohl darauf an, sich zu fragen, mit welchen Mitteln dieses Problem in diesem Buch gelöst wird und erst dann möglicherweise sich zu fragen, ob eine solche Lösung angemessen ist oder ob sie nicht angemessen ist."
Manche inhaltlichen Wendungen erscheinen für heutige Begriffe befremdlicher als die sprachlichen Mittel. Das Buch ist aus seiner Zeit heraus zu begreifen. Geplant seit 1943, abgeschlossen 1952. Aus unmittelbarer Betroffenheit des Schriftstellers entstanden. Morgenstern setzt die Rote Armee als lockenden Partner für ein weltliches Himmelreich auf Erden, ein Ausweg aus der Verzweiflung. Und das zu einer Zeit, als die USA, Heimat der versprochenen Freiheit, noch nicht kuriert waren von der antikommunistischen Hysterie unter McCarthy. Und Morgenstern deutet erneut das Gelobte Heilige Land als Silberstreif am Horizont an, Israel also, jenes Gebiet, das der Schriftsteller selbst, vor allem aus Geldmangel wohl, nie erreichen sollte. Morgenstern ist mit dieser Hoffnung nicht weiter als am Ende seiner Trilogie, die vor dem Holocaust abgeschlossen war. Ein ratloses Buch also? Letztlich auch ein ratloses, ein hilfloses, ein verzweifeltes Buch. Wie anders nach diesem Inferno, in dem Morgenstern Mutter, Bruder, Schwester, Verwandte, Freunde und Bekannte in den Vernichtungslagern verloren hatte. Nicht mehr als das Schicksal des Davongekommenen blieb ihm in New York, ein gefährdetes und armseliges Exil seit 1941, mit dem geschaffenen und noch zu schaffenden Werk als letztem Halt - doch zu Lebzeiten blieb der Autor weitgehend unbekannt. Eine Erklärung für sein zuversichtliches Ende der "Blutsäule" lieferte der Schriftsteller in einem Gespräch, Anfang der 70er Jahre. "Ein Buch", erklärte der damals 83jährige, "ein Buch, das nicht in Hoffnung endet, nicht hoffnungsvoll ist, ist kein jüdisches Buch. Und wir hoffen natürlich auf Erlösung."